Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben. Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben; die Rechtssache wird an das Erstgericht zur neuerlichen Verhandlung und Urteilsfällung zurückverwiesen. Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung
Die Klägerin - eine Speditionsgesellschaft mit dem Sitz in Haan (Bundesrepublik Deutschland) - besorgte im Auftrag der Firma E***, deren Werke sich in den Niederlanden und in der Bundesrepublik Deutschland befinden, laufend den Transport von Kunstfasern nach Izmit (Türkei), wo diese von der Firma K*** verarbeitet wurden. Die Beklagte war für die Klägerin als Frachtführerin tätig und übernahm seit etwa Mitte des Jahres 1977 monatlich durchschnittlich 5 der jeweils anfallenden 30 Fuhren. Am 22. und 23.2.1978 übernahm die Beklagte im Auftrag der Klägerin je einen LKW Spinnfäden von der Firma E*** mit dem Auftrag, dieses Frachtgut bis 27.2.1978 nach Izmit zu befördern. Sie lagerte diese Ware jedoch bei der Z***-B***-AG, Linz, ein und verweigerte unter Berufung auf bestehende Pfand- und Zurückbehaltungsrechte die Herausgabe dieser Waren bis zur Zahlung offener Frachtkosten durch die Klägerin. Der Beklagten war bekannt, daß die Klägerin nicht die Eigentümerin des zurückbehaltenen Frachtgutes ist. Am 9.5.1978 ersetzte die Klägerin der Firma E*** den Wert des beim Empfänger nicht eingelangten Frachtgutes von DM 93.174,98; weiters vereinbarte sie mit der Firma E***, die Spinnfäden nach Obsiegen in dem gegen die Beklagte angestrengten Herausgabeprozeß gegen einen dann festzusetzenden Wert wieder zur Verfügung zu stellen. In dem beim Erstgericht (zuletzt) zu 3 Cg 89/81 durchgeführten Verfahren wurde die Beklagte in allen drei Instanzen zur Herausgabe des unrechtmäßig zurückbehaltenen Frachtgutes verurteilt. Mit der vorliegenden Klage begehrt die Klägerin von der Beklagten zuletzt (ON 9 S.24) die Zahlung von DM 93.174,90 s.A. Wegen der vereinbarungswidrigen Weigerung der Beklagten, das Frachtgut an den Empfänger auszuliefern, habe sie der Versenderin den Wert der zurückbehaltenen Ware ersetzen müssen. Nach Aufnahme des bis zur rechtskräftigen Beendigung des Verfahrens 3 Cg 89/81 des Erstgerichtes unterbrochen gewesenen Verfahrens trug die Klägerin vor, daß die Beklagte das rechtswidrig zurückbehaltene Frachtgut bisher nicht herausgegeben habe; der Anspruch auf Zahlung werde nunmehr auch auf das Interesse wegen Nichterfüllung dieser Verbindlichkeit der Beklagten gestützt. Die Beklagte habe am 5.2.1987 mitgeteilt, daß sie das Frachtgut bereits vor Jahren ausgelagert und vernichtet habe.
Die Beklagte beantragte die Abweisung der Klage. Sie habe den Transport der zurückbehaltenen Ware nur wegen der Zusage der Klägerin übernommen, die aus verschiedenen Ferntransporten offene Frachtforderung der Beklagten unverzüglich zu zahlen. Da die Klägerin diese Zusage nicht eingehalten habe, habe sie "von ihrem gesetzlichen Zurückbehaltungs- und Befriedigungsrecht an den im Eigentum der Klägerin stehenden Waren Gebrauch gemacht". Die Klägerin habe daher den aus der Nichtablieferung des Transportgutes erlittenen Schaden selbst verschuldet. Es treffe nicht zu, daß die Beklagte das eingelagerte Frachtgut vernichtet habe. Weiters wendete die Beklagte ein - in einem weiteren beim Erstgericht anhängigen Verfahren bereits mit Klage geltend gemachte - Frachtkostenforderung von S 493.081 s.A. als Gegenforderung zur Aufrechnung ein. Die Klägerin sprach sich gegen
die - prozessuale - Aufrechnungseinrede unter Berufung auf den Ausschluß der Aufrechnung nach den AÖSp und nach § 1440 ABGB aus. Das Erstgericht erkannte die eingeklagte Forderung als mit DM 93.174,90 samt 5 % Zinsen seit 7.2.1979 als zu Recht bestehend, wies die Aufrechnungseinrede der Beklagten und das die gesetzlichen Verzugszinsen übersteigende Zinsenmehrbegehren der Klägerin ab und erkannte die Beklagte schuldig, der Klägerin die als zu Recht bestehend erkannte Forderung im Schillinggegenwert zu dem am Zahlungstag gültigen Kurs der Wiener Börse, Devise (Ware) Frankfurt/Main, s.A. zu zahlen. Die Beklagte wäre zur Herausgabe des unrechtmäßig zurückbehaltenen Frachtgutes verpflichtet gewesen. Sie habe nicht behauptet, den Herausgabeanspruch erfüllt zu haben, und sei daher der Klägerin gegenüber auch schadenersatzpflichtig. Die Aufrechnung sei nach § 32 AÖSp vertraglich ausgeschlossen worden; ihr stehe aber vor allem auch das gesetzliche Aufrechnungsverbot nach § 1440 Satz 2 ABGB entgegen, weil die Beklagte der Klägerin das Frachtgut eigenmächtig entzogen habe. Dieses Aufrechnungsverbot erstrecke sich auch auf den wegen Nichterfüllung des Herausgabeanspruchs erhobenen, auf Geld gerichteten Schadenersatzanspruch.
Das Berufungsgericht bestätigte das - bloß im Umfang der Stattgebung des Klagebegehrens angefochtene - Urteil des Erstgerichtes. Der Schadenersatzanspruch der Klägerin bestehe schon deshalb zu Recht, weil die Beklagte schuldhaft und vertragswidrig ein Zurückbehaltungsrecht am Frachtgut ausgeübt und den mit der Klägerin vereinbarten Termin der Ablieferung an den Empfänger des Frachtgutes nicht eingehalten habe; die Klägerin habe dadurch, daß sie ihrer Auftraggeberin den Warenwert ersetzt habe, einen entsprechenden Schaden erlitten. Da die Beklagte gar nicht behauptet habe, den Herausgabeanspruch bereits erfüllt zu haben, sei nicht zu prüfen, ob der Schadenersatzanspruch deshalb zu "mindern" wäre. Aber auch die Interessenklage sei berechtigt: § 368 EO begründe zwar keinen neuen Anspruch des Gläubigers, sondern setze einen in Geld zu ersetzenden materiellen Anspruch aus dem ursprünglichen Rechtsverhältnis voraus. Der Gläubiger könne aber seinen Anspruch auf das Interesse an der Leistung schon geltend machen, wenn der Schuldner mit der ihm obliegenden Leistung in Verzug geraten sei. Das vertragliche Aufrechnungsverbot nach § 32 AÖSp beschränke nur den Auftraggeber des Spediteurs (Frachtführers); in einer solchen vertraglichen Stellung habe sich die Beklagte nicht befunden. Die Aufrechnung scheitere aber am gesetzlichen Aufrechnungsverbot nach § 1440 Satz 2 ABGB; dieses verbiete auch die Rückbehaltung und gelte ebenso gegenüber sekundären Schadenersatzansprüchen wegen Nichterfüllung eines Herausgabeanspruches. Da der geltend gemachte Schadenersatzanspruch ein Surrogat des Herausgabeanspruches sei, dürfe die Beklagte trotz der Gleichartigkeit der gegenseitigen Forderungen nicht aufrechnen.
Gegen dieses Urteil richtet sich die wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobene Revision der Beklagten mit dem Antrag, die Urteile der Vorinstanzen im Sinne der Abweisung des Klagebegehrens abzuändern; hilfsweise stellt die Beklagte auch einen Aufhebungsantrag.
Die Klägerin beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist berechtigt.
Die Revisionswerberin macht in erster Linie geltend, daß die Klägerin neben dem bereits rechtskräftig zuerkannten Herausgabeanspruch keinen weiteren Anspruch auf Ersatz des in der Höhe des Wertes der zurückgehaltenen Ware bestehenden Schadens habe; neben der geschuldeten Leistung könne das Interesse daran bloß alternativ eingeklagt werden. Auch stehe nicht fest, daß der Herausgabeanspruch noch nicht erfüllt worden wäre. Diese Ausführungen sind im wesentlichen berechtigt:
Wie die Vorinstanzen richtig erkannt haben, steht der Klägerin der geltend gemachte Schadenersatzanspruch schon wegen der schuldhaften Nichterfüllung des übernommenen Frachtauftrages durch die Beklagte zu; daß die Beklagte zur Zurückhaltung des Frachtgutes nicht berechtigt war, wurde durch die Entscheidung im Vorprozeß 3 Cg 89/81 des Erstgerichtes bindend entschieden. Es geht dabei also nicht um das Interesse der Klägerin wegen Nichterfüllung ihres Herausgabeanspruches; der Schaden ist vielmehr im Vermögen der Klägerin - unabhängig von der Nichterfüllung ihres Herausgabeanspruches - dadurch eingetreten, daß sie ihrer Auftraggeberin den Warenwert ersetzen mußte. Dieser tatsächlich erlittene Schaden ist der Klägerin trotz des Vorliegens eines rechtskräftigen Herausgabetitels zu ersetzen. Daß der Herausgabeanspruch der Klägerin (noch) nicht erfüllt wurde, ist nicht strittig; das widerstreitende Vorbringen der Parteien betrifft nur die - nicht entscheidungswesentliche - Frage, ob die Beklagte erklärthat, daß sie das Frachtgut bereits vernichtet habe. Erst dann aber, wenn der Herausgabeanspruch tatsächlich erfüllt werden und die Klägerin nach der Rückstellung der Ware an ihre Auftraggeberin auf Grund der mit dieser getroffenen Vereinbarung einen dem künftigen Wert des Frachtgutes entsprechenden Betrag gutgeschrieben erhalten haben sollte, könnte eine Bereicherung der Klägerin eintreten; auf diese - bloß theoretische - Möglichkeit (das Frachtgut könnte ja unter Umständen auch völlig wertlos geworden sein) ist aber bei der Ermittlung des Schadens zu dem für diese Entscheidung maßgebenden Zeitpunkt noch nicht Bedacht zu nehmen. Die in diesem Zusammenhang vom Berufungsgericht vertretene Auffassung, der vorliegende Schadenersatzanspruch und der Anspruch auf das Interesse wegen Nichterfüllung des Herausgabeanspruches seien gar keine verschiedenen Ansprüche, trifft daher nicht zu.
