Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Die vorinstanzlichen Urteile werden dahin abgeändert, daß die Entscheidung zu lauten hat:
Das Klagebegehren, die Umsatzsteuerforderung der R*** Ö*** (Finanzamt für den 6., 7. und 15. Bezirk) aus den Rechnungen der Klägerin an die G*** Gemeinnützige Siedlungs- und BaugesmbH, Eßlinggasse 8-10, 1013 Wien, vom 8. August 1986, Nummer 527/86-87/142, in der Höhe von S 467.702,45 und an die Firma H*** & M*** Bau AG, Annagasse 6, 1010 Wien, vom 8. August 1986, Nummer 547/86-87, in der Höhe von S 157.000,--, insgesamt daher S 624.702,45, sei im Ausgleich der Klägerin nicht bevorrechtet, wird abgewiesen.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 58.817,-- bestimmten Kosten des Verfahrens (einschließlich S 38,-- Barauslagen) binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die klagende Bauunternehmung teilte am 8. August 1986 ihren Bauherren mit, es sei ihr nicht mehr möglich, die Bautätigkeit aufrechtzuerhalten und diese werde mit dem selben Tag eingestellt. Am 11. August 1986 wurde über ihr Vermögen das Ausgleichsverfahren eröffnet. In der Folge stellte die klagende Partei mit 8. August 1986 datierte Rechnungen an die Firma G*** Gemeinnützige Siedlungs- und Baugesellschaft mbH und an die Firma H*** & M*** Bauaktiengesellschaft über nicht zu Ende geführte Bauarbeiten aus, in welchen auch die entsprechenden Umsatzsteuerbeträge enthalten waren.
Mit der vorliegenden Klage wird die Feststellung begehrt, die Forderungen der beklagten Partei an in den beiden Rechnungen ausgewiesener Umsatzsteuer von S 467.702,45 (Rechnung Nr. 527/86-87/142) und S 157.000,-- (Rechnung Nr. 547/86-87) seien im Ausgleich der klagenden Partei nicht bevorrechtet. Die beklagte Partei beantragte unter Hinweis auf die aus § 23 AO iVm § 3 UStG abgeleitete Qualifikation der Steuerforderungen als bevorrechtete Forderungen die Abweisung der Klage. Die Einstellung der Bautätigkeit habe nach ihrer Ansicht keine Lieferung oder sonstige Leistung im Sinne des Umsatzsteuergesetzes zur Folge, weil die gegenseitigen Erfüllungsansprüche noch bestünden und die Ablehnung der Erfüllung als eine das unter Ausgleichsverwaltung stehende Vermögen betreffende, der Umsatzbesteuerung unterliegende Verwertungshandlung anzusehen sei.
Das Erstgericht gab der Klage statt. Es verwies darauf, daß die klagende Partei nach Ausgleichseröffnung keine Bautätigkeiten mehr entfaltet habe und vertrat die Rechtsansicht, die Besteller hätten bereits vor der Ausgleichseröffnung die Verfügungsmacht über das jeweils unfertige Werk erhalten, sodaß der die Abgabepflicht auslösende Sachverhalt bereits vor Ausgleichseröffnung verwirklicht worden sei. Allein der Zeitpunkt der Verwirklichung des abgabenrechtlich relevanten Sachverhaltes und nicht jener der Fälligkeit der Abgabenverbindlichkeit sei entscheidend. Die Umsatzsteuerforderung der beklagten Partei stelle somit keine bevorrechtete Forderung im Ausgleichsverfahren dar. Das Berufungsgericht bestätigte das erstgerichtliche Urteil. Es sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes hinsichtlich der Rechnung Nr. 527/86-87/142 den Betrag von S 300.000,-- übersteige, jener hinsichtlich der Rechnung Nr. 547/86-87 den Betrag von S 60.000,--, nicht aber jenen von S 300.000,-- übersteige und daß insoweit die Revision zulässig sei. In seiner rechtlichen Beurteilung gab das Berufungsgericht die Rechtsausführungen des Obersten Gerichtshofes in dessen Entscheidung 5 Ob 358/87 wieder, welcher ein gleichartiges Feststellungsbegehren des Masseverwalters im Konkurse einer Baufirma bei nachträglicher Rechnungslegung für unvollständig gebliebene Bauführungen zugrundegelegen war. Der Oberste Gerichtshof hat hierin das rechtliche Interesse an der begehrten Feststellung, die Umsatzsteuerforderung stelle keine Masseforderung im Sinn des § 46 KO, sondern eine Konkursforderung dar, bejaht und der Klage stattgegeben. Er verwies dabei auf § 46 Abs 1 Z 2 KO, wonach die die Masse treffenden Steuern Masseforderungen sind, wenn und soweit der die Abgabepflicht auslösende Sachverhalt während des Konkursverfahrens verwirklicht wurde. Der die Umsatzsteuerpflicht auslösende Sachverhalt sei im Falle eines in Lieferungen oder sonstigen Leistungen bestehenden steuerbaren Umsatzes die Ausführung der Lieferung oder sonstigen Leistung. Lieferungen seien ausgeführt, wenn der Unternehmer den Abnehmer befähigt habe, im eigenen Namen über den Lieferungsgegenstand zu verfügen (§ 3 Abs 1 und 7 UStG). Dies gelte auch für Werklieferungen, wobei die Verschaffung der Verfügungsmacht durch schlüssiges Verhalten des Auftraggebers ohne formelle Abnahme erfolgen könne. Ob der Abnehmer bürgerlich-rechtlich fortlaufend Eigentümer der verbauten Stoffe werde, sei für die Verschaffung der Verfügungsmacht im umsatzsteuerrechtlichen Sinn bedeutungslos. Nach Darstellung der unterschiedlichen Lehrmeinungen kam der Oberste Gerichtshof insgesamt zum Ergebnis, die durch schlüssiges Verhalten erfolgte Erklärung des klagenden Masseverwalters, im Sinne des § 21 Abs 1 KO vom Vertrag zurückzutreten, habe bürgerlich-rechtlich zur Folge, daß eine weitere Erfüllung des Vertrages unterbleibe. Umsatzsteuerrechtlich bedeute sie, daß dem Bauherrn am tatsächlich erbrachten Teil der Werklieferung bereits mit der Konkurseröffnung Verfügungsmacht verschafft wurde. Somit sei der die Umsatzsteuerpflicht begründende Sachverhalt aber nicht während des Konkursverfahrens verwirklicht worden und die diesbezügliche Umsatzsteuerforderung daher als Konkursforderung zu qualifizieren. Diese Lösung stimme auch mit der Wertung des Gesetzes überein, wie sie in § 21 Abs 2 KO zum Ausdruck komme. Wenn der Vertragsrücktritt des Masseverwalters im Sinne des § 21 KO keine Masseforderung des Vertragspartners begründe, müsse dies erst recht für die damit verbundenen umsatzsteuerrechtlichen Reflexwirkungen gelten. Das Berufungsgericht vertrat die Rechtsansicht, daß der vorliegende Fall wegen der Gleichartigkeit der Regelungen des § 23 Abs 1 Z 2 AO und des § 46 Abs 1 Z 2 KO im Sinne der vorgenannten Kriterien zu beurteilen sei. Zur Erstellung von Schlußrechnungen über nicht fertiggestellte Bauten könne es im Ausgleichsverfahren nämlich auch nur kommen, wenn feststehe, daß der Ausgleichsschuldner die Bauführungen nicht vollenden werde. Hier habe die klagende Partei durch die schon vor Ausgleichseröffnung erklärte Einstellung ihrer Bautätigkeit den Bauherren schon vor der Ausgleichseröffnung Verfügungsmacht über die nicht fertiggestellten Bauten eingeräumt. Darin sei der die Umsatzsteuerpflicht der klagenden Partei in Ansehung der von ihr ausgeführten Werklieferungen auslösende Sachverhalt zu erblicken, der demnach nicht erst während des Ausgleichsverfahrens verwirklicht worden sei. Die streitgegenständlichen Umsatzsteuerforderungen der beklagten Partei seien daher nicht als bevorrechtete Forderungen im Ausgleich der klagenden Partei zu qualifizieren. Auf die Bedeutung einer allfälligen Erklärung des Ausgleichsschuldners gemäß § 20 b Abs 1 AO, von einem noch nicht vollständig erfüllten zweiseitigen Vertrag zurückzutreten, sei hier nicht einzugehen, weil die nunmehrige Ausgleichsschuldnerin ihren Vertragsrücktritt schon vor Ausgleichseröffnung erklärt habe.
Rechtliche Beurteilung
Gegen die berufungsgerichtliche Entscheidung richtet sich die auf den Anfechtungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung (§ 503 Abs 1 Z 4 ZPO) gestützte Revision der beklagten Partei mit dem Antrage auf Abänderung im Sinne der Klageabweisung. Die Revisionswerberin führt aus, die vom Berufungsgericht zitierte Entscheidung 5 Ob 358/87 befaße sich nicht mit dem Fall der Abgabe einer Erklärung des Ausgleichsschuldners gemäß § 20 b AO. Eine Vertragsauflösung setze die Zustimmung des Vertragspartners voraus, § 20 b Abs 1 AO räume erst nach Eröffnung eines Ausgleichsverfahrens unter den besonderen Voraussetzungen des Abs 2 leg. cit. die Ermächtigung zum Vertragsrücktritt ein. Die klagende Partei habe zwar drei Tage vor Eröffnung des Ausgleichsverfahrens die Erklärung abgegeben, von den gegenständlichen Verträgen "zurückzutreten", dieses Recht komme ihr aber nicht zu, weil die Bestimmungen des § 20 a ff AO ihren klar umgrenzten zeitlichen Geltungsbereich hätten und Verträge grundsätzlich erfüllt werden müßten, wogegen die Bestimmung des § 21 KO auch eine einseitige Vertragsauflösung ermögliche. Die in § 20 b AO geregelten Befugnisse zur Vertragsauflösung könnten und dürften nicht von zahlungsunfähigen Schuldnern durch Rücktrittserklärung kurz vor der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens unterlaufen werden. Vorliegendenfalls seien weder Maßnahmen nach § 20 b AO erfolgt noch sei der Ausgleich nicht zustandegekommen. Die vor der Ausgleichseröffnung von der klagenden Partei abgegebenen Erklärungen über die Einstellung der Bautätigkeit hätten zu keinem umsatzsteuerbaren Vorgang geführt. Im übrigen wäre die Umsatzsteuerschuld gemäß § 19 Abs 2 Z 1 lit a UStG jedenfalls erst mit 31. August 1986 bzw. 30. September 1986, also nach Ausgleichseröffnung, entstanden. Die Bestimmung des § 23 AO verweise konform mit jener des § 4 BAO auf den die Abgabepflicht auslösenden Sachverhalt.
Diese Ausführungen sind im Ergebnis berechtigt.
Die Beantwortung der Frage, ob die gegenständlichen Umsatzsteuerforderungen bevorrechtete Forderungen sind oder nicht, hängt im Sinne der ausdrücklichen Anordnung des § 23 Abs 1 Z 2 AO davon ab, ob diese Umsatzsteuerforderungen der beklagten Partei das unter Ausgleichsverwaltung stehende Vermögen treffende Steuern sind, hinsichtlich welcher der die Abgabepflicht auslösende Sachverhalt nach der Eröffnung des Ausgleichsverfahrens bewirkt wurde (vgl. hiezu Werndl in ÖStZ 1983, 86 f, wonach ab 1. Jänner 1984 für die insolvenzrechtliche Qualifikation von Abgabenforderungen nicht das Entstehen der Steuerschuld auf der Grundlage eines abgabenrechtlich relevanten Sachverhaltes, sondern die Verwirklichung dieses abgabenrechtlichen Sachverhaltes selbst maßgeblich sein soll, während es auf die Fälligkeit nicht mehr ankommt). Der die Umsatzsteuerpflicht auslösende Sachverhalt liegt bei in Lieferungen und Leistungen bestehenden steuerbaren Umsätzen in ihrer Ausführung. Eine Werklieferung ist im Sinne der in der Entscheidung 5 Ob 358/87 erfolgten Darlegungen ausgeführt, wenn dem Abnehmer die Verfügungsmacht am fertigen Werk verschafft ist. Hinsichtlich der bei Eröffnung eines insolvenzrechtlichen Verfahrens vom Gemein- oder Ausgleichsschuldner als Bauführer nicht fertiggestellten Bauwerke ist der Zeitpunkt der Verschaffung der Verfügungsmacht in der Lehre umstritten. Im Falle der Entscheidung 5 Ob 358/87 nahm der Oberste Gerichtshof an, daß nach einer zwei Monate vor Konkurseröffnung erfolgten tatsächlichen Einstellung der Bauarbeiten durch die Gemeinschuldnerin als Unternehmerin der klagende Masseverwalter durch schlüssiges Verhalten den Vertragsrückritt im Sinne des § 21 Abs 1 KO erklärt habe, woraus bürgerlich-rechtlich folge, daß eine weitere Erfüllung des Vertrages unterbleibe. Solcherart sei umsatzsteuerrechtlich am tatsächlich erbrachten Teil der Werklieferung dem Besteller bereits mit der Konkurseröffnung die Verfügungsmacht verschafft und demnach der die Umsatzsteuerpflicht auslösende Sachverhalt nicht erst während des Konkursverfahrens verwirklicht worden, so daß die Umsatzsteuerforderung der beklagten Partei eine Konkursforderung darstelle.
Vorliegendenfalls hat das Berufungsgericht angenommen, die klagende Partei sei bereits drei Tage vor der Ausgleichseröffnung von den beiden Verträgen zurückgetreten, habe den Auftraggebern solcherart die Verfügungsmacht über die unfertigen Bauwerke verschafft und damit den die Abgabepflicht auslösenden Sachverhalt noch vor Eröffnung des Ausgleichsverfahrens bewirkt, so daß die Umsatzsteuerforderungen der beklagten Partei im Ausgleichsverfahren nicht bevorrechtet seien. Dieser Rechtsansicht kann nicht gefolgt werden.
Grundsätzlich war die klagende Partei nicht berechtigt, wegen der in ihrer Sphäre eingetretenen leistungshindernden Umstände von den Verträgen zurückzutreten. Ihre Erklärung vom 8. August 1985, die Bautätigkeit einzustellen, kann daher nur als allfälliges Anbot angesehen werden, die Verträge, soweit sie noch nicht erfüllt waren, einvernehmlich aufzulösen. Als solches war es im Zeitpunkt der Eröffnung des Ausgleichsverfahrens am 11. August 1988 von den beiden Auftraggebern weder ausdrücklich noch stillschweigend - für ein konkludentes Verhalten fehlt es an jeglicher Klagsbehauptung und tatsächlich auch jedenfalls am erforderlichen
Zeitablauf - angenommen worden. Grundsätzlich konnten die Auftraggeber ihrerseits im Sinne der §§ 918, 920 ABGB vorgehen und gemäß diesen Bestimmungen vom Vertrag zurücktreten. Dies ist vor der Ausgleichseröffnung nicht geschehen. Nach der Ausgleichseröffnung hätte ein Rücktritt der klagenden Partei von den teilweise noch nicht erfüllten Verträgen im Sinne der zutreffenden Ausführungen der Revisionswerberin gemäß § 20 b Abs 2 AO nur noch mit Zustimmung des Ausgleichsgerichtes vom Ausgleichsverwalter erklärt werden können. Daß ein solcher, vom Ausgleichsgericht genehmigter Rücktritt durch den Ausgleichsverwalter erfolgt sei, hat die klagende Partei nicht behauptet und ist im Verfahren auch nicht hervorgekommen. Somit waren die beiden Verträge aber im Zeitpunkt der Eröffnung des Ausgleichsverfahrens über das Vermögen der klagenden Partei aufrecht - ihre weitere Erfüllung durch Fertigstellung der Bauwerke konnte gemäß § 20 b Abs 2 AO durchaus im Interesse der Ausgleichsschuldnerin gelegen sein - und die beiden Auftraggeber hatten daher auch noch nicht im Sinne der Entscheidung 5 Ob 358/87 die Verfügungsmacht über die unvollendet gebliebenen Bauwerke erlangt. Demnach war aber gemäß § 23 Abs 1 Z 2 AO der die Abgabepflicht auslösende Sachverhalt bei Eröffnung des Ausgleichsverfahrens noch nicht verwirklicht. Das Klagebegehren, die aus den beiden angeführten Rechnungen hervorgehenden Umsatzsteuerforderungen der beklagten Partei seien im Ausgleichsverfahren der klagenden Partei nicht bevorrechtet, ist daher nicht berechtigt.
Demgemäß war der Revision der beklagten Partei Folge zu geben und in Abänderung der vorinstanzlichen Entscheidungen das Klagebegehren abzuweisen.
Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens erster Instanz gründet sich auf § 41 ZPO, jene über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens auf die §§ 41 und 50 ZPO.
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