OGH 9ObA281/89

OGH9ObA281/898.11.1989

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.-Prof.Dr. Kuderna als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Gamerith und Dr. Petrag sowie die fachkundigen Laienrichter Werner Jeitschko und Mag. Wilhelm Patzold als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Othmar B***, Angestellter, Graz, Karl Morre-Straße 31/3/10, vertreten durch Dr. Georg Grießer, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei S*** DER B***, Wien 3,

Ghegastraße 1, vertreten durch Dr. Adolf Fiebich ua, Rechtsanwälte in Wien, wegen S 72.692,37 sA, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 7. Juni 1989, GZ 7 Ra 33/89-11, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Graz als Arbeits- und Sozialgericht vom 24. Jänner 1989, GZ 35 Cga 192/88-6, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird teilweise Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden teils bestätigt, teils dahin abgeändert, daß sie insgesamt zu lauten haben:

"Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei einen Betrag von S 8.608,37 samt 4 % Zinsen seit 1. Dezember 1988 binnen 14 Tagen bei Exekution zu zahlen.

Das Mehrbegehren von S 64.084,-- samt 4 % Zinsen seit 1. Dezember 1988 wird abgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 9.723,75 (darin S 1.620,38 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Verfahrens erster und zweiter Instanz binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen."

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 2.779,65 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin S 463,27 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger ist seit 10. Jänner 1958 als Angestellter in der Landesstelle Steiermark der beklagten Partei beschäftigt. Er ist seit Jahren im Unfallverhütungsdienst tätig und muß im Durchschnitt dreimal wöchentlich, zumeist mit dem eigenen PKW, Außendiensttätigkeiten in der gesamten Steiermark durchführen. Die tägliche Normalarbeitszeit zwischen 6.45 Uhr und 15.00 Uhr beträgt 8 Stunden und 15 Minuten. Auf das Dienstverhältnis des Klägers findet die Dienstordnung der Angestellten bei den Sozialversicherungsträgern Österreichs (DOA) Anwendung, die als Kollektivvertrag zwischen dem Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger und der Gewerkschaft der Privatangestellten abgeschlossen wurde. Weiters ist auf dieses Dienstverhältnis die Dienstanweisung der beklagten Partei vom 18. März 1988 über die Außendienstzulagen und die Honorierung von Überstunden im Zusammenhang mit Außendiensten sowie der Dienstzettel Nr. 1/1978 der beklagten Partei vom 22. März 1978 anzuwenden.

§ 73 Abs. 4 DOA enthält folgende Regelung:

"Neben dem Taggeld gebührt eine Überstundenentlohnung (§ 59) für die Zeit der effektiven Dienstleistung (ausgenommen Reise- und Nächtigungszeit), die vor Dienstbeginn oder nach Dienstschluß des betreffenden Tages liegt. Diese Überstundenentlohnung gebührt nicht, wenn dem Angestellten eine Leistungszulage, eine Überstundenpauschale oder eine Funktionszulage gewährt wird."

§ 74 DOA lautet:

"Dem regelmäßig im Außendienst verwendeten Angestellten kann - auch neben den Reisegebühren (§ 71) eine Außendienstzulage, abgestuft nach der Dauer der Verwendung im Außendienst, nach der Verwendung am Dienstort oder außerhalb desselben, gewährt werden."

Die Höhe dieser Außendienstzulage ist in der Dienstanweisung der beklagten Partei vom 18. März 1988 geregelt. In der Außendienstzulage sind die gemäß § 71 DOA zustehenden Taggelder und Übernachtungsgelder nicht enthalten.

Der Kläger bezog von November 1985 bis Dezember 1988 Außendienstzulagen gemäß § 74 DOA in der Höhe von insgesamt S 64.084,--. In dieser Zeit wandte der Kläger außerhalb der Normalarbeitszeit 211 Stunden für Reisen auf, davon 31 Stunden in einem PKW der beklagten Partei, der von einem Chauffeur gelenkt wurde. Bei Honorierung dieser Reisezeit mit dem jeweils geltenden Stundensatz zuzüglich 50 % Überstundenzuschlag ergibt sich ein Betrag von S 72.692,37.

Der Kläger begehrt die Zahlung dieses Betrages und brachte vor, daß es sich bei den Dienstreisen um Arbeitszeit im engeren Sinn gehandelt habe; die Vereinbarung der Unentgeltlichkeit solcher außerhalb der Normalarbeitszeit zurückgelegter Dienstreisen verstoße gegen die guten Sitten.

Die beklagte Partei beantragte die Abweisung des Klagebegehrens und wandte ein, daß der Kläger gemäß § 73 Abs. 4 DOA für Reise- und Nächtigungszeiten, die vor Dienstbeginn oder nach Dienstschluß des betreffenden Tages liegen, keinen Anspruch auf Überstundenentlohnung habe. Zudem seien diese Reisezeiten durch die Zahlung der Außendienstzulage ohnehin abgegolten. Aus der Berechnung seien jedenfalls die 31 Reisestunden auszuscheiden, die auf Fahrten entfielen, die mit dem von einem Chauffeur gelenkten PKW der beklagten Partei zurückgelegt würden. Darüber hinaus seien Reisezeiten wegen der geringeren Intensität, mit der der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber zur Verfügung stehe, mit höchstens 75 % des einfachen Stundenlohnes abzugelten.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es vertrat die Rechtsauffassung, die Regelung des § 73 Abs. 4 DOA sei im Hinblick auf die Abgeltung durch die Außendienstzulage nicht sittenwidrig, auch wenn man davon ausgehe, daß eine Reisetätigkeit, die zum ständigen Aufgabenkreis des Arbeitnehmers gehöre, Arbeitszeit im engeren Sinn darstelle.

Das Berufungsgericht bestätigte das Ersturteil und teilte dessen Rechtsauffassung.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der klagenden Partei aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im Sinne des Klagebegehrens abzuändern, hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die beklagte Partei beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist teilweise berechtigt.

Der Oberste Gerichtshof hat sich bereits mehrmals mit der Frage befaßt, ob und wie Reisezeiten des Arbeitnehmers zu bezahlen sind. Wegen der umfassenden Regelungsmacht der Kollektivvertragsparteien bei Festsetzung der Überstundenentlohnung, wie sie vor der AZG-Novelle BGBl. 238/1971 bestanden hat, sind ältere Entscheidungen zu der hier zu lösenden Frage, ob die Regelung des § 73 Abs. 4 DOA, wonach Überstundenentlohnung für außerhalb der Normalarbeitszeit gelegene Reisezeiten nicht gebührt, mit § 10 Abs. 1 AZG vereinbar ist, nicht heranzuziehen (vgl. Klein in Strasser - FS 131 sowie Berger ZAS 1972, 225). Dies gilt insbesondere von der Entscheidung Arb. 8.935 = DRdA 1972, 255 [Klein] = ZAS 1972/28 [Berger]). Hingegen hatte der Oberste Gerichtshof in der gleichfalls

§ 73 Abs. 4 DOA betreffenden Entscheidung Arb. 9.166 = ZAS 1974, 213

(Rainer) = DRdA 1975, 50 (Dirschmied aaO 44) erstmals zur Frage

Stellung zu nehmen, ob § 73 Abs. 4 DOA mit § 10 AZG idF BGBl. 238/1971 in Widerspruch steht. Gegenstand dieser Entscheidung war die Bezahlung der Dienstreise eines bei der Salzburger Gebietskrankenkasse beschäftigten Angestellten, der in der Zeit vom

