OGH 4Ob24/89 (4Ob25/89)

OGH4Ob24/89 (4Ob25/89)9.5.1989

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Prof. Dr. Friedl als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Gamerith, Dr. Kodek, Dr. Niederreiter und Dr. Redl als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei prot. Firma "S***" S*** V***, Graz, Schönaugasse 64, vertreten durch

Dr. Heinrich Kammerlander jun., Rechtsanwalt in Graz, wider die beklagte Partei C*** Werbe- und p.r.-Agentur Gesellschaft m. b.H., Klagenfurt, Karfreitstraße 24/4, vertreten durch Dr. Farhad Paya, Rechtsanwalt in Klagenfurt, wegen Unterlassung und Urteilsveröffentlichung (Gesamtstreitwert: 362.000 S; Streitwert im Provisorialverfahren: 301.000 S; Revisionsinteresse: 321.333,33 S), infolge Revisionsrekurses und Revision der beklagten Partei gegen den Beschluß und das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Rekurs- und als Berufungsgerichtes vom 14. November 1988, GZ 4 a R 210/88-14, und 4 a R 170/88-15, womit infolge Rekurses und Berufung der klagenden Partei der Beschluß des Landesgerichtes Klagenfurt vom 6. April 1988, GZ 23 Cg 81/88-3, und das Urteil dieses Gerichtes vom 9. Mai 1988, GZ 23 Cg 81/88-7, abgeändert wurden, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Weder dem Revisionsrekurs noch der Revision wird Folge gegeben. Die beklagte Partei hat die Kosten ihres Revisionsrekurses endgültig selbst zu tragen; die klagende Partei hat die Kosten der Revisionsrekursbeantwortung vorläufig selbst zu tragen. Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 12.364,20 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten 2.060,70 S Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin ist Herausgeberin und Verlegerin der Tageszeitung "Kleine Zeitung", die täglich mit einer Ausgabe für Kärnten und Osttirol erscheint. Die Beklagte ist Medieninhaberin und Herausgeberin der Anzeigenblätter "der Villacher Blick" sowie "der Klagenfurter Blick", die in monatlichen Abständen gratis an jeden Haushalt in Klagenfurt, Villach und Umgebung verteilt werden. Sowohl in der Tageszeitung der Klägerin als auch in den beiden Gratis-Zeitungen der Beklagten werden (u.a.) auch zu Werbe- oder Mitteilungszwecken entgeltliche Anzeigen veröffentlicht. In den Erstausgaben der Gratis-Zeitungen der Beklagten vom Oktober 1987 fand sich auf den Seiten 3 folgende Ankündigung:

Mit der Behauptung, daß die Ankündigung von 200.000 Lesern für die Zeitungen der Beklagten eine unrichtige, zur Irreführung geeignete Angabe über deren Stellung als Werbemedium sei, weil sie in einer Erstausgabe nur rein fiktiv sein könne und ihr darüber hinaus auch jeglicher Hinweis auf eine sachliche Grundlage fehle, beantragt die Klägerin, die Beklagte schuldig zu erkennen, im geschäftlichen Verkehr beim Vertrieb ihrer beiden periodischen Druckschriften die Ankündigung nicht den Tatsachen entsprechender Leserzahlen, insbesondere die Behauptung, daß die Anzeigenblätter "der Villacher Blick" und "der Klagenfurter Blick" 200.000 Leser erreichten, zu unterlassen; außerdem begehrt sie die Ermächtigung zur Urteilsveröffentlichung in der "Kleinen Zeitung", Ausgabe für Kärnten und Osttirol, in der "Neuen Kronen-Zeitung", Ausgabe für Kärnten, in der "Kärntner Tageszeitung" und der "Kärntner Volkszeitung" sowie in den beiden Anzeigenblättern der Beklagten. Zur Sicherung ihres Unterlassungsanspruches beantragte die Klägerin überdies die Erlassung einer inhaltsgleichen einstweiligen Verfügung. Die Beklagte beantragt die Abweisung sowohl des Klage- als auch des Sicherungsbegehrens. Ihrer Werbeankündigung fehle jegliche Irreführungseignung; die angeführte Leserzahl sei einfach das Produkt einer theoretischen Hochrechnung. Die Beklagte habe die Auflagezahl ihrer beiden Druckwerke (insgesamt 85.000 Stück) durch Fettdruck deutlich hervorgehoben. Im Hinblick auf die Gratisverteilung der beiden Zeitungen an die Haushalte im Großraum Klagenfurt und Villach seien theoretisch 2,5 Leser pro Haushalt erreichbar. Diese Tatsache bzw. Berechnungsmethode sei den in Betracht kommenden Verkehrskreisen allgemein bekannt und auch statistisch nachweisbar. Im übrigen dürfe der Hinweis auf die Erreichbarkeit von 200.000 Lesern, welcher erst im kleingedruckten Text aufscheine und daher gar nicht gelesen werde, nicht aus dem Zusammenhang des Gesamterscheinungsbildes der Werbeankündigung herausgerissen werden. Danach seien aber die deutlich hervorgehobenen Auflagezahlen maßgeblich; auf sie richte sich das Interesse der angesprochenen Verkehrskreise in erster Linie. Im Zusammenhang mit der Auflagezahl sei daher die beanstandete Ankündigung nicht geeignet, den Entschluß des Lesers zur Inanspruchnahme der angebotenen Leistung zu beeinflussen. Bei Zweifelsfragen sei für die umworbenen Verkehrskreise immer die Auflagezahl und nicht die Leserzahl das entscheidende Kriterium, zumal ihnen die wesentlich leichtere Manipulierbarkeit von Leserzahlen bewußt sei.

Das Erstgericht wies sowohl den Sicherungsantrag der Klägerin als auch deren Klagebegehren zur Gänze ab. Den eingangs wiedergegebenen Sachverhalt beurteilte es rechtlich dahin, daß die beanstandete Werbeankündigung in keiner Weise zur Irreführung geeignet sei. Sie könne im Hinblick auf die deutlich hervorgehobene Auflagezahl von insgesamt 85.000 Stück nur so verstanden werden, daß 200.000 Lesern die Gelegenheit geboten werde, von der Zeitschrift "Blick" Kenntnis zu nehmen. Die Größe dieses Personenkreises könne nur annähernd, nämlich durch Schätzung unter Berücksichtigung der durchschnittlichen Personenzahl pro Haushalt ermittelt werden. Eine Durchschnittszahl von 2,5 Personen je Haushalt in Mittelkärnten sei aber durchaus wirklichkeitsnah. Die Ankündigung der Beklagten, ihre Zeitungen könnten 200.000 Leser erreichen, sei daher richtig. Ob diese Zeitungen tatsächlich von so vielen Personen gelesen würden, sei unerheblich, habe doch die Beklagte eine derartige Behauptung gar nicht aufgestellt.

Das Gericht zweiter Instanz erließ die beantragte einstweilige Verfügung. Im Hauptverfahren gab es dem Unterlassungsbegehren der Klägerin zur Gänze statt und erteilte ihr die Ermächtigung zur Urteilsveröffentlichung in den beiden Zeitungen der Beklagten. Das Mehrbegehren auf Urteilsveröffentlichung auch in den angeführten Tageszeitungen blieb (insoweit rechtskräftig) abgewiesen. Das Gericht zweiter Instanz sprach aus, daß der Wert des Beschwerdegegenstandes im Provisorialverfahren 300.000 S übersteige; der Wert des Streitgegenstandes, über den das Berufungsgericht im Hauptverfahren entschieden habe, übersteige insgesamt 300.000 S, ebenso jener des abändernden Teiles. Das Gericht zweiter Instanz traf im Berufungsverfahren folgende ergänzende Tatsachenfeststellungen:

Die Beklagte hat seit dem ersten Erscheinen ihrer "Blick"-Zeitungen noch keine Media-Analyse durchgeführt. Ihr Geschäftsführer weiß daher selbst nicht, ob die Zeitungen tatsächlich 200.000 Leser haben, wie dies von ihm unter Zugrundelegung von 2,5 Personen pro Haushalt (hochgerechnet) geschätzt worden ist.

Rechtlich vertrat das Gericht zweiter Instanz die Auffassung, daß die Beklagte mit der beanstandeten Ankündigung gegen § 2 UWG verstoßen habe. Es komme nicht darauf an, ob es sich dabei um eine wirklichkeitsnahe Schätzung der Beklagten auf Grund der Auflagezahl ihrer Zeitungen handle; die Ankündigung, daß dem Inserenten 200.000 Leser "sicher" seien, lasse die angesprochenen Anzeigekunden auf eine konkrete Leserzahlerhebung schließen. In Verbindung mit der Gesamttextierung, insbesondere dem "umgerechneten" günstigen Werbetarif von "rund 11 Groschen" je Leser, enthalte die Ankündigung einen zur Irreführung geeigneten "Tatsachenkern". Die Irreführungseignung werde entgegen der Meinung der Beklagten auch nicht durch die drucktechnische Hervorhebung der Auflagezahl und die daraus möglichen Folgerungen für die angegebene Leserzahl ausgeschlossen; es könne nämlich den angesprochenen Verkehrskreisen nicht zugemutet werden, Kombinationen und Wahrscheinlichkeitsberechnungen anzustellen, um den wahren Gehalt der Werbebehauptung zu ergründen. Nicht einmal die Beklagte selbst habe die Richtigkeit der von ihr als "sicher" dargestellten Leserzahl zu behaupten vermocht; sie habe vielmehr diese Zahl als "Produkt einer theoretischen Hochrechnung" aus der Auflagezahl in Verbindung mit der Gratisverteilung der Zeitungen an alle Haushalte dargestellt. Es sei daher von der Unrichtigkeit der beanstandeten Ankündigung auszugehen. Durch sie werde der angesprochene Durchschnittsinteressent bei flüchtiger Wahrnehmung dazu veranlaßt, den Zeitungen der Beklagten eine höhere Stellung als Werbemedium einzuräumen, als ihnen tatsächlich zukomme; er werde sich daher lieber dem Inseratenangebot der Beklagten zuwenden. Gegen diese Entscheidungen des Gerichtes zweiter Instanz richten sich der Revisionsrekurs und die Revision der Beklagten wegen Mangelhaftigkeit des Verfahrens und unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, die Entscheidungen des Erstgerichtes wiederherzustellen; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt. Die Klägerin stellt den Antrag, den beiden Rechtsmitteln der Beklagten nicht Folge zu geben.

Weder der Revisionsrekurs noch die Revision sind berechtigt. Die geltend gemachte Aktenwidrigkeit und Mangelhaftigkeit des Rekurs- und des Berufungsverfahrens liegt nicht vor (§§ 510 Abs.3, 528 a ZPO).

In den Rechtsrügen ihrer beiden Rechtsmittel beharrt die Beklagte auf ihrer Ansicht, daß die von ihr errechnete erreichbare Leserzahl - ausgehend von der bekanntgegebenen Auflagezahl ihrer beiden Zeitungen und davon, daß sich in dem in der Werbeankündigung kartographisch dargestellten Verteilungsgebiet Mittelkärntens zumindest 85.000 Haushalte mit einer durchschnittlichen Größe von 2,5 Personen befinden - richtig sei. Hiebei handle es sich um eine vom Verein Media-Analyse anerkannte, streng wissenschaftliche Berechnungsmethode über die Nutzung von Medien auf Grund von Frequenzangaben. Überdies dürfe die beanstandete Ankündigung nicht für sich allein, sondern nur im Zusammenhang mit dem Gesamttext betrachtet werden; letzterer schließe aber jegliche Irreführungseignung aus.

Rechtliche Beurteilung

Diesen Ausführungen ist folgendes entgegenzuhalten:

Gleichviel, ob die strittige Ankündigung der Beklagten für sich allein oder im Zusammenhang mit dem Gesamtinhalt ihrer Werbeaussagen betrachtet wird, enthält sie in jedem Fall die an die potentiellen Inseratenkunden gerichtete ausdrückliche Zusage: "200.000 Leser sind Ihnen sicher!" Diese Zusage, daß ein Inserat in den beiden Zeitungen der Beklagten sicher von 200.000 Personen gelesen werde, wird durch das kartographisch dargestellte Verbreitungsgebiet der Zeitungen und deren Auflagezahlen sowie den Hinweis, daß sie auf Anhieb fast die komplette Bevölkerung im Großraum Villach und Klagenfurt erreichten, noch besonders verstärkt. Die Ankündigung der Beklagten ist daher nicht etwa ein bloßer Hinweis auf eine mögliche Erreichbarkeit von 200.000 Lesern. Daß sie von den angesprochenen Verkehrskreisen als Tatsachenaussage und nicht als bloße Meinungskundgabe aufgefaßt wird, ergibt sich schon aus der als "sicher" zugesagten Leserzahl. Diese Aussage muß daher wahr sein, weil andernfalls eine irreführende Angabe im Sinne des § 2 UWG vorliegt. Daß ersteres der Fall wäre, hat aber die Beklagte selbst im erstinstanzlichen Verfahren gar nicht behauptet; sie mußte vielmehr selbst zugeben, daß die von ihr angeführte Leserzahl einfach ein Produkt einer theoretischen Hochrechnung gewesen sei, die auf der Auflagezahl ihrer Zeitungen in Verbindung mit deren Gratisverteilung an Haushalte mit theoretisch je 2,5 Lesern beruhe. Dabei übersieht sie, daß eine solche Berechnung schon deshalb offensichtlich falsch ist, weil darin völlig unberücksichtigt bleibt, daß sich unter den 2,5 Personen pro Haushalt zu einem jedenfalls nicht geringen Teil auch solche befinden, die im Hinblick auf Krankheit oder Alter - man denke nur an Kleinkinder oder Kinder im Volksschulalter - überhaupt keine Zeitungen lesen. Im allgemeinen ist "Leser" nur derjenige, der eine Zeitung oder Zeitschrift gelesen oder durchgeblättert und damit die Chance gehabt hat, mit der in ihr enthaltenen Werbung in Kontakt zu kommen (Ochs, Wettbewerbsrechtliche Probleme der Presse Rz 110). Wenn auch die Höhe der Auflage als solche ein wichtiges Indiz für die Bedeutung einer Zeitung oder Zeitschrift sowohl auf dem Leser- als auch auf dem Anzeigenmarkt sein mag (Ochs aaO Rz 47), so ist doch für den Anzeigekunden und für die werbungtreibende Wirtschaft das wesentlichste Entscheidungskriterium für die Belegung eines Werbeträgers mit Anzeigen dessen Leserzahl; nur der Leser einer Zeitung oder Zeitschrift kann nämlich die in ihr enthaltenen Anzeigen wahrnehmen (Ochs aaO Rz 90). Die Leserschaft von Zeitungen oder Zeitschriften kann aber innerhalb einer relevanten Grundgesamtheit nur durch eine Reichweitenuntersuchung, die auch als "Leser-Analyse" ("Media-Analyse") bezeichnet wird, festgestellt werden (Ochs aaO Rz 86 ff und 108). Deshalb hält auch die deutsche Rechtsprechung mit Recht daran fest, daß eine Werbung, die sich auf Leser bezieht, nur auf Grund einer Reichweitenuntersuchung (Leser-Analyse) zulässig sei (Ochs aaO Rz 121).

Aus dem bisher Gesagten folgt bereits, daß die in Rede stehende Werbeankündigung der Beklagten - die auch als bloßes Ergebnis einer theoretischen Hochrechnung offensichtlich nicht bestehen könnte - schon deshalb unrichtig ist, weil sie auf keiner entsprechenden Reichweitenuntersuchung beruhte. Auch ihre Irreführungseignung kann nicht fraglich sein, weil derartige Angaben über die Leserzahl das wesentlichste Entscheidungskriterium für die angesprochenen potentiellen Anzeigekunden bilden. Dabei handelt es sich nach den zutreffenden Ausführungen des Gerichtes zweiter Instanz um eine Rechtsfrage, zu deren Beurteilung - wie oben dargestellt - die Erfahrungssätze des täglichen Lebens genügen (ÖBl 1985, 105 uva).

Auf die in der Revision der Beklagten erstmals erhobene Behauptung eines gleichartigen Wettbewerbsverstoßes der Klägerin war schon deshalb nicht einzugehen, weil es sich dabei um eine unbeachtliche Neuerung handelt.

Der Ausspruch über die Kosten der Klägerin im Provisorialverfahren beruht auf § 393 Abs.1 EO, jener über die Kosten der Beklagten auf § 402 Abs.2, § 78 EO und §§ 40, 50 und 52 Abs.1 ZPO. Der Ausspruch über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO.

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