OGH 1Ob675/89

OGH1Ob675/8915.11.1989

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Schragel als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Schubert, Dr.Hofmann, Dr.Schlosser und Dr.Graf als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Josef S***, Kraftfahrer, Feldkirch-Levis, Bürgergasse 14 a, vertreten durch Dr.Roland Piccolruaz, Rechtsanwalt in Bludenz, wider die beklagte Partei Hermine S***, Hausfrau, Tschagguns, Zelfen 589, vertreten durch Dr.Gottfried Waibel, Rechtsanwalt in Dornbirn, wegen Ehescheidung infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgerichtes vom 28. Juni 1989, GZ 3 R 195/89-64, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Feldkirch vom 10.April 1989, GZ 10 Cg 367/86-58, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 3.706,20 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (hievon S 617,70 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu bezahlen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Streitteile schlossen am 20.Mai 1964 vor dem Standesamt Lochau die Ehe. Sie sind österreichische Staatsbürger, der letzte gemeinsame gewöhnliche Aufenthalt war in Tschagguns, Zelfen 589. Der Ehe der Streitteile entstammen die Kinder Wolfgang, geb. 31.August 1964, Karl-Heinz, geb. 24.September 1965, Birgit, geb. 15.Juni 1976, Beate, geb. 17.August 1968, Thomas, geb. 17. Dezember 1969, Andreas, geb. 24.Jänner 1973, und Herbert, geb. 6.Juni 1980.

Der Kläger begehrt die Scheidung der Ehe wegen schwerer Eheverfehlungen der Beklagten (§ 49 EheG).

Die Beklagte beantragte Abweisung des Klagebegehrens; für den Fall der Scheidung begehrte sie den Ausspruch, daß den Kläger das überwiegende Verschulden an der Zerrüttung der Ehe treffe. Das Erstgericht schied die Ehe der Streitteile aus dem Verschulden der Beklagten und sprach aus, daß das Verschulden des Klägers überwiege. Das Erstgericht stellte fest:

Die Ehewohnung der Streitteile in Tschagguns, Zelfen 589, befinde sich in einem Wohnblock. Die Beklagte sei mit mehreren Hausbewohnern und Nachbarn in Streitigkeiten verwickelt gewesen, deren Ausgangspunkt hauptsächlich sowohl die Kinder der Streitteile als auch der Nachbarn und der Hausbewohner gewesen seien. Die Beklagte habe gegenüber fremden Kindern eine aggressive Haltung an den Tag gelegt und andere Kinder wiederholt als "Todeln" bezeichnet. Streit habe es auch deshalb gegeben, weil sich die Beklagte aktiv an Tratschereien bzw. der Verbreitung von Gerüchten beteiligt habe. Der Kläger sei bemüht gewesen, die Streitigkeiten zu schlichten und habe vergeblich auf die Beklagte dahin eingewirkt, sich auf die "Weiberquatscherei" mit Nachbarinnen nicht einzulassen. Zwischen den Streitteilen sei es deshalb auch zu Differenzen gekommen, weil sich der Kläger aus den Streitigkeiten der Beklagten mit anderen Leuten habe heraushalten wollen. Der Kläger sei bis zum Jahre 1977 als Fernfahrer tätig gewesen und habe bis zu 400 Stunden monatlich gearbeitet. Ab dem Jahre 1970 habe die Beklagte als Zimmermädchen und Aufräumerin gearbeitet, obwohl sie damals schon fünf Kinder zu versorgen hatte. Grund hiefür sei auch Geldbedarf gewesen, weil sich der Kläger einen Traktor (für die Bewirtschaftung einer Maisäß) und einen Personenkraftwagen angeschafft hatte. Gemessen an der großen Kinderzahl sei den Streitteilen nur eine kleine Wohnung zur Verfügung gestanden. Die Verhältnisse seien so beengt gewesen, daß bis zu vier Kinder im elterlichen Schlafzimmer schlafen mußten. Die Beklagte habe dennoch den Haushalt und die Kinder ordentlich versorgt; die Kinder seien immer gut gekleidet und ernährt gewesen. Die finanzielle Gebarung des Haushaltes habe insoferne Schwierigkeiten bereitet, als es immer wieder finanzielle Engpässe gegeben habe. Grundsätzlich hätten die Streitteile aber mit dem von ihnen erzielten Einkommen das Auslangen gefunden. Die Beklagte sei über das Bankkonto des Klägers verfügungsberechtigt gewesen. Einmal habe sie ohne Zustimmung des Klägers einen Hängeschrank für die Küche um S 5.000,-- erworben, für die Kinder habe sie mehrfach bei Versandhäusern Kleidungsstücke bestellt, ohne den Kläger zu fragen. In finanziellen Angelegenheiten habe es zwischen den Streitteilen manchmal "Krach" gegeben, wenn die Beklagte vergessen hatte, fällige Zahlungen zu leisten. Ein Problem habe auch darin bestanden, daß sich die Beklagte gegenüber dem Kläger unnötig eifersüchtig gezeigt habe. Ab Mai 1985 glaubte die Beklagte im Verhalten des Klägers eine Änderung zu erkennen. Der Kläger habe seine Eßgewohnheiten geändert und von der Beklagten keine Notiz mehr genommen. Aus diesem Grund sei die Beklagte mißtrauisch geworden. Sie habe schließlich im Verbandskasten des Personenkraftwagens des Klägers einen Zettel mit der Adresse der Annemarie S***, Kufstein, Eichelwang 49, gefunden. Noch am selben Tag habe der Kläger von einer Frau, die sich namentlich nicht gemeldet habe, einen Telefonanruf erhalten. In der Folge sei der Kläger mehrmals von einer Frau angerufen worden, von der die Beklagte zu Recht angenommen habe, daß es sich dabei um Annemarie S*** gehandelt habe. Vom Kläger habe die Beklagte keine Auskunft darüber erhalten, wer die Frau sei. Wegen der Telefonanrufe und der Weigerung des Klägers, die Beklagte über die Person der Anruferin aufzuklären, sei es zu heftigen Streitigkeiten gekommen, die teilweise auch vor den Kindern ausgetragen wurden. Ab Juli 1985 habe der Kläger begonnen, die Wochenenden außerhalb der Ehewohnung zu verbringen. Er sei zumeist Freitag weggefahren und erst in der Nacht von Sonntag auf Montag nach Hause gekommen. Die Beklagte habe vermutet, daß der Kläger die Wochenenden mit der ihr unbekannten Anruferin verbringe. Der Kläger habe der Beklagten nie gesagt, wo er die Wochenenden verbringe. Die Fragen der Beklagten habe er entweder mit einem Achselzucken beantwortet oder aber erklärt, das gehe die Beklagte einen Dreck an. Die Telefonanrufe der Annemarie S*** und der Umstand, daß der Kläger ab Juli 1985 die Wochenenden nie mehr zu Hause verbrachte, hätten zu immer heftigeren Streitigkeiten geführt. Die Beklagte habe im Juli 1985 deswegen einen Nervenzusammenbruch erlitten und sei zunächst ärztlich in häuslicher Pflege mit Injektionen behandelt worden. Nach einem weiteren Nervenzusammenbruch sei die Beklagte in der Zeit vom 25. Juli bis 30.Juli 1985 im Krankenhaus St. Josefsheim, Schruns, zur stationären Behandlung gewesen. Der Kläger habe ab Juli 1985 Annemarie S*** zu den Wochenenden in Kufstein besucht. Es sei nicht erwiesen, daß es dabei auch zu intimen Kontakten gekommen sei. Nach der Behandlung im Krankenhaus St. Josefsheim sei die Beklagte nach wie vor in einem nervlich labilen Zustand gewesen. Sie sei immer jähzorniger und aggressiver geworden. Hauptstreitpunkt sei es gewesen, daß der Kläger die Wochenenden nicht mehr zu Hause verbrachte und der Beklagten keine Auskunft über seinen Verbleib gegeben habe. Behauptungen der Beklagten, er habe mit Annemarie S*** ein Verhältnis, wies der Kläger als unrichtig zurück. Die Beklagte habe sich im Zuge der immer heftiger werdenden Auseinandersetzungen nicht mehr beherrschen können, sei gegen den Kläger tätlich geworden und habe Sachen beschädigt. So habe sie einmal nach einer Auseinandersetzung mit einem Stein die Windschutzscheibe seines Personenkraftwagens zerschlagen. Diese Aktion habe sie mit der Bemerkung verbunden, nun könne der Kläger nicht mehr nach Kufstein fahren. Die Reparatur der Windschutzscheibe habe die Beklagte bezahlt. Am 22.August 1985 habe die Beklagte das Telefonkabel durchschnitten, als der Kläger gerade mit Annemarie S*** telefoniert habe, am 5.September 1985 habe sie im Zuge eines Streites eine Obstschale zerschlagen. Am 15.September 1985 habe sie während eines Streites einen derartigen Wutanfall erlitten, daß sie dem Kläger im Bett liegend Fußtritte versetzt habe. Während eines Streites am 21.September 1985 habe sie nach dem Kläger mit einem Schuh geworfen, jedoch versehentlich ihren Sohn Thomas am Kopf getroffen. Am Morgen des 23.September 1985 sei es wieder zu einer Auseinandersetzung gekommen, in deren Verlauf die Beklagte den Wecker und eine leere Packung Milch an die Wand geschleudert habe. Am 24.September 1985 sei die Beklagte außer sich geraten; sie habe den Kläger beschimpft, Gegenstände nach ihm geworfen und einen Teil der Schlafzimmereinrichtung mit einem Hammer demoliert. Am 17. Oktober 1985 sei es schließlich zu einer weiteren Auseinandersetzung gekommen, als der Kläger der Beklagten mitgeteilt habe, daß er ausziehen werde. Die Beklagte habe die Armbanduhr des Klägers beschädigt, sein Unterhemd zerrissen und ein bereits gerichtetes Jausenbrot in den Abfalleimer geworfen. Der Kläger habe schließlich seine persönlichen Sachen zusammengepackt, die Ehewohnung verlassen und sei in das Haus seiner Schwester, Tschagguns, Zelfen 580, gezogen. Im Zuge der Auseinandersetzungen hätten sich die Streitteile gegenseitig beschimpft, die Beklagte habe Ausdrücke wie "Hurenbock" und "Drecksau" gebraucht. Auch nach dem Verlassen der Ehewohnung habe der Kläger die Kontakte zu Annemarie S*** aufrecht erhalten. Annemarie S*** habe den Kläger auch wiederholt in Tschagguns besucht. Am 28.Dezember 1985 habe die Beklagte das Haus Tschagguns, Zelfen 580, aufgesucht, weil sie vermutet habe, daß Annemarie S*** wieder beim Kläger zu Besuch sei. Auch bei dieser Gelegenheit habe sich eine zunächst wörtliche und dann tätliche Auseinandersetzung zwischen den Streitteilen entwickelt. Zu weiteren Auseinandersetzungen sei es gekommen, als die Beklagte am 16.August 1986 das Haus Zelfen 580 aufsuchte. Die Beklagte habe schließlich am Personenkraftwagen des Klägers mit einem Stein die Windschutzscheibe zertrümmert. Der Kläger sei Standesbürger und als solcher berechtigt, vom Stand Montafon pro Jahr 4,5 fm Brennholz zu einem günstigen Preis zu beziehen. Da dem Kläger aus anderen Quellen genügend Holz zur Verfügung stehe, habe er sich im Jahre 1986 entschlossen, das vom Stand Montafon bezogene Brennholz zu verkaufen. Die Beklagte habe hievon gewußt und den Kläger angezeigt. Als der vom Kläger beauftragte Transporteur das Holz bei der Säge abladen wollte, sei es vom Förster durch Anbringung einer Marke beschlagnahmt worden. Der Kläger habe S 6.000,-- Strafe bezahlen müssen; des weiteren sei ihm vom Stand Montafon das Holzbezugsrecht bis zum Jahre 1991 gesperrt worden.

In rechtlicher Hinsicht führte der Erstrichter aus, die Ehe der Streitteile sei durch die Vorfälle seit August 1985 unheilbar zerrüttet. Bei der Abwägung des Verschuldens dürfe nicht übersehen werden, daß die Beklagte eine sehr schwierige Aufgabe zu bewältigen gehabt habe. Sie habe in einer relativ kleinen Wohnung einen neunköpfigen Haushalt zu versorgen gehabt, was gewiß mit einer starken körperlichen und psychischen Belastung verbunden gewesen sei. Die große Kinderzahl habe zu Streitigkeiten mit Hausbewohnern geführt, die hauptsächlich die Beklagte auszutragen gehabt habe. Trotz dieser Belastungen im familiären Bereich habe es die Beklagte auf sich genommen, ab dem Jahr 1970 berufstätig zu sein. Dadurch habe sich die finanzielle Situation der Familie verbessert; dem Kläger sei es dadurch möglich gewesen, einen Personenkraftwagen und einen Traktor anzuschaffen. Die schwere Ehekrise der Streitteile habe erst begonnen, als der Kläger Beziehungen zu Annemarie S*** aufgenommen habe, die jedenfalls als ehewidrig zu beurteilen seien. Der Kläger habe ab Juni 1985 die Wochenenden nicht mehr zu Hause verbracht und der Beklagten über seinen Verbleib keine Auskunft gegeben. Auch die Nervenzusammenbrüche der Beklagten hätten den Kläger nicht bewogen, sein Verhalten zu ändern. Obwohl intime Beziehungen des Klägers zu Annemarie S*** nicht erwiesen seien, sei es dem Kläger anzulasten, daß er gegenüber der Beklagten zumindest den Anschein solcher Beziehungen erweckt und nichts unternommen habe, um die Situation zu ändern. Die teilweise mit schweren Sachbeschädigungen verbundenen Angriffe der Beklagten gegen den Kläger begründeten das Verschulden der Beklagten. Bei der Abwägung dürfe jedoch ihre psychische Verfassung nicht außer acht gelassen werden. Die Beklagte sei im Hinblick auf ihren nervlich stark angeschlagenen Zustand für die insbesondere in den Monaten August und September 1985 gesetzten Aggressionsakte nur in herabgesetztem Maße verantwortlich. Der primäre Scheidungsgrund sei jedenfalls vom Kläger gesetzt worden, so daß er für die Zerrüttung in höherem Maße verantwortlich sei.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers, mit der nur der Verschuldensausspruch bekämpft wurde, nicht Folge. Es übernahm die Tatsachenfeststellungen des angefochtenen Urteils und billigte die rechtliche Beurteilung des Erstrichters.

Rechtliche Beurteilung

Der gegen das Urteil des Berufungsgerichtes erhobenen Revision des Klägers kommt Berechtigung nicht zu.

Der Ausspruch überwiegenden Verschuldens an der Zerrüttung der Ehe setzt nach ständiger Rechtsprechung voraus, daß bei der Beurteilung des Gesamtverhaltens der Ehegatten (EFSlg. 54.455) das Verschulden des einen Ehegatten erheblich schwerer wiegt als das des anderen (EFSlg. 54.472, 54.471, 51.658 u.a.). Von wesentlicher Bedeutung ist, wessen Verfehlungen die erste Ursache für die weiteren waren, inwieweit sie andere bedingt haben und schließlich zum Scheitern der Ehe führten (EFSlg. 54.461, 54.460, 51.644), wer also den entscheidenden Beitrag zur unheilbaren Zerrüttung der Ehe leistete (EFSlg. 54.461). Der Kläger wandte sich nach über 20-jähriger Ehe mit der Beklagten, die sieben Kinder heranzuziehen hatte, wegen einer anderen Frau von der Beklagten ab. Das Verhalten des Klägers löste bei der Beklagten Nervenzusammenbrüche aus, was es rechtfertigt, die von ihr im Zustand psychischer Labilität gesetzten Verfehlungen in milderem Licht zu sehen. Für die Annahme, die Hinwendung des Klägers zu Annemarie S*** sei durch ein ehewidriges Verhalten der Beklagten ausgelöst worden, fehlt jeder Anhaltspunkt. Es steht auch nicht fest, daß das Verhalten der Beklagten fremden Kindern gegenüber, ihre Tratscherei im Hause und eigenmächtige Anschaffungen, die im übrigen ohnehin für die Familie erfolgten, auslösende Ursache für das Verhalten des Klägers waren. Das Verhalten der Beklagten wurde insgesamt ohnehin als Eheverfehlung gewertet und demgemäß die Ehe auch aus ihrem Verschulden geschieden; bei der Gesamtabwägung des Verschuldens erweist sich aber, wie die Vorinstanzen zutreffend erkannten, das Verschulden des Klägers als wesentlich gewichtiger, so daß der Ausspruch seines überwiegenden Verschuldens an der Zerrüttung der Ehe gerechtfertigt ist.

Aus den dargelegten Gründen ist spruchgemäß zu entscheiden. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.

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