Da die Klägerin den im Warenwert bestehenden Schaden bereits durch die Zahlung des entsprechenden Betrages an ihre Auftraggeberin erlitten hat, ohne dadurch Eigentümerin des Frachtgutes geworden zu sein, vielmehr auch weiterhin zur Rückgabe an ihre Auftraggeberin verpflichtet ist, konnte derselbe Schaden nicht später noch einmal durch die Nichterfüllung des Herausgabeanspruches entstehen. Der von der Klägerin ebenfalls geltend gemachte Rechtsgrund ihres Interesses an dieser Nichterfüllung ist daher schon aus diesem Grund deshalb zu verneinen. Daß die Klägerin einen anderen, darüber hinausgehenden Schaden erlitten hätte, hat sie aber nicht behauptet. Damit erweisen sich aber die Revisionsausführungen, daß der Schadenersatzanspruch der Klägerin kein Surrogat für die unterbliebene Herausgabe des Frachtgutes sei und § 1440 Satz 2 ABGB somit der Aufrechnung mit Ansprüchen aus - anderen - Frachtaufträgen nicht entgegenstehe, als berechtigt. Nur dann nämlich, wenn (wegen schuldhafter Nichterfüllung oder verschuldeter Unmöglichkeit) an die Stelle eines Herausgabeanspruches eine Schadenersatzforderung in Geld tritt, verbietet § 1440 Satz 2 ABGB - wonach eigenmächtig oder listig entzogene, entlehnte, in Verwahrung oder in Bestand genommene Sachen überhaupt kein Gegenstand der Zurückbehaltung oder der Kompensation sind - die Aufrechnung gegen den als Surrogat an die Stelle des Herausgabeanspruches tretenden Schadenersatzanspruch (Gschnitzer in Klang2 VI 509 f; Rummel in Rummel, ABGB, Rz 8 f zu § 1440; Mayrhofer, Schuldrecht Allgemeiner Teil 603; SZ 33/55). Besteht aber - wie hier - ein Schadenersatzanspruch unabhängig von der Erfüllung eines Herausgabeanspruches, dann schließt § 1440 Satz 2 ABGB eine Aufrechnung nicht aus.
Somit bleibt noch zu prüfen, ob die Aufrechnung mit offenen Frachtforderungen gegen den Schadenersatzanspruch der Klägerin durch § 32 AÖSp ausgeschlossen ist. Nach dieser Bestimmung ist gegenüber Ansprüchen des Spediteurs eine Aufrechnung oder Zurückbehaltung nur mit fälligen Gegenansprüchen des Auftraggebers, denen ein Einwand nicht entgegensteht, zulässig; § 32 AÖSp ist demnach nur auf eine vom Auftraggeber erklärte Aufrechnung anzuwenden (Krien-Hay, Die Allgemeinen Deutschen Spediteurbedingungen 202; vgl auch SZ 27/197; HS 7.608/5). Die Beklagte, die aufrechnen will, war aber im Rahmen der Geschäftsbeziehung der Streitteile nicht die Auftraggeberin der Klägerin, sondern das von dieser beauftragte Transportunternehmen. Das Berufungsgericht hat daher zutreffend angenommen, daß § 32 AÖSp im vorliegenden Fall eine Aufrechnung gegen die Schadenersatzforderung der Klägerin mit offenen Frachtforderung der Beklagten nicht hindert.
Steht aber der Aufrechnung weder ein gesetzliches noch ein vertragliches Hindernis entgegen, dann begründet das Fehlen von Feststellungen über die eingewendete Gegenforderung einen Verfahrensmangel. Es war daher mit der Aufhebung der Urteile der Vorinstanzen und der Rückverweisung der Sache an das Erstgericht vorzugehen, weil das Erstgericht zu diesem Thema überhaupt keine Beweise aufgenommen hat. Die Fällung eines Teilurteiles über die eingeklagte Forderung war nicht möglich, weil mangels entsprechender Konkretisierung ein rechtlicher Zusammenhang zwischen der in der Klage geltend gemachten Forderung und der Gegenforderung (§ 391 Abs 3 ZPO) nicht ausgeschlossen werden kann; mangels Feststellungen über den Aufrechnungszeitpunkt konnte auch über den die Gegenforderung übersteigenden Teil der mit der Klage geltend gemachten Forderung nicht entschieden werden. Im fortgesetzten Verfahren wird das Erstgericht daher auf die Erstattung dieses für die Beurteilung der Aufrechnungseinrede erforderlichen Tatsachenvorbringens zu dringen und die über das Bestehen der Gegenforderungen angebotenen Beweise aufzunehmen haben. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.
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