OGH 1Ob664/88

OGH1Ob664/889.11.1988

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schragel als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichshofes Dr. Schubert, Dr. Hofmann, Dr. Schlosser und Dr. Graf als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei G*** L***, vertreten durch Dr. Ekkehard Erlacher, Rechtsanwalt in Innsbruck, wider die beklagte Partei Dr. Elisabeth M***-H***, Ärztin, Leutasch, Gemeindehaus, vertreten durch Dr. Tilman Luchner, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen S 102.300,-- samt Anhang infolge Rekurses der beklagten Partei gegen den Beschluß des Landesgerichtes Innsbruck als Berufungsgerichtes vom 14. Juli 1988, GZ 1 a R 341/88-20, womit das Urteil des Bezirksgerichtes Innsbruck vom 19. April 1988, GZ 11 C 202/87 a-14, teilweise unter Rechtskraftvorbehalt aufgehoben wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der Rekurs wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 5.657,85 bestimmten Kosten des Rekursverfahrens (darin enthalten S 514,35 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.

Text

Begründung

Die klagende Gemeinde ist Eigentümerin des Gemeindehauses. Mit Gemeinderatsbeschluß vom 10. März 1981 stellte sie der Tochter der Beklagten Dr. Monika P*** die im Gemeindehaus liegenden Ordinationsräume vorerst für ein Jahr unentgeltlich zur Verfügung. Auch nach diesem Zeitraum benützte Dr. Monika P*** die Ordinationsräume unentgeltlich weiter. Dr. Monika P*** wurde niemals die Bezahlung eines Betrages für die Benützung der Räumlichkeiten vorgeschrieben. Am 29. März 1984 beschloß der Gemeinderat der klagenden Partei "für die angemieteten Ordinationsräume der Frau Dr. Monika P*** ... im Gemeindehaus eine monatliche Miete von S 5.000 zuzüglich Mehrwertsteuer einzuheben". Die klagende Partei teilte Dr. Monika P*** diesen Gemeinderatsbeschluß erst mit Schreiben vom 21. August 1985 mit. Seit April 1984 war die Beklagte, der von ihrer Tochter mitgeteilt worden war, daß für die Benützung der Räumlichkeiten nichts zu bezahlen sei, in Vertretung ihrer Tochter in den Ordinationsräumen als praktische Ärztin tätig. Ab Oktober 1985 war die Beklagte anstelle ihrer Tochter alleinige Vertragsärztin. Seit 1. Jänner 1986 überweist sie an die klagende Partei unter dem Titel Miete einschließlich Umsatzsteuer monatlich S 2.200. Mittels "Abgabenmahnung" wurde die Beklagte am 21. April 1986 von der klagenden Partei aufgefordert, laut Gemeinderatsbeschluß vom 29. März 1984 als "Pacht für die Ordinationsräume" für die Zeit vom 1. April 1984 bis 31. Dezember 1985 den Betrag von S 105.000 und für die Monate Jänner bis April 1986 den Differenzbetrag von S 12.000 zuzüglich Mehrwertsteuer zu bezahlen. Die Beklagte bezahlte aber weiterhin monatlich nur Beträge von S 2.200.

Die klagende Partei begehrt den Zuspruch des Betrages von S 201.300 samt Anhang als angemessenen und vereinbarten Mietzins; sollte ein Bestandverhältnis nicht vorliegen, werde der Betrag hilfsweise als ein nach Lage und Ausstattung angemessenes Benützungsentgelt für die von der Beklagten benützten Ordinationsräume des Gemeindehauses für die Zeit von April 1984 bis Februar 1988 begehrt. Eine Vereinbarung, daß die Höhe des Mietzinses nur S 2.200 betragen solle, sei nicht zustande gekommen. Die klagende Partei habe bereits vor Beginn der Zahlungen durch die Beklagte zweifelsfrei zu erkennen gegeben, daß sie einen höheren Mietzins fordere.

