OGH 5Ob534/89

OGH5Ob534/897.3.1989

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Marold als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Jensik, Dr. Zehetner, Dr. Klinger und Dr. Schwarz als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Filomena M***, Hausfrau, Bludenz, St. Antoniusstraße 25, vertreten durch Dr. Adolf Concin, Rechtsanwalt in Bludenz, wider die beklagte Partei Gotthard M***, Pensionist, Koblach, Dorf 14, vertreten durch Dr. Hans Widerin, Rechtsanwalt in Bludenz, wegen Unterhaltes (Revisionsinteresse 18.000,-- S) infolge außerordentlicher Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes Feldkirch als Berufungsgerichtes vom 31. Oktober 1988, GZ 1 a R 463/88-16, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Bludenz vom 15. Juli 1988, GZ 1 C 3/88a-11, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen:

 

Spruch:

Der außerordentlichen Revision wird Folge gegeben. Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Rechtssache wird zur Verfahrensergänzung und neuen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens.

Text

Begründung

Die Ehe der Streitteile ist derzeit noch aufrecht, aufgrund einer vom Mann am 29. Dezember 1987 beim Erstgericht zu 1 C 1045/87k erhobenen Klage ist jedoch ein Scheidungsverfahren anhängig. Am 5. Jänner 1988 gab die Frau beim Erstgericht die gegenständliche Klage zu Protokoll, mit welcher sie die Verurteilung des Mannes begehrt, ihr ab Klagetag einen monatlichen Unterhalt von 3.700,-- S zu leisten. Sie brachte vor, der Mann habe im Dezember 1987 die Ehewohnung verlassen und erbringe ihr seither keinerlei Unterhalt. Sie sei nicht berufstätig und führe den Haushalt. Der Mann beziehe eine Pension von 8.245,60 S 14mal jährlich.

Der Mann beantragt die Abweisung der Klage. Die Frau habe ihn und den gemeinsamen Sohn Gerhard am 22. Dezember 1987 aus der Ehewohnung ausgesperrt und verweigere ihm seither den Zutritt zu dieser. Durch die Verwehrung des Zutritts zur Ehewohnung habe er Kinderzuschuß und Ausgleichszulage verloren, sodaß seine monatliche Pension von 7.950,20 S ab Februar 1988 auf 4.500,50 S gesunken sei. Er sei daher auch gar nicht in der Lage, der Frau den begehrten Unterhalt zu leisten.

Die Frau replizierte, daß sie um den 29. Dezember 1987 die Schlösser der Ehewohnung ausgetauscht habe, weil sie vom Mann körperlich mißhandelt worden sei und dabei erhebliche Verletzungen davongetragen habe. Der Mann erwiderte, daß ihn die Frau seit Monaten (offenbar gemeint: zu Unrecht) beschuldige, immer wieder grundlos tätlich gegen sie vorzugehen.

Das Erstgericht wies die Klage ab. Es stellte zum Anspruchsgrund folgenden Sachverhalt fest:

Am 21. Dezember 1987 gegen 10.30 Uhr kam es zwischen den Streitteilen zu einer wörtlichen Auseinandersetzung, nach welcher der Mann die Ehewohnung verließ. Es ist jedoch nicht erwiesen, daß die Frau im Zuge dieser Auseinandersetzung vom Mann tätlich angegriffen und bedroht wurde. Als der Mann am Nachmittag des 21. Dezember 1987 mit dem gemeinsamen Sohn Gerhard von einem Spaziergang zurückkam, hatte die Frau die Ehewohnung versperrt und verweigerte dem Mann seither jeden Zutritt. Am 29. Dezember 1987 ließ die Frau auch die Schlösser der Ehewohnung auswechseln. Der Mann wendete sich an die Städtische Sicherheitswache Bludenz und diese konnte ihm eine Unterkunft in der Krisenwohnung des I*** in Bludenz, Beim Kreuz 39 besorgen. Der Mann wohnte dort bis März 1988 und hatte pro Tag 90,-- S für die Unterkunft zu zahlen. Nunmehr wohnt der Mann bei seiner Mutter in Koblach, Dorf 14. Rechtlich erwog das Erstgericht zum Anspruchsgrund, daß die Frau dem Mann unbegründet den Zutritt zur Ehewohnung verweigert und somit eine schwere Eheverfehlung gesetzt habe. (EFSlg. 42.550). Sie habe daher ihren Unterhaltsanspruch gegenüber dem Mann verwirkt. Mit ihrer Berufung begehrte die Frau den Zuspruch eines monatlichen Unterhalts von 1.800,-- S. Das Berufungsgericht gab dieser Berufung teilweise Folge und verurteilte den Mann unter Abweisung des Mehrbegehrens zur Zahlung von monatlich 500,-- S ab 5. Jänner 1988. Es führte zum Anspruchsgrund aus:

