OGH 7Ob46/88

OGH7Ob46/8810.11.1988

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Flick als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Wurz, Dr. Warta, Dr. Egermann und Dr. Niederreiter als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei I*** I***

UNFALL- UND S*** AG, Landesdirektion für Steiermark, Graz, Am Eisernen Tor 3, vertreten durch Dr. Jörg Herzog u.a., Rechtsanwälte in Graz, wider die beklagte Partei Heinz P***, Kranführer, Graz, Kübeckgasse 20, vertreten durch Dr. Heimo Hofstätter u.a., Rechtsanwälte in Graz, wegen 100.000 S s.A. infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes vom 17. Mai 1988, GZ 6 R 76/88-20, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz vom 14. Jänner 1988, GZ 25 Cg 165/87-13, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, daß es zu lauten hat:

"Der Beklagte ist schuldig, der klagenden Partei den Betrag von 100.000 S samt 4 % Zinsen seit 11. November 1987 und die mit 13.047,38 S bestimmten Kosten des Verfahrens erster Instanz (darin 2.200 S Barauslagen und 986,13 S Umsatzsteuer) sowie die mit 11.071,90 S bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens (darin 4.000 S Barauslagen und 642,90 S Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu ersetzen."

Der Beklagte ist ferner schuldig, der Klägerin auch die mit 9.243,80 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin 5.000 S Barauslagen und 385,80 S Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu bezahlen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Beklagte verschuldete am 4. April 1986 mit seinem bei der Klägerin haftpflichtversicherten PKW einen Verkehrsunfall, der zur Leistungspflicht der Klägerin als Haftpflichtversicherer von über 100.000 S führte (Außerstreitstellung S 6 des Aktes). Die Vorinstanzen haben das auf die behauptete Leistungsfreiheit nach § 9 Abs 2 Zif 2 AKHB 1985 gestützte Begehren auf Zahlung von 100.000 S abgewiesen, wobei sie von folgenden wesentlichen Feststellungen ausgingen:

Die vom erhebenden Polizeibeamten nach dem Unfall durchgeführte Alkoholprobe verlief positiv. Der Beklagte verweigerte jedoch die Vorführung zum Polizeiarzt zwecks Vornahme einer Alkoholprobe. Er wurde mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Graz vom 30. Mai 1986, 7 E Vr 1269/86-7, der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs 1 und 4 StGB zweiter Deliktsfall schuldig erkannt. In rechtlcher Hinsicht führten beide Vorinstanzen aus, der Beklagte habe durch die Verweigerung der Alkoholprobe trotz Vorliegens eines begründeten Verdachtes auf Alkoholisierung die Obliegenheitsverletzung nach § 9 Abs 2 Zif 2 AKHB 1985 begangen. Bei dieser Obliegenheitsverletzung könne der Versicherungsnehmer jedoch beweisen, daß sie auf die Leistung des Versicherers keinen Einfluß gehabt habe. Der Beklagte habe bewiesen, daß er im Unfallszeitpunkt einen Blutalkoholwert von höchstens O,72 %o und mindestens O,67 %o gehabt habe. Damit habe er aber den aufgezeigten Gegenbeweis erbracht.

Das Berufungsgericht hat die Revision für nicht zulässig erklärt. Die von der Klägerin wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobene Revision ist gemäß § 502 Abs 4 Z 1 ZPO zulässig, weil das Berufungsgericht bei seiner Entscheidung die noch darzulegende Judikatur des Obersten Gerichtshofes nicht beachtet hat.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist auch gerechtfertigt.

Daß der Beklagte durch seine Weigerung, trotz des begründeten Verdachtes einer Alkoholisierung eine Blutprobe an sich vornehmen zu lassen, die Obliegenheitsverletzung nach § 9 Abs 2 Zif 2 AKHB 1985 begangen hat, haben die Vorinstanzen richtig erkannt, weshalb auf ihre diesbezüglichen Ausführungen verwiesen werden kann. Richtig hat das Berufungsgericht auch ausgeführt, daß die erwähnte Obliegenheitsverletzung gemäß § 9 Abs 2 AKHB 1985 dann nicht zur Leistungsfreiheit führt, wenn der Versicherungsnehmer beweist, daß die Obliegenheitsverletzung auf die Leistung des Versicherers keinen Einfluß hatte (Petrasch in "Der Sachverständige" 1984 Heft 3 Seite 13, SZ 49/129 ua). Von den Vorinstanzen wurde jedoch übersehen, daß die erwähnte Bestimmung der AKHB den Zweck verfolgt, die Mitwirkung des Versicherten an der Aufklärung sämtlicher für den Versicherer zur Beurteilung seiner Leistungspflicht erforderlichen Umstände sicherzustellen. Die erwähnte Obliegenheit dient dazu, die eigenen Angaben des Versicherten überprüfbar zu machen. Demnach schließt diese Bestimmung die Möglichkeit aus, daß der Versicherer vorerst durch seine Weigerung die Aufklärung verhindert, dann aber die fehlenden Aufklärungsschritte durch seine eigenen Angaben ersetzt. Aus dem erwähnten Grund ist die bloße Parteiaussage des Versicherten zur Erbringung des Kausalitätsgegenbeweises, daß keine Obliegenheitsverletzung vorliegt, untauglich (VersR 1986, 51 ua). Im vorliegenden Fall stützt sich der von den Vorinstanzen angenommene Kausalitätsgegenbeweis auf die Aussage des Beklagten über seinen Alkoholkonsum. Der Sachverständige hat seine Berechnungen nur auf die Aussage des Beklagten gestützt. (Die Aussagen der Zeugen Josef F*** und Arnold P*** beziehen sich nur auf einen nicht ins gewichtfallenden Zeitraum, wobei nach der Aussage des Letzteren der Beklagte innerhalb von 15-20 Minuten immerhin zwei oder drei Bier getrunken haben soll.) Einzige Grundlage für die Feststellungen, aus denen die Vorinstanzen die Erbringung des Kausalitätsgegenbeweises ableiten, ist daher die Aussage des Beklagten, der eine verläßliche Feststellung seines Zustandes nach dem Unfall trotz der infolge positiven Verlaufes des Alkotestes bestehenden erheblichen Verdachtsmomente in Richtung auf seine Alkoholisierung verhindert hat. Dies ergibt aber, daß nach der nunmehrigen Judikatur des Obersten Gerichtshofes der Kausalitätsgegenbeweis vom Beklagten nicht erbracht worden ist, weshalb die Leistungsfreiheit der Klägerin aufrecht bleibt. Bei dieser Rechtslage erübrigt sich ein Eingehen auf die Frage, ob die bloße Feststellung eines Blutalkoholwertes von 0,72 %o überhaupt ausreichen würde, den Beweis der fehlenden Kausalität der Obliegenheitsverletzung als erbracht anzusehen (vgl. SZ 49/140, ZVR 1984/247 ua). Immerhin wäre es Sache des Beklagten gewesen, zu beweisen, daß auch die Untersuchung durch den Amtsarzt keinesfalls zur Leistungsfreiheit wegen Alkoholbeeinträchtigung führen hätte können. Nach der oben aufgezeigten Judikatur erscheint dies bei dem angegebenen Blutalkoholwert äußerst fraglich, zumal sich die amtsärztliche Untersuchung nicht auf die bloße Feststellung dieses Wertes beschränken muß.

Der Klagsausspruch erweist sich als berechtigt, weshalb das angefochtene Urteil in diesem Sinne abzuändern war. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41 und 50 ZPO. Für den vorbereitenden Schriftsatz vom 22. Juni 1987 waren keine Kosten zuzusprechen, weil er zur Rechtsdurchsetzung nicht erforderlich war, zumal er das Verfahren nicht beschleunigt hat.

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