OGH 6Ob659/89

OGH6Ob659/8931.8.1989

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Samsegger als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schobel, Dr. Melber, Dr. Zehetner und Dr. Schlosser als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Karl N***, geboren am 18.November 1944 in Wien, Angestellter, Wien 21., Mitterhofergasse 19/2/2/1, vertreten durch Dr. Karl Leitinger, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Georgine N***, im Haushalt, geboren am 7.November 1945 in Mikulov, CSSR, Wien 21., Mitterhofergasse 19/2/2/5, vertreten durch Dr. Adolf Kriegler, Rechtsanwalt in Wien, wegen Ehescheidung, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 2.September 1988, GZ 13 R 162/88-37, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes für ZRS Wien vom 2.März 1988, GZ 27 Cg 80/84-32, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Das angefochtene Urteil und das Urteil erster Instanz werden aufgehoben. Die Rechtssache wird zur neuerlichen Entscheidung an das Prozeßgericht erster Instanz zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind Kosten des weiteren Verfahrens.

Text

Begründung

Die Streitteile haben am 5.August 1967 im Geburtsort der Frau im fremdsprachigen benachbarten Ausland die Ehe geschlossen. Der Mann stand damals im 23., die Frau im 22.Lebensjahr. Der Mann war bereits bei der Eheschließung österreichischer Staatsbürger, nunmehr sind beide Streitteile österreichische Staatsbürger. Viereinhalb Monate nach der Eheschließung gebar die Frau einen Sohn. Bis zu ihrer Entbindung und noch einige Zeit danach blieb die Frau in ihrer Heimat. Erst im Jahre 1968 kam sie mit ihrem Kind nach Österreich. Hier lebte das Ehepaar mit dem Kind zunächst bei der Mutter des Mannes. Das eheliche Zusammenleben der Streitteile blieb (auch nach dem Bezug einer eigenen, im selben Haus gelegenen Wohnung) unter einem beherrschenden Einfluß der Mutter des Mannes und nach deren im Jahre 1976 erfolgten Tod dem der (16 1/2 Jahre älteren) Schwester des Mannes. Andererseits belastete die Einflußnahme der Mutter der Frau das eheliche Zusammenleben.

Beiden Streitteilen fehlt nunmehr der Wille zu einer gemeinsamen partnerschaftlichen Lebensgestaltung.

Am 9.März 1984 erhob der Mann ein auf § 49 EheG gestütztes Scheidungsbegehren.

Die Beklagte widersetzte sich diesem Begehren. Im Zuge des Rechtsstreites stellte sie einen Mitschuldantrag.

Der Kläger machte als schwere Eheverfehlungen der Frau geltend, sie ließe sich durch ihre alljährlich monatelang in der Ehewohnung zu Besuch weilende Mutter, mit der sie sich in ihrer dem Mann nicht geläufigen Muttersprache unterhalte, gegen den Kläger aufhetzen, sie werfe dem Kläger unzulängliche Mithilfe im Haushalt und unzureichende finanzielle Beteiligung an den Kosten der gemeinsamen Haushaltsführung vor, sei tagelang ohne nähere Begründung von der Ehewohnung abwesend, verhalte sich gegenüber dem Kläger lieblos, äußere Sticheleien und Nörgeleien, beschimpfe den Kläger als Trottel, Depp, Arschloch, Gauner oder Pülcher und setze ihn auch vor Dritten herab. Auf die Frage nach ihrer voraussichtlichen Rückkehr von einer zur Weihnachtszeit 1983 angetretenen Auslandsfahrt (zu ihrer Mutter) habe die Beklagte dem Kläger geantwortet, das ginge ihn einen Scheißdreck an. Die Beklagte vernachlässige die Essenszubereitung. Sie unterhalte in Kaffeehäusern Männerbekanntschaften.

Demgegenüber lastete die Beklagte dem Kläger als schwere Eheverfehlungen an, er strebe nur wegen seiner ehewidrigen Beziehung zu einer namentlich genannten (ihr gegenüber 11 Jahre jüngeren, seit Mitte 1982 geschiedenen) Frau aus der Ehe. Er habe die Beklagte jahrelang persönlich vernachlässigt, den ehelichen Verkehr verweigert, seine Freizeit ohne sie verbracht, seine Unterhaltspflichten verletzt und der Beklagten am 6.März 1985 im Streit durch Schläge Kopfwunden zugefügt. In der Folge sei er aus der Ehewohnung ausgezogen.

Dazu beschränkte sich das Prozeßgericht erster Instanz auf die Feststellungen, die Beklagte habe Freunde des Klägers bei gesellschaftlichen Anlässen mit Absicht - weil sie nämlich nicht wollte, daß der Kläger so tue, als wäre ihre Ehe in Ordnung - warten lassen. Die Beklagte habe den Kläger gelegentlich, und zwar auch vor Dritten, als Arschloch und ähnlich bezeichnet. Der Kläger habe die Beklagte als Hur und Schlampe bezeichnet und sie das Götzzitat geheißen.

Die übrigen Behauptungen des Klägers über Eheverfehlungen der Beklagten seien nicht erwiesen.

Daraus folgerte das Prozeßgericht erster Instanz, die Brüskierung durch absichtliches Zuspätkommen sei ungehörig, aber keine schwere Eheverfehlung. Wiederholte schwere, nicht durch das Verhalten des Partners ausgelöste Beschimpfungen in einer nicht milieubedingten Weise seien zwar an sich schwere Eheverfehlungen, die Beklagte habe aber als fremdsprachige Ausländerin ihren deutschen Wortschatz und den im persönlichen Verkehr üblichen Umgangston vor allem vom Kläger selbst und seiner Familie, in die sie eingeheiratet habe, übernommen. Der Kläger müsse sich daher sein eigenes Verhalten entgegenhalten lassen. Mangels schwerer Eheverfehlung der Beklagten sei das Scheidungsbegehren abzuweisen, ohne daß auf die zur Stützung des Mitschuldantrages vorgebrachten Behauptungen einzugehen gewesen wäre.

Das Prozeßgericht erster Instanz wies das Scheidungsbegehren ab. Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil.

Es erachtete die Vorwürfe unrichtiger Beweiswürdigung und mangelhafter Tatsachenfeststellungen als unberechtigt, übernahm die erstrichterlichen Feststellungen als ausreichende Entscheidungsgrundlage und befand auch die Rechtsrüge als nicht stichhältig. Dazu führte das Berufungsgericht aus, die Beklagte habe erst in der Familie des Klägers deutsch gelernt und sich bei den festgestellten Beschimpfungen dem in der Familie des Klägers gebräuchlichen Umgangston angepaßt. Der Kläger habe die beherrschende Rolle seiner Mutter und später seiner Schwester auf die Gestaltung des Ehelebens geduldet. Die festgestellten Verfehlungen der Beklagten hätte die Zerrüttung der Ehe nicht maßgeblich beeinflußt.

Der Kläger ficht das bestätigende Berufungsurteil aus den Revisionsgründen nach § 503 Abs 1 Z 2 und 4 ZPO mit einem Abänderungsantrag im Sinne seines Klagebegehrens sowie mit hilfsweise gestellten Aufhebungsanträgen an.

Die Beklagte strebt die Bestätigung der angefochtenen Entscheidung an.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist im Sinne des Aufhebungsantrages berechtigt. Das Gesetz verpflichtet die Ehegatten unter anderem zur anständigen Begegnung. Dieser Begriff ist objektiv auszulegen. Schwere und beharrliche Verstöße gegen dieses Verhaltensgebot, in denen sich eine mangelnde Schätzung der Persönlichkeit des Ehepartners ausdrückt, stellen eine schwere Eheverfehlung im Sinne des § 49 EheG dar. Sie begründen unter der weiteren Voraussetzung der (Mit-)Ursächlichkeit für die Ehezerrüttung einen Scheidungsanspruch des verletzten Ehegatten.

Die aufgrund umfangreicher Beweisaufnahmen in einem mehrjährigen Verfahren getroffenen Tatsachenfeststellungen sind zu kursorisch und allgemein, um die als erwiesen angenommenen Beschimpfungen des Klägers durch die Beklagte nach der Häufigkeit ihres Gebrauches, der jeweiligen Gesprächslage und dem allgemeinen Zustand des ehelichen Zusammenlebens und damit nach der mit der Äußerung verfolgten Absicht der Beklagten einerseits sowie der empfundenen Kränkung durch den Kläger andererseits zuverlässig werten zu können. Diesbezüglich liegen Feststellungsmängel vor. Ob das Verfahren deshalb zu ergänzen ist, muß zunächst der Beurteilung durch die Tatsacheninstanzen vorbehalten bleiben.

Bei der gebotenen Ergänzung der Tatsachenfeststellungen wird auch zu beachten sein, daß das Prozeßgericht erster Instanz nicht sämtliches Tatsachenvorbringen des Klägers zu den von ihm geltend gemachten Eheverfehlungen der Beklagten in seinen Entscheidungsgründen dargestellt und damit auch nicht von der negativen Feststellung des Nicht-Erwiesen-Seins erfaßt hat. Auch darin liegen Feststellungsmängel.

Sollten nach dem ergänzten Sachverhalt für die festgestellte Ehezerrüttung ursächliche schwere Eheverfehlungen der Beklagten angenommen werden, müßte im Hinblick auf die Behauptungen der Beklagten zur Stützung ihres Mitschuldantrages auch die sittliche Rechtfertigung des Scheidungsbegehrens nach dem zweiten Satz des § 49 EheG geprüft werden.

Im Falle einer Bejahung des Scheidungsanspruches müßte auch über den für diesen Fall gestellten Mitschuldantrag abgesprochen werden. In beiden letztgenannten Fällen erwiese sich eine Ergänzung der Tatsachenfeststellungen zu den von der Beklagten dem Kläger angelasteten Verfehlungen als erforderlich.

Die aufgezeigten Feststellungsmängel erfordern eine Rückverweisung der Rechtssache an das Prozeßgericht erster Instanz. Zu diesem Zwecke waren beide vorinstanzlichen Urteile aufzuheben. Die Kostenentscheidung beruht auf § 52 ZPO.

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