OGH 1Ob24/89

OGH1Ob24/8915.11.1989

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schragel als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schubert, Dr. Hofmann, Dr. Schlosser und Dr. Graf als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei R*** Ö***, vertreten durch die Finanzprokuratur, Wien 1., Singerstraße 17-19, wider die beklagte Partei Egon F***, Invalidenrentner, Schwaz, Rennhammerweg 16, vertreten durch Dr. Rudolf Wieser, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen 351.054 S sA, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgerichtes vom 12. Mai 1989, GZ 4 R 40/89-75, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 19. November 1988, GZ 6 Cg 142/88-67, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 10.819,50 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu bezahlen.

Text

Entscheidungsgründe:

Helmut N*** war seit 1959 als Beamter der Lohnsteuerstelle des Finanzamtes Schwaz zugeteilt und hatte die Aufgabe, eingebrachte Ansuchen um Eintragung von Lohnsteuerfreibeträgen auf Rechtzeitigkeit und Richtigkeit zu prüfen. Ludwig E*** befaßte sich mit der Vermittlung von Lebensversicherungsverträgen und übernahm es für seine Kunden, beim Finanzamt Schwaz Anträge auf Berücksichtigung erhöhter Sonderausgaben und sonstiger steuerlicher Absetzbeträge zu stellen. Ab dem Jahre 1973 entsprachen die Angaben in zahlreichen Anträgen absichtlich nicht mehr den Tatsachen. Behauptete Sonderausgaben oder sonstige Zahlungen waren nicht erfolgt, den Anträgen lagen entweder gar keine oder gefälschte bzw. inhaltlich unrichtige Belege bei. Darüber hinaus wurden zahlreiche Anträge nicht von den darin genannten Personen, sondern von Ludwig E*** ohne deren Wissen eingebracht. Teilweise wurden Anträge auch verspätet, jedoch rückdatiert eingebracht. Ludwig E*** brachte auch Anträge auf Berücksichtigung von Aufwendungen aus Anlaß der Neugründung eines Hausstandes von ledigen Steuerpflichtigen ein, obwohl ein Hausstand gar nicht gegründet worden war. Helmut N*** war von Ludwig E*** in diese Manipulationen eingeweiht worden und unterließ auf Grund von Geldgeschenken wissentlich eine Prüfung der Anträge und beigeschlossenen Belege auf ihre Rechtzeitigkeit bzw. Unbedenklichkeit. Darüber hinaus übergab Helmut N*** Ludwig E*** Antragsformulare auf Berücksichtigung des Kfz-Pauschales, auf Berichtigung der Lohnsteuerkarte durch Eintragung des Alleinverdienerfreibetrages, des Freibetrages von Opferausweisinhabern sowie Lohnsteuerbescheinigungen, die blanko mit einer Datumseinlaufstampiglie des Finanzamtes Schwaz versehen waren, in der Absicht, Ludwig E*** eine verspätete, nach der Einlaufstampiglie aber anscheinend rechtzeitige Einbringung solcher Anträge zu ermöglichen.

Ab dem Jahre 1976 war in die Manipulationen auch der Beklagte, der Referent in der Lohnsteuerstelle des Finanzamtes Schwaz war und die Aufgabe hatte, die von Helmut N*** bearbeiteten Akten zu approbieren, eingeweiht; er approbierte die von Helmut N*** manipulierten Eintragungen von Lohnsteuerfreibeträgen ohne Überprüfung. Als dem Beklagten mit Ablauf des Jahres 1976 die Approbationsbefugnis entzogen wurde, brachte er ohne Wissen des nunmehrigen Approbanten auf Lohnsteuerkarten von Kunden des Ludwig E*** das Rundsiegel des Finanzamtes an, wodurch eine Kontrolle der später erfolgten Eintragungen durch den nunmehrigen Approbanten umgangen werden konnte. Darüber hinaus übergab er Ludwig E*** die oben erwähnten Antragsformulare sowie Blankolohnsteuerkarten, welche mit Datumseinlaufstampiglie bzw. Rundsiegel versehen waren. Wegen dieser Handlungen und Unterlassungen wurden Helmut N***, Ludwid E***, der Beklagte sowie ein weiterer Finanzbeamter mit Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 16. August 1979, 28 Vr 3895/78, Hv 143/79, wegen Mißbrauchs der Amtsgewalt nach § 302 Abs. 1 StGB bzw. Anstiftung hiezu sowie wegen des Vergehens der Abgabenhinterziehung nach § 33 Abs. 1 FinStrG rechtskräftig verurteilt.

Die klagende Partei begehrte von Helmut N*** und Ludwig E*** zur ungeteilten Hand die Zahlung von 858.291 S sA sowie vom (nunmehr allein) Beklagten zur ungeteilten Hand mit Helmut N*** und Ludwig E*** die Zahlung von 363.619 S sA. Zur Begründung brachte die klagende Partei im wesentlichen vor, daß sie durch die oben genannten Handlungen und Unterlassungen insgesamt um den Betrag von 2,316.531 S an zu zahlender Lohnsteuer bzw. an zu Unrecht im Wege des Jahresausgleichs rückgezahlter Lohnsteuer verkürzt worden sei. Davon entfalle ein Teilbetrag von 1,077.860 S auf jene Fakten, für welche der Beklagte - im wesentlichen durch Approbation der Handlungen des Helmut N*** - mitverantwortlich sei. Nach Aufdeckung der Manipulation habe die klagende Partei die dem Bund vorenthaltenen Steuern in den Fällen, in denen dies rechtlich möglich gewesen sei, von den Lohnsteuerpflichtigen nachgefordert. Von jenen Schadensbeträgen, an denen der Beklagte mitgewirkt habe, hätten auf diese Weise nachträglich 787.330 S hereingebracht werden können, so daß ein vom Beklagten mitzuverantwortender Schaden in der Höhe von 290.530 S verbleibe. Einschließlich der in der Klage näher aufgegliederten Verzögerungsschäden ergebe sich insgesamt ein Schadensbetrag von 363.619 S für den der Beklagte solidarisch mit Helmut N*** und Ludwig E*** hafte.

Der Beklagte beantragte Abweisung des Klagebegehrens. Er habe keineswegs wissentlich bzw. absichtlich eine Überprüfung der von Helmut N*** angeblich manipulierten Eintragungen von Lohnsteuerfreibeträgen unterlassen. Die Berechnung des Gesamtschadens sowie der Zinsen sei unrichtig. Die klagende Partei hätte sämtliche Beträge von den Lohnsteuerpflichtigen hereinbekommen können, wenn sie ihrerseits rechtzeitig und unverzüglich das Erforderliche unternommen hätte.

In der Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung am 27. Februar 1986 wurde das Verfahren gegen den Beklagten vom Verfahren gegen Helmut N*** und Ludwig E*** getrennt und im Einvernehmen mit den Parteien das Verfahren gegen den Beklagten bis zur rechtskräftigen Entscheidung des Verfahrens gegen Helmut N*** und Ludwig E*** unterbrochen (S 5 in ON 52). Mit Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 28. Februar 1986, 6 Cg 167/82-53, wurden Helmut N*** und Ludwig E*** zur ungeteilten Hand zur Zahlung von 739.300,60 S sA verpflichtet. Der dagegen von Helmut N*** erhobenen Berufung gab das Oberlandesgericht Innsbruck mit Urteil vom 10. Oktober 1986, 6 R 176/86, keine Folge. Gegen diese Entscheidung, die den Parteien am 3. November 1986 zugestellt worden war, wurde keine Revision erhoben.

Am 2. Mai 1988 beantragte die klagende Partei die Fortsetzung des Verfahrens gegen den Beklagten (ON 60). Der Beklagte beantragte im fortgesetzten Verfahren die Bestellung eines gesetzlichen Vertreters bzw. eines Sachwalters wegen Prozeßunfähigkeit und wendete ein, daß der Anspruch wegen nicht gehöriger Fortsetzung des Verfahrens verwirkt sei.

Das Erstgericht übermittelte den Akt dem zuständigen Pflegschaftsgericht mit dem Ersuchen, für den Beklagten gegebenenfalls einen Sachwalter zu bestellen. Das Bezirksgericht Schwaz leitete zu Sw 6/88 ein Verfahren zur Prüfung der Notwendigkeit einer Sachwalterbestellung nach § 273 ABGB ein, das es mit Beschluß vom 13. Juli 1988, ON 4, mit der Begründung einstellte, daß beim Beklagten weder eine psychische Krankheit noch sonst ein geistiger Ausnahmezustand, der ihn an der gehörigen Besorgung seiner Angelegenheiten hindern würde, gegeben sei.

Das Erstgericht erkannte den Beklagten schuldig, den Betrag von 351.054 S sA zur ungeteilten Hand mit Helmut N*** und Ludwig E*** zu bezahlen; das Mehrbegehren auf Zahlung weiterer 12.565 S sA wies es ab. Es stellte fest:

Die klagende Partei habe versucht, die Schadensbeträge von den Steuerpflichtigen hereinzubringen. Die Verjährungsfrist nach § 207 f BAO sei in keinem Fall zum Tragen gekommen. Das Finanzamt Schwaz habe Freibeträge nur für jene Lohnzahlungszeiträume rückgefordert, die nach dem Zeitpunkt der Eintragung lagen; die vor dem Zeitpunkt der Eintragung liegenden Freibeträge hätten sich auf 513.634,60 S belaufen, wovon 294.790,20 S auf den Beklagten entfallen seien. Hinsichtlich der nicht einbringlich zu machenden Beträge von 513.634,60 S ergebe sich unter Berücksichtigung einer Verzinsung von 4 % vom Zeitpunkt der jeweiligen Schadenszufügung bis zum 30. Juni 1979 ein Verzögerungsschaden von 57.301 S, wovon auf den Beklagten 32.887 S entfallen. Von den nachträglich vorgeschriebenen Beträgen im Ausmaß von 1,695.848 S ergebe sich unter Zugrundelegung einer Verzinsung von 4 % ab dem Zeitpunkt der Schadenszufügung bis zum Tag der Wiedervorschreibung ein Verzögerungsschaden von 168.365 S, wovon auf den Beklagten ein Betrag von 23.377 S entfalle. Rechtlich führte das Erstgericht aus, der Vorwurf des Beklagten, die klagende Partei habe nicht alles versucht, von den Steuerpflichtigen Beträge hereinzubringen, sei nicht begründet. Vor dem Jahre 1985 sei eine Inanspruchnahme der Steuerpflichtigen für abgelaufene Lohnzahlungszeiträume nicht möglich gewesen, die klagende Partei habe daher zu Recht die Steuerpflichtigen nicht in Anspruch genommen. Dem Klagebegehren sei daher im Umfang des festgestellten Schadens Folge zu geben.

Das Berufungsgericht gab der gegen dieses Urteil erhobenen Berufung des Beklagten nicht Folge. Es verneinte die geltend gemachte Mangelhaftigkeit des Verfahrens und billigte die Beweiswürdigung und die rechtliche Beurteilung des Erstgerichtes. Der gegen das Urteil des Berufungsgerichtes erhobenen Revision des Beklagten kommt Berechtigung nicht zu.

Die Ausführungen zum Revisionsgrund der Mangelhaftigkeit des Verfahrens erachtet der Oberste Gerichtshof nach Prüfung als nicht gerechtfertigt (§ 510 Abs. 3 letzter Satz ZPO).

Die Rechtsrüge wird dahin ausgeführt, daß es die klagende Partei unterlassen habe, nach rechtskräftiger Beendigung des Verfahrens gegen Helmut N*** und Ludwig E*** innerhalb angemessener Frist einen Fortsetzungsantrag zu stellen, so daß unter Bedachtnahme auf Treu und Glauben ein schlüssiger Verzicht auf den Anspruch angenommen werden müsse.

Rechtliche Beurteilung

Nach Lehre und Rechtsprechung kann in der Unterlassung der Geltendmachung eines Rechtes durch längere Zeit unter Bedachtnahme auf Treu und Glauben ein schlüssiger Verzicht auf das Recht gelegen sein (WBl. 1987, 345; SZ 59/34; SZ 57/208; Rummel in Rummel, ABGB, Rz 24 zu § 863). Bei Beurteilung der Frage, ob ein konkludenter Verzicht vorliegt, ist aber Zurückhaltung geboten (7 Ob 502/89). Der Verzichtswille muß eindeutig und zweifellos sein (MietSlg. 19.389; SZ 52/108). Allein daraus, daß die klagende Partei nach rechtskräftiger Beendigung des Verfahrens gegen Helmut N*** und Ludwig E*** noch etwa eineinhalb Jahre keinen Fortsetzungsantrag stellte, kann, wie das Berufungsgericht zutreffend erkannte, bei Bedachtnahme auf die Grundsätze von Treu und Glauben noch nicht auf einen Verzicht der klagenden Partei auf den gegen den Beklagten erhobenen Anspruch geschlossen werden.

Demzufolge ist spruchgemäß zu entscheiden.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.

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