OGH 3Ob537/89

OGH3Ob537/8928.6.1989

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof.Dr.Petrasch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Hule, Dr. Warta, Dr. Klinger und Dr. Angst als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Franziska J***, Raumpflegerin, Wien 9., Liechtensteinstraße 3 (Frauenhaus), vertreten durch Dr. Walter Mardetschläger u.a., Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei Herbert J***, derzeit ohne Beschäftigung, Hohe Wand, Maiersdorf 260, vertreten durch Dr. Karin Stöhr, Rechtsanwalt in Wien, wegen Ehescheidung, infolge Revision beider Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 12.Dezember 1988, GZ 14 R 234/88-40, womit infolge Berufung beider Parteien das Urteil des Landesgerichtes für ZRS Wien vom 19. Mai 1988, GZ 25 Cg 121/85-33, teilweise bestätigt und teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Den Revisionen wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Sache wird zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Berufungs- und Revisionsverfahrens sind als weitere Verfahrenskosten zu behandeln.

Text

Begründung

Die Klägerin begehrte die Scheidung ihrer mit dem Beklagten geschlossenen Ehe wegen schwerer Eheverfehlungen und behauptete dazu ständige Beschimpfungen, Drohungen, Mißhandlungen, Zwang zum Geschlechtsverkehr und zur Unterfertigung mehrerer Urkunden und Arbeitsscheu. In der Tagsatzung am 19. Mai 1988 erklärte sie, daß sie das Scheidungsbegehren "nunmehr" auf § 55 Abs 1 EheG stütze, und brachte vor, daß die eheliche Gemeinschaft seit dem 15. April 1985 in psychischer und physischer Hinsicht aufgelöst sei. Der Beklagte hatte ursprünglich alle behaupteten Eheverfehlungen bestritten und vorgebracht, daß die Klägerin seit Jahren ehebrecherische Beziehungen zu Walter P*** unterhalte und die Wohnung aus diesem Grund verlassen habe. Der Beklagte könne aus gesundheitlichen Gründen keiner Arbeit nachgehen, führe daher seit dem Jahre 1980 den Haushalt, und die berufstätige Klägerin bestreite die Kosten des Haushalts. Eine Ehescheidung würde den Beklagten härter treffen als die Klägerin die Fortsetzung der Ehe, weil er krank und nicht arbeitsfähig und auf die Unterstützung der Klägerin angewiesen sei. Die verschiedenen Erklärungen der Klägerin habe diese freiwillig abgegeben. Es sei nicht sittenwidrig, daß er Unterhaltsverpflichtungserklärungen der Klägerin angenommen habe. Der Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. - Nach dem Vorbringen der Klägerin in der Tagsatzung am 19. Mai 1988 gab der Beklagte die Zeit der Trennung als richtig zu, bestritt jedoch die Berechtigung des Scheidungsbegehrens, weil er an der Ehe festhalten wolle und seine Versuche, die Klägerin zur Rückkehr zu bewegen, von dieser abgelehnt würden. Für den Fall einer Scheidung gemäß § 55 Abs 1 EheG beantragte er die Feststellung nach § 61 Abs 3 EheG, daß die Klägerin das alleinige Verschulden an der Zerrüttung der Ehe treffe.

Das Erstgericht sprach die Scheidung nach § 55 Abs 1 EheG aus und stellte gemäß § 61 Abs 3 EheG fest, daß das überwiegende Verschulden an der Zerrüttung der Ehe die Klägerin treffe.

Es traf im wesentlichen folgende Tatsachenfeststellungen:

Schon im Jahr 1981 trugen sich die Streitteile mit Scheidungsgedanken und schlossen am 6.November 1981 einen Notariatsakt, in dem sie für den Fall der Scheidung einen beiderseitigen Unterhaltsverzicht abgaben. Die Klägerin verzichtete auf die Liegenschaft, auf der während der Ehe ein Eigenheim errichtet worden war, und der Beklagte auf die Wiener Wohnung der Streitteile. Es kam dann aber nicht zur Scheidung, weil der Beklagte es ablehnte, einer solchen zuzustimmen. In den Jahren 1980/1981 hatte der Beklagte die Klägerin einmal mit dem Schimpfwort "Trampel" belegt.

Von April 1984 bis Juli 1984 unterhielt die Klägerin ein intimes Verhältnis mit Walter P***, beendete aber dann die Beziehungen, worauf sie von Walter P*** noch weiterhin brieflich und telefonisch bedrängt wurde. Die Klägerin fühlte sich von ihm so bedroht, daß sie den Beklagten ersuchte, sie künftig täglich zur Arbeit zu bringen und wieder abzuholen, was dieser auch tat. Im April 1985 verließ die Klägerin den gemeinsamen Haushalt mit dem Beklagten und ging ins Frauenhaus. Sie gab dort an, vom Beklagten mißhandelt worden zu sein. Sie wies zwar im April 1985 Hämatome am Oberarm auf; es ist aber nicht erwiesen, daß diese Verletzung von einer Mißhandlung des Beklagten stammt. Über eine weitere Verletzung im Juni 1985 besteht eine ärztliche Befundaufnahme; aber auch hier ist nicht erwiesen, woher die Verletzung stammt. Insbesondere ist eine Mißhandlung oder Erzwingung des Geschlechtsverkehrs durch den Beklagten in diesem Zusammenhang nicht erwiesen.

Mit zwei Erklärungen vom 7. Juni 1985 und 6. September 1985 anerkannte die Klägerin ihr Alleinverschulden und versprach in einem Fall die Leistung eines Unterhalts von 4.000 S monatlich an den Beklagten, wenn er sich scheiden lasse, im anderen Fall die Leistung einer Abfindungszahlung von 750.000 S, zahlbar in 15 Jahresraten zu 50.000 S. Diese Erklärungen, welche einmal gerichtlich und einmal notariell beglaubigt wurden, machte die Klägerin freiwillig, und der Beklagte nahm sie jeweils an.

Der Beklagte geht seit dem Jahr 1983 keiner Arbeit mehr nach. Vermittlungsversuche des Arbeitsamtes schlugen fehl, er ist wegen einer Hirndurchblutungsstörung nur mehr für leichte und mittelschwere Arbeiten, die nicht in exponierter Stellung oder unter besonderem Zeitdruck vorgenommen werden dürfen, geeignet. Die früher ausgeübte Tätigkeit als Fernfahrer kann er nicht mehr leisten. Das Erstgericht nahm auf Grund dieses Sachverhaltes in rechtlicher Hinsicht an, daß die Klägerin das überwiegende Verschulden an der Zerrüttung der Ehe treffe, weil sie die häusliche Gemeinschaft schon einmal im Jahr 1980 aufgelöst, im Jahr 1984 die Beziehungen zu Walter P*** unterhalten und im April 1985 die eheliche Gemeinschaft endgültig aufgelöst habe. Den Beklagten treffe ein gewisses Verschulden, weil er keiner Arbeit nachgehe. Das Berufungsgericht gab der Berufung des Beklagten nicht Folge, änderte aber das Urteil des Erstgerichtes infolge der Berufung der Klägerin teilweise dahin ab, daß der Antrag des Beklagten, gemäß § 61 Abs 3 EheG festzustellen, daß die Klägerin das alleinige Verschulden an der Zerrüttung treffe, abgewiesen werde. Das Berufungsgericht übernahm die Tatsachenfeststellungen des Erstgerichtes mit Ausnahme der Feststellung über das freiwillige Zustandekommen der verschiedenen Erklärungen der Klägerin. In rechtlicher Hinsicht vertrat das Berufungsgericht im wesentlichen die Auffassung, daß die Klägerin ihre Klage seit der Tagsatzung vom 19. Mai 1988 nur mehr auf den Scheidungsgrund nach § 55 Abs 1 EheG gestützt habe und der Beklagte hiezu kein substantiiertes Vorbringen über die Berechtigung seines Widerspruchs nach § 55 Abs 2 EheG und den beantragten Verschuldensantrag nach § 61 Abs 3 EheG erstattet habe, ohne daß er wenigstens im Berufungsverfahren das Unterbleiben einer Erörterung dieser Fragen durch das Erstgericht als Verfahrensmangel gerügt hätte.

Rechtliche Beurteilung

Die Revisionen der beiden Streitteile sind berechtigt. Entgegen der Beurteilung des Berufungsgerichtes kann nicht davon ausgegangen werden, daß die Klägerin ihr Scheidungsbegehren nur mehr auf den Scheidungsgrund nach § 55 Abs 1 EheG gestützt habe. Sie hat zwar bei der Formulierung ihrer Klagsänderung nicht die Worte "nur mehr" oder einen ähnlichen Ausdruck verwendet, aber auch nicht zum Ausdruck gebracht, daß sie ihr bisheriges Begehren zurückziehe. Bei der gegebenen Prozeßsituation war es auch nicht sehr naheliegend, daß die Klägerin auf die Möglichkeit verzichten wollte, die Scheidung aus dem alleinigen, überwiegenden oder wenigstens gleichteiligen Verschulden des Beklagten zu erreichen. Im Zweifel war aber eine Rückziehung eines Klagegrundes nicht anzunehmen. Auch im Berufungsverfahren hat die Klägerin zwar nicht ausdrücklich gerügt, daß sich das Erstgericht nur mit dem Scheidungsgrund nach § 55 Abs 1 EheG befaßte, sie hat aber immerhin Berufungsanträge formuliert, welche ein Scheidungsbegehren auch nach § 49 EheG voraussetzen, und sie hat auch in der Ausführung der Berufungsgründe immer wieder auf die schweren Eheverfehlungen des Beklagten hingewiesen.

Unrichtig ist aber auch die Annahme des Berufungsgerichtes, der Beklagte habe zu seinem Widerspruch gegen eine Scheidung nach § 55 Abs 1 EheG und seinem Verschuldensantrag kein konkretes Vorbringen erstattet. Da (auch) der Beklagte sein früheres Vorbringen nicht zurückgezogen hat, war dieses mit zu berücksichtigen (vgl. RZ 1981/28).

Damit erweist sich aber die Sache insgesamt als noch nicht spruchreif. Zu einer Reihe von Vorgängen und Verhaltensweisen beider Streitteile fehlen ausreichende Tatsachenfeststellungen, sodaß nicht beurteilt werden kann, was die Ursachen der schließlich eingetretenen Zerrüttung der Ehe und der Aufhebung der ehelichen Gemeinschaft waren. Im einzelnen sind folgende Tatumstände aufklärungsbedürftig:

Wie gestaltete sich das eheliche Leben der Streitteile bis zum Jahr 1980? Aus welchen Gründen hatte die Klägerin den Beklagten im Jahr 1980 vorüberwiegend verlassen? Was war der Anlaß für die im Jahr 1980 oder 1981 festgestellte Beschimpfung? War dies wirklich der einzige Vorfall dieser Art? Aus welchen Gründen trugen sich beide Streitteile im Jahr 1981 mit Scheidungsgedanken? Kam es nach Abschluß des Notariatsaktes vom 6.November 1981 zu einer wirklichen Versöhnung und Normalisierung des ehelichen Zusammenlebens oder war die Ehe vielleicht damals schon unheilbar zerrüttet? Wie war das eheliche Zusammenleben in den Jahren 1981 bis 1984? Fand nach dem Abbruch der intimen Beziehungen der Klägerin zu Walter P*** eine Versöhnung der Streitteile statt (wie die Klägerin dies in ihrem Brief an den Beklagten vom 5.Juni 1985 Blg. 6 erwähnt)? Kam es wieder zu regelmäßigem ehelichen Geschlechtsverkehr? Hat der Beklagte der Klägerin den Ehebruch und die ehewidrigen Beziehungen verziehen, etwa im Zusammenhang damit, daß er sie nach dem Abbruch der Beziehungen zu Walter P*** vor diesem in Schutz nahm? Was waren die Gründe dafür, daß die Klägerin den Beklagten im April 1985 endgültig verließ? Wenn es trotz des vorhandenen ärztlichen Attestes und der Lichtbilder nicht schwere Mißhandlungen des Beklagten waren, was war sonst geschehen? Es sei hier etwa auf die Aussage der Klägerin in der Hauptverhandlung des Strafverfahrens 4 d Vr 13977/84 am 20.Juni 1985 hingewiesen, wonach sie nervlich fertig gewesen sei, weil ihr Mann sie durch die Androhung, er werde das Haus verkaufen und das ganze Geld verjubeln, unter Druck gesetzt und sie auch sonst "fertig gemacht" habe. Welche Vorfälle meinte der Beklagte, wenn er in derselben Hauptverhandlung davon sprach, daß er die Klägerin zwar nicht im April 1985 geschlagen habe, ihr aber früher "schon mal eine Ohrfeige gegeben" habe? Welcher Vorfall lag den vom Erstgericht für Herbst 1984 angenommenen Verletzungen der Klägerin (bezeugt vom Sohn der Streitteile) zugrunde? Nur lapidar zu sagen, es seien keine Mißhandlungen erwiesen, ist nicht angängig. Es widerspricht in dieser vagen allgemeinen Form nämlich den Aussagen des Beklagten und des sicher nicht für die Klägerin aussagenden Sohnes, sodaß mit dem Hinweis allein, der Klägerin werde nicht Glauben geschenkt, nicht das Auslangen gefunden werden kann. Hier liegt kein Problem der Beweiswürdigung vor, sondern es wurden zu konkreten Vorfällen keine Feststellungen getroffen. Wie kamen die Urkunden vom 7.Juni 1985 und 6.September 1985 und der Brief der Klägerin vom 5.Juni 1985 zustande? Auch hier genügt es nicht zu sagen, die Klägerin habe alles freiwillig angeboten und der Beklagte habe die Angebote der Klägerin angenommen. Solchen immerhin ungewöhnlichen Urkunden gehen Gespräche voraus, es gibt Begleitumstände, es spielen Motive eine Rolle. Das Erstgericht hat auch im zweiten Rechtsgang dem im früheren Aufhebungsbeschluß des Berufungsgerichtes enthaltenen Ergänzungsauftrag nicht entsprochen. Wie ist es zB zu erklären, daß die Klägerin etwa im gleichen Zeitpunkt vehemente Vorwürfe gegen den Beklagten erhebt (zB in ihrer schon erwähnten Aussage als Zeugin in der genannten Hauptverhandlung) und andererseits mit ihrem Einkommen offenbar völlig in Widerspruch stehende Zahlungsangebote macht und - mit ihrem Aufenthalt im Frauenhaus und den dort angegebenen Gründen im Widerspruch stehende - Schuldbekenntnisse abgibt? War sie allenfalls in diesem Zeitraum psychisch so beeinträchtigt, daß der Inhalt dieser Schreiben nicht als Indiz für die Ursachen der Zerrüttung der Ehe dienlich sein könnte? Liegt hier ein Ausnützen einer solchen psychischen Situation durch den Beklagten vor?

Wie verhält es sich mit der geltend gemachten Arbeitsscheu des Beklagten? Sind etwa die in der Aussage des Walter P*** in der Hauptverhandlung des Strafverfahrens 14 U 2576/85 am 30.Oktober 1985 vorkommenden Vorwürfe zutreffend? Hat der Beklagte zu seinem jetzigen Gesundheitszustand durch eigenes Fehlverhalten beigetragen (zB durch zu reichliches Essen und fehlende Bewegung, wie dies die Klägerin in ihrer Parteienaussage bekundet)?

Trifft es zu, daß der Beklagte die Klägerin Ende des Jahres 1987 auf die in der Parteienaussage der Klägerin in der Tagsatzung vom 1. März 1988 dargestellte Weise beschimpft und bedroht hat? Sollten sich in diesem Sinne Eheverfehlungen auch des Beklagten erweisen, wäre die Ehe nach § 49 EheG zu scheiden, wobei der Mitschuldantrag des Beklagten zu berücksichtigen wäre. Ein überwiegendes Verschulden (der Klägerin) an der Zerrüttung der Ehe käme nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes nur dann in Betracht, wenn ihre Schuld erheblich schwerer wäre und das Verschulden des Beklagten fast völlig in den Hintergrund treten und der Unterschied augenscheinlich hervortreten sollte (EFSlg 51.658 bis 51.660).

Der Ehebruch der Klägerin mit Walter P*** ist ohne Zweifel eine schwere Eheverfehlung, der besonderes Gewicht zukommt. Falls die Ehe aber schon zuvor aus dem Verschulden des Beklagten zerrüttet gewesen sein sollte oder falls der Beklagte diese Eheverfehlung verziehen oder zumindest nicht als besonders ehezerstörend empfunden haben sollte, würde jedoch dieser Ehebruch allein noch nicht dazu zwingen, das überwiegende Verschulden der Klägerin anzunehmen. Es hängt auch vom Gewicht der noch zu erhebenden sonstigen Beiträge des Beklagten zur Zerstörung der Ehe der Streitteile ab, ob der Klägerin das überwiegende Verschulden iSd obigen Ausführungen zuzumessen ist. Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 52 Abs 1 ZPO.

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