Spruch:
Der Revision der beklagten Parteien und dem Rekurs der klagenden Partei wird Folge gegeben.
Das angefochtene Urteil, das im Umfang der Abweisung des auf Feststellung der Haftung der Beklagten zur ungeteilten Hand für künftige Unfallschäden über die in den §§ 15 f EKHG normierten Höchstbeträge hinaus gerichteten Feststellungsbegehrens der Klägerin als nicht in Beschwerde gezogen unberührt bleibt, wird im übrigen ebenso wie der angefochtene Aufhebungsbeschluß aufgehoben. Dem Berufungsgericht wird in diesem Umfang die neuerliche Entscheidung über die Berufung der klagenden Partei aufgetragen. Die Kosten des Revisions- und des Rekursverfahrens sind als weitere Kosten des Rechtsmittelverfahrens zu behandeln.
Text
Begründung
Die Klägerin wurde am 23.12.1982 um etwa 5,45 Uhr schwer verletzt in Stadlkirchen auf dem Gehsteig der Harrstraße vor dem Haus Nr 18 aufgefunden. Zu dieser Zeit befuhr Ernst S*** mit einem LKW-Zug, bestehend aus dem Zugwagen mit dem Kennzeichen O 31.666 und dem Anhänger mit dem Kennzeichen O 331.632, die Harrstraße. Halter dieses LKW-Zuges ist der Erstbeklagte, Haftpflichtversicherer die Zweitbeklagte. Ein im Zusammenhang mit der Verletzung der Klägerin zu 4 U 250/83 des Bezirksgerichtes Steyr gegen Ernst S*** eingeleitetes Strafverfahren wurde gemäß § 90 StPO eingestellt.
Im vorliegenden Rechtsstreit begehrte die Klägerin die Verurteilung der Beklagten zur ungeteilten Hand zur Zahlung von S 120.000,-- sA (Schmerzengeld); überdies stellte sie ein auf Feststellung der Haftung der Beklagten zur ungeteilten Hand, der Zweitbeklagten im Rahmen des den LKW-Zug betreffenden Haftpflichtversicherungsvertrages, für alle künftigen Schäden gerichtetes Feststellungsbegehren.
Dem Grunde nach stützte die Klägerin ihr Begehren im wesentlichen darauf, daß sie zur Unfallszeit auf dem in Richtung Steyr gesehen linken Gehsteig der Harrstraße zur Autobushaltestelle "Heuberg" gegangen sei. Aus Richtung Steyr habe sich ihr der von S*** gelenkte LKW-Zug des Erstbeklagten genähert. Dieser LKW-Zug sei infolge der schneeglatten Fahrbahn und der Bombierung der Straße, möglichweise auch wegen Einhaltung einer zu hohen Fahrgeschwindigkeit durch den Lenker bzw möglicherweise durch eine unsachgemäße Bremsung, zu knapp an den von der Klägerin benützten Gehsteig herangekommen. Die Klägerin sei vom LKW-Zug gestreift, niedergestoßen und schwer verletzt worden. Die Haftung der Beklagten werde "primär auf die Bestimmungen des EKHG bzw KFG 1967, hilfsweise auch auf ABGB" gestützt.
Die Beklagten wendeten dem Grunde nach ein, es handle sich bei den Behauptungen der Klägerin um reine Mutmaßungen, die durch nichts nachzuweisen seien. Die Verletzung der Klägerin stehe in keinem Zusammenhang mit dem Betrieb des LKW-Zuges; das Verletzungsbild spreche eher für einen Sturz der Klägerin ohne Fremdverschulden. Der Gehsteig sei mit Neuschnee bedeckt gewesen, wodurch ein Ausrutschen der Klägerin leicht möglich gewesen sei.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren im wesentlichen mit der Begründung ab, daß ein Zusammenhang zwischen dem Betrieb des LKW-Zuges und dem Sturz der Klägerin und ihrer Verletzung nicht erweisbar sei.
Der gegen diese Entscheidung des Erstgerichtes gerichteten Berufung der Klägerin gab das Berufungsgericht (teilweise) Folge. Es bestätigte mit Urteil die Entscheidung des Erstgerichtes im Umfang der Abweisung des auf Feststellung der Haftung der Beklagten zur ungeteilten Hand für künftige Unfallschäden der Klägerin über die in den §§ 15 f EKHG normierten Höchstbeträge hinaus gerichteten Feststellungsbegehrens und änderte es im Umfang der Abweisung des Leistungsbegehrens mit einem Betrag von S 60.000,-- sA und des auf Feststellung der Haftung der Beklagten zur ungeteilten Hand für 50 % der künftigen Unfallschäden der Klägerin im Rahmen der in den §§ 15 f EKHG normierten Höchstbeträge gerichteten Feststellungsbegehrens im Sinne der Stattgebung des diesbezüglichen Klagebegehrens ab. Im übrigen, nämlich hinsichtlich des weiteren Leistungsbegehrens von S 60.000,-- sA und des Feststellungsbegehrens bezüglich der weiteren Quote von 50 % innerhalb der Haftungsgrenzen der §§ 15 f EKHG, hob das Berufungsgericht mit Beschluß das Urteil des Erstgerichtes unter Rechtskraftvorbehalt auf und verwies die Rechtssache in diesem Umfang zur Ergänzung der Verhandlung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurück. Das Berufungsgericht sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes, über den es entschieden hat, S 300.000,-- nicht übersteigt, daß der von der Bestätigung betroffene Wert des Streitgegenstandes S 60.000,-- nicht übersteigt und daß die Revision gegen sein Teilurteil nach § 502 Abs 4 Z 1 ZPO zulässig sei.
Das Berufungsgericht stellte nach Beweiswiederholung und -ergänzung im wesentlichen folgenden Sachverhalt fest:
Die Klägerin verließ am frühen Morgen des 23.12.1983 um etwa 5,30 Uhr ihre Wohnung in Dietachdorf, um sich über die Harrstraße zur Busstation Heuberg zu begeben, wo um 5,50 Uhr ein Autobus in Richtung Steyr abfahren sollte. Hiezu überquerte sie beim Haus Nr 24 die Harrstraße. Der Gehsteig vor dem Haus Harrstraße bis zum Haus Harrstraße 18 (die Häuser sind durch eine unbebaute Parzelle voneinander getrennt) war mit einer 8 cm hohen Schicht Neuschnee bedeckt. Nach einem kurzen Gespräch mit Wilhelm R*** und nach dem Überqueren der Harrstraße vor dem Haus Nr 24 betrat die Klägerin wahrscheinlich nicht den Gehsteig, sondern setzte ihren Weg unmittelbar entlang diesem Gehsteig auf der Straße fort, auf der ihr als einziges Fahrzeug der LKW-Zug des Erstbeklagten entgegenkam. Der von Ernst S*** gelenkte LKW-Zug hatte gerade das etwa 600 m entfernte Firmengelände verlassen und reduzierte bei Annäherung an die Klägerin sein ursprüngliches Fahrtempo von 40 auf 24 km/h. Nach dieser Strecke von etwa 600 m bestand an sich die Notwendigkeit, die Schneeketten, die am LKW-Zug entweder am vorderen rechten oder linken Antriebsrad oder an den Hinterrädern befestigt waren, nachzuspannen. Zum Zeitpunkt der Begegnung mit dem LKW und Anhänger kam die Klägerin zum Sturz und fiel auf den Gehsteig. Als wahrscheinlichste Ursache für den Sturz ist ein Kontakt der Klägerin mit der 1,61 m über dem Straßenniveau liegenden an der rechten Vorderkante des Zugfahrzeuges montierten mit einem 3 cm messenden Zapfen versehenen Spange anzunehmen. Danach wäre die Klägerin an der rechten Schädelseite erfaßt und auf dem Gehsteig zum Sturz gebracht worden. All dies als Folge einer nicht näher zu erklärenden Instabilität der Fahrweise des S***, wodurch er mit Teilen der rechten Flanke seines Lastzuges so nahe an die Klägerin herangekommen wäre, daß sie sich mit ihr tangential überdeckt hätte. Die Klägerin erlitt bei dem Sturz einen offenen Bruch des rechten Scheitel- und Stirnbeines sowie eine Gehirnprellung mit Blutung in das Hirnwasser und in den Rückenmarkkanal. Spätfolgen, insbesondere in Form einer posttraumatischen Epilepsie, sind nicht auszuschließen. Die Klägerin hatte verletzungsbedingt eine Woche starke Schmerzen, drei bis vier Wochen mittelstarke Schmerzen und drei Monate leichte Schmerzen zu erdulden.
