OGH 1Ob722/88 (1Ob723/88)

OGH1Ob722/88 (1Ob723/88)7.2.1989

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schragel als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schobel, Dr. Hofmann, Dr. Schlosser und Dr. Graf als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden und widerbeklagten Partei Mag. Helmut D*** geb. P***, geboren am 22. November 1940 in Wien, Kaufmann, Wien 22., Konstanziagasse 41, vertreten durch Dr. Michael Mayrhofer, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte und widerklagende Partei Dr. Olga Renate D***, geboren am 11. Februar 1945 in Steyr, Hausfrau, Bad Hall, Gustav Mahler-Straße 2, vertreten durch Dr. Alois Pavich, Rechtsanwalt in Wien, wegen Ehescheidung infolge Revision der beklagten und widerklagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 27. September 1988, GZ 11 R 157/88-49, womit infolge Berufung der beklagten und widerklagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien vom 30. März 1988, GZ 6 Cg 198/84-44, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben. Die Urteile der Vorinstanzen werden im Umfang der Entscheidung über das Scheidungsbegehren und im Kostenpunkt aufgehoben. Die Rechtssache wird insoweit an das Prozeßgericht erster Instanz zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Prozeßkosten.

Text

Begründung

Die Streitteile sind österreichische Staatsbürger. Sie schlossen am 3. März 1978 die Ehe. Aus der Ehe entstammt der am 11. April 1978 geborene Sohn Oliver. Die Streitteile lebten bis Juni 1979 in Mödling, dann übersiedelten sie nach Rom. Dort wurden beide am 17. September 1980 in Haft genommen. Die Beklagte und Widerklägerin (im folgenden Beklagte) wurde im Dezember 1980 enthaftet. Der Kläger und Widerbeklagte (im folgenden Kläger) verblieb bis zum 20. Dezember 1981 in Haft. Die Beklagte wurde knapp vor dem 20. November 1981 neuerlich in Haft genommen und nach Österreich ausgeliefert. Hier blieb sie bis Dezember 1983 in Untersuchungshaft. Nachdem die Beklagte endgültig aus der Haft entlassen worden war, zog sie vorerst zum Kläger und dessen Mutter in Wien 22. Der Kläger teilte der Beklagten aber mit, daß sie sich eine andere Wohnung suchen solle. Der Beklagte war durch die Haft verändert und verhielt sich gegenüber dem Kläger launenhaft und streitsüchtig. Die Streitteile führten keinen gemeinsamen Haushalt, der Kläger wurde von seiner Mutter versorgt. Der Kläger vernachlässigte schließlich auch seine Unterhaltspflichten gegenüber der Beklagten und dem gemeinsamen Sohn, so daß die Beklagte im Mai 1984 mit dem Sohn die Wohnung verließ und zu ihren Eltern zog.

Der Kläger begehrte vorerst die Scheidung der Ehe nach § 49 EheG, stützte aber zuletzt sein Scheidungsbegehren in eventu auch auf § 55 Abs 3 EheG. Die eheliche Gemeinschaft sei seit sechs Jahren, jedenfalls aber seit drei Jahren aufgehoben. Die beklagte Partei erhob Widerklage. Die Ehe sei durch das Verschulden des Klägers zerrüttet worden. Der Kläger sei seinen Unterhaltspflichten nicht nachgekommen, so daß Exekution hätte geführt werden müssen. Er habe S 200.000,-- vom Bankkonto der Beklagten eigenmächtig abgehoben, er weigere sich, den Erlös aus dem Verkauf ihres Reihenhauses, ihre aus Italien zurückgeholten Sachen und einen Treuhandbetrag von S 830.000,-- herauszugeben. Er habe das Schloß zur Ehewohnung geändert. Während aufrechter Ehe habe er erneut geheiratet.

Das Erstgericht schied die Ehe der Streitteile nach § 55 Abs 3 EheG. Eine spruchmäßige Erledigung des Hauptbegehrens des Klägers und des Begehrens in der Widerklage erfolgte nicht. Alle Eheverfehlungen seien erst zu einem Zeitpunkt gesetzt worden, als die Ehe bereits durch die vorangegangene Haft unheilbar zerrüttet gewesen sei. Diese Zerrüttung habe sich aus den charakterlichen Veränderungen, die beide Ehegatten während ihrer Haftzeit durchgemacht hätten, ergeben. Nach der Haftentlassung sei zwischen ihnen keine geistige, seelische oder körperliche Gemeinschaft mehr zustandegekommen, so daß eine Wiederherstellung einer dem Wesen der Ehe entsprechenden Lebensgemeinschaft nicht mehr zu erwarten gewesen sei. Wenn eine Ehe aber bereits unheilbar zerrüttet sei, so bilde das nachfolgende Verhalten der Streitteile keinen Scheidungsgrund mehr.

Nur die Beklagte erhob Berufung. Sie bekämpfte das Urteil des Erstgerichtes seinem gesamten Inhalt nach und stellte u.a. den Berufungsantrag, das Urteil des Erstgerichtes dahin abzuändern, daß dem Begehren der Widerklage stattgegeben werde.

Das Berufungsgericht verwarf die Berufung der Beklagten, soweit darin Nichtigkeit geltend gemacht wurde, und gab ihr im übrigen nicht Folge. Die Mängel- und Beweisrüge sei nicht ordnungsgemäß ausgeführt, die Rechtsrüge sei nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision der Beklagten, in der sie u.a. erneut beantragt, die Urteile der Vorinstanzen dahin abzuändern, daß ihrem Scheidungsbegehren in der Widerklage stattgegeben werde, ist berechtigt.

Wenn auch im Rahmen der Rechtsrüge, so macht die Beklagte inhaltlich doch zutreffend eine Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens geltend. Der Kläger stellte ein auf § 49 EheG gestütztes Hauptbegehren. Erst in der letzten Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung stellte er das Eventualbegehren, die Scheidung nach § 55 EheG auszusprechen. Die Beklagte erhob Widerklage mit dem Antrag, die Ehe aus dem Verschulden des Klägers zu scheiden. Das Erstgericht entschied spruchmäßig nur über das Eventualbegehren des Klägers. Der Kläger fühlte sich durch die Nichterledigung seines Hauptantrages nicht beschwert, so daß dieser nicht mehr Gegenstand des Verfahrens ist. Die Beklagte machte aber dem Inhalte nach, wenn auch im Rahmen der Rechtsrüge, diesen Verfahrensmangel des Gerichtes erster Instanz geltend. Unter Berücksichtigung des Berufungsantrages führte sie mit hinlänglicher Deutlichkeit aus, daß zu Unrecht eine Entscheidung über ihre Widerklage nicht erfolgt sei. Diese Rüge wurde vom Berufungsgericht übergangen. Ein Mangel des Berufungsverfahrens liegt aber dann vor, wenn das Berufungsgericht sich mit einer (zutreffend aus dem Grunde des § 496 Abs 1 Z 1 ZPO) erhobenen Mängelrüge nicht auseinandersetzte (JBl 1959, 238; SZ 25/219 ua). Diesen Mangel greift die Beklagte in ihrer Revision auf, rügt sie doch, daß die von ihr eingebrachte Widerklage überhaupt keiner Erledigung zugeführt wurde.

Schon aus diesem Grund ist der Revision Folge zu geben. Die Urteile der Vorinstanzen sind gemäß § 510 Abs 1 ZPO aufzuheben, die Rechtssache ist an das Prozeßgericht erster Instanz zur vollständigen Erledigung der von der Beklagten gestellten Sachanträge zurückzuverweisen.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf § 52 ZPO.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte