OGH 10ObS302/88

OGH10ObS302/8810.1.1989

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Resch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier und Dr. Kellner als weitere Richter sowie durch die fachkundigen Laienrichter Dr. Heinrich Basalka (AG) und Dr. Othmar Roniger (AG) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Johann H***, Mollmannsdorf 70, 2111 Rückersdorf, wider die beklagte Partei

S*** DER BAUERN; Ghegastraße 1, 1031 Wien,

vertreten durch Dr. Herbert Macher, Rechtsanwalt in Wien, wegen Hilflosenzuschusses, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 1. Juni 1988, GZ 32 Rs 95/88-14, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Kreisgerichtes Korneuburg als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 20. November 1987, GZ 17 Cgs 1093/87-9, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben und die Rechtssache zur ergänzenden Verhandlung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Text

Begründung

Mit Bescheid vom 1. April 1987 lehnte die beklagte Partei den Antrag des Klägers auf Gewährung eines Hilflosenzuschusses ab. Das Erstgericht gab der dagegen erhobenen Klage statt, erkannte die beklagte Partei schuldig, dem Kläger einen Hilflosenzuschuß im gesetzlichen Ausmaß ab 26. Februar 1987 zu bezahlen und eine vorläufige Zahlung von monatlich S 500,-- zu erbringen. Es stellte fest, daß der am 22. November 1926 geborene Kläger mit seiner Frau und zwei Kindern ein ebenerdiges Bauernhaus bewohnt. Nach Kopfresektion der rechten Hüfte ist diese hochgradig bewegungseingeschränkt. Der Kläger muß eine Coxitishülse tragen. Er leidet unter einer Gonarthrose rechts ohne wesentliche Funktionseinschränkungen, einer Schwellneigung an beiden Unterschenkeln, die das Anlegen von Bandagen erfordert. Der Kläger benötigt zum Gehen Krücken. Er kann sich allein an- und ausziehen, die Coxitishülse und die notwenigen Beinbandagen aber nicht selbst anlegen. Er kann sich allein waschen, die Toilette aufsuchen und einfache Speisen zubereiten. Zum Einkaufen, zum Herbeischaffen des Heizmaterials, für die Wohnungseinrichtung benötigt er fremde Hilfe. Das Warten eines Ofens kann er nicht übernehmen, weil ihm wegen der getragenen Coxitishülse ein schnelles Handeln mit Feuer und Asche nicht möglich ist.

Auf Grund dieser Einschränkungen sei der Kläger hilflos im Sinne des § 70 BSVG.

Das Berufungsgericht gab der wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobenen Berufung der beklagten Partei keine Folge. Daß Angehörige zur Betreuung des Klägers vorhanden seien, könne bei der Beurteilung der Hilflosigkeit nicht berücksichtigt werden. Der Kläger wohne nicht im großstädtischen Raum, sodaß seine festgestellte Immobilität Wartung und Hilfe in einem Ausmaß erfordere, deren Kosten etwa die Höhe des Hilflosenzuschusses erreichten.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der beklagten Partei wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist im Sinne eines vom Abänderungsantrag umfaßten Aufhebungsantrages berechtigt.

Wie der Oberste Gerichtshof in seiner grundsätzlichen Entscheidung zur Hilflosigkeit im Sinne des § 105 a ASVG (§ 70 BSVG) ausgeführt hat (SSV-NF 1/46) müssen bei der Frage, ob es sich um notwendige Dienstleistungen handelt, die dem Hilfsbedürftigen tatsächlich zur Verfügung stehenden Hilfsmittel (etwa Kühlschrank, Zentralheizung, Waschmaschine udgl.) berücksichtigt werden. Sind aber die Kosten der ständigen Wartung und Hilfe im konkreten Fall nur deshalb geringer, weil die notwendigen Dienstleistungen nicht von einer Plegeperson sondern, wie dies häufig vorkommt, von nahen Angehörigen verrichtet werden, so hat dies, entgegen der Ansicht der Revisionswerberin, keinen Einfluß auf die Beurteilung der Hilflosigkeit.

Die getroffenen Feststellungen reichen aber zu einer abschließenden rechtlichen Beurteilung im vorliegenden Fall noch nicht aus. Die "Unmöglichkeit", einen Ofen mit festen Brennstoffen zu warten - sollte dies nach der bisher noch gar nicht feststehenden Beheizungsmöglichkeit der Wohnung des Klägers überhaupt erforderlich sein - besteht nach den Feststellungen nur darin, daß dem Kläger wegen der getragenen Coxitishülse "ein schnelles Handeln mit Feuer und Asche nicht möglich ist". Die Tatsache, daß der Kläger wegen seiner Behinderung hiefür länger Zeit aufwenden muß als ein vollständig gesunder Mensch, bedeutet noch keine Unmöglichkeit, sondern nur eine zeitliche Erschwernis, die fremde Hilfe noch nicht unumgänglich erforderlich macht. Einer allfälligen Gefahr durch aus dem Ofen herausfallende Glut könnte durch Verwendung einer im Handel allgemein erhältlichen feuerfesten Ofentasse leicht vorgebeugt werden.

Bisher ist nicht geklärt und festgestellt, wie die vom Kläger (ständig ?) benötigte Coxitishülse aus Leder (eine für einen Laien verständliche Beschreibung und Anleitung zur Handhabung findet sich auch im klinischen Wörterbuch Pschyrembel nicht) angelegt werden muß, ob dies nur einmal oder mehrmals täglich erforderlich ist, welchen Zeitaufwand die Handhabung erfordert und warum der Kläger, der sich im übrigen allein an- und ausziehen kann, gerade zum Anlegen der Coxitishülse nicht in der Lage ist. Schließlich wird auch noch zu erörtern sein, wie oft ein Bandagieren der Beine notwendig ist, ob es sich bei der Schwellneigung, die das Bandagieren erforderlich macht, nur um eine vorübergehende, besserungsfähige Erscheinung oder einen Dauerzustand handelt und ob das Bandagieren nicht allenfalls durch Verwendung von Stützstrümpfen entbehrlich wäre.

Erst wenn die aufgezeigten, noch ungeklärten Fragen erörtert und ergänzend festgestellt sind, können das tatsächliche Ausmaß fremder Hilfe und die hiefür aufzuwendenden durchschnittlichen und üblichen Kosten abschließend beurteilt werden.

Es war daher in Stattgebung der Revision wie im Spruch zu entscheiden.

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