Die Beweisrüge der Frau versage, die bekämpfte Feststellung, es sei nicht erwiesen, daß die Frau am 21. Dezember 1987 vom Mann tätlich angegriffen und bedroht worden sei, werde übernommen. Die Rechtsrüge der Frau sei teilweise berechtigt. Ein allgemeiner Rechtssatz, wonach die Ehefrau bei aufrechter Ehe ihren Unterhaltsanspruch durch Eheverfehlungen verliere, sei dem österreichischen Recht fremd, doch verliere sie ihren Anspruch auf Geldunterhalt bei besonders schweren Eheverfehlungen. Allerdings rechtfertigten nur besonders krasse Fälle, in denen die Geltendmachung eines Unterhaltsanspruches wegen des Verhaltens des betreffenden Ehegatten grob unbillig erscheinen würde, die Annahme einer Unterhaltsverwirkung (EFSlg. 30.647, 32.738, 32.750, 42.550 ua). Der einmalige Vorfall am 21. Dezember 1987, bei dem die Frau den Mann aus der Ehewohnung aussperrte, habe noch nicht zu einer Unterhaltsverwirkung geführt. Nur ein fortgesetztes, grob ehewidriges Verhalten der Frau würde die Geltendmachung des Unterhaltsanspruches durch sie als Rechtsmißbrauch erscheinen lassen. Ein solches Verhalten der Frau sei aber nicht festzustellen. Die Frau habe daher grundsätzlich gegenüber dem Mann einen Unterhaltsanspruch, dessen Höhe nach oben hin durch die Leistungsfähigkeit des unterhaltspflichtigen Mannes begrenzt sei. Gegen das Berufungsurteil richtet sich die auf den Revisionsgrund des § 503 Abs. 1 Z 4 in Verbindung mit Abs. 2 ZPO gestützte außerordentliche Revision des Mannes mit dem Antrag auf Wiederherstellung des Ersturteils. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Frau beantragt, der außerordentlichen Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die außerordentliche Revision ist zulässig und im Sinne des Aufhebungsantrages berechtigt.

Vorweg ist festzuhalten, daß die Erhebung einer außerordentlichen Revision trotz Fehlens des berufungsgerichtlichen Ausspruches nach § 500 Abs. 3 ZPO möglich ist (Petrasch in ÖJZ 1983, 201; 6 Ob 1516/83, 1 Ob 1003/84). Die vorliegende außerordentliche Revision ist auch nicht nach § 502 Abs. 2 Z 1 oder 2 ZPO unzulässig, weil sie den Anspruchsgrund betrifft und der Beschwerdegegenstand 18.000,-- S beträgt. Aus den folgenden Ausführungen wird sich ergeben, daß die außerordentliche Revision die unrichtige Lösung einer erheblichen Rechtsfrage des materiellen Rechts aufzeigt. Gemäß § 94 Abs. 2 Satz 1 ABGB leistet der Ehegatte, der den gemeinsamen Haushalt führt, dadurch seinen Beitrag zur Deckung der den Lebensverhältnissen der Ehegatten angemessenen Bedürfnisse im Sinne des § 94 Abs. 1 ABGB; er hat an den anderen einen Anspruch auf Unterhalt, wobei eigene Einkünfte angemessen zu berücksichtigen sind. Gemäß § 94 Abs. 2 Satz 2 ABGB gilt dies nach der Aufhebung des gemeinsamen Haushaltes zugunsten des bisher Unterhaltsberechtigten weiter, sofern nicht die Geltendmachung des Unterhaltsanspruches, besonders wegen der Gründe, die zur Aufhebung des gemeinsamen Haushaltes geführt haben, ein Mißbrauch des Rechts wäre. Ein solcher Mißbrauch des Rechts liegt nach ständiger Rechtsprechung vor, wenn es wegen schwerwiegender (besonders krasser), gegen die wichtigsten Grundsätze der Ehe verstoßender Eheverfehlungen des Unterhalt fordernden Ehegatten sittenwidrig wäre, diesem einen Unterhaltsanspruch zu gewähren, wobei ein strenger Maßstab anzulegen ist und die besonderen Umstände des Einzelfalls zu prüfen sind. Ein Mißbrauch des Rechts im Sinn des § 94 Abs. 2 Satz 2 ABGB ist auch dann gegeben, wenn der Ehegatte, der den gemeinsamen Haushalt bis zu dessen Aufhebung geführt hat, sich grundlos weigert, alle ihn aus der Ehe treffenden Verpflichtungen zu erfüllen, dessenungeachtet aber vom anderen die Leistung von Unterhalt fordert; es ist sittenwidrig, daß ein Ehegatte, der schuldhaft selbst die gebotene eheliche Gesinnung vermissen läßt, finanzielle Vorteile aus der Ehe zieht, ohne bereit zu sein, die ihn selbst treffenden Verbindlichkeiten aus der Ehe zu erfüllen (siehe aus letzter Zeit etwa 2 Ob 624/87, 10 Ob 537, 538/87, 3 Ob 548/88). In diesem Sinn wurde bereits wiederholt entschieden, daß das Unterhaltsbegehren eines Ehegatten, der die Aufhebung des gemeinsamen Haushalts ohne objektiv vorhandenen Grund und subjektiv eindeutig vorwerfbar herbeiführt oder aufrecht erhält, als rechtsmißbräuchlich anzusehen ist (EFSlg. 39.983, 39.986, 39.987, 42.570 ua); in EFSlg. 30.660 wurde dargelegt, daß das grundlose Aussperren des Mannes aus der Ehewohnung wie das grundlose Verlassen der Ehewohnung durch die Frau zu beurteilen ist.

Geht man von diesen Grundsätzen aus, dann führt dies zu dem Ergebnis, daß das von den Vorinstanzen erhobene Sachverhaltsbild noch einer Verbreiterung bedarf, um beurteilen zu können, ob die Frau ihr verfahrensgegenständliches Unterhaltsbegehren rechtsmißbräuchlich im Sinn des § 94 Abs. 2 Satz 2 ABGB stellt. Die Vorinstanzen haben sich bisher bei der Beweiswürdigung und Tatsachenfeststellung fast ausschließlich mit den Vorfällen vom 21. Dezember 1987 befaßt, eingehendere Feststellungen über das diesem Tag nachfolgende Verhalten der Streitteile aber fehlen. Erst wenn diese Feststellungen - insbesondere darüber, ob der Mann in der Folge ernstlich versucht hat, den gemeinsamen Haushalt mit der Frau wieder aufzunehmen, und ob die Frau bejahendenfalls ohne objekitv vorhandenen Grund und subjektiv vorhandenen Grund und subjektiv eindeutig vorwerfbar die Wiederaufnahme des gemeinsamen Haushalts abgelehnt hat - nachgetragen sein werden, wird eine abschließende rechtliche Beurteilung der Frage möglich sein, ob das Unterhaltsbegehren der Frau rechtsmißbräuchlich ist. Es war daher der außerordentlichen Revision Folge zu geben und spruchgemäß zu beschließen.

Der Vorbehalt der Kosten des Rechtsmittelverfahrens beruht auf § 52 ZPO.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte