OGH 10ObS349/88

OGH10ObS349/8824.1.1989

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Resch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier und Dr. Kellner als weitere Richter sowie durch die fachkundigen Laienrichter Dr. Reinhard Drössler (Arbeitsgeber) und Eduard Giffinger (Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Gerda P***, Hugogasse 20/5/3, 1110 Wien vertreten durch Dr. Rudolf Müller, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei P*** DER A***, Friedrich

Hillegeist-Straße 1, 1021 Wien, vertreten durch Dr. Alfred Kasamas, Rechtsanwalt in Wien, wegen Berufsunfähigkeitspension infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 16. September 1988, GZ 33 Rs 165/88-22, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 25. März 1988, GZ 12 Cgs 1138/87-18, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 2.829,25 bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung (darin 257,25 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu bezahlen.

Text

Entscheidungsgründe:

Das Erstgericht erkannte die beklagte Partei schuldig, der Klägerin eine Berufsunfähigkeitspension im gesetzlichen Ausmaß ab dem Stichtag (1. April 1987) zu gewähren. Es stellte fest, daß die am 28. Juni 1936 geborene Klägerin noch leichte Arbeiten in vorwiegend sitzender Körperhaltung verrichten kann, wobei ein regelmäßiger Wechsel der Körperhaltung in Abständen von etwa 30 bis 45 Minuten notwendig ist, bei dem die Klägerin einige Minuten vorwiegend Tätigkeiten im Gehen nicht aber im Stehen ausführen kann. Auszuschließen sind Gewichtsleistungen von mehr als 10 kg, Kälte- und Nässeeinwirkung sowie Arbeiten an erhöhten exponierten Stellen wie Leitern und Gerüsten, aber auch Arbeiten im Bücken. Die Handkraft rechts ist vermindert und die Fingerfertigkeit bei feinmotorischen beidhändig zu verrichtenden Tätigkeiten herabgesetzt. Die Mengenleistung kann mit der rechten Hand bei keiner Werkstücksgröße erbracht werden. Es besteht eine durchgehende Minderleistung der rechten Hand hinsichtlich Kraft und Geschicklichkeit. Das Schreiben mit einem Bleistift macht der Klägerin sichtlich Mühe, der Bleistift kann nicht exakt gehalten werden. Der Bürotest liegt im Durchschnitt "streut" aber stark. Eine Umstellung der Klägerin im Sinne einer Anlernung oder Unterweisung kommt in Frage.

Die Klägerin, die keinen Beruf erlernte, war in den letzten 15 Jahren vor Antragstellung vorwiegend als Hilfskraft in einer Bibliothek beschäftigt. Auf Grund des Leistungskalküls sind der Klägerin auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt aus der Sicht der Sachverständigen für Berufskunde keine Berufstätigkeiten mehr zumutbar. Der medizinisch erforderliche Lagewechsel von einigen Minuten ist auf dem freien Arbeitsmarkt nicht erreichbar, dazu wäre das besondere Entgegenkommen des Dienstgebers notwendig oder eine Arbeit in einer geschützten Werkstätte.

Aus diesem Sachverhalt folgerte das Erstgericht, mangels Verweisbarkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt sei die Klägerin berufsunfähig im Sinne des § 273 Abs 1 ASVG.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei keine Folge und erkannte diese schuldig, der Klägerin eine vorläufige Leistung von monatlich S 3.500,- zu bezahlen. Es verneinte das Vorliegen von Verfahrensmängeln, billigte die Beweiswürdigung des Erstgerichtes und auch dessen rechtliche Beurteilung. Der wegen Mangelhaftigkeit des Verfahrens und unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobenen Revision der beklagten Partei kommt keine Berechtigung zu.

Unter dem Revisionsgrund der Mangelhaftigkeit des Verfahrens macht die beklagte Partei geltend, das Berufungsgericht habe das undetaillierte und oberflächliche Gutachten des berufskundlichen Sachverständigen ungenügend überprüft. Die Frage, ob ein eingeholtes Sachverständigengutachten die von den Vorinstanzen getroffenen Feststellungen rechtfertigt, gehört ebenso in das Gebiet der Beweiswürdigung wie jene, ob das eingeholte Sachverständigengutachten erschöpfend ist oder ob noch weitere Fragen an den Sachverständigen zu stellen gewesen wären. Nur wenn ein Gutachten gegen zwingende Denkgesetze oder zwingende Gesetze des sprachlichen Ausdruckes verstößt und dadurch die Unrichtigkeit des Gutachtens zur Folge hat, betrifft dessen Anfechtung die rechtliche Beurteilung (EvBl 1959/160 uva).

Rechtliche Beurteilung

Der erkennende Senat hat zwar ausgesprochen, daß es den Tatsacheninstanzen nicht verwehrt ist, in freier Beweiswürdigung auch einem Sachverständigengutachten keinen Glauben zu schenken und von der Einholung eines weiteren Gutachtens Abstand zu nehmen, wenn die eigenen Fachkenntnisse - insbesondere im Senatsprozeß, der unter Beiziehung fachkundiger Laienrichter stattfindet - oder gar schon die allgemeine Lebenserfahrung zur Beurteilung ausreichen (10 Ob S 108/88), folgen jedoch die Tatsacheninstanzen einem Sachverständigengutachten, das den oben geschilderten Anforderungen entspricht, so kann deren Beweiswürdigung mit Revision nicht mehr bekämpft werden. Daß der Klägerin ihre bisherige Tätigkeit als Bibliothekshilfskraft und die von der Revisionswerberin behaupteten Verweisungsberufe, insbesondere jener einer Bürohilfskraft, auf Grund ihres medizinischen Leistungskalküls nicht zumutbar sind, ergibt sich im übrigen nicht nur wegen des nicht gewährleisteten erforderlichen Haltungswechsels und des Ausschlusses von Tätigkeiten auch nur kurzfristig im Stehen, sondern insbesondere auch aus der festgestellten Unmöglichkeit, einen Bleistift und damit auch jedes andere gleichartige Schreibgerät exakt zu halten und aus der nur mit Mühe möglichen Schreibfähigkeit der Klägerin. Daß mit Hilfstätigkeiten in einer Bibliothek oder einem Büro jedenfalls, wenn auch nicht überwiegend, auch Schreibarbeiten verbunden sind, wird im berufskundlichen Gutachten ausgeführt und entspricht ganz allgemein der Erfahrung über die Anforderungen, die mit solchen Tätigkeiten verbunden sind.

Die Vorinstanzen sind daher zu Recht zu dem Ergebnis gelangt, daß die Klägerin berufsunfähig im Sinne des § 273 Abs 1 ASVG ist. Der Revision war somit ein Erfolg zu versagen.

Die Entscheidung über die Kosten der Revisionsbeantwortung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit a ASGG.

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