OGH 10ObS239/89

OGH10ObS239/8912.9.1989

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Resch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag.Engelmaier und Dr.Kellner als weitere Richter sowie durch die fachkundigen Laienrichter Dr.Peterlunger (Arbeitgeber) und Mag.Holub (Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Muadin D***, Aglassingerstraße 7, 5020 Salzburg, vertreten durch Dr.Manfred Jokesch, Rechtsanwalt in Salzburg, wider die beklagte Partei A***

U***, Adalbert Stifter-Straße 65, 1200 Wien,

vertreten durch Dr.Adolf Fiebich, Dr.Vera Kremslehner, Dr.Josef Milchram, Rechtsanwälte in Wien, wegen Versehrtenrente, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes in Arbeitsund Sozialrechtssachen vom 13.April 1989, GZ 12 Rs 56/89-23, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Salzburg als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 19.Dezember 1988, GZ 19 Cgs 50/88-19, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei hat die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der 1941 geborene Kläger erlitt am 7.April 1986 einen Unfall, den die beklagte Partei mit Bescheid vom 30.März 1987 als Arbeitsunfall anerkannte. Gleichzeitig gewährte sie dem Kläger ab 9. Juni 1986 eine vorläufige Versehrtenrente von 20 % der Vollrente.

Als Unfallfolgen wurden festgestellt: "Bruch des 12. Brust- und des 1. Lendenwirbels, Prellung des Brustkorbes, Hautabschürfungen am Unterschenkel und am Arm rechts".

Mit Bescheid vom 29.Dezember 1987 entzog die beklagte Partei dem Kläger die vorläufige Versehrtenrente ab 1.Februar 1988 und verneinte einen Anspruch auf Dauerrente.

Der Kläger begehrt die Weitergewährung der 20 %igen Versehrtenrente als Dauerrente.

Die beklagte Partei führt in ihrer Klagebeantwortung aus, der Kläger habe anläßlich des Arbeitsunfalles die im Gewährungsbescheid genannten Verletzungen erlitten, die noch bestehenden Unfallfolgen bedingten ab 1.Februar 1988 eine Minderung der Erwerbsfähigkeit von nur mehr 10 %.

Das Erstgericht verpflichtete die beklagte Partei, dem Kläger ab 1. Februar 1988 eine Versehrtenrente von 20 % der Vollrente im gesetzlichen Ausmaß als Dauerrente zu gewähren.

Es stellte fest, daß der Kläger durch den Arbeitsunfall einen Kompressionsbruch des ersten Lendenwirbels erlitten hat. Die daraus resultierende Minderung der Erwerbsfähigkeit beträgt 15 %. Der Bruch des 12. Brustwirbels ist nicht Folge des gegenständlichen Arbeitsunfalles. Unter Einbeziehung auch dieser nicht unfallkausalen Verletzung beträgt die Gesamtminderung der Erwerbsfähigkeit 20 %. Rechtlich führte das Erstgericht aus, die beklagte Partei habe in ihrem Bescheid über die vorläufige Rente den Bruch des 12. Brustwirbels als Unfallverletzung anerkannt. Dieser Bescheid sei in Rechtskraft erwachsen. Die Rechtskraft hindere eine neuerliche Kausalitätsprüfung. Aus § 209 ASVG, wonach die Feststellung einer Dauerrente eine Änderung der Verhältnisse nicht voraussetze und keine Bindung an die Grundlagen für die Berechnung der vorläufigen Rente bestehe, folge nur, daß anläßlich der Dauerrentenfeststellung weitere Unfallfolgen der Bemessung zugrundegelegt werden könnten, die bei der Gewährung noch nicht erkannt worden seien, nicht aber, daß bereits rechtskräftig festgestellte Unfallfolgen bei der Bemessung außer Acht gelassen werden könnten. Es sei daher von einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 20 % auszugehen. Das Berufungsgericht gab der wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobenen Berufung der beklagten Partei Folge. Aus § 209 Abs 1 letzter Satz sei abzuleiten, daß spätestens mit Ablauf des zweiten Jahres nach Eintritt des Versicherungsfalles eine abschließende, nicht mehr jederzeit abänderbare Klärung und Festlegung der Folgen eines Arbeitsunfalles geschaffen werden sollte. Die endgültige Fixierung könne unabhängig davon erfolgen, ob gegenüber dem ursprünglich für die vorläufige Rente erhobenen Befund eine wesentliche Veränderung eingetreten sei. Die Voraussetzungen für die Dauerrente seien unabhängig von früheren Verfahrensergebnissen zu prüfen, darunter falle auch die Frage der Kausalität einer Verletzung. Tatsachen, aus denen der Spruch abgeleitet werde, seien nicht isoliert rechtskraftfähig, soferne die Vorfrage der Kausalität nicht selbständiger Entscheidungsgegenstand sei, wie dies nunmehr etwa § 65 Abs 2 ASGG vorsehe. Unter Berücksichtigung nur der unfallkausalen Verletzungen, erreiche aber die Minderung der Erwerbsfähigkeit des Klägers das rentenbegründende Ausmaß nicht.

Rechtliche Beurteilung

Die wegen Mangelhaftigkeit des Verfahrens und unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobene Revision des Klägers ist nicht berechtigt.

Der Revisionsgrund der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens ist nicht ordnungsgemäß dargelegt, weil den nur "vorsichtshalber" gemachten Ausführungen in der Revision gar nicht entnommen werden kann, welcher konkrete Mangel überhaupt vorliegen soll und welche maßgeblichen Auswirkungen auf die Entscheidung entstanden wären. Eine ausdrückliche oder stillschweigende Außerstreitstellung durch die beklagte Partei im Sinne der §§ 266, 267 ZPO über die Unfallkausalität des Bruches des 12. Brustwirbels des Klägers kann nicht angenommen werden. Unter einem gerichtlichen Geständnis versteht man die einseitig vor Gericht oder in einem vorbereiteten Schriftsatz abgegebene Erklärung einer Partei, daß eine tatsächliche Behauptung des Gegners zutrifft. Stellt eine Partei ihr selbst nachteilige Behauptungen auf, bevor noch der Gegner diese vorgebracht hat (antizipiertes Geständnis), dann treten die Geständniswirkungen erst in jenem Zeitpunkt ein, in dem der behauptungs- und beweispflichtige Gegner die für seinen Rechtsstandpunkt erforderlichen Behauptungen nachträglich aufstellt, soweit sie gleichlautend sind. Das gerichtliche Geständnis bindet das Gericht an die zugestandenen Tatsachen und schafft bezüglich dieser Tatsachen ein Beweisthemenverbot. Nimmt das Gericht entgegen diesem Beweisthemenverbot Beweise auf und kommt es dabei zu vom Geständnis abweichenden Tatsachenfeststellungen, dann liegt zwar eine Verletzung einer Verfahrensvorschrift vor, die aber nicht erheblich ist. Schließlich kann ein Geständnis ausdrücklich oder schlüssig in erster Instanz bis zum Schluß der mündlichen Streitverhandlung widerrufen werden (Fasching, LB Rz 839 ff). Die beklagte Partei hat in ihrer Klagebeantwortung, ohne daß entsprechende Behauptungen schon in der Klage enthalten waren, lediglich die nach ihrer Ansicht vorliegenden Folgen des Arbeitsunfalles aufgezählt, eine ausdrückliche Außerstreitstellung der Unfallkausalität einzelner Verletzungen aber nicht vorgenommen. Nach Vorliegen des Sachverständigengutachtens, in welchem die Kausalität des Bruches des 12. Brustwirbels (ebenso wie im ärztlichen Anstaltsgutachten) verneint wurde, hat die beklagte Partei in der Streitverhandlung vom 19.Dezember 1988 vorgebracht, daß der Bruch des 12. Brustwirbels als Unfallfolge in den Bescheid über die Gewährung der vorläufigen Versehrtenrente nur durch ein Versehen aufgenommen worden sei, medizinisch jedoch als Unfallfolge ausgeschlossen sei. Damit aber wurde, selbst wenn man in den Ausführungen in der Klagebeantwortung ein schlüssig und antizipativ abgegebenes Anerkenntnis über die Unfallfolgen erblicken wollte, klargestellt, daß die beklagte Partei die Unfallkausalität nunmehr jedenfalls bestreitet.

Zutreffend hat das Berufungsgericht ausgeführt, daß die Bestimmungen des § 209 ASVG über die vorläufige Versehrtenrente bezwecken, einem Versehrten rasch und ohne weitläufiges Verfahren eine Rente zukommen zu lassen, wenn die Berechtigung dem Grunde nach feststeht. Gerade wegen des vorläufigen Charakters einer solchen Rente hat der Gesetzgeber normiert, daß die Feststellung der Dauerrente spätestens nach Ablauf des zweiten Jahres nach dem Eintritt des Versicherungsfalles eine Änderung der Verhältnisse (§ 183 Abs 1) nicht voraussetzt und keine Bindung an die Grundlagen für die Berechnung der vorläufigen Rente besteht (10 Ob S 16/89). Da die Rechtskraft von Bescheiden grundsätzlich beachtet werden muß, statuiert § 183 Abs 1 ASVG bestimmte Voraussetzungen, unter denen die Rechtskraft von Bescheiden innerhalb von bestimmten Grenzen ihre Wirksamkeit verliert. Durch die Verweisung auf diese Bestimmung im § 209 ASVG und den ausdrücklichen Hinweis, daß bei der Feststellung der Dauerrente die Voraussetzung des § 183 Abs 1 für eine Durchbrechung der Rechtskraft nicht eingehalten werden müssen ist klargestellt, daß die materielle Rechtskraft - jene Sachlage, wie sie zum Zeitpunkt der Entscheidung zugrundegelegt wurde, erst dem Bescheid zukommt, mit welchem über die Dauerrente abgesprochen wird. Erst dann bleibt der Versicherungsträger an die bescheidmäßig erfolgte Zuerkennung einer Rente und an den zugrundegelegten Sachverhalt auch dann gebunden, wenn sich die dem Bescheid zugrundeliegende ärztliche Beurteilung als unrichtig erweist (vgl. SSV-NF 2/96).

Durch die Klagserhebung ist der hier angefochtene Entziehungsbescheid zur Gänze außer Kraft getreten. Das Gericht hat nach dem Grundsatz der sukzessiven Kompetenz den gesamten entscheidungswesentlichen Sachverhalt von Grund auf neu ohne jede Bindung an das vorangegangene Verwaltungsverfahren zu prüfen. Ist die Feststellung der Dauerrente, die nun vom Gericht vorzunehmen ist, nach dem Gesetz "an die Grundlagen für die Berechnung der vorläufigen Rente" nicht gebunden, so bedeutet dies, daß auch die Unfallkausalität von Verletzungen neu geprüft werden kann, weil Umfang und Ausmaß der Verletzungen jedenfalls zu den Grundlagen für die Berechnung gehören. Dabei kann das Gericht gegenüber dem vorangegangenen Verwaltungsverfahren zu divergierenden Ergebnissen gelangen.

Ausgehend nur von den Folgen der unfallkausalen Verletzungen aber, beträgt die der Höhe nach vom Kläger nicht bestrittene Minderung der Erwerbsfähigkeit seit dem 1.Februar 1988 nur mehr 15 %. Das Berufungsgericht ist daher zu Recht zu einer Klagsabweisung gelangt.

Die Entscheidung über die Revisionskosten beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit. b ASGG.

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