Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben und die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Text
Begründung
Die mj. Kinder Franz, geboren am 14.12.1976, und Rita, geboren am 15.4.1980, entstammen der Ehe des Johann G*** mit Ruth G*** (nunmehr K***). Diese Ehe wurde mit Urteil des Landesgerichtes St.Pölten vom 28.6.1985, 2 Cg 25/85-11, rechtskräftig geschieden. Mit Beschluß vom 4.10.1985 hat das Bezirksgericht St.Pölten die elterlichen Rechte hinsichtlich der beiden Kinder der Mutter zugewiesen. Dieser Entscheidung lag ein Sachverständigengutachten zugrunde, in dem die spätere richterliche Entscheidung empfohlen worden war. Dem Vater wurde ein Besuchsrecht
eingeräumt.
Im Herbst 1985 hatte die Mutter mit den Kindern die bisherige gemeinsame Ehewohnung in St.Pölten verlassen. Sie blieb in St.Pölten, wo sie als Diplomkrankenschwester berufstätig war. Franz besuchte damals die Otto-Glöckl-Ganztagsschule, Rita den Kindergarten. In der Folge zog die Mutter mit den Kindern zu ihrem damaligen Lebensgefährten Erwin G*** in Wien. Beide Kinder besuchten in Wien 3. eine Volksschule. Nachdem sich die Mutter von ihrem Lebensgefährten getrennt hatte, übersiedelte sie am 1.9.1987 mit den Kindern nach Rainfeld an der Gölsen, wo sie eine Mietwohnung in einem ehemaligen Arbeiterquartier innehat. Diese Wohnung ist über eine Außentreppe und einen Freigang erreichbar. Von diesem betritt man die etwa 12 m2 große Küche und einen anschließenden Wohnraum von etwa 20 m2. Das Wohnzimmer wird von einer in einer anderen Wohnung befindlichen Zentralheizungsanlage mitbeheizt, die Küche ist selbst beheizbar. Die Einrichtung ist zweckmäßig, jedoch sehr einfach. Die Wohnung und die Kinder werden sauber gehalten. Die Toilette befindet sich außerhalb der Wohnung. Eine Bademöglichkeit ist derzeit nicht vorhanden, für die Körperreinigung wird die Abwasch in der Küche mitbenützt. In nächster Zeit sollen die Räumlichkeiten mit einer kürzlich freigewordenen Nebenwohnung zusammengelegt werden, wodurch ein Raum der Nachbarwohnung zu einem Badezimmer umgebaut werden kann. Mit dem Revisionsrekurs wird eine Bestätigung des Hauseigentümers vorgelegt, aus dem sich ergibt, daß die Mutter bereits Mieterin der Nachbarwohnung ist, an dieser derzeit gearbeitet wird und diese Wohnung bald bezugsfertig ist. Ein Bad mit WC und ein dritter Raum kommen zur bestehenden Wohnung dazu. Seit Juli 1988 ist die Mutter als Hauskrankenpflegerin bei der Volkshilfe 20 Stunden pro Woche berufstätig. Die Arbeiten erledigt sie zumeist am Vormittag, sodaß sie die Kinder, wenn diese aus der Schule kommen, betreuen kann.
Franz besucht derzeit die zweite Klasse Hauptschule in St.Veit an der Gölsen, Rita die rund 200 m vom Wohnhaus entfernt gelegene zweiklassige Volksschule mit Abteilungsunterricht in Rainfeld. Franz ist nach den Noten des letzten Schuljahres ein überdurchschnittlich guter Schüler, Rita bewegt sich im Durchschnitt. Beide Kinder haben sich in Rainfeld eingelebt. Sie sind tadellos gepflegt, ihre Kleidung ist einwandfrei. Während Franz lieber beim Vater sein will, weil er sich von St.Pölten mehr verspricht als von Rainfeld und weil er dort von früher her mehr Freunde hat als jetzt, ist Rita in dieser Hinsicht unentschlossen. Ihr gefällt es in Rainfeld gut. Der Vater ist neuerlich verheiratet, seine Frau hat vor einigen Monaten einen Sohn namens Michael zur Welt gebracht. Das Ehepaar mit dem Kleinkind bewohnt in St.Pölten eine 86 m2 große Wohnung im zweiten Stock, wovon 8 m2 verglaster Balkon sind. Diese Wohnung besteht aus einem Wohn-Schlafzimmer, einem Kinderzimmer für Franz und Rita sowie einem Kinderzimmer für Michael. Eine Küche, ein Bad, ein WC und ein Abstellraum sind im Wohnverband vorhanden. Die Wohnung wird zentral beheizt. Auch diese Wohnung befindet sich in gutem Zustand. Die beiden Kinder aus erster Ehe besuchen ihren Vater wöchentlich zweimal. Man hat den Eindruck, daß sie sich dort zu Hause fühlen. Sie werden sowohl von ihrem Vater als auch von der Stiefmutter gut betreut. Ob die nunmehrige Ehegattin des Vaters nach ihrem Karenzurlaub wieder berufstätig sein wird, ist noch nicht sicher. Der Vater hat inzwischen den Leiterposten einer Volksschule in der Umgebung von St.Pölten erhalten.
Aufgrund eines Antrages des Vaters, nunmehr ihm anstelle der Mutter die Rechte bezüglich der Kinder zuzuerkennen, hat das Erstgericht ausgesprochen, daß diese Rechte nach wie vor bei der Mutter bleiben. Es hat die Rechtsansicht vertreten, eine Entziehung der Elternrechte unter gleichzeitiger Zuteilung an den anderen Elternteil komme nur bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 176 ABGB in Frage. Dies setze aber voraus, daß die Belassung des derzeitigen Zustandes geradezu eine Gefährdung der Kinder mit sich bringe. Dies sei hier nicht der Fall.
Das Rekursgericht hat mit der angefochtenen Entscheidung alle aus den familienrechtlichen Beziehungen zwischen den Eltern und den Kindern erfließenden rein persönlichen Rechte und Pflichten des § 144 ABGB der Mutter entzogen und sie dem Vater zuerkannt. Es hat hiebei die Rechtsansicht vertreten, der Umstand, daß die Kinder nunmehr im ländlichen Milieu aufwachsen müssen und der Besuch einer höheren Schule mit wesentlich größeren Schwierigkeiten verbunden wäre, stelle im Zusammenhang mit den begrenzten Wohnverhältnissen bei der Mutter eine Gefährdung des Wohles der Kinder dar. Es lägen also die Voraussetzungen des § 176 ABGB vor.
Rechtliche Beurteilung
Der von der Mutter gegen die Entscheidung des Rekursgerichtes erhobene Revisionsrekurs ist gerechtfertigt.
Das Fehlen einer dem § 142 Abs 2 ABGB aF entsprechenden Bestimmung im neuen Gesetz stellt klar, daß die einmal einem Elternteil zuerkannten rein persönlichen Rechte aus dem Eltern- und Kindschaftsverhältnis nur dann auf den anderen übertragen werden dürfen, wenn die Voraussetzungen des § 176 Abs 1 ABGB nF vorliegen (EvBl 1979/185, SZ 51/136 ua). Eine Änderung der Zuerkennung der elterlichen Rechte und Pflichten im Sinne des § 177 ABGB an einen Elternteil setzt ein Verhalten desselben voraus, das die Interessen seines Kindes gefährdet. Eine solche Änderung darf daher vom Pflegschaftsgericht nur dann angeordnet werden, wenn sie im Interesse des Kindes dringend geboten ist, wobei bei Beurteilung dieser Frage grundsätzlich ein strenger Maßstab anzulegen ist (SZ 51/136, EFSlg 33.621 ua). Bloß geringfügige Veränderungen der Interessenlage rechtfertigen demnach nicht eine solche Änderung, sondern nur der Umstand, daß das Wohl des Kindes gefährdet ist und daß also besonders wichtige Gründe vorliegen, die eine Änderung dringend geboten erscheinen lassen (EvBl 1979/185, 7 Ob 616/88 ua). Daraus ergibt sich aber, daß der bloße Umstand, daß eine Änderung des Pflegeplatzes für die Kinder vielleicht gewisse Vorteile mit sich bringen könnte, noch nicht eine diesbezügliche Entscheidung rechtfertigt.
Im vorliegenden Fall ergibt sich, daß beide Elternteile um das Wohl der Kinder sehr bemüht sind und von einer Nichteignung der Betreuung und Erziehung der Kinder bei keinem von ihnen die Rede sein kann. Die Wohnverhältnisse sind zwar beim Vater derzeit eindeutig besser, doch wurde bereits im vorinstanzlichen Verfahren klargelegt, daß die Mutter zu ihrer bisherigen Wohnung Räume dazubekommen wird, die eine entsprechende Vergrößerung und Ausgestaltung ihrer Wohnung ermöglichen. Durch die Vorlage einer Bestätigung des Hauseigentümers dürfte diese im vorinstanzlichen Verfahren zum Ausdruck gebrachte Hoffnung erfüllt worden sein. Zieht man aber die zusätzlichen Räume und die offenbar in Angriff genommene Verbesserung in Betracht, so ergibt sich, daß unter Berücksichtigung der derzeitigen Benützung der beiderseitigen Wohnungen der den einzelnen Familienmitgliedern in der Wohnung des Vaters bei Hinzutreten der beiden Kinder zur Verfügung stehende Platz nicht größer ist als der bei der Mutter. Ob die eine oder die andere Wohnung etwas moderner, zweckmäßiger oder schöner ist, kann bei einer Entscheidung über die Änderung der Rechte im Sinne des § 176 ABGB keine Rolle spielen.
Die Tatsache, daß die Kinder nunmehr im ländlichen Milieu aufwachsen, ist wohl kein geeignetes Argument für die Annahme der Gefährdung ihres Wohles. Man kann nämlich nicht grundsätzlich davon ausgehen, daß das Aufwachsen im ländlichen Raum derart schlechtere Bedingungen für Kinder schafft, daß daraus eine Gefährdung ihres Wohles abzuleiten wäre. Nur in Ausnahmsfällen, etwa wenn Kinder im städtischen Raum bereits derart seelisch integriert sind, daß die Versetzung in den ländlichen Raum für sie mit einer möglichen Schädigung verbunden wäre, könnte dies der Fall sein. Derartiges steht hier nicht fest.
Gewisse Präferenzen eines Kindes für einen Elternteil mögen, vor allem bei Kindern, die dem Volksschulalter bereits entwachsen sind, eine Rolle spielen, dürfen jedoch nicht überbewertet werden. Es ist eine bekannte Tatsache, daß Kinder, vor allem in der Pubertätsphase, häufig zu Personen tendieren, mit denen sie nicht ständig zusammenleben müssen, die sie daher aus einem etwas unrealistischen Blickwinkel betrachten. Diese Betrachtungsweise führt häufig zu Idealisierungen, die der Realität nicht entsprechen. Dies birgt die Gefahr in sich, daß bei Erkennen der Realität aufgrund eines ständigen Zusammenseins Enttäuschungen und damit Ablehnungen der bisher idealisierten Person durch den Minderjährigen umso größer sind. Auch der Umstand, daß der minderjährige Franz derzeit eindeutig zu seinem Vater tendiert, ist daher noch nicht ein derart schwerwiegendes Moment, daß hiedurch die Entscheidung des Rekursgerichtes gerechtfertigt würde. Natürlich kann es nicht von entscheidender Bedeutung sein, daß die Mutter derzeit keinen männlichen Partner hat. Würde man dies berücksichtigen, müßte im Fall einer Scheidung einer Ehe wegen ständigen Ehebruchs mit einem Partner die Zuteilung der Kinder aus der Ehe nicht an den ehebrecherischen Teil erfolgen, wenn dieser nach der Scheidung mit seinem Ehebruchspartner zusammenbleibt. Daß dies als Regel absurd wäre, bedarf wohl keiner weiteren Begründung.
Es bleibt schließlich die Frage der Schulmöglichkeiten, die allerdings unter Umständen gewichtig sein könnte. Diesbezüglich erweisen sich jedoch die bisherigen Feststellungen als nicht ausreichend.
Sicherlich wird das Wohl eines Kindes erheblich dadurch gefährdet, daß man ihm die Ausbildungsmöglichkeiten versagt, die Voraussetzung für eine seinen Neigungen und Begabungen entsprechende Entwicklung sind. Ob bei den Kindern im vorliegenden Fall die derzeitige Schulausbildung eine solche Gefährdung bewirken könnte, wobei natürlich bloß vage Möglichkeiten nicht entscheidend sind, wurde noch nicht hinreichend geklärt. Eine These dahin, daß eine Mittelschulausbildung grundsätzlich besser ist als ein Hauptschulabschluß mit einer vielleicht sehr aussichtsreichen und für den Betroffenen befriedigenden Ausbildung und Berufschance, läßt sich gerade heute nicht aufrechterhalten. Es ist allgemein bekannt, daß ein erheblicher Teil der Mittelschulabsolventen diesen Weg bald als Sackgasse erkennt, wogegen andere Schulabschlüsse zu einer Berufslaufbahn führen, die von den Betroffenen als befridigend empfunden wird. Schließlich gibt es heutzutage eine Reihe von Schultypen, deren Abschluß dem Gymnasialabschluß durchaus gleichwertig ist, und die einen wesentlich leichteren späteren Einstieg ermöglichen, als dies beim Gymnasium der Fall ist. Vor allem dürfte dies bei dem vom mj. Franz angeblich angestrebten Ziel, der Ausbildung in einer HTL, der Fall sein. Hier wird der fehlende Lateinunterricht ab der 3.Schulstufe wohl kaum ein Hindernis darstellen.
Was die konkreten Berufs- und Ausbildungschancen der beiden Kinder anlangt und inwieweit gewisse Ausbildungsschritte sinnvoll sind und gegenüber dem bisherigen Ausbildungsgang einen so großen Vorteil bilden, daß bei Beibehaltung des bisherigen Zustandes von einer Gefährdung des Wohles der Kinder geredet werden könnte, wurde bisher nicht hinreichend erhoben. Hier werden wohl kaum die Wünsche der Kinder oder die Vorstellungen des Vaters oder der Mutter allein ausschlaggebend sein können. Vielmehr wird eine fachmännische Überprüfung notwendig sein.
Sollte sich herausstellen, daß bezüglich der Kinder oder eines der Kinder die bisherige Art der Ausbildung nicht vertretbar ist, so müßte vorerst die Mutter zur Stellungnahme zu der von ihr vielleicht noch gar nicht erkannten Situation aufgefordert und von ihr verlangt werden darzulegen, ob und auf welche Weise sie beabsichtigt, dem nunmehr zutage getretenen Ausbildungsmißstand abzuhelfen. Erst wenn sich herausstellen sollte, daß die Mutter zu einer im Zuge eines ergänzenden Verfahrens hervorgekommenen notwendigen Abhilfe nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, müßte mit der Entziehung der bisherigen Rechte vorgegangen werden.
Im aufgezeigten Sinn erweist sich der Revisionsrekurs demnach als gerechtfertigt.
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