OGH 2Ob569/89

OGH2Ob569/8930.8.1989

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Kralik als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Vogel, Dr. Melber, Dr. Kropfitsch und Dr. Warta als Richter in der Pflegschaftssache des mj. Oliver Z***, geboren am 31. Jänner 1981, infolge Revisionsrekurses des Vaters Franz Z***, Gemeindeangestellter, Jerusalemgasse 27-31/33/13, 1210 Wien, vertreten durch Dr. Alfred Holzberger und Dr. Stefan Stoiber, Rechtsanwälte in Wien, gegen den Beschluß des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 15. Juni 1989, GZ 44 R 374/89-145, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Floridsdorf vom 8. Mai 1989, GZ 2 P 144/85-140, bestätigt wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

Text

Begründung

Die Ehe der Eltern des am 31.1.1981 geborenen Oliver Z*** wurde mit Beschluß des Bezirksgerichtes Floridsdorf vom 15.3.1983 gemäß § 55 a EheG geschieden. Anläßlich der Ehescheidung schlossen die Eltern am 15.3.1983 einen Vergleich, mit dem sie unter anderem vereinbarten, daß die Elternrechte zu diesem Kind dem Vater allein zustehen. Dieser Vergleich wurde pflegschaftsbehördlich genehmigt. Das Kind wächst seither im Haushalt des Vaters auf. Der Mutter wurde zuletzt mit Beschluß vom 30.4.1987 (ON 77) ein Besuchsrecht zu diesem Kind am ersten und am dritten Sonntag eines jeden Monats in der Zeit von 13 bis 18 Uhr eingeräumt. Nachdem es bei der Ausübung dieses der Mutter zuerkannten Besuchsrechts wiederholt zu Unzukömmlichkeiten gekommen war, stellte der Vater im September 1987 den Antrag, der Mutter dieses Besuchsrecht abzuerkennen, weil das Kind dadurch derart psychisch beeinträchtigt werde, daß die Ausübung des der Mutter zuerkannten Besuchsrechts eindeutig dem Wohl des Kindes widerspreche (ON 89). Im Zug des Verfahrens über diesen Antrag des Vaters bestellte das Erstgericht Prof. Dr. D*** zum Sachverständigen für Kinderpsychologie und beauftragte ihn mit der Erstattung eines Gutachtens darüber, ob das Besuchsrecht der Mutter in der beschlossenen oder in einer modifizierten Form aufrecht erhalten werden solle oder ob aus kinderpsychologischer Sicht die Besuche des Kindes bei seiner Mutter abzulehnen seien (ON 121). Nachdem dieser Sachverständige sein Gutachten erstattet hatte, lehnte ihn der Vater als befangen ab und stellte den Antrag, das vom Sachverständigen Prof. Dr. D*** erstattete Gutachten als zur Entscheidungshilfe nicht geeignet bei der Entscheidung über seinen Antrag, der Mutter das Besuchsrecht abzuerkennen, unberücksichtigt zu lassen (ON 133).

Das Erstgericht wies den Antrag des Vaters auf Ablehnung des Sachverständigen Prof. Dr. D*** ab (Punkt 1 der Entscheidung); es wies auch den Antrag des Vaters, der Mutter das Besuchsrecht zu entziehen, ab (Punkt 2) der Entscheidung). Das Erstgericht hatte keine Zweifel an der Unbefangenheit des Sachverständigen und begründete die Abweisung des Antrags des Vaters, der Mutter das Besuchsrecht zu entziehen, im wesentlichen damit, daß sowohl die Wiener Jugendgerichtshilfe als auch der beigezogene Sachverständige die Aufrechterhaltung des Besuchskontakts zwischen Mutter und Kind befürworteten.

Dem gegen die Punkte 1 und 2 der Entscheidung des Erstgerichts gerichteten Rekurs des Vaters gab das Rekursgericht mit dem angefochtenen Beschluß keine Folge.

