Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Der Beklagte ist schuldig, dem Kläger die mit 3.706,20 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin 617,70 S Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Der Kläger ist Eigentümer der Wohnung Nr. 19 im Hause Wien 14., Linzerstraße 265/II. Sein Wohnungseigentum ist bücherlich eingetragen.
Der Beklagte ist Mieter der erwähnten Wohnung.
Die Vorinstanzen haben die auf § 30 Abs.2 Z 8 lit b gestützte Aufkündigung des Mietverhältnisses für rechtswirksam erkannt, wobei sie folgende Feststellungen trafen:
Der Kläger benötigt die Wohnung für seinen Sohn Franz W***. Dieser wurde nach Ableistung seines Präsenzdienstes von seinem bisherigen Arbeitgeber in eine Wiener Filiale der Firma versetzt. Der Sohn des Klägers verdient monatlich 8.000 S. Er hat in Wien keine Wohnmöglichkeit. Derzeit wohnt er bei seiner Großmutter in einer Zimmer-Küche-Kabinett-Wohnung, doch handelt es sich hiebei nur um eine vorübergehende Wohnmöglichkeit, weil seine Großmutter 75 Jahre alt ist und durch späteres Heimkommen ihres Enkels gestört wird. Schließlich steht dem Sohn des Klägers dort nur eine Notschlafstelle zur Verfügung.
Der Kläger hat ein jährliches Nettoeinkommen von ca. 120.000 S. Ihm fehlen die Mittel für die Finanzierung einer anderen Wohnung für seinen Sohn.
Das Berufungsgericht führte in rechtlicher Hinsicht aus, es bestehe ein dringender Bedarf des Klägers für die Wohnversorgung seines Sohnes. Eine Interessenabwägung habe zu entfallen, weil es sich um eine Eigentumswohnung handle. Aus diesem Grunde habe eine Gegenüberstellung der beiderseitigen finanziellen Möglichkeiten zu unterbleiben, weil diese Frage nur im Zusammenhang mit einer Interessenabwägung zu prüfen sei.
Das Berufungsgericht hat ausgesprochen, daß der Wert des Streitgegenstandes 60.000 S, nicht aber 300.000 S übersteigt und die Revision für zulässig erklärt.
Rechtliche Beurteilung
Die vom Beklagten gegen die Entscheidung des Berufungsgerichtes wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobene Revision ist nicht gerechtfertigt.
Richtig hat das Berufungsgericht erkannt, daß der Kündigungstatbestand des § 30 Abs.2 Z 8 MRG dem des seinerzeitigen § 19 Abs.2 Z 5 MG entspricht, weshalb die zu der letztgenannten Bestimmung ergangene Rechtsprechung auch für die Bestimmung des § 30 Abs.2 Z 8 MRG anwendbar ist (7 Ob 616/87, 7 Ob 598/84 ua). Durch die Erlassung des MRG sollte der an das Erfordernis des dringenden Eigenbedarfes anzulegende strenge Maßstab trotz leichter Entspannungen auf dem Wohnungsmarkt nicht gelockert werden (JBl 1985, 238 ua). Dieser Kündigungsgrund ist demnach nur dann gegeben, wenn auf Seiten des Vermieters ein Notstand, also die unabweisliche Notwendigkeit, den bestehenden Zustand sobald als möglich zu beseitigen, vorliegt und dies nur durch die Kündigung des bestehenden Mietvertrages möglich ist. Wenn dem Bedarf des Vermieters durch eine entsprechende Neuverteilung der ihm zur Verfügung stehenden Räume abgeholfen werden kann, ist dringender Eigenbedarf nicht gegeben (MietSlg. 28.312, 26.253, 23.358 ua). Allerdings dürfen dem Vermieter wirtschaftlich unzumutbare Aufwendungen nicht aufgelastet werden (MietSlg. 20.399 ua). Prüft man die Umstände des vorliegenden Falles unter Zugrundelegung der aufgezeigten Grundsätze, so muß unter Außerachtlassung der finanziellen Frage der dringende Eigenbedarf des Klägers bejaht werden. Die gekündigte Wohnung wird nach den getroffenen Feststellungen für einen nahen Angehörigen des Klägers dringend benötigt. Dieser hat seinen Arbeitsplatz nunmehr in Wien und verfügt über keine andere Wohnmöglichkeit. Daß er sich mit seinem festgestellten Monatseinkommen von 8.000 S eine Wohnung nur schwerlich beschaffen kann, bedarf keiner näheren Begründung. Demnach ist das Vorliegen eines Notstandes auf Seite des Klägers zu bejahen.
Es war also nur zu prüfen, ob auf die finanziellen Verhältnisse der Streitteile schon bei der Prüfung des dringenden Eigenbedarfes einzugehen war oder ob diese Frage, wie das Berufungsgericht annimmt, in den Bereich der Interessenabwägung fällt. Da es sich nämlich um eine vermietete Eigentumswohnung handelt, hat gemäß § 30 Abs.2 Z 8 lit.b MRG eine Interessenabwägung zu entfallen. Würde demnach die Prüfung der finanziellen Verhältnisse nur der Interessenabwägung dienen, so könnte die Außerachtlassung dieser Frage keine unrichtige rechtliche Beurteilung begründen. Auch von der Revision wird zugestanden, daß die gesamte bisherige Judikatur die finanzielle Frage im Zusammenhang mit einer Eigenbedarfskündigung ausschließlich im Rahmen der Interessenabwägung erörtert hat. Daraus zieht das Berufungsgericht den Schluß, daß der Oberste Gerichtshof die finanzielle Frage als für die Prüfung des Eigenbedarfes entbehrlich erachtet hat. Diese Schlußfolgerung muß jedoch nicht unbedingt zwingend sein, weil vor Erlassung des MRG der Fortfall der Interessenabwägung in den meisten Fällen nicht vorgesehen war und demnach die Entscheidung über eine Eigenbedarfskündigung meist eine Interessenabwägung voraussetzte, so daß die Erörterung der finanziellen Verhältnisse im Rahmen der Interessenabwägung auch bloß im systematischen Aufbau der Entscheidungen begründet sein konnte. Auch Literaturstellen, die über diese Frage einen Aufschluß geben könnten, sind dem erkennenden Senat nicht bekannt.
Geht man von der Absicht und der Tendenz des Gesetzgebers im Zusammenhang mit den übrigen bürgerlich-rechtlichen Bestimmungen aus, so muß beachtet werden, daß nach wie vor im bürgerlichen Recht der im § 354 ABGB verankerte Grundsatz gilt, daß Eigentum die Befugnis ist, mit der Substanz und den Nutzungen einer Sache nach Willkür zu schalten und jeden anderen davon auszuschließen. Daraus ergibt sich aber das Recht des Eigentümers, die ihm gehörige Sache nach seinem Belieben zu nutzen. Grundsätzlich hat daher der Eigentümer das Recht, eine Sache zu vermieten oder sie selbst zu verwenden. Bezüglich der Beendigung eines Mietverhältnisses ist er nach den Bestimmungen des ABGB lediglich durch vertragliche Beziehungen beschränkt. Dieser allgemeine Grundsatz gilt nur dort nicht oder nur in eingeschränktem Ausmaß, wo entgegenstehende Bestimmungen eine Ausnahme verfügen. Derartige entgegenstehende Bestimmungen sind die Kündigungsbeschränkungen des MRG. Wenn diese Bestimmungen die Eigenbedarfskündigung auf den Fall der unbedingten Notwendigkeit einschränken, kann daraus noch nicht abgeleitet werden, daß der Vermieter zur Befriedigung seines Wohnbedarfes grundsätzlich auf eine nicht in seinem Eigentum stehende Wohnmöglichkeit verwiesen werden darf. Vielmehr muß davon ausgegangen werden, daß jemand, der Eigentümer einer Wohnung oder eines Hauses mit Wohnungen ist, in erster Linie sein Eigentum zur Befriedigung seines Wohnbedürfnisses heranziehen will und darf. Gerade die nunmehr in das MRG aufgenommene Bestimmung des § 30 Abs.2 Z 8 lit.b MRG läßt erkennen, daß auch der Gesetzgeber die Absicht einer Person, ihren Wohnbedarf in einer Eigentumswohnung zu befriedigen, privilegiert. Eigentumswohnungen werden in der Regel gerade zu diesem Zweck gekauft, was bei Miethäusern nicht der Fall sein muß, weil die dort vorhandene Vielzahl von Wohnungen die Absicht einer Kapitalanlage ebenso nahe legt, wie die Absicht der Befriedigung des Wohnbedarfes. Der Gesetzgeber hat also den in der Regel anzunehmenden Willen des Vermieters zur Befriedigung seines Wohnbedarfes sein Eigentum heranzuziehen, berücksichtigt. Eine Einschränkung des diesbezüglichen Verfügungsrechtes hat er nur durch die Beschränkung des KÜndigungsrechtes auf den Fall des Vorliegens eines Notstandes verfügt. Ist aber dieser Notstand insoferne gegeben, als eine andere Wohnmöglichkeit nicht zur Verfügung steht, so muß davon ausgegangen werden, daß in der Regel das Tatbestandsmerkmal des dringenden Eigenbedarfes erfüllt ist. Dem Berufungsgericht kann also dahin beigepflichtet werden, daß im allgemeinen der Vermieter, der über keine ausreichende Wohnmöglichkeit verfügt, mit seiner Eigenbedarfskündigung nicht schon deshalb auf die Möglichkeit der Beschaffung einer Wohnung in einem ihm nicht gehörigen Haus verwiesen werden darf, weil er finanziell in der Lage wäre, sich eine solche Wohnung zu beschaffen. Von diesem Grundsatz mag eine Ausnahme dann gerechtfertigt sein, wenn das Einkommen oder Vermögen des Vermieters so groß ist, daß durch die Rechtswirksamerklärung der Eigenbedarfskündigung der Gedanke des Notstandes geradezu ad absurdum geführt werden würde. Dies wird aber nur bei einem sehr hohen Einkommen oder Vermögen der Fall sein, keinesfalls aber bei dem hier von beiden Instanzen für den Obersten Gerichtshof bindend festgestellten Jahreseinkommen des Klägers von ca. 120.000 S. Ein derartiges Einkommen wäre nicht einmal so hoch, daß dem Kläger die Beschaffung einer anderen Wohnung auch dann zumutbar wäre, wenn das klägerische Einkommen grundsätzlich bei der Beurteilung des Eigenbedarfes heranzuziehen wäre.
Der Oberste Gerichtshof tritt also der Rechtsansicht des Berufungsgerichtes bei.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41 und 50 ZPO.
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