OGH 9ObS12/88

OGH9ObS12/8816.11.1988

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.-Prof. Dr. Kuderna als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Gamerith und Dr. Maier sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Günther Schön und Mag. Karl Dirschmied als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Mag. Franz T***, Angestellter, Wien 13., Himmelbaurgasse 2, vertreten durch Dr. Georg Grießer, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagten Parteien 1. A***

V*** W***, Wien 4., Schwindgasse 5,

2. I***-A***-F***, p.A. Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Wien 1., Stubenring 1, beide vertreten durch die Finanzprokuratur in Wien, wegen S 1.646 netto sA, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 15. Juli 1988, GZ 33 Rs 72/88-21, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 29. Jänner 1988, GZ 14 Cgs 2002/87-13, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der zweitbeklagten Partei die mit S 1.211,20 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Die klagende und die erstbeklagte Partei haben die Kosten des Revisionsverfahrens selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger war seit 1. November 1986 bei der protokollierten Firma Elektro-Starkstrom-Apparatebau K*** & Co in Wien als Angestellter beschäftigt. Er bezog zuletzt ein monatliches Bruttoentgelt von S 40.000 14mal jährlich. Nachdem am 26. Februar 1987 über das Vermögen seines Arbeitgebers der Konkurs eröffnet worden war, trat der Kläger am 20. März 1987 gemäß § 25 Abs 1 KO vorzeitig aus dem Arbeitsverhältnis aus.

Der Masseverwalter erkannte in der Prüfungstagsatzung die vom Kläger angemeldete Gesamtforderung in Höhe von S 132.431,56 netto als Konkursforderung an. Die erstbeklagte Partei gewährte dem Kläger im wesentlichen das von ihm beantragte Insolvenz-Ausfallgeld. Lediglich hinsichtlich des im Gesamtbetrag enthaltenen Begehrens auf Urlaubsentschädigung für 25 Arbeitstage in Höhe von S 45.646 erkannte sie nur S 44.000 zu und wies das Mehrbegehren von S 1.646 mit der Begründung ab, daß dieser Betrag infolge der Beschränkung des § 1 Abs 3 Z 4 IESG dem Kläger nicht zustehe.

Mit der vorliegenden Klage begehrt der Kläger die Zahlung dieses Differenzbetrages. Die Obergrenze des § 3 Abs 4 (offenbar § 1 Abs 3 Z 4) IESG sei dann nicht maßgeblich, wenn der höhere Nettobetrag nach Gesetz, Kollektivvertrag oder Betriebsvereinbarung gebühre. Dies treffe hinsichtlich der begehrten Urlaubsentschädigung zu, da sich deren Höhe aus dem § 6 Abs 3 und 4 sowie dem § 9 UrlG, sohin aus dem Gesetz ableite.

Die Beklagten beantragten, die Klage abzuweisen. Die erstbeklagte Partei wandte ein, daß nicht sie, sondern allein der zweitbeklagte Insolvenz-Ausfallgeld-Fonds passiv legitimiert sei. Dieser machte seinerseits geltend, daß ihm im Verfahren nach dem IESG keine Parteistellung zukomme; daran habe sich auch durch das Inkrafttreten des ASGG nichts geändert. Beide Beklagten brachten gemeinsam vor, daß die Urlaubsentschädigung, für welche Insolvenz-Ausfallgeld gewährt werden könne, nicht höher sein dürfe als die doppelte Höchstbeitragsgrundlage nach § 45 Abs 1 lit b ASVG, welche im Jahre 1987 einen Betrag von S 1.760 pro Tag entsprochen habe.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es vertrat die Rechtsansicht, daß die erstbeklagte Partei gemäß § 66 ASGG iVm § 10 IESG und die zweitbeklagte Partei gemäß § 13 Abs 3 IESG passiv legitimiert seien. Die geltend gemachte Urlaubsentschädigung sei ein nach Zeiträumen bemessener Anspruch nach § 1 Abs 3 Z 4 iVm § 1 Abs 4 IESG, so daß der begehrte Nettobetrag im Zeitpunkt der Fälligkeit den zweifachen Betrag der Höchstbeitragsgrundlage gemäß § 45 Abs 1 lit b ASVG nicht übersteigen dürfe. Ein diesen Grenzwert übersteigender Betrag sei weder im Gesetz noch im Kollektivvertrag vorgesehen.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, daß die Revision zulässig sei. Es vertrat die Rechtsansicht, daß der Gesetzgeber für den Bereich des ASGG das Arbeitsamt verfahrensrechtlich den Versicherungsträgern gleichgestellt und ihm damit die Parteifähigkeit kraft Gesetzes im Sinne des § 1 ZPO zuerkannt habe (§§ 53, 65 Abs 1 Z 7, 66 ASGG iVm § 10 IESG), wie dies bereits in § 8 SUG geschehen sei. Die Bezeichnung der erstbeklagten Partei als "Republik Österreich-Arbeitsamt Versicherungsdienste Wien" sei daher nicht verfehlt, obwohl der Zusatz "Republik Österreich" nicht erforderlich gewesen wäre. Hingegen besitze der Insolvenz-Ausfallgeld-Fonds gemäß § 13 Abs 1 IESG zwar eine eigene Rechtspersönlichkeit und sei schon aus diesem Grunde partei- und prozeßfähig, doch trete das Arbeitsamt kraft ausdrücklicher gesetzlicher Anordnung im § 10 IESG in Streitigkeiten nach § 65 Abs 1 Z 7 ASGG an die Stelle des Versicherungsträgers, so daß es der zweitbeklagten Partei schon nach dem Gesetz an der passiven Klagelegitimation fehle. In der Sache selbst billigte das Berufungsgericht die Rechtsansicht des Erstgerichtes, daß die Urlaubsentschädigung ein nach Zeiträumen zu bemessender Anspruch des Arbeitnehmers und daher das Begehren des Klägers auf Zahlung von Insolvenz-Ausfallgeld gemäß § 1 Abs 1 Z 3 iVm § 1 Abs 4 IESG zu begrenzen sei. Es führte noch ergänzend aus, daß die Entschädigung nichts anderes sei als der letzte Teil eines früher regelmäßig bezogenen Entgelts. § 1 Abs 2 Z 1 IESG verweise ausdrücklich auch auf jenes Entgelt, das aus der Beendigung des Arbeitsverhältnisses entstehe. Davon sei auch die dem Arbeitnehmer bei einem berechtigten vorzeitigen Austritt gemäß § 25 KO zustehende Urlaubsentschädigung umfaßt. Einen Nachweis, daß ihm infolge Gesetzes, Kollektivvertrages oder Betriebsvereinbarung ein höherer Nettobetrag als der abgegoltene zugestanden wäre, habe der Kläger nicht erbracht.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die aus den Gründen der Mangelhaftigkeit des Verfahrens und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung erhobene Revision des Klägers mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung im Sinne des Klagebegehrens abzuändern. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Beklagten beantragten in ihrer Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Die geltend gemachte Mangelhaftigkeit des Verfahrens liegt nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO).

Die Ausführungen des Berufungsgerichtes zur Passivlegitimation der Beklagten sind zutreffend (9 Ob S 7/88). Es reicht daher aus, auf die Richtigkeit der diesbezüglichen Begründung der angefochtenen Entscheidung hinzuweisen (§ 48 ASGG). Kommt aber die Parteirolle der beklagten Partei ausschließlich den Arbeitsämtern und nicht der übergeordneten Gebietskörperschaft oder dem Insolvenz-Ausfallgeld-Fonds zu (vgl. Holler, Neuerungen im Bereich der Entgeltsicherung bei Insolvenz, ZAS 1987, 155), ist auch die Parteibezeichnung der erstbeklagten Partei von "Republik Österreich-Arbeitsamt Versicherungsdienste Wien" auf "Arbeitsamt Versicherungsdienste Wien" zu berichtigen (§ 235 Abs 5 ZPO; Fasching ZPR Rz 324).

Im übrigen ist der Rechtsrüge des Klägers, in der er im wesentlichen ausführt, daß die Urlaubsentschädigung ein Anspruch sui generis sei, der nicht nach Zeiträumen bemessen werden dürfe, ferner daß die einzelnen Entgeltbestandteile gesondert berücksichtigt werden müßten und daß die Urlaubsentschädigung ein kraft Gesetzes und Generalkollektivvertrags zustehender höherer Nettoanspruch sei, folgendes entgegenzuhalten:

Im vorliegenden Fall stehen nicht die Intentionen des Urlaubsgesetzes, wie der Revisionswerber meint, sondern jene des Insolvenz-Entgeltsicherungsgesetzes im Vordergrund, das den Arbeitnehmern das Risiko des gänzlichen oder teilweisen Verlustes ihrer Ansprüche bei einer Insolvenz des Arbeitgebers, auf deren regelmäßige Befriedigung sie typischerweise zur Bestreitung ihres und ihrer Angehörigen Lebensunterhaltes angewiesen sind, nehmen wollte (vgl. 464 BlgNR XIV.GP und 554 BlgNR XIV.GP). Andererseits entsprach es aber ebenso der Absicht des Gesetzgebers, alle Einzelvereinbarungen, die eine unkontrollierte Belastung des Insolvenz-Ausfallgeld-Fonds bewirken könnten, der Höhe nach zu begrenzen. Dabei sollte der Anspruch auf Ausfallgeld nicht durch einen Höchstbetrag für die Summe der gesicherten Ansprüche, sondern durch die Begrenzung der jeweiligen Basisgröße in Schranken gehalten werden. Durchschnittliche Verdienste sollen auch dann voll gesichert bleiben, wenn sich ein großer Rückstand angesammelt hat; die Vereinbarung eines übermäßigen Entgelts soll aber selbst dann nicht zu Lasten des Insolvenz-Ausfallgeld-Fonds gehen, wenn der Arbeitgeber mit den Zahlungen nur für eine kurze Zeit säumig geblieben ist (VfGH Slg. 10.623).

Während die vor der Novelle BGBl. 1986/395 geltende Betragsbeschränkung nach § 1 Abs 3 Z 4 IESG auf "nach Zeiträumen bemessene Ansprüche" abstellte, ist durch die auf Grund der Aufhebung dieser Bestimmung durch den Verfassungsgerichtshof (BGBl. 1986/69) erfolgte Neuregelung klargestellt, daß nunmehr sämtliche Entgeltansprüche von der höhenmäßigen Beschränkung erfaßt werden. Dies ergibt sich eindeutig aus der Zitierung des Absatzes 2 Z 1 in § 1 Abs 3 Z 4 IESG, welche Bestimmung sich auf "Entgeltansprüche, insbesondere auf laufendes Entgelt und aus der Beendigung des Arbeitsverhältnisses" bezieht. Da der Begriff "Entgeltansprüche" im Sinne des IESG im arbeitsrechtlichen Sinn zu verstehen ist (vgl. 464 BlgNR XIV.GP 8), umfaßt er alle Leistungen des Arbeitgebers, die dieser dem Arbeitnehmer für die Zurverfügungstellung seiner Arbeitskraft gewährt (vgl. Spielbüchler in Floretta-Spielbüchler-Strasser, Arbeitsrecht I3, 172; Schwarz-Löschnigg, Arbeitsrecht 204 f) und daher auch die als Entgelt aus der Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu qualifizierenden Ansprüche auf Urlaubsentschädigung und Urlaubsabfindung (Schwarz-Holler-Holzer, Die Rechte des Arbeitnehmers bei Insolvenz, 88). Auf die Frage, ob die Urlaubsentschädigung ein Anspruch ist, der nach Zeiträumen zu bemessen ist, kommt es für die grundsätzliche Anwendbarkeit des § 1 Abs 3 Z 4 IESG entgegen der Ansicht des Revisionswerbers nicht an. Diese Frage ist für die Ermittlung der Höhe des Grenzbetrages nach § 1 Abs 4 Z 1 IESG von Bedeutung.

