Spruch:
Den Nichtigkeitsbeschwerden wird Folge gegeben, das angefochtene Urteil, das in seinem freisprechenden Teil unberührt bleibt, in seinen Schuld- und Strafaussprüchen aufgehoben und es wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung im Umfang der Aufhebung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Mit ihren Berufungen werden die Angeklagten Leopold W*** und Christoph S*** auf diese Entscheidung verwiesen.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurden zu I der am 27.Februar 1970 geborene Lehrling Leopold W*** des Vergehens der Nötigung zur Unzucht nach dem § 204 Abs. 1 StGB und zu II der am 3.September 1970 geborene Schüler Christoph S*** des Vergehens der Unterlassung der Verhinderung einer mit Strafe bedrohten Handlung nach dem § 286 Abs. 1 StGB schuldig erkannt. Darnach liegt Leopold W*** zur Last, am 28.Juni 1987 in Ravelsbach die am 15.März 1971 geborene Gisela G*** zu Boden gestoßen und, nachdem er sich auf ihren Bauch gesetzt und ihre Arme auf den Boden gedrückt hatte, wobei er sagte:
"Jetzt machen wir es, und wenn du es nicht mit mir machst, dann mit Gewalt!", mehrmals am Geschlechtsteil und an den Brüsten betastet zu haben. Christoph S*** wird angelastet, dadurch, daß er sich zweimal vom Tatort entfernte, obwohl er bemerkte, daß Leopold W*** die Gisela G*** zu Boden geworfen, sich auf sie gesetzt und ihre Hände niedergehalten hatte, es mit dem Vorsatz, daß das Vergehen der Nötigung zur Unzucht begangen werde, unterlassen zu haben, die Ausführung der Tat zu verhindern.
Dieses Urteil wird von beiden Angeklagten, im Schuldspruch mit jeweils auf die Z 5 und 5 a, vom Angeklagten W*** überdies auf die Z 8, 9 lit. a und 9 lit. c des § 281 Abs. 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerden und im Strafausspruch mit Berufung bekämpft.
Rechtliche Beurteilung
Den Nichtigkeitsbeschwerden kommt Berechtigung zu.
Das Schöffengericht gründete seine "Feststellungen hinsichtlich des Geschehensablaufes zur Gänze auf die glaubwürdige Aussage der Gisela G***" (S 244 dA) und äußerte zu den Verantwortungen der Angeklagten, welche die Taten in Abrede stellten, den "Eindruck, daß diese sich primär aus der Sache herausreden wollten, aber auch, daß die Aussagen teilweise abgesprochen wurden" (S 244 dA). Es setzte sich aber im Urteil - wie der Beschwerdeführer W*** zutreffend geltend macht - nicht mit dem Umstand auseinander, daß die Zeugin Gisela G*** in der Hauptverhandlung einerseits davon sprach, W*** sei aufgestanden und habe ihr "hinter den Rock gegriffen" (S 228 dA), andererseits aber angab, W*** sei direkt auf ihrem Bauch gesessen, habe "die Lage nicht verändert" und sei "immer in der gleichen Stellung" verblieben. Er habe (dabei) mit der Hand "nach hinten" und "unter den Rock" gegriffen (S 230 dA). Überdies hatte die Zeugin zwischen diesen Bekundungen auf die vom Verteidiger gestellte Frage, ob es nicht sein könne, daß der Angeklagte W*** sie nur bei den Händen gehalten und auf sie eingeredet habe", geantwortet, sie könne sich "nicht mehr so erinnern" (S 229 dA). Eine Betastung der Brüste erwähnte die Zeugin in der Hauptverhandlung überhaupt nicht. Diese von Gisela G*** gegebene Darstellung, die den Schuldspruch nicht zu tragen vermag, wurde aber im Urteil nicht erörtert. Die bloße Erwähnung von "Differenzen in den diversen Aussagen der Gisela G***", die "ihrer Glaubwürdigkeit keinen Abbruch tun" könnten (S 244 dA), vermag diese fehlende Erörterung nicht zu ersetzen, zumal nicht einmal zum Ausdruck gebracht wird, auf welche der (in wesentlichen Punkten jeweils anderslautenden) Depositionen der Zeugin das Schöffengericht letztlich seine Sachverhaltsannahmen stützte. (Daß eine solche Klarstellung umso dringender geboten war, als im Urteil auch auf eine Übereinstimmung der Zeugenaussage mit den Verantwortungen der Angeklagten "in wesentlichen Teilen" Bezug genommen wird - S 244 dA, sei nur am Rand erwähnt.)
Diese Unvollständigkeit der Entscheidungsbegründung bewirkt die Nichtigkeit des Urteils im Sinn der Z 5 des § 281 Abs. 1 StPO. Abgesehen davon, daß diese Nichtigkeit schon der Natur der Sache nach nicht auf den Schuldspruch I beschränkt bleiben kann, sondern auf das schuldigsprechende Erkenntnis laut II durchschlägt, ist dem Beschwerdeführer S*** auch beizupflichten, wenn er für seinen Teil Begründungs- und Feststellungsmängel des Urteils reklamiert. Bei der diesem Angeklagten zur Last gelegten Tat handelt es sich um ein echtes Unterlassungsdelikt, dessen Tatbestandsverwirklichung auch erfordert, daß im Einzelfall dem Handlungspflichtigen das gebotene Verhalten physisch-real möglich war (Kienapfel AT Z 28 RN 5; Steininger im WK, Rz 9 zu § 286 uam). Zu dieser Frage ist dem Urteil aber nichts Konkretes zu entnehmen. Ihm haftet somit ein Feststellungsmangel im Sinn der Z 9 lit. a des § 281 Abs. 1 StPO an. Des weiteren ist der Beschwerdeführer Christoph S*** aber auch im Recht, wenn er sinngemäß vorbringt, die Feststellung, er habe die Straftat nicht verhindern wollen und "offensichtlich" den Erfolg zumindest billigend in Kauf genommen, sei unzureichend begründet geblieben (Z 5 des § 281 Abs. 1 StPO). Das Erstgericht leitete diese Annahme nämlich ersichtlich bloß aus dem Umstand ab, daß Christoph S*** sich vom Tatort entfernte und sich dann nochmals zum Tatort begab, um das (weitere) Geschehen zu beobachten (welche Tatsache vom Angeklagten zugestanden wurde - vgl. S 48 in Verbindung mit S 218 dA). Ohne sonstige Hinweise und ohne zumindest die - wie erwähnt auch für die rechtliche Einordnung maßgebliche - Frage zu erörtern, ob und auf welche Weise der Angeklagte die Verhinderung der Tat leicht bewirken hätte können (vgl. § 286 Abs. 2 Z 1 StGB), reicht dieses Tatsachensubstrat allein aber zu einer mängelfreien Begründung des Tatvorsatzes nach Lage des Falles nicht aus. Da sich sohin zeigt, daß die Anordnung einer neuen Hauptverhandlung nicht zu vermeiden ist und eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofes in der Sache selbst noch nicht einzutreten hat, war gemäß dem § 285 e StPO über die Nichtigkeitsbeschwerden bereits in nichtöffentlicher Sitzung wie aus dem Spruch ersichtlich zu erkennen, wobei auf das übrige Beschwerdevorbringen nicht mehr eingegangen zu werden brauchte.
Mit ihren durch die Aufhebung des Urteils auch im Strafausspruch gegenstandslos gewordenen Berufungen waren die Rechtsmittelwerber auf diese Entscheidung zu verweisen.
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