OGH 7Ob623/89

OGH7Ob623/896.7.1989

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Flick als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Wurz, Dr. Warta, Dr. Egermann und Dr. Niederreiter als Richter in der Pflegschaftssache der mj. Kinder Ulrike A***, geboren 2. April 1971, Kurt A***, geboren am 8. Februar 1972 und Daniel A***, geboren am 26. November 1983, sämtliche vertreten durch die Mutter Ulrike A***, Geschäftsfrau, Bad Schallerbach, Ziegeleistraße 10, diese vertreten durch Dr. Johannes Kirschner, Rechtsanwalt in Wels, infolge Revisionsrekurses der Kinder gegen den Beschluß des Kreisgerichtes Wels als Rekursgericht vom 22. März 1989, GZ R 259/89-23, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Grieskirchen vom 24. Februar 1989, GZ P 112/80-20, bestätigt wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

Text

Begründung

Die Kinder Ulrike A***, geboren am 2. April 1971, Kurt A***, geboren am 8. Februar 1972 und Daniel A***, geboren 26. November 1983, entstammen der Ehe des Franz A*** mit Ulrike A***. Die Ehe wurde rechtskräftig geschieden. Die Kinder befinden sich bei der Mutter.

Bereits in einem anläßlich der Ehescheidung abgeschlossenen Vergleich vom 20. Oktober 1980 hatte sich der Vater verpflichtet, der Mutter für die beiden älteren Kinder einen Unterhalt zu zahlen. Nachdem der Vater den außerehelich geborenen Daniel adoptiert hatte, verpflichtete er sich auch zu einer Unterhaltsleistung für dieses Kind von monatlich 1.700 S.

Aufgrund eines Antrages der Mutter erhöhte das Erstgericht, beginnend mit 1. Jänner 1989, den Unterhalt für die beiden älteren Kinder auf je 4.000 S monatlich und für Daniel auf 2.500 S monatlich. Das Mehrbegehren auf Zahlung einer Unterhaltsdifferenz für die letzten drei Jahre vor Antragstellung wies das Erstgericht ab.

Das Rekursgericht bestätigte den abweisenden Teil der erstgerichtlichen Entscheidung mit der Begründung, es könne zwar grundsätzlich auch Unterhalt für die Vergangenheit verlangt werden. Im vorliegenden Fall sei jedoch davon auszugehen, daß die Mutter das Einkommen des Vaters bereits bei der seinerzeitigen Unterhaltsfestsetzung gekannt habe. Eine Unterhaltsfestsetzung für die Vergangenheit komme nur in jenen Fällen in Betracht, in denen der Unterhaltspflichtige nach ständiger Würdigung aller Umstände durch die Einforderung von Unterhaltsrückständen tatsächlich nicht überrascht sein könne, etwa weil der letzten Unterhaltsregelung ein unrichtiges Einkommen seinerseits zugrundegelegt wurde, eine Sorgepflicht nachträglich gänzlich oder teilweise weggefallen sei, der Berechtigte vom Verpflichteten vor der gerichtlichen Geltendmachung die Leistung eines (erhöhten) Unterhaltes verlangt habe u.dgl. Könne der Unterhaltsschuldner hingegen aus bestimmten Gründen ableiten, daß der Gläubiger ihn nicht mehr in Anspruch nehmen wolle, scheide ein Nachforderungsanspruch aus, weil ein konkludenter Anspruchsverzicht anzunehmen sei.

Im vorliegenden Fall lägen Umstände der aufgezeigten Art nicht vor. Vielmehr sei der Mutter bei der seinerzeitigen Unterhaltsfestsetzung das Einkommen des Vaters bekannt gewesen. Sie habe also, für den Unterhaltspflichtigen erkennbar, bewußt weniger verlangt, als sie allenfalls verlangen hätte können. Ein derartiges Verhalten habe der Unterhaltspflichtige nur als konkludenten Verzicht auf die Geltendmachung höherer Unterhaltsansprüche für die Vergangenheit werten können.

Rechtliche Beurteilung

Bei der Frage, ob für die Vergangenheit Unterhalt geleistet werden kann und ob in einem bestimmten Verhalten ein Verzicht auf die Geltendmachung höherer Ansprüche gelegen sei, handelt es sich nicht um eine Frage der Unterhaltsbemessung, weshalb die Zulässigkeit eines Revisionsrekurses nicht an § 14 AußStrG scheitert. Da jedoch übereinstimmende Entscheidungen der Vorinstanzen über die Verneinung des für die Vergangenheit geltend gemachten Unterhaltsanspruches vorliegen, wäre ein weiteres Rechtsmittel gemäß § 16 AußStrG nur wegen Nichtigkeit, Aktenwidrigkeit oder offenbarer Gesetzwidrigkeit zulässig. Eine Nichtigkeit oder eine Aktenwidrigkeit werden nicht geltend gemacht.

Offenbare Gesetzwidrigkeit liegt nur vor, wenn ein Fall im Gesetz ausdrücklich und so klar gelöst ist, daß kein Zweifel über die Absicht des Gesetzgebers aufkommen kann und trotzdem eine damit im Widerspruch stehende Entscheidung gefällt wird. Es bildet daher nicht jede unrichtige rechtliche Beurteilung eine offenbare Gesetzwidrigkeit (JBl 1975, 547, NZ 1973, 77 ua). Die frühere Judikatur hatte unter Berufung auf § 1418 ABGB die Rechtsansicht vertreten, Unterhalt für die Vergangenheit könne grundsätzlich nicht verlangt werden. Nun hat ein verstärkter Senat des Obersten Gerichtshofes in der vom Rekursgericht erwähnten Entscheidung 6 Ob 544/87 (JBl 1988, 586) ausgesprochen, daß § 1418 ABGB kein gesetzliches Hindernis für die Geltendmachung von Unterhalt für die Vergangenheit darstellt, vielmehr derartige Ansprüche der allgemeinen Verjährung unterliegen. Ob demnach einer Entscheidung, die sich auf die seinerzeitige Rechtsansicht bezüglich eines aus § 1418 ABGB abgeleiteten Verbotes der Geltendmachung von Unterhalt für die Vergangenheit stützt, als offenbar gesetzwidrig anzusehen ist, weil nach der erwähnten Entscheidung des Obersten Gerichtshofes die genannte Gesetzesbestimmung keine derartige Handhabe bietet, muß hier nicht beantwortet werden. Im vorliegenden Fall hat nämlich das Rekursgericht seine abweisende Entscheidung nicht auf § 1418 ABGB, sondern auf die Annahme eines schlüssigen Verzichtes auf einen höheren Unterhalt für die Vergangenheit gestützt. Ob der Oberste Gerichtshof im konkreten Fall das Verhalten der Mutter tatsächlich so ausgelegt hätte, war hier nicht zu prüfen, weil eine bloße unrichtige rechtliche Beurteilung nicht den Rekursgrund der offenbaren Gesetzwidrigkeit darstellt. Es war daher nur zu prüfen, ob die von den Vorinstanzen vertretene Rechtsansicht in einem unlösbaren Widerspruch zu einer ausdrücklichen Gesetzesbestimmung steht oder nicht. Dies ist hier nicht der Fall.

§ 863 ABGB spricht schlüssigem Verhalten schlechthin Wirkungen im Hinblick auf einen Rechtserwerb zu. Nach der Judikatur kann ein Verzicht auch stillschweigend oder schlüssig geklärt werden (SZ 54/83 ua). Die Judikatur hat nur Grundsätze genannt, die bei der Beurteilung eines Verhaltens im Hinblick auf seine Schlüssigkeit zu beachten sind. Wenn daher ein Gericht aus einem Verhalten einen schlüssigen Verzicht ableitet, so kann dies im Einzelfall gegen die von der Judikatur aufgezeigten Grundsätze verstoßen, was eine unrichtige rechtliche Beurteilung begründen würde, doch wäre darin keinesfalls eine offenbare Gesetzwidrigkeit zu erblicken, weil die Grundsätze für die Annahme eines schlüssigen Verzichtes im Gesetz nirgends geregelt sind. Eine offenbare Gesetzwidrigkeit wäre in einem solchen Fall nur dann denkbar, wenn die Ableitung eines schlüssigen Verzichtes aus bestimmten Umständen geradezu ein absurder Verstoß gegen Denkgesetze wäre. Dies ist hier nicht der Fall. Vielmehr hat das Rekursgericht einen schlüssigen Verzicht auf die Geltendmachung eines höheren Unterhaltes für die Vergangenheit aus Umständen abgeleitet, die eine solche Annahme nach den Denkgesetzen nicht ausschließen. Demnach liegt eine offenbare Gesetzwidrigkeit nicht vor.

Da keiner der im § 16 AußStrG genannten Gründe gegeben ist, erweist sich der Revisionsrekurs als unzulässig.

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