Wie das Berufungsgericht richtig erkannte, hat der Arbeitnehmer bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen einen gesetzlichen Anspruch auf Urlaubsentgelt über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses hinaus, der im Zeitpunkt der Beendigung fällig wird. Dieses noch ausstehende Urlaubsentgelt, unter dem alle Bezüge einschließlich der anteiligen Sonderzahlungen zu verstehen sind, bildet die Grundlage für die Berechnung der Urlaubsentschädigung (vgl. Arb. 9.781 ua), die als eigener Anspruch insoferne dem Ausfallsprinzip folgend ebenfalls ein Entgeltanspruch ist, der nach Zeiträumen bemessen wird (vgl. Schwarz-Holler-Holzer aaO 107). Der Einwand, in der Urlaubsentschädigung könnten auch Entgeltbestandteile enthalten sein, welche sich einer Bemessung nach Zeiträumen entzögen, betrifft nicht den vorliegenden Sachverhalt und verkennt die nicht in Entgeltbestandteile aufspaltbare Einheitlichkeit des Anspruches auf Urlaubsentschädigung als Surrogat für den Naturalurlaub, der sich aus der Freistellung von der Arbeit und der Fortzahlung des Lohns zusammensetzt (Schwarz-Löschnigg aaO 279). Abgesehen davon, entspricht es nicht dem Sinn und Zweck der neugefaßten Betragsbeschränkung des § 1 Abs 3 Z 4 IESG, nicht nur die nach Zeiträumen bemessenen Ansprüche, sondern auch die Ansprüche, die periodisch abgerechnet werden (zB Provisionen) zu erfassen (993 BlgNR XVI.GP 7), daß für die im § 1 Abs 4 IESG in Z 1 und 2 genannten Ansprüche der Grenzbetrag jeweils gesondert (sohin doppelt) gelten sollte (vgl. Holler aaO 150). Eine unterschiedliche Behandlung von Entgeltansprüchen ist darin ebensowenig zu erkennen, wie bei der Urlaubsabfindung, da auch für diese das Urlaubsentgelt Berechnungsgrundlage ist, das dem Arbeitnehmer gebühren würde, wenn er im Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses seinen noch offenen Urlaub verbrauchte (vgl. Cerny Urlaubsrecht4 126).

Die im § 1 Abs 3 Z 4 IESG gebrauchten Worte "..... es sei denn,

daß nach Gesetz, Kollektivvertrag oder Betriebsvereinbarung (§ 97

Abs 1 ArbVG) ein höherer Nettobetrag gebührt ......" bedeuten im

Hinblick auf den eingangs erwähnten gesetzesimmanenten Schutz des Insolvenz-Ausfallgeld-Fonds vor übermäßigen privatrechtlichen Dispositionen nicht, daß ein Anspruch etwa auf Abfertigung, Urlaubsentschädigung, Urlaubsabfindung, Sonderzahlungen und dgl. auch auf ein Gesetz, einen Kollektivvertrag oder eine Betriebsvereinbarung gestützt werden kann. Es ist dazu vielmehr zu unterscheiden, ob sich die ziffernmäßige Festsetzung des Anspruches aus den bezogenen Rechtsquellen selbst ergibt oder ob sich der Anspruch dem Grunde und mittelbar der Höhe nach auf eine vertragliche Regelung gründet und daher über den durch Gesetz, Kollektivvertrag oder Betriebsvereinbarung zustehenden Anspruch hinausgeht (vgl. Arb. 9.951). Wie die Vorinstanzen zutreffend aufzeigten, hat der Kläger nicht dargetan, daß das Übersteigen der gesetzlichen Höchstsumme auf ein nach den genannten Rechtsquellen höheres Entgelt als Bemessungsgrundlage zurückzuführen sei. Ihm gebührt daher nur der Höchstbetrag nach dem IESG. Auf die in der Revisionsbeantwortung erhobenen und im wesentlichen unzutreffenden Einwendungen (vgl. 9 Ob S 7/88) ist nicht weiter einzugehen. Die Kostenentscheidung hinsichtlich der klagenden und der erstbeklagten Partei ist in § 77 Abs 1 ASGG begründet, zumal der Kläger keinerlei Gründe für einen ausnahmsweisen Kostenersatzanspruch nach Billigkeit darlegte (vgl. Kuderna, ASGG § 77 Erl. 7). Der Zweitbeklagte ist verfahrensrechtlich nicht als Versicherungsträger im Sinne der Bestimmungen der §§ 66 und 77 Abs 1 ASGG anzusehen. Ihm stehen daher nach § 2 Abs 1 ASGG iVm den §§ 41 und 50 ZPO die Kosten des Revisionsverfahrens zu.

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