OGH 4Ob622/88

OGH4Ob622/8813.12.1988

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Prof. Dr. Friedl als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Gamerith, Dr. Kodek, Dr. Niederreiter und Dr. Redl als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei V*** BAD G*** reg. Gen.m.b.H., Bad Goisern, Volksbankplatz 81, vertreten durch Dr. Dieter Wille, Rechtsanwalt in Bad Ischl, wider die beklagte Partei Helga L*** Gesellschaft mbH,

Bad Goisern, Wurmstein 26, vertreten durch die Geschäftsführerin Helga L***, Bad Goisern, Lasern 6, vertreten durch

Dr. Friedrich Frühwald, Rechtsanwalt in Wien, wegen Aufkündigung infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Kreisgerichtes Wels als Berufungsgericht vom 4. Juli 1988, GZ R 478/88-11, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Bad Ischl vom 3. März 1988, GZ 3 C 1144/87-7, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt und beschlossen:

 

Spruch:

1.) Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die Beklagte ist schuldig, der Klägerin die mit

S 2.719,20 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (davon S 247,20 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

2.) Über die Geschäftsführerin der Beklagten, Helga L***, wird eine Mutwillensstrafe von S 20.000,-- verhängt.

Text

Entscheidungsgründe:

Das Erstgericht bewilligte auf Grund seines Urteils vom 5. Oktober 1985 2 C 785/85 der Klägerin am 3. Jänner 1986 zu E 79/85 zur Hereinbringung der vollstreckbaren Forderung von S 325.000,-- s.A. die Zwangsversteigerung der Liegenschaft EZ 616 KG Lasern (Berghotel und Restaurant P***), die damals im Eigentum von Christian und Augustine H*** stand und mit vier Pfandrechten für Forderungen der Klägerin in der Höhe von S 3,250.000,--, 2,000.000,--, 1,900.000,-- und 3,500.000,-- belastet war. Im Zwangsversteigerungsverfahren untersagten die Verpflichteten ihrem Steuerberater, den gerichtlich beeideten Sachverständigen Auskünfte über die Ertragswerte der Liegenschaft zu geben; trotz eines gerichtlichen Schreibens vom 25. März 1986 waren sie nicht dazu bereit. Am 26. Februar 1986 fand die Schätzung statt. Am 7. Juli 1986 schlossen die Verpflichteten mit der Beklagten einen Pachtvertrag, mit dem sie den gesamten Hotel- und Restaurationsbetrieb samt dem dazu gehörenden Anlage- und Umlaufvermögen der Pächterin zum Besitz, zur Nutzung und zur Führung im eigenen Namen auf eine Pachtzeit von 99 Jahren (!) übergaben. Der jährliche Pachtzins wurde mit S 84.000,-- festgesetzt. Der Pachtvertrag sollte erstmals zum 16. Juni 2085 gekündigt werden können. Die Pächterin wurde verpflichtet, den Betrieb technisch und kaufmännisch nach den Grundsätzen einer ordnungsgemäßen Bewirtschaftung, die der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns entspricht, zu führen.

Die Geschäftsführerin der Beklagten ist Helga L***, die Tochter der Verpflichteten. Die Pächterin war berechtigt, das Bestandobjekt "unterzuvermieten" (in Afterpacht zu geben). Sie schloß noch am selben Tag (7. Juli 1986) mit der Christian H*** und Co Gesellschaft m.b.H., deren Geschäftsführerin ihre Schwester Augustine K*** ist, einen Betriebsunterpachtvertrag, mit dem sie das Unternehmen um einen jährlichen Pachtzins von S 108.000,-- in Unterbestand gab. Das Bestandrecht zugunsten der Beklagten wurde in EZ 616 KG Lasern verbüchert. Vier Tage vor dem Versteigerungstermin beantragten die Verpflichteten im Hinblick auf die genannten Verträge die neuerliche Schätzung der Liegenschaft und die Absetzung des Versteigerungstermins. Gegen den abweisenden Beschluß erhoben sie Rekurs und brachten auch gegen die Erteilung des Zuschlages an die Klägerin, der die Liegenschaft um S 3,800.000,-- zugeschlagen wurde, ein Rechtsmittel ein. Am 26. November 1986 erlegte die Klägerin das gesamte Meistbot. Den Verpflichteten gelang es durch gezielte Verschleppungstaktik (an der auch die Beklagte mitwirkte), insbesondere durch Ergreifen erfolgloser Rechtsmittel, die Rechtskraft des Zuschlages bis Anfang September 1987 hinauszuzögern. Bei der Meistbotsverteilung kam nur die Klägerin mit ihren vorrangigen Pfandrechten teilweise zum Zug; auf das nachrangig verbücherte Bestandrecht der Beklagten entfiel kein Meistbotsrest. Der Meistbotsverteilungsbeschluß vom 1. Oktober 1987 erwuchs am 29. Oktober 1987 in Rechtskraft. Mit Beschluß vom 13. Oktober 1987 bewilligte das Erstgericht die bücherliche Einverleibung des mit dem Zuschlag erworbenen Eigentumsrechtes der Klägerin und die Löschung der nachrangigen Grundbuchseintragungen, darunter auch des Bestandrechts der Beklagten (§ 237 EO). Ein von der Beklagten und Augustine H*** gegen die Löschung des Bestandrechts und des Vorkaufsrechts erhobener Rekurs hatte keinen Erfolg. Die Klägerin kündigte als nunmehrige Eigentümerin der Liegenschaft EZ 616 KG Lasern den Pachtvertrag mit der Beklagten zum 30. Juni 1988 gerichtlich auf und beantragte, daß ihr der Bestandgegenstand bis zum 1. Juli 1988, 12.00 Uhr, übergeben werde. Die Beklagte erhob rechtzeitig Einwendungen, berief sich auf die Verbücherung des Pachtvertrages und machte geltend, daß die Aufkündigung zur Unzeit erfolgt sei. Die Klägerin handle gegen die guten Sitten, weil sie die Liegenschaft in dem Bewußtsein ersteigert habe, daß diese verpachtet sei. Die Klägerin habe außerdem zu 3 C 1117/87 des Erstgerichtes die Klage auf Feststellung der Rechtsunwirksamkeit des Pachtvertrages und auf Räumung der Liegenschaft eingebracht, was in unüberbrückbarem Gegensatz zur Aufkündigung stehe.

Das Erstgericht erkannte die Beklagte schuldig, die gepachtete Liegenschaft bis 1. Juli 1986, 12.00 Uhr, der Klägerin geräumt zu übergeben. Gemäß § 1121 ABGB sei bei einer zwangsweisen gerichtlichen Veräußerung das Bestandrecht, wenn es in die öffentlichen Bücher eingetragen ist, gleich einer Dienstbarkeit zu behandeln. Habe es der Ersteher - wie im vorliegenden Fall - nicht zu übernehmen, dann müsse ihm der Bestandnehmer nach gehöriger Aufkündigung weichen. Die Klägerin sei daher an die vertraglich vereinbarte Kündigungsfrist nicht gebunden; sie sei berechtigt, das Pachtverhältnis unter Beachtung der Termine und Fristen des § 560 Abs 1 Z 2 lit c ZPO aufzukündigen, so daß "Unzeit" nicht vorliege. Die in einem anderen Verfahren geltend gemachte Unwirksamkeit des Pachtvertrages stehe der Aufkündigung so lange nicht entgegen, als nicht im Feststellungsprozeß ein rechtskräftiges Urteil über das damit verbundene Räumungsbegehren ergangen sei.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten nicht Folge und bestätigte das Ersturteil mit der Maßgabe, daß es dieses Urteil durch den in § 572 ZPO vorgesehenen Ausspruch über die Rechtswirksamerklärung der Aufkündigung ergänzte; es sprach aus, daß der Wert des (von der Bestätigung betroffenen) Streitgegenstandes S 300.000,-- übersteige. Die Kündigung sei weder zur Unzeit erhoben worden noch sittenwidrig. Der Begriff der "Unzeit" stamme aus § 830 ABGB; es bestehe kein Anlaß, diesen Begriff auch auf Bestandverträge anzuwenden, da keine Gesetzeslücke vorliege, die mit Hilfe der Analogie zu schließen wäre. Die Klägerin handle mit der Aufkündigung des Bestandverhältnisses auch nicht schikanös; sie sei als nunmehrige Eigentümerin berechtigt, die Liegenschaft möglichst günstig zu verwerten. Die Beklagte habe sich trotz des anhängigen Zwangsversteigerungsverfahrens zum Abschluß des Pachtvertrages mit den Verpflichteten entschlossen, obwohl der Geschäftsführerin der Beklagten als Tochter der Verpflichteten und damit als naher Angehöriger im Sinne des § 32 KO die wirtschaftlichen Verhältnisse ihrer Eltern bekannt sein mußten; sie habe nicht damit rechnen können, daß ein künftiger Ersteher den von ihr abgeschlossenen Bestandvertrag übernehmen werde.

Die Klägerin sei im vorliegenden Verfahren vom Bestehen eines Pachtvertrages zwischen den Streitteilen ausgegangen. Es sei ihr nicht verwehrt gewesen, sich in einem anderen Verfahren auf einen anderen Rechtsgrund, nämlich die Unwirksamkeit des Pachtvertrages, zu stützen und damit dasselbe Rechtsschutzziel (Räumung der Liegenschaft) zu verfolgen. Das Prozeßhindernis der Streitanhängigkeit, das in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen wahrgenommen werden müßte, liege nicht vor. Daß der aufgekündigte Bestandvertrag nur auf Geschäftsraummiete gerichtet gewesen wäre, habe die Beklagte in erster Instanz nicht vorgebracht. Die Beklagte erhebt gegen das Urteil des Berufungsgerichtes Revision wegen Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens und unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, die Entscheidungen der Vorinstanzen dahin abzuändern, daß die Aufkündigung für rechtsunwirksam erklärt und (das Räumungsbegehren) abgewiesen werde; hilfsweise stellt sie einen Aufhebungsantrag. Die Klägerin beantragt, der Revision der Beklagten nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Der Revisionsgrund der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens liegt nicht vor (§ 510 Abs 3, letzter Satz, ZPO).

Die rechtliche Beurteilung der Sache durch das Berufungsgericht ist zutreffend, so daß es zur Vermeidung von Wiederholungen ausreicht, die Beklagte darauf zu verweisen und ihren weitwendigen Revisionsausführungen noch folgendes entgegenzuhalten:

Die Einwendung der Unzeit kann grundsätzlich nur gegen den Aufhebungsanspruch (Teilungsanspruch) aus pluralistischen Schuldverhältnissen, wie der Gemeinschaft und der Gesellschaft, erhoben werden. Dieses Aufhebungshindernis ist ein Fall der gesetzlichen Anerkennung und Konkretisierung der innerhalb von Schuldverhältnissen nach Treu und Glauben geschuldeten Rücksichtnahme auf die Interessen der Partner

(SZ 57/45 = JBl 1985, 165); hiebei ist aber zu beachten, daß innerhalb eines Gemeinschaftsverhältnisses eine weiter gehende Treuepflicht (als sonst zwischen Vertragspartnern oder gar nur Teilnehmern an einem gesetzlichen Schuldverhältnis) besteht (vgl. Gamerith in Rummel, ABGB, Rz 11 zu § 825). Der Oberste Gerichtshof hat daher die Einwendung der Unzeit gegen eine kraft ausdrücklicher Vereinbarung fällige Kreditforderung abgelehnt und nur auf die im Schrifttum erörterte Möglichkeit, hingewiesen, daß die Kündigung eines Kreditvertrages unter besonderen Voraussetzungen Schranken unterworfen sein könne (BankArch 1988, 399; vgl. auch RdW 1987, 156). Das Gesetz anerkennt mit der Regelung des § 1121 ABGB auch im Verhältnis zwischen Pfandgläubigern und bücherlich eingetragenen Bestandnehmern das Rangprinzip, so daß ein Bestandnehmer, der sich auf das Risiko einläßt, eine verschuldete, bereits in Zwangsversteigerung gezogene Liegenschaft in Bestand zu nehmen, mit der Auflösung seines Bestandverhältnisses rechnen muß und sich gegenüber einer vom Ersteher nach den gesetzlichen Kündigungsvorschriften ausgesprochenen Kündigung nicht auf "Unzeit" berufen kann.

Zur behaupteten Sittenwidrigkeit der Rechtsausübung durch die Klägerin hat die Beklagte nur vorgebracht, die Klägerin habe die Liegenschaft in dem Bewußtsein ersteigert, daß sie verpachtet sei. Sie verkehrt mit dieser Meinung die wahre Interessenlage geradezu in ihr Gegenteil: Die Beklagte, deren Geschäftsführerin eine Tochter der Verpflichteten ist, hat nach den vom Berufungsgericht übernommenen Feststellungen des Erstgerichtes an der gezielten Verschleppungstaktik ihrer Eltern mitgewirkt; es mußte ihr bewußt sein, daß das erst während des Zwangsversteigerungsverfahrens begründete Pachtverhältnis vom Ersteher, wer dies auch immer sei, mangels Deckung im Meistbot nicht übernommen werden müsse. Da andere Interessenten beim Versteigerungstermin nicht anwesend waren, hat die Klägerin selbst die Liegenschaft ersteigert. Der Abschluß eines Pachtvertrages zu derart ungewöhnlichen Bedingungen, (Unkündbarkeit auf 99 Jahre; Hotelpacht für nur S 7.000,-- monatlich) war geradezu darauf angelegt, Bieter, die Rechtsstreitigkeiten mit der zu kündigenden Pächterin befürchteten, überhaupt vom Mitbieten abzuhalten und damit eine Verwertung der verpfändeten Liegenschaften durch die Gläubigerin zu vereiteln, zumindest aber zu erschweren und zu verzögern. Von einem Rechtsmißbrauch durch die Klägerin, die in dieser Situation von der zulässigen Möglichkeit Gebrauch gemacht hat, die Liegenschaft selbst zu ersteigern, um dann ihre Rechte als Eigentümerin gegen die Beklagte geltend zu machen, kann überhaupt keine Rede sein; vielmehr war es die Beklagte selbst, die durch die Mitwirkung an den Verschleppungsversuchen der Verpflichteten sittenwidrig gehandelt hat.

Der Klägerin war es auch nicht verwehrt, im gegenständlichen Verfahren die bisher nicht rechtskräftig entschiedene Frage der Anfechtbarkeit des Pachtvertrages auf sich beruhen zu lassen und das Räumungsbegehren auf den gelinderen Rechtsbehelf der vorherigen Aufkündigung des Bestandrechtes zu stützen.

Der Bestandvertrag zwischen den Verpflichteten und der Beklagten ist nach dem Inhalt des Notariatsaktes vom 7. Juli 1986 (Überlassung eines ganzen Unternehmens; Betriebspflicht) Unternehmenspacht und nicht Geschäftsraummiete, so daß auch die dagegen gerichteten Ausführungen der Revision ins Leere gehen.

Der Revision ist somit ein Erfolg zu versagen.

Wie sich aus den Feststellungen der Vorinstanzen und aus den obigen Rechtsausführungen ergibt, ist die Revision von der Beklagten mutwillig und nur zur Verzögerung der Sache erhoben worden, so daß gegen die Geschäftsführerin der Beklagten gemäß § 512 ZPO auf eine Mutwillensstrafe zu erkennen ist. Die mit der Einhebung zusammenhängenden Verfügungen (§ 220 Abs 2 bis 4 ZPO) hat das Erstgericht zu treffen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO. Der Ausspruch über den Wert des Streitgegenstandes nach § 500 Abs 2 Z 3 ZPO ist auf die Kostenbemessungsgrundlage nach § 10 Z 2 lit a RAT ohne Einfluß.

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