12. bis 15. Juni 1972 Erhebungen beim Zentralbesoldungsamt in Wien durchzuführen hatte, wobei An- und Abreise außerhalb der normalen Arbeitszeit lagen. In dieser Entscheidung wurde ausgesprochen, daß die Reise im Hinblick auf die geringere Inanspruchnahme durch den Arbeitgeber nicht der eigentlichen, vertraglich bedungenen Arbeitsleistung gleichgestellt werden könne. Für eine derartige nach ihrer Art die Intensität der vereinbarten Arbeitsleistung nicht erreichende Leistung könne auch eine geringere Entlohnung vereinbart werden als für die arbeitsvertraglich bedungene eigentliche Arbeitsleistung. Werde die Zeit des Arbeitnehmers nicht so weit in Anspruch genommen, daß von einer eigentlichen Dienstleistung oder einer gleichwertigen Tätigkeit gesprochen werden könnte, dürfe für die betreffende Zeit ein geringeres Entgelt als für die eigentliche Arbeitsleistung, aber auch Unentgeltlichkeit vereinbart werden. Die Anwendung des § 10 AZG über den Überstundenzuschlag setze aber voraus, daß für die Arbeit, die als Überstundenleistung bezahlt werden solle, das normale Arbeitsentgelt (für die vertraglich bedungene Leistung) gebühre. Darüber hinaus sei der Arbeitnehmer während der - offenbar in einem öffentlichen oder einem betriebseigenen, nicht vom Arbeitnehmer gelenkten Verkehrsmittel zurückgelegten - Reise im Rahmen der gegebenen Möglichkeit nicht daran gehindert, eine Freizeitbeschäftigung (z.B. Lesen von Zeitungen oder Büchern) auszuüben oder eine private Arbeit zu verrichten.

In der Entscheidung Arb. 10.356 = DRdA 1986/17 (Grillberger, auch aaO 265) = EvBl. 1984/150 = JBl. 1985, 309 = SZ 57/103 sprach der Oberste Gerichtshof aus, daß bei Fehlen einer entsprechenden einzel- oder kollektivvertraglichen Regelung ungeachtet der gegenüber der eigentlichen Arbeitsleistung regelmäßig geringeren Inanspruchnahme des Arbeitnehmers Reisezeiten als Arbeitszeit zu entlohnen seien. Es sei Sache des Arbeitgebers, mit Arbeitnehmern, die er zu Dienstreisen heranzuziehen beabsichtige, eine der Intensität ihrer dadurch bewirkten Inanspruchnahme entsprechende Vereinbarung über die Abgeltung der reinen Reisezeiten zu treffen. Soweit die Reisetätigkeit aber zum ständigen Aufgabenkreis eines Arbeitnehmers gehöre, wie etwa bei einem Monteur, der zur Durchführung von Servicearbeiten von Kundschaft zu Kundschaft fahre, sei Reisezeit ohnehin stets "Arbeitszeit im engeren Sinn". Geht man davon aus, daß der Kläger im Durchschnitt dreimal wöchentlich Außendiensttätigkeiten in der gesamten Steiermark zu verrichten hatte, dann gehörte die Reisetätigkeit zu seinem ständigen Aufgabenkreis im vorerwähnten Sinn und bildete damit einen Teil der vertraglich geschuldeten Arbeitsleistung. Die Reisezeit ist im Falle des Klägers daher als Arbeitszeit im engeren Sinn (Vollarbeitszeit) zu werten. Die gegenständlichen, außerhalb der Normalarbeitszeit verbrachten Reisezeiten sind daher - gleichgültig, ob der Kläger die Fahrt mit dem eigenen PKW oder mit dem von einem Chauffeur gelenkten PKW seines Arbeitgebers zurücklegte - nach der zwingenden und daher die für den Arbeitnehmer ungünstigere Regelung des § 73 Abs. 4 DOA verdrängenden Bestimmung des § 10 Abs. 1 AZG (vgl. Strasser in Floretta-Strasser Komm. ArbVG, 39) mit dem Normallohn zuzüglich Überstundenzuschlag zu honorieren. Auf das dem Kläger demnach für die Reisetätigkeit außerhalb der Normalarbeitszeit gebührende Überstundenentgelt in der außer Streit stehenden Höhe von S 72.692,37 ist aber die für die Außendiensttätigkeit gewährte, nicht als Aufwandsersatz sondern als Entgelt zu qualifizierende Außendienstzulage von S 64.084,-- in Abzug zu bringen, sodaß dem Kläger lediglich die Differenz zuzuerkennen ist. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, daß vom Kläger nicht einmal behauptet wurde, die von der beklagten Partei ins Treffen geführte Außendienstzulage werde für die ohnehin mit dem Normallohn ausreichend abgegoltene Reisezeit während der Normalarbeitszeit gewährt.

Der Revision war daher teilweise Folge zu geben und spruchgemäß zu entscheiden.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf den §§ 43 Abs. 1, 50 ZPO.

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