Auch das Rekursgericht hatte keine Bedenken gegen die Unbefangenheit des Sachverständigen Prof. Dr. D***. Zur Entscheidung über den Antrag dess Vaters, der Mutter das Besuchsrecht zu entziehen, führte es im wesentlichen aus, im Bericht der Wiener Jugendgerichtshilfe vom 27.5.1988 (ON 115) werde erwähnt, daß der mj. Oliver im Gespräch ohne Beisein der Eltern erklärt habe, daß er gern zur Mutter gehe, daß es mit ihr lustig sei und daß er immer Geschenke von ihr bekomme. Auch wenn es dem Vater nicht recht sei, wenn er mit der Mutter mitgehe, möchte er, daß ihn die Mutter wieder hole.

Vor dem Sachverständigen habe der mj. Oliver allerdings erklärt, er möchte nicht mehr zur Mutter, er habe Angst, daß ihn die Mutter mitnehme und nicht mehr nach Hause bringe. Als Begründung habe er ausgeführt, daß sein Vater und seine Mutter gestritten hätten. Weitere diesbezügliche Fragen habe er völlig abgeblockt. Der Sachverständige habe ausgeführt, es könne kein Zweifel darüber besehen, daß dem mj. Oliver auf Grund seiner Intelligenz die Einstellung seines Vaters und der Stiefmutter zur Besuchsrechtsfrage voll bewußt sei. Seine Befürchtung, die Mutter würde ihn nicht mehr nach Hause bringen, decke sich sinngemäß mit den vom Vater vorgegebenen Befürchtungen. Aus den Darstellungen des Vorfalls vom 21.6.1987, der zur Einleitung eines Strafverfahrens gegen den Vater, seine Ehegattin und die Mutter geführt habe, welches aber mit Freispruch aller Beteiligten geendet habe, ergebe sich eindeutig, daß damals der Vater und seine Gattin die Bemühungen der Mutter, das Kind mitzunehmen, gezielt vereitelt hätten. Der mj. Oliver stehe nachhaltig unter dem Eindruck dieses Exzesses. Seine Ablehnung, mit der Mutter mitzugehen, sei von seiner Angst vor Wiederholungen solcher Streitszenen motiviert. Außerdem erfasse er durchaus, daß er mit seiner Weigerung den Erwartungshaltungen des Vaters und seiner Stiefmutter am besten entspreche und damit Konflikte vermeiden könne. Die Bindung des mj. Oliver an seine Mutter erweise sich jedoch trotz allem als nicht beeinträchtigt. Seine Ablehnung, mit der Mutter mitzugehen, könne nicht als eigenständige Willensäußerung gewertet werden. Er wäre problemlos dazu zu bewegen, mit der Mutter mitzugehen. Es werde daher empfohlen, der Mutter das Besuchsrecht im bisherigen Umfang weiterhin einzuräumen.

Dem Einwand des Vaters, daß die Mutter der Prostitution nachgehe, sei entgegenzuhalten, daß grundsätzlich auch einer Prostituierten das Menschenrecht der Aufrechterhaltung persönlicher Kontakte zu ihrem Kind zustehe. Es habe sich aus dem Akteninhalt bisher kein einziger Hinweis darauf ergeben, daß die Mutter den mj. Oliver in ein Bordell mitgenommen oder sonst in irgendeiner Weise an ihrer Tätigkeit hätte teilhaben lassen. Es habe bisher auch niemand dem Kind eine Mitteilung über die Tätigkeit der Mutter gemacht.

Der mj. Oliver sei allerdings im Kindergarten damit aufgefallen, daß er in einer Ecke mit Puppen Körperpositionen und Bewegungen eines Geschlechtsverkehrs nachgeahmt habe. Im Bericht der Wiener Jugendgerichtshilfe vom 24.3.1987 (ON 75) werde darauf Bezug genommen, gleichzeitig jedoch darauf verwiesen, daß sich diese Erscheinungen von selbst wieder gegeben hätten. Der Sachverständige habe dazu ausgeführt, derartige Koitusbewegungen im 4. bis 5. Lebensjahr entsprächen entwicklungsmäßig der "ödipalen Phase" im Sinne vom Sigmund Freud. Solche sexuell gefärbte Handlungsweisen seien nicht durch äußere Vorgänge bestimmt, sondern endogen bedingt und vorübergehend.

Ob diese Lehrmeinung zutreffe, könne dahingestellt bleiben, weil diese Auffälligkeiten seit geraumer Zeit nicht mehr aufträten. Selbst wenn der mj. Oliver einmal seine Mutter beim Geschlechtsverkehr mit einem Lebensgefährten oder Ehegatten beobachtet hätte, wäre dies noch kein Grund für den Entzug des Besuchsrechts.

Die Meinung des Vaters, das Erstgericht hätte trotz des Freispruchs aller drei angezeigten Personen den Vorfall vom 21.6.1987 noch einmal aufrollen müssen, sei unzutreffend. Es bleibe unerfindlich, welchen Einfluß es auf das Besuchsrecht haben sollte, ob nun der Vater und seine Gattin oder die Mutter mehr oder weniger zu diesem Vorfall beigetragen bzw. die anderen Personen verletzt hätten, da zum Entstehen einer solchen Situation erfahrungsgemäß einer allein nichts beitragen könne und jedenfalls jeglicher Streit vermeidbar gewesen wäre, wenn der Vater das Kind an die Mutter zwecks Ausübung des vereinbarten und beschlossenen Besuchsrechts herausgegeben hätte.

Zusammenfassend spreche nichts gegen die Beibehaltung des bisherigen Besuchsrechts, solange die Mutter das Kind vom Prostituierten- und Zuhältermilieu fernhalte. Daß sie dies etwa nicht getan hätte, solange der Vater noch bereit gewesen sei, ihr das vereinbarte und mit Gerichtsbeschluß festgesetzte Besuchsrecht einzuräumen, sei weder dezidiert behauptet worden noch ergebe sich derartiges sonst aus der Aktenlage.

Der Umstand, daß sowohl die Wiener Jugendgerichtshilfe als auch der bestellte Sachverständige die Beibehaltung der bisherigen Besuchskontakte befürworteten, obgleich ihnen der Beruf der Mutter bekannt gewesen sei, spreche auch dafür, daß die Persönlichkeit der Mutter offenbar ausreichende Gewähr dafür biete, daß sie das Kind vom Dirnenmilieu fernhalte.

Gegen diese Entscheidung des Rekursgerichts richtet sich der Revisionsrekurs des Vaters. Er bekämpft sie insoweit, als seinem Rekurs gegen die Punkte 1 und 2 des Beschlusses des Erstgerichts nicht stattgegeben wurde, wegen Nichtigkeit und Aktenwidrigkeit mit dem Antrag, "den angefochtenen Beschluß aufzuheben und auszusprechen, daß das eingeholte Sachverständigengutachten ON 122 als zur Entscheidungshilfe nicht geeignet bei der Entscheidung über seinen Antrag, der Kindesmutter das Besuchsrecht abzuerkennen, unberücksichtigt bleibt; in eventu dem Erstgericht über das Rekursgericht aufzutragen, einen anderen Sachverständigen mit der Erstellung eines Gutachtens zu beauftragen"; ferner beantragt der Vater, "seinem Antrag, der Kindesmutter das Besuchsrecht zum mj. Oliver abzuerkennen, Folge zu geben".

Rechtliche Beurteilung

Dieses Rechtsmittel ist zurückzuweisen.

Soweit es sich gegen die Bestätigung der Zurückweisung der Ablehnung des Sachverständigen Prof. Dr. D*** durch den Vater richtet, ist es deswegen unzulässig, weil nach ständiger Rechtsprechung die Bestimmungen der Zivilprozeßordnung über die Ablehnung von Sachverständigen auch im Außerstreitverfahren Anwendung finden und daher gegen die Zurückweisung der Ablehnung eines Sachverständigen nur der Rekurs an das zunächst übergeordnete Gericht, aber kein weiterer Rechtszug mehr zulässig ist (SZ 18/6; JBl 1966, 45; EvBl 1968/429; 8 Ob 541, 542/83 uva). Im übrigen findet gemäß § 16 Abs 1 AußStrG gegen bestätigende Entscheidungen des Rekursgerichts nur im Fall einer offenbaren Gesetz- oder Aktenwidrigkeit der Entscheidung oder einer begangenen Nullität die Beschwerde an den Obersten Gerichtshof statt. Das Vorliegen derartiger Rechtsmittelgründe in Ansehung der Abweisung seines Antrags, der Mutter das Besuchsrecht zu entziehen, vermag der Vater in seinem Revisionsrekurs nicht aufzuzeigen. Von einem Verfahrensverstoß vom Gewicht einer Nullität im Sinne des § 16 Abs 1 AußStrG könnte nur dann gesprochen werden, wenn die dem Gericht im Sinne des § 2 Abs 2 Z 5 AußStrG obliegende Stoffsammlung so mangelhaft geblieben wäre, daß dadurch Grundprinzipien des Pflegschaftsverfahrens - hier das Wohl des Kindes - vollkommen außer Acht gelassen würden (8 Ob 600/88; 7 Ob 555/89; 7 Ob 591/89 uva). Davon kann aber im vorliegenden Fall keine Rede sein. Die Vorinstanzen haben sich mit den Einwänden des Vaters, daß das Wohl des Kindes durch die Ausübung des der Mutter zuerkannten Besuchsrechts gefährdet werden könnte, ausführlich auseinandergesetzt und die Berechtigung dieser Einwände auf Grund der von ihnen erhobenen Verfahrensergebnisse verneint. Den Vorinstanzen anzulastende gravierende Mängel in der Stoffsammlung vom Gewicht einer Nullität vermag der Vater mit seinen Rechtsmittelausführungen nicht aufzuzeigen.

Auch dem Rekursgericht unterlaufene entscheidungswesentliche Aktenwidrigkeiten zeigt der Vater in seinem Rechtsmittel nicht auf. Seine Vermutung, daß die beim mj. Oliver früher beobachteten "Koitusbewegungen" darauf zurückzuführen seien, daß er derartiges bei seiner Mutter gesehen hätte, sind weder überzeugend noch ist aus ihnen abzuleiten, daß das Rekursgericht den Akteninhalt unrichtig wiedergegeben und auf einer derartig fehlerhaften Grundlage seine Entscheidung gefällt hätte. Ob und in welchem Umfang eine frühere Ehegattin des Vaters der Prostitution nachging, ist für die im vorliegenden Fall zu treffende Entscheidung bedeutungslos. Daß die Mutter des mj. Oliver als Prostituierte tätig ist, wurde von den Vorinstanzen bei ihren Entscheidungen berücksichtigt. Im übrigen ist davon auszugehen, daß der oberste Grundsatz jeder Regelung des im § 148 ABGB normierten Besuchsrechts das Wohl und das Interesse des Kindes ist (EFSlg 43.222 uva). Die Interessen aller anderen Personen, auch der Eltern, sind zurückzustellen, wenn durch die Ausübung des Besuchsrechts die Belange des Kindes, insbesondere seine seelische oder körperliche Gesundheit, gefährdet würden (EFSlg 38.231). Das Besuchsrecht kann nur aus wichtigen, im Wohl des Kindes gelegenen Gründen eingeschränkt oder ganz entzogen werden (EFSlg 43.251 ua); es muß sich dabei um solche triftige Gründe handeln, die eine Bedrohung der psychischen oder physischen Integrität des Kindes darstellen (EFSlg 43.253 uva). Von diesen rechtlichen Grundsätzen ausgehend haben die Vorinstanzen die Einwände des Vaters gegen das der Mutter zuerkannte Besuchsrecht geprüft und unter ausdrücklicher Abstellung auf das Wohl des Kindes bei Berücksichtigung der vorliegenden Verfahrensergebnisse für unberechtigt erachtet. Unter diesen Umständen kann aber auch von einer offenbaren Gesetzwidrigkeit der Entscheidung des Rekursgerichts im Sinne des § 16 Abs 1 AußStrG (die im übrigen im Rechtsmittel des Vaters nicht ausdrücklich geltend gemacht wird; aus den Rechtsmittelausführungen könnte aber auch die Behauptung dieses Rechtsmittelgrunds entnommen werden) nicht die Rede sein.

Der außerordentliche Revisionsrekurs des Vaters ist daher auch insoweit, als er sich gegen die bestätigende Entscheidung des Rekursgerichts über die Abweisung seines Antrags, der Mutter das Besuchsrecht zu entziehen, richtet, mangels Vorliegens eines Rechtsmittelgrunds im Sinne des § 16 Abs 1 AußStrG als unzulässig zurückzuweisen.

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