Rechtlich führte das Berufungsgericht im wesentlichen aus, es sei sowohl materiell- als auch verfahrensrechtlich zu prüfen, ob und inwieweit die Benützung der Fahrbahn durch die Klägerin in der Annahme einer bestimmten Mitverschuldensquote die als solche im Berufungsverfahren nicht eingewendet worden sei, ihren Niederschlag finden müsse. Im Einwand, die Klägerin sei aus eigenem Verschulden gestürzt, könne bei großzügigster Betrachtung eventuell die Prozeßbehauptung gesehen werden, sie sei zumindest als an der Unfallsentstehung mitschuldig zu betrachten. Auch hätten sich Details des Unfallsgeschehens, daß nämlich die Kopfverletzung in der Höhe der vorderen Spange der Bordwand nur dann als Folge der Kollision mit dem LKW-Zug erklärt werden könne, wenn die Klägerin die Fahrbahn benützt habe, erst aus dem in zweiter Instanz durchgeführten Beweisverfahren ergeben. Ein Mitverschuldenseinwand der Beklagten mit den damit verbundenen konkreten Tatsachen wäre aber unter Umständen eine unzulässige Neuerung; er würde es zumindest erforderlich machen, zunächst die Entscheidung des Erstgerichtes aufzuheben, um den Beklagten Gelegenheit zu einem derartigen Mitverschuldenseinwand zu geben. Damit hingen die Grenzen der Erörterungspflicht des Berufungsgerichtes im Sinne des § 182 ZPO zusammen, ob nämlich die Beklagten besonders darauf hinzuweisen gewesen wären, daß das Berufungsgericht im Tatsachenbereich davon ausgehen könnte, die Klägerin habe die Fahrbahn benützt, verbunden mit der Frage, ob für diesen Fall ein Mitverschuldenseinwand erhoben werde. Im vorliegenden Fall sei die Grundlage für die (notwendige) Annahme eines Mitverschuldens der Klägerin nicht schon darin zu erblicken, daß die Beklagten schon in erster Instanz behauptet hätten, die Klägerin sei auf dem Gehsteig spontan gestürzt. Könnte man aber in der Nichterörterung der Mitverschuldensfrage im Verfahren zweiter Instanz eine Mangelhaftigkeit erblicken, erweise sich der nunmehr erhobene Sachverhalt nur im Ausmaß einer Halterhaftung im Umfang von 50 % (§§ 9 und 7 EKHG bzw 1304 ABGB) als spruchreif. Es stehe zwar nicht fest, wie lange der LKW-Lenker objektiv die Klägerin auf der Fahrbahn der Harrstraße wahrzunehmen vermocht habe. Daß sie erst knapp vor ihm auf die Fahrbahn herabgestiegen wäre, sei äußerst unwahrscheinlich und wäre überdies durch die Beklagten zu beweisen gewesen. Das abgeführte Verfahren ergebe dafür keinen Anhaltspunkt.
