OGH 9ObA253/89

OGH9ObA253/898.11.1989

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.-Prof. Dr. Kuderna als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Gamerith und Dr. Maier sowie die fachkundigen Laienrichter Werner Jeitschko und Mag. Wilhelm Patzold als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Peter H***, Arbeiter, Wien 6, Gumpendorferstraße 120/12, vertreten durch Dr. Adolf Fiebich und andere Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei C*** M*** Austria AG, Wien 23, Laxenburgerstraße 246, vertreten durch Dr. Karl M. Weber, Rechtsanwalt in Wien, wegen Feststellung (Streitwert S 35.000,-), infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 19. April 1989, GZ 31 Ra 17/89-8, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 23. August 1988, GZ 23 Cga 1123/88-3, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 3.087,- (darin S 514,50 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger ist seit 20. Dezember 1985 Mitglied des Arbeiterbetriebsrats der Beklagten. Diese brachte am 5. Juni 1987 eine Klage auf Zustimmung zur Entlassung, in eventu auf Kündigung des Klägers ein. Mit Urteil vom 9. Dezember 1987 wies das Erstgericht das Klagebegehren auf Zustimmung zur Entlassung ab, erteilte aber die Zustimmung zur Kündigung. Der Kläger erhob vorerst Berufung und in der Folge gegen das bestätigende Urteil der zweiten Instanz Revision. Zum Zeitpunkt des Schlusses dieses Verfahrens in erster Instanz (23. August 1988) war die Revision noch nicht vorgelegt. Die Beklagte hatte den Kläger inzwischen am 26. Februar 1988 zum 11. März 1988 gekündigt.

Mit der vorliegenden Klage begehrt der Kläger die Feststellung, daß sein Arbeitsverhältnis zur Beklagten weiterhin aufrecht fortbestehe, da die Beklagte die Kündigung ohne Vorliegen eines rechtskräftigen Zustimmungsurteils ausgesprochen habe. Die Beklagte beantragte, die Klage abzuweisen. Dem Begehren des Klägers fehle das Rechtsschutzinteresse, da er am 1. April 1988 ein neues Arbeitsverhältnis eingegangen sei, in dem er ebensoviel verdiene. Abgesehen davon stehe dem Kläger nur eine Leistungsklage auf die ausstehenden Bezüge zu. Überdies liege eine bereits entschiedene Rechtssache vor, da ein zwar noch nicht rechtskräftiges, aber vollstreckbares Urteil ergangen sei, in dem der Kündigung des Klägers zugestimmt worden sei.

Das Erstgericht wies die Einrede der entschiedenen Rechtssache ab und gab dem Feststellungsbegehren statt. Es vertrat die Rechtsauffassung, daß sich das Feststellungsinteresse des Klägers schon daraus ergebe, daß er bei Ausspruch einer rechtswirksamen Kündigung seine Stellung als Mitglied des Betriebsrats mit allen sich daraus ergebenden Rechten und Pflichten verliere. Eine vor Rechtskraft des der Kündigung zustimmenden Urteils ausgegesprochene Kündigung sei nicht rechtswirksam. Die Wirkung des § 61 Abs 1 ASGG erfasse keine Rechtsgestaltungs- und Feststellungsurteile. Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Es sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes, über den es entschieden habe, S 30.000,- übersteige. Es billigte die ausführlich dargelegte Rechtsansicht des Erstgerichts und führte ergänzend aus, daß die Zustimmung des Gerichts zur Kündigung eines Mitglieds des Betriebsrats bereits zum Zeitpunkt des Zugehens der Kündigungserklärung vorliegen müsse. Dieser Zustimmung komme konstitutive Bedeutung zu, so daß die Rechtslage erst nach formeller Rechtskraft der Rechtsgestaltungsentscheidung geändert werde. Die sofortige Vollstreckbarkeit erstinstanzlicher Urteile im Sinne des § 61 Abs 1 ASGG sei auf Leistungsurteile beschränkt und bei Rechtsgestaltungsurteilen auszuschließen.

Im übrigen könne das Feststellungsinteresse des Klägers am Weiterbestand seines Arbeitsverhältnisses nicht deshalb verneint werden, weil er ein anderes Arbeitsverhältnis eingegangen sei. Dieser Umstand sei nur im Hinblick auf eine allfällige Anrechnungsverpflichtung nach § 1155 ABGB von Bedeutung. Die Beklagte habe nicht einmal behauptet, den Kläger zum Antritt der Arbeit aufgefordert zu haben. Sie könne sich somit auch nicht darauf berufen, daß der Kläger durch die vorübergehende Verhinderung, als Mitglied des Betriebsrats tätig zu werden, sein Betriebsratsmandat tatsächlich nicht ausübe.

Gegen dieses Urteil richtet sich die aus den Gründen der Mangelhaftigkeit des Verfahrens und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung erhobene Revision der Beklagten mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und die Rechtssache an das Erstgericht zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung zurückzuverweisen. Hilfsweise wird die Abänderung des Urteils im Sinne einer Abweisung des Klagebegehrens begehrt.

Der Kläger beantragt in seiner Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Der geltend gemachte Revisionsgrund der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens liegt nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO). Auch in der Revision wiederholt die Revisionswerberin ihre bereits im Berufungsverfahren vorgetragene Ansicht, es entspreche der Absicht des Gesetzgebers, daß alle erstinstanzlichen Urteile im Sinne des § 61 Abs 1 ASGG sofort vollstreckbar seien. Der Unterschied, ob Leistungsurteile, nicht aber Feststellungs- und Rechtsgestaltungsurteile vollstreckbar seien, sei nur eine Frage der Art der Vollstreckbarkeit bzw der Wirkungen der Urteile, nicht aber eine Frage der Wirkungen selbst.

Diesen und den anderen Ausführungen der Revisionswerberin ist entgegenzuhalten, daß sich der Bestimmung des § 61 Abs 1 ASGG eine solche "klare Absicht" des Gesetzgebers nicht entnehmen läßt. Wie die Vorinstanzen richtig erkannten, dürfen Mitglieder des Betriebsrates bei sonstiger Rechtsunwirksamkeit nur nach vorheriger Zustimmung durch das Gericht gekündigt werden (vgl Schwarz-Löschnigg, Arbeitsrecht4, 418; Arb 9.872, 9.927 uva). Bei dieser gerichtlichen Erteilung der Zustimmung gemäß § 120 Abs 1 ArbVG handelt es sich um eine Rechtsgestaltungsentscheidung (Floretta-Strasser, ArbVG2 § 120 Erl 6 ua), da sie die Änderung der Rechtslage unmittelbar herbeiführt. Vollstreckbar sind nach herrschender Ansicht nur Leistungsurteile (und Kostenaussprüche), weil nur diese vollstreckt werden können. Der Eintritt der rechtsgestaltenden Wirkung von Rechtsgestaltungsurteilen ist an den Eintritt der formellen Rechtskraft gebunden; die Wirkung tritt ein, wenn das stattgebende Rechtsgestaltungsurteil gegenüber allen Parteien formell rechtskräftig geworden ist (vgl Kuderna, ASGG § 61 Erl 2 und 6; Fasching, ZPR Rz 1558; Holzhammer, Österreichiches Zivilprozeßrecht2, 303 ff).

Der Schutzzweck des § 61 Abs 1 ASGG besteht, wie sich aus dem Ausschußbericht ergibt, in der beschleunigten Schaffung eines vollstreckbaren Urteils. Ob sich dieser Schutzzweck nach der (erkennbaren) Absicht des Gesetzgebers auch auf Rechtsgestaltungsurteile erstrecken soll, kann mangels Unterscheidung in der Art der Urteile dem Gesetz nicht entnommen werden. Da die sofortige Vollstreckbarkeit an die Stelle der in der Regierungsvorlage vorgesehenen einstweiligen Verfügung in das ASGG aufgenommen wurde, diese aber nur der Sicherung von Leistungsansprüchen dienen kann (SZ 43/119 ua), und im Ausschußbericht auf die Möglichkeit der Erlassung einstweiliger Verfügungen nach den §§ 378 ff EO neben der Einrichtung der sofortigen Vollstreckbarkeit ausdrücklich hingewiesen wird, ist der Schluß gerechtfertigt, daß der Begriff der Vollstreckbarkeit im herkömmlichen zivilverfahrensrechtlichen Sinn und nicht in einem für das Zivilverfahren völlig unüblichen (untechnischen), auch Rechtsgestaltungs- und Feststellungsurteile erfaßenden weiten Sinn zu verstehen ist (vgl Kuderna, Die sofortige Vollstreckbarkeit nach § 61 ASGG, DRdA 1988, 89 ff insbesondere 96 ff, mit eingehender Auseinandersetzung mit den in der Literatur vertretenen Auffassungen Faschings, Konecnys und Schranks; ferner Schwarz-Löschnigg, Arbeitsrecht4, 743 f).

Wenn der Gesetzgeber den Begriff der Vollstreckbarkeit untechnisch in einem weiten, bloß auf die ganz allgemeine Wirksamkeit erstinstanzlicher Urteile hinauslaufenden Sinn verstanden haben wollte, hätte er dies ohne Mühe in einer für die Normunterworfenen erkennbaren Weise zum Ausdruck bringen können. Daß der Gesetzgeber aber nicht von einem abweichenden Begriffsverständnis abgehen wollte, bestätigte die durch die ArbVG-Novelle 1986, BGBl 394, geschaffene Bestimmung des § 62 a ArbVG über die Verlängerung der Partei- und Prozeßfähigkeit des Betriebsrats. Endet die Tätigkeitsdauer des Betriebsrates nach den §§ 61 und 62 Z 1 und 2 ArbVG während eines Verfahrens vor Gericht oder einer Verwaltungsbehörde, in dem der Betriebsrat Partei ist, so besteht seine Partei- und Prozeßfähigkeit in bezug auf dieses Verfahren bis zu dessen Abschluß, längstens jedoch bis zur Konstituierung eines neuen Betriebsrats weiter. Diese Regelung gilt aber insbesondere nicht in den Fällen des § 62 Z 5 und Z 6 ArbVG, so daß klargestellt ist, daß der Gesetzgeber der ArbVG-Novelle davon ausgegangen ist, daß die sofortige Vollstreckbarkeit des § 61 Abs 1 Z 5 ASGG jedenfalls nicht für Rechtsgestaltungsurteile gilt. Im Falle der Annahme einer solchen Geltung würde nämlich der Betriebsrat sofort mit der Erlangung der "Vollstreckbarkeit" eines die Wahl für ungültig oder die Gleichstellung für beendet erklärenden erstgerichtlichen Urteils seine Partei- und Prozeßfähigkeit verlieren. Die Bestimmung des § 62 a ArbVG steht daher mit der Annahme eines auch Rechtsgestaltungs- und Feststellungsurteile umfassenden Begriffsverständnisses der sofortigen Vollstreckbarkeit in einem unlösbaren Widerspruch (Kuderna, Erfahrungen mit dem ASGG aus der Sicht des OGH, DRdA 1989, 173 ff, 177 f).

Mangels einer formell rechtskräftig gewordenen gerichtlichen Zustimmung zur Kündigung des Klägers erfolgte die Kündigung daher verfrüht und war somit unwirksam.

Die Kostenentscheidung ist in den §§ 41 und 50 ZPO begründet.

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