Die Beklagte wendete ein, die klagende Partei habe wegen des sehr erheblichen Investitionsaufwandes im Jahre 1981 erklärt, auf die Bezahlung eines Mietzinses durch Dr. Monika P*** zu verzichten, wenn sich Dr. Monika P*** als Ärztin in Leutasch niederlasse. Gegenleistung für die Benützung der Ordinationsräume sei die ärztliche Versorgung der Bevölkerung, die Übernahme der Adaptierungsspesen und des Betriebskostenanteiles gewesen. Für welchen Zeitraum dieser Verzicht gelten sollte und welcher Bestandzins nachher zu zahlen sei, sei nicht präzisiert worden. Die Beklagte habe ihre Tochter, die ein Kind gebar, vorerst vertreten und schließlich die Ordination samt allen Aktiven und Passiven, somit auch mit dem Bestandrecht, mit voller Kenntnis und ohne Einspruch der klagenden Partei übernommen. Der Bürgermeister der klagenden Partei habe, nachdem die Beklagte das Schreiben vom 22. August 1985 erhalten habe, erklärt, er habe als Verwalter der Gemeinde etwas machen müssen, weil doch nicht für immer auf den Mietzins verzichtet worden sei; die Beklagte möge aber selbst bestimmen, welchen Betrag sie monatlich für angemessen halte und diesen zur Einzahlung bringen. Aus diesem Grunde habe die Beklagte ab Jänner 1986 einen monatlichen Mietzins für die Ordinationsräume von S 2.200 überwiesen. Diese Beträge seien vier Monate lang ohne Vorbehalt angenommen worden. Die klagende Partei sei offenbar der irrigen Meinung, daß sie Mietzinse einseitig beschließen und mittels ihr anvertrauter Steuerformulare einheben könne.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Zwischen der klagenden Partei einerseits und Monika P*** oder der Beklagten andererseits sei es zu keiner Vereinbarung über die Entrichtung eines Entgeltes für die Benützung der Ordinationsräumlichkeiten gekommen. Es könne nicht festgestellt werden, daß zwischen der klagenden Partei und Dr. Monika P*** vereinbart worden sei, daß diese nach Ablauf einer gewissen Zeit für die Benützung der Räumlichkeiten ein Entgelt zu zahlen habe, ebensowenig, daß der Bürgermeister der klagenden Partei mit der Beklagten eine Vereinbarung dahin getroffen habe, sie solle für die Benutzung der Ordinationsräume das ihr angemessen Scheindende zahlen; oder daß zwischen der klagenden Partei und Dr. Monika P*** vereinbart worden sei, ihr würden die Räumlichkeiten nur überlassen, wenn sie die ärztliche Versorgung der Gemeinde in welchem Umfang auch immer gewährleiste.

Rechtlich ging das Erstgericht davon aus, mangels Einigung über die Höhe des Bestandzinses sei zwischen der klagenden Partei und Dr. Monika P*** ein Bestandvertrag, in den die Beklagte hätte eintreten können, nicht zustande gekommen. Die einseitige Vorschreibung des Mietzinses durch die klagende Partei habe rechtliche Wirkungen nicht zeitigen können. Unabhängig davon, ob es sich nun um eine Leihe, eine Bittleihe, einen Vertrag eigener Art oder bloß um eine Gebrauchsüberlassung handle, sei allen diesen Konstruktionen gemeinsam. daß ein Entgelt nicht gefordert werden könne. Lediglich vorsichtshalber könne aber gemäß § 273 ZPO angenommen werden, daß die Bezahlung des Betrages von S 2.000 zuzüglich Umsatzsteuer monatlich für die Benützung der Räumlichkeiten angemessen sei.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der klagenden Partei teilweise Folge: Im Umfang der Abweisung des Begehrens auf Zahlung von S 102.300 samt Anhang und im Kostenpunkt hob es die Entscheidung des Erstgerichtes unter Rechtskraftvorbehalt auf und verwies die Rechtssache an das Erstgericht zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung zurück; die Abweisung des Betrages von S 99.000 samt Anhang bestätigte es als Teilurteil. Es übernahm die (negativen) Feststellungen des Erstgerichtes. Danach sei es übereinstimmender Wille der klagenden Partei und Dr. Monika P*** gewesen, dieser die Räumlichkeiten deshalb zur Verfügung zu stellen, damit sie dort als praktische Ärztin ordinieren könne. Vertragspartnerin bis Ende September 1985 sollte somit Dr. Monika P*** sein. Bis zu diesem Zeitpunkt hafte daher die Beklagte nicht für ein angemessenes Benützungsentgelt. Die Rechtsbeziehung zwischen Dr. Monika P*** und der klagenden Partei sei als Leihe zu qualifizieren. Dieser Leihvertrag sei auf die Dauer der ursprünglich vereinbarten Unentgeltlichkeit schließlich um jeