OGH 6Ob562/89

OGH6Ob562/8913.4.1989

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Samsegger als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schobel, Dr. Melber, Dr. Schlosser und Dr. Redl als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Waltraud B***, geboren am 11.Dezember 1954 in Oberneukirchen, Angestellte, derzeit arbeitslos, Kreuzfeld, 4202 Hellmonsödt, vertreten durch Dr. Erwin Höller, Rechtsanwalt in Linz, wider die beklagte Partei Josef B***, geboren am 3.Juli 1943 in Mödling, Angestellter, Achsenaugasse 26, 2340 Mödling, vertreten durch Dr. Gottfried Lindner, Rechtsanwalt in Linz, wegen Ehescheidung, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes vom 14. Dezember 1988, GZ 18 R 826/88-48, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Urfahr-Umgebung vom 21. Juni 1988, GZ 4 C 1042/87-25, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 3.706,20 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten S 617,70 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Streitteile haben am 11.12.1984 vor dem Standesamt Hellmonsödt die kinderlos gebliebene Ehe geschlossen. Ihr letzter gemeinsamer Wohnsitz war Hellmonsödt. Es war für die Klägerin die zweite und für den Beklagten die dritte Ehe.

Die Klägerin, die bereits im Februar 1986 und im Jänner 1987 Ehescheidungsklagen eingebracht, aber jeweils wieder zurückgezogen hatte, begehrte mit ihrer am 6.11.1987 beim Erstgericht eingelangten Klage die Scheidung der Ehe aus dem Verschulden des Beklagten. Sie brachte im wesentlichen vor, vom Beklagten wiederholt mißhandelt und beschimpft worden zu sein.

Der Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens und bestritt, im letzten halben Jahr vor Einbringung der Ehescheidungsklage Eheverfehlungen begangen zu haben. Weiter zurückliegende Verfehlungen seien verfristet und von der Klägerin ausdrücklich verziehen worden. Für den Fall der Scheidung stellte der Beklagte den Antrag, das überwiegende Verschulden der Klägerin auszusprechen, weil diese wiederholt die Ehewohnung verlassen habe und tage- oder wochenlang abwesend gewesen sei. Überdies habe die Klägerin den Beklagten vor Behörden wegen Körperverletzung und gefährlicher Drohung zu Unrecht beschuldigt.

Das Erstgericht schied die Ehe aus dem alleinigen Verschulden des Beklagten. Es stellte folgenden wesentlichen Sachverhalt fest:

Die Streitteile lernten einander aufgrund einer Zeitungsannonce kennen, als sich der Beklagte wegen Körperverletzung mit tödlichem Ausgang, begangen an seiner zweiten Ehefrau, in Haft befand. Der Beklagte erhielt zahlreiche weitere Vorstrafen, hauptsächlich wegen an seinen beiden früheren Ehefrauen begangener Verfehlungen. 1981 riß der Kontakt zwischen den Streitteilen ab und wurde erst dreieinhalb Jahre später wieder aufgenommen. Am 2.10.1984 wurde der Beklagte aus der Strafhaft entlassen. Die ersten Schwierigkeiten in der Ehe traten zu Silvester 1984 auf. Der Beklagte beschimpfte die Klägerin damals und schlug ihr mit der Faust ins Gesicht, wodurch sie Verletzungen erlitt. In der Folge kam es immer wieder zu Tätlichkeiten und Mißhandlungen. Zu Streitigkeiten verbunden mit Beschimpfungen kam es zwei bis dreimal pro Woche, mindestens alle zwei Monate erhielt die Klägerin heftige Ohrfeigen. Anfang 1985 zog der Beklagte die Klägerin an den Haaren über das Bett und stellte sie kurz darauf "gewaltsam unter die kalte Brause". Daraufhin zog die Klägerin das erste Mal aus der Ehewohnung aus und begab sich in das Frauenhaus in Linz. Der Beklagte redete stundenlang auf die Klägerin, die zu ihm in einem psychischen Abhängigkeitsverhältnis stand, ein, wieder zurückzukehren. Im Mai und im Herbst 1985 unternahm die Klägerin Selbstmordversuche. Ihre psychische Konstitution verschlechterte sich, wodurch ihre berufliche Tätigkeit beeinträchtigt war. Dazu kam, daß sie der Beklagte täglich bei ihrem Dienstgeber anrief, wobei es häufig zu Streitigkeiten kam. Am 14.2.1986 schlug der Beklagte die Klägerin zweimal mit der Hand ins Gesicht, was eine blutende Verletzung an der Unterlippe zur Folge hatte, und bedrohte sie mit den Worten: "Ich bring dich um". Wegen dieses Vorfalles wurde der Beklagte vom Strafgericht zu einer Freiheitsstrafe von vier Monaten verurteilt. Danach kam es längere Zeit zu keinen Tätlichkeiten, die Beschimpfungen hielten jedoch an. Ab Mai 1986 nahmen die Gewaltanwendungen und Beschimpfungen wieder zu. Die Klägerin zog mehrmals ins Frauenhaus, weil sie die Mißhandlungen und Beschimpfungen nicht mehr aushielt und ständig Angst vor weiteren Gewalttätigkeiten hatte. Die Aufenthalte im Frauenhaus dauerten manchmal zwei, manchmal aber auch 10 bis 14 Tage. Die Rückkehr erfolgte jeweils nach stundenlangem Einreden des Beklagten auf die Klägerin, nach Versprechungen und Drohungen und auf Grund des psychischen Abhängigkeitsverhältnisses der Klägerin. Im April 1987 würgte der Beklagte die Klägerin. Bei einem weiteren Vorfall kam es zu neuerlichen Beschimpfungen. Das letzte Mal vor ihrem endgültigen Auszug aus der Ehewohnung "lief die Klägerin im Juni 1987 davon". Nach ihrer Rückkehr dachte sie, ein Kind würde vielleicht die Ehe retten, und nahm Hormonpräparate, um die Empfängnisbereitschaft zu fördern. Der Beklagte bedrohte die Klägerin in der Richtung, daß es ein Unglück, eine Katastrophe geben werde, wenn sie sich nicht ändere. Die Klägerin wurde dadurch in große Furcht versetzt, was sie dem Beklagten auch mehrmals sagte, zumal ihr in letzter Zeit die näheren Umstände am Tod der zweiten Frau des Beklagten immer mehr bewußt wurden. In den letzten Wochen vor dem endgültigen Auszug der Klägerin war das Zusammenleben sehr schlecht, der Beklagte beschimpfte die Klägerin und auch seine Mutter besonders häufig. Am 21.10.1987 sagte der Beklagte im Verlaufe eines heftigen Streites zur Klägerin, zwischen ihnen werde sich nie etwas ändern, solange sie sich nicht ändere. Das versetzte die Klägerin derart in Furcht, daß sie am nächsten Tag nicht nach Hause kam. Sie getraute sich erstmals, vom Beklagten endgültig loszukommen. Sie hatte das Dienstverhältnis gekündigt, weil sie wegen ihrer durch die privaten Probleme bedingten schlechten Arbeitsleistungen nicht weiter beschäftigt worden wäre, und war für den Beklagten daher auch nicht mehr jederzeit erreichbar. Der letzte Geschlechtsverkehr zwischen den Streitteilen fand - allerdings nur auf Betreiben des Beklagten, die Klägerin getraute sich aus Angst vor einem neuerlichen Streit nicht, sich zu verweigern - am 20.10.1987 statt. Eine Versöhnung fand weder unmittelbar vor noch nach dem endgültigen Auszug der Klägerin statt, obwohl der Beklagte nichts unversucht ließ, die Klägerin umzustimmen.

Rechtlich beurteilte das Erstgericht den Sachverhalt dahin, zuletzt sei es im Sommer 1987 zu einer Versöhnung der Streitteile gekommen. Der Wille der Klägerin, die Ehe fortzusetzen, ergebe sich auch daraus, daß sie im Sommer 1987 ein Kind habe empfangen wollen und regelmäßig Geschlechtsverkehr stattgefunden habe. Die letzten Eheverfehlungen habe die Klägerin dem Beklagten allerdings nicht verziehen. Zu den Beschimpfungen am Tage des Auszuges habe sie überhaupt "keinen verzeihungsähnlichen Tatbestand gesetzt". Aus dem letzten Geschlechtsverkehr habe sich kein Verzeihungswille ergeben. Die letzten Eheverfehlungen seien nicht verziehen oder verfristet. Zur Unterstützung des Scheidungsbegehrens könnten aber auch die verziehenen oder verfristeten Verfehlungen herangezogen werden. Der Klägerin sei kein Mitverschulden anzulasten. Die mehrmalige Aufhebung der ehelichen Gemeinschaft sei berechtigt gewesen. Die Klägerin habe die Drohungen ernst nehmen müssen, was der Tod der zweiten Ehefrau des Beklagten zeige. Anzeigen habe die Klägerin gegen den Beklagten nur aus Angst erstattet und dadurch keineswegs Eheverfehlungen begangen.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Beklagten nicht Folge. Es übernahm den vom Erstgericht festgestellten Sachverhalt und führte in rechtlicher Hinsicht aus, die nicht verziehenen und nicht verfristeten Eheverfehlungen wären für sich allein zwar nicht für die Qualifikation als schwere Eheverfehlung im Sinne des § 49 EheG ausreichend. Unter Berücksichtigung der fortdauernden schweren Eheverfehlungen, die die Klägerin dem Beklagten immer wieder verziehen habe, könnten die letzten Verfehlungen, insbesondere wegen der vielen Vorstrafen, darunter auch wegen Verursachung des Todes der zweiten Ehefrau, aber nicht als ganz belanglos bezeichnet werden, sodaß die festgestellten Verfehlungen in ihrer Gesamtheit die Ehescheidung rechtfertigten. Das Verlassen der ehelichen Gemeinschaft durch die Klägerin habe jeweils nur eine Reaktionshandlung der Klägerin dargestellt.

Der Beklagte bekämpft das Urteil des Berufungsgerichtes mit Revision, macht die Anfechtungsgründe der Mangelhaftigkeit des Verfahrens und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung geltend und beantragt, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, daß das Klagebegehren abgewiesen oder zumindest das überwiegende Verschulden der Klägerin oder das gleichteilige Verschulden beider Teile an der Zerrüttung der Ehe festgestellt werde. Hilfsweise stellt der Beklagte einen Aufhebungsantrag.

Die Klägerin beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Die gerügte Mangelhaftigkeit liegt nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO). Auch die Rechtsrüge erweist sich als nicht gerechtfertigt. Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes, daß bei Vorliegen nicht verfristeter oder verziehener Eheverfehlungen, die nicht ganz belanglos sind, zur Stützung des Scheidungsbegehrens auch auf solche Eheverfehlungen zurückgegriffen werden kann, die allein bereits verfristet wären oder verziehen wurden (EFSlg 43.674, 54.450 uva). Zutreffend haben die Vorinstanzen die knapp vor dem endgültigen Auszug der Klägerin aus der Ehewohnung stattgefundenen Beschimpfungen und Bedrohungen als nicht ganz belanglos gewertet und auch die schon länger zurückliegenden und verziehenen Verfehlungen berücksichtigt. Daß die wiederholten schweren Mißhandlungen und Beschimpfungen schwere Eheverfehlungen im Sinne des § 49 EheG darstellen, bedarf keiner weiteren Erörterung. Die Behauptung des Beklagten, die Streitigkeiten seien sehr häufig "auf Fehlverhalten und Unzulänglichkeiten seitens der Klägerin" zurückzuführen gewesen, findet in den Feststellungen keine Grundlage. Richtig ist zwar, daß Verurteilungen, die vor der Eheschließung erfolgten, dem Beklagten nicht als Eheverfehlungen angelastet werden können, doch haben dies die Vorinstanzen ohnedies nicht getan. Sie haben die vor der Eheschließung gesetzten strafbaren Handlungen des Beklagten lediglich als Begründung dafür herangezogen, daß die Furcht der Klägerin vor dem Beklagten nicht ungerechtfertigt war.

Soweit der Beklagte ausführt, die Ehe sei nicht unheilbar zerrüttet, ist darauf hinzuweisen, daß unheilbare Ehezerrüttung nach ständiger Rechtsprechung dann vorliegt, wenn die geistige, seelische und körperliche Gemeinschaft zwischen den Ehegatten objektiv und wenigstens bei einem Ehegatten auch subjektiv zu bestehen aufgehört hat (EFSlg 43.629, 54.385). Wesentlich ist, ob das Verhalten des schuldigen Gatten geeignet war, dem anderen die Fortsetzung der Ehe unerträglich zu machen, und ob es diese Wirkung gehabt hat (EFSlg 48.765, 54.386), wobei es genügt, daß der klagende Ehegatte die eheliche Gesinnung verloren hat (EFSlg 48.764, 54.388). Daß diese Voraussetzungen für eine Ehezerrüttung hier vorliegen, kann nicht zweifelhaft sein.

Der Ausspruch eines Mitverschuldens der Klägerin an der Ehescheidung hatte nicht zu erfolgen, weil das mehrmalige Verlassen der Ehewohnung durch die Klägerin für mehrere Tage auf Grund der jeweils vorher vom Beklagten gesetzten Eheverfehlungen gerechtfertigt war und auch sonstige Eheverfehlungen der Klägerin nicht festgestellt wurden.

Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.

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