Im Feststellungsteil des Spruches sei hinsichtlich der Zweitbeklagten die Beschränkung der Haftung auf die Versicherungssumme nur deshalb weggelassen worden, weil diese nur höher sein könnte als die Höchstbeträge nach den §§ 15 f EKHG. Im Hinblick auf die festgestellten Verletzungsfolgen der Klägerin erscheine ein Schmerzengeld von S 120.000,-- angemessen und das Urteilsbegehren auch im Feststellungsteil, allerdings nur zu 50 %, gerechtfertigt. Trotz der 8 cm hohen Neuschneeschicht hätte die Klägerin ohne weiteres den Gehsteig benützen können und habe die Tatsache, daß sie auf der Fahrbahn gegangen sei, unter den erschwerten Witterungsverhältnissen eine gewisse Beeinträchtigung des Straßenverkehrs bedeutet. Sie könne aber nicht so groß sein, daß das Klagebegehren nicht einmal mit 50 % gerechtfertigt wäre. Im einzelnen stehe noch gar nicht fest, ob und in welchem Umfang die Beklagten im fortgesetzten Verfahren überhaupt einen Mitverschuldenseinwand erheben würden. Im Umfang der weiteren 50 % sei daher nach § 496 Abs 1 Z 2 und Z 3 ZPO die Entscheidung des Erstgerichtes aufzuheben. Wiewohl in diesem Umfang keine weiteren Beweisaufnahmen vor dem Erstgericht mehr erforderlich seien, stelle sich das Vorbringen neuer Tatsachen in zweiter Instanz eher als Ausnahme dar und könnten überhaupt nur auf diesem Weg einheitliche Anfechtungsvoraussetzungen dadurch geschaffen werden, daß die teilweise Aufhebung der erstgerichtlichen Entscheidung dem Berufungsgericht die Möglichkeit verschaffe, diesen Teil seiner Entscheidung mit einem Rechtskraftvorbehalt zu versehen. Daß im vorliegenden Teil der dem Teilurteil zugrundegelegte Beweis des ersten Anscheines sich nicht voll mit den von der Klägerin im Verfahren erster Instanz aufgestellten Behauptungen decke, erscheine im Zusammenhang mit den Verflechtungen des Aufhebungsbeschlusses eine für die Rechtsentwicklung bedeutende Rechtsfrage nach § 502 Abs 4 Z 1 ZPO abzugeben. Die für den vorliegenden Fall typische Verbindung von Erörterungspflicht und Neuerungsverbot nach den §§ 182 und 482 ZPO könne durch die bisherige Entscheidungspraxis nicht gelöst werden. Überdies würden durch eine weitere Tagsatzung vor dem Berufungsgericht die lediglich der Aufnahme eines neuen Vorbringens zu dienen hätte, höhere Kosten entstehen als durch die Fortsetzung des Verfahrens vor dem Erstgericht, wozu es auch noch fraglich erscheine, ob die Parteien überhaupt, wenn dieses Teilurteil in Rechtskraft erwachsen sollte, eine Verfahrensfortsetzung anstreben würden. Die Notwendigkeit der Aufhebung habe sich erst nach gewissenhafter Überprüfung und Gewichtung der Beweisergebnisse in der geheimen Urteilsberatung nach Schluß der Verhandlung ergeben, sodaß es schon aus diesem Grund nicht ohne weiteres möglich gewesen wäre, schon im Rahmen der wohl wiederum als Einheit zu behandelnden mündlichen Berufungsverhandlung einen Aufhebungsbeschluß zu fassen und noch in der Verhandlung zu verkünden. Mit einem solchen Vorgehen solle im allgemeinen den Parteien nicht eine Instanz entzogen werden. Wenn freilich der Ermessensrahmen für die Mitverschuldensquote schon allein durch die bisherigen Verfahrensergebnisse und die für das Teilurteil maßgeblichen Feststellungen bestimmt sei, sprächen die durch den Gesetzeswortlaut bestimmten Grenzen des § 488 Abs 1 ZPO, aber selbst die durch die ZVN 1983 aufgehobene Bestimmung des § 478 Abs 4 ZPO eher gegen die Zulassung eines Mitverschuldenseinwandes im Verfahren zweiter Instanz, zumal selbst das ASGG in Änderung des § 25 ArbGG von einer gänzlichen Neudurchführung des Verfahrens in zweiter Instanz Abstand genommen habe.
Gegen das Urteil des Berufungsgerichtes richtet sich die Revision der Beklagten. Sie bekämpfen es in seinem klagsstattgebenden Teil aus den Revisionsgründen der Aktenwidrigkeit und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im Sinne der Abweisung des Klagebegehrens abzuändern; hilfsweise stellen sie einen Aufhebungsantrag. Die Klägerin hat eine Revisionsbeantwortung mit dem Antrag erstattet, der Revision der Beklagten keine Folge zu geben. die Klägerin bekämpft mit ihrem Rekurs den Aufhebungsbeschluß des Berufungsgerichtes mit dem Antrag, "das Berufungsurteil des OLG Linz dahingehend abzuändern, daß der Berufung der klagenden Partei zur Gänze Folge gegeben wird, im Feststellungsbegehren mit der Maßgabe, daß die Haftung der beklagten Parteien durch die Höchstbeträge der §§ 15 f EKHG beschränkt ist"; hilfsweise stellt sie einen Aufhebungsantrag.
Die Beklagten haben eine Rekursbeantwortung mit dem Antrag erstattet, "dem Rekurs der Klägerin keine Folge zu geben, sondern diesen Rekurs auf die Entscheidung über das Rechtsmittel der klagenden Partei zu verweisen"; hilfsweise stellen sie den Antrag, "den angefochtenen Aufhebungsbeschluß zu bestätigen". Beide Rechtsmittel sind zulässig und im Ergebnis sachlich berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
Die Vorschriften des EKHG ändern nichts daran, daß der Geschädigte die Verursachung seines Schadens durch das Kraftfahrzeug zu beweisen hat (ZVR 1978/89; 8 Ob 195/81; ZVR 1982/334; 8 Ob 48/86; 7 Ob 22/88 ua). Die Halterhaftung nach den Bestimmungen des EKHG setzt voraus, daß der Schaden durch einen Unfall beim Betrieb eines Kraftfahrzeuges verursacht wurde (§ 1 EKHG). Ob der Schaden durch das Kraftfahrzeug verursacht wurde, ist eine Tatsachenfrage, die nur auf Grund konkreter Sachverhaltsfeststellungen gelöst werden kann. Während das Erstgericht den für die Bejahung der Schadenersatzpflicht der Beklagten erforderlichen Zusammenhang zwischen dem Betrieb des LKW-Zuges des Erstbeklagten und der Verletzung der Klägerin in tatsächlicher Hinsicht nicht als erwiesen erachtete, läßt sich aus den Feststellungen des Berufungsgerichtes das Vorliegen eines derartigen Zusammenhanges nicht mit Sicherheit beurteilen. Wenn nämlich das Berufungsgericht davon ausging, daß die Klägerin nach dem Überqueren der Harrstraße wahrscheinlich nicht den Gehsteig betrat, sondern ihren Weg unmittelbar entlang diesen Gehsteig auf der Fahrbahn fortsetzte und daß als wahrscheinlichste Ursache für den Sturz der Klägerin angenommen werde, daß sie mit einer Spange an der rechten Vorderkante des Zugfahrzeuges des LKW-Zuges in Berührung gekommen sei, läßt sich daraus zumindest nicht mit der erforderlichen Sicherheit entnehmen, ob das Berufungsgericht nun einen solchen Unfallsablauf feststellte oder nicht. Im besonderen die Bemerkung des Berufungsgerichtes im Rahmen seiner rechtlichen Beurteilung, daß seinem Teilurteil ein Beweis des ersten Anscheines zugrundegelegt worden sei, läßt dies fraglich erscheinen.
Der Anscheinsbeweis beruht darauf, daß bestimmte Geschehensabläufe typisch sind und es daher wahrscheinlich ist, daß auch im konkreten Fall ein derartiger gewöhnlicher Ablauf und nicht ein atypischer gegeben ist. Der bloße Verdacht eines bestimmten Ablaufs, der auch andere Verursachungsmöglichkeiten offenläßt, gibt für den Beweis des ersten Anscheins keinen Raum. Vom Beweis des ersten Anscheins ist der Indizienbeweis zu unterscheiden, der darauf gerichtet ist, durch den Beweis bestimmter Hilfstatsachen dem Gericht die volle Überzeugung des Vorhandenseins der direkt nicht oder nur schwer zu beweisenden Haupttatsache zu vermitteln (SZ 57/20 mwN ua). Ob in einem bestimmten Fall ein Anscheinsbeweis zulässig ist, ob also die Voraussetzungen dafür vorliegen, daß anstelle eines vom Gesetz geforderten Tatbestandsmerkmales ein anderes bewiesen werden darf, kann als Frage der rechtlichen Beurteilung auch vom Obersten Gerichtshof überprüft werden. Ob der Anscheinsbeweis erbracht oder erschüttert worden ist, ist hingegen eine vom Obersten Gerichtshof nicht mehr überprüfbare Beweiswürdigungsfrage (JBl 1988, 243 mwN ua).
Die ausschließlich dem Tatsachenbereich zuzuordnende Frage, ob die Klägerin dadurch verletzt wurde, daß sie durch Einwirkung des LKW-Zuges des Erstbeklagten zu Sturz gebracht wurde, ist einem Anscheinsbeweis im dargestellten Sinne nicht zugänglich, weil es sich hier nicht um irgendeinen typischen Geschehensablauf handelt, der es rechtfertigen könnte, anstelle der ganz konkreten Beantwortung der zu lösenden Tatfrage eine andere Tatsache als erwiesen anzunehmen und daraus unter Berufung auf einen typischen Erfahrungszusammenhang die Beantwortung der zu lösenden Tatfrage abzuleiten (vgl Reischauer in Rummel, ABGB, Rz 4 - 5 zu § 1296 ABGB). Es handelt sich vielmehr im vorliegenden Fall darum, ob die in den vom Berufungsgericht verwerteten Verfahrensergebnissen enthaltenen Indizien dafür ausreichen, bestimmte Feststellungen über den Unfallsablauf zu treffen oder nicht. Dies hat das Gericht unter sorgfältiger Berücksichtigung der Ergebnisse der gesamten Verhandlung und Beweisführung nach freier Überzeugung zu beurteilen (§ 272 Abs 1 ZPO). Es ist sicher richtig, daß dabei auch Wahrscheinlichkeitserwägungen ein Rolle spielen. Diese gehören aber ausschließlich in den Bereich der Beweiswürdigung. Ob die Klägerin dadurch verletzt wurde, daß eine vom im Betrieb befindlichen LKW-Zug des Erstbeklagten ausgehende Gewalteinwirkung ihren Sturz herbeiführte, ist eine Tatsachenfrage, deren Lösung ihre eindeutige Bejahung oder Verneinung erfordert. Ob ein bestimmter Unfallsablauf aus bestimmten Gründen wahrscheinlich ist oder nicht, mag im Rahmen der vorzunehmenden Beweiswürdigung eine Rolle spielen; eine Feststellung, daß ein bestimmter Unfallsablauf in einem bestimmten Grad wahrscheinlich ist oder nicht, reicht jedoch zur erforderlichen Schaffung der einer einwandfreien rechtlichen Beurteilung zugänglichen Sachverhaltsgrundlage nicht aus. Diese erfordert vielmehr, daß das Gericht eindeutig und unmißverständlich zum Ausdruck bringt, welchen Sachverhalt es als erwiesen bzw welchen behaupteten Sachverhalt es als nicht erwiesen erachtet. Da die vom Berufungsgericht getroffenen Sachverhaltsfeststellungen über den Unfallsablauf diesen Anforderungen nicht entsprechen, weil sie nicht mit der erforderlichen Sicherheit erkennen lassen, welchen Sachverhalt das Berufungsgericht als erwiesen (nicht als wahrscheinlich) erachtete, liegen in Wahrheit dem Bereich der rechtlichen Beurteilung zuzuordnende Feststellungsmängel vor, die eine Aufhebung der gesamten Entscheidung des Berufungsgerichtes im Umfang der Anfechtung erforderlich machen, ohne daß es notwendig wäre, auf die übrigen Rechtsmittelausführungen der Streitteile im einzelnen einzugehen. Es wird Sache des Berufungsgerichtes sein, in diesem Umfang über die Berufung der Klägerin neuerlich zu entscheiden und, sollte es auf Grund der von ihm vorgenommenen Beweiswiederholung und Beweisergänzung von den Feststellungen des Erstgerichtes abgehen wollen, selbst eindeutige Feststellungen über den Unfallsablauf zu treffen.
Was die Frage anlangt, ob dann, wenn das Berufungsgericht auf Grund einer Beweiswiederholung zu vom Erstgericht abweichenden Tatsachenfeststellungen kommt, das Urteil des Erstgerichtes teilweise deswegen aufgehoben werden darf, um dem Beklagten Gelegenheit zur Erhebung eines bisher von ihm nicht erhobenen Mitverschuldenseinwandes zu geben, ist davon auszugehen, daß sich nach ständiger Rechtsprechung (SZ 37/151; EvBl 1972/219; ZVR 1973/1; zuletzt etwa 4 Ob 547/87; 7 Ob 685/87) die Prüfung des Mitverschuldens auf jene tatsächlichen Umstände zu beschränken hat, die der Beklagte im Verfahren erster Instanz eingewendet hat. Derjenige, der nicht schon im Verfahren erster Instanz einen Mitverschuldenseinwand erhoben hat, kann dies daher im Rechtsmittelverfahren nicht mehr nachholen (ZVR 1980/73 mwN; JBl 1985, 38; 8 Ob 31/84 ua).
Es obliegt somit im Schadenersatzprozeß nach einem Verkehrsunfall dem Beklagten, der ein Mitverschulden des Klägers einwenden will, im Verfahren erster Instanz jene Tatsachenbehauptungen vorzubringen, aus denen er das von ihm geltend gemachte Mitverschulden des Klägers ableitet. Zu welchen Feststellungen über den Unfallsablauf das Gericht schließlich gelangt, hat damit nichts zu tun. Der Beklagte weiß auch im Verfahren erster Instanz vor Fällung des Urteils nicht, welche Feststellungen über den Unfallsablauf das Gericht treffen wird; trotzdem obliegt es ihm, die seinen Mitverschuldenseinwand begründenden Tatsachen vorzubringen. Die gleiche Überlegung gilt auch für das Berufungsverfahren, wenn das Berufungsgericht eine Beweiswiederholung durchführt. Es ist hier nicht zu erörtern, ob im Fall der Beweiswiederholung durch das Berufungsgericht der Beklagte noch im Berufungsverfahren Tatsachen vorbringen könnte, die einen (von ihm früher nicht erhobenen) Mitverschuldenseinwand begründen könnten; derartiges ist im vorliegenden Fall nicht erfolgt. Es ist aber nach ständiger Rechtsprechung (JBl 1976, 591; SZ 55/53; SZ 56/185; SZ 57/162 ua) für das Berufungsgericht nicht zulässig, nur zu dem Zweck ein erstgerichtliches Urteil aufzuheben, um Erörterungen über Tatsachen zu veranlassen, die im bisherigen Verfahren nicht behauptet wurden, und damit dem Erstgericht eine Verfahrensergänzung aufzutragen, die durch das Prozeßvorbringen der Parteien nicht gedeckt ist. Dies gilt auch für den Fall eines bisher nicht erhobenen Mitverschuldenseinwandes im Schadenersatzprozeß nach einem Verkehrsunfall dann, wenn das Berufungsgericht nach Beweiswiederholung zu Feststellungen über den Unfallsablauf kommt, die von den Feststellungen des Erstgerichtes abweichen. Der Vorbehalt der Kosten des Revisions- und des Rekursverfahrens beruht auf § 52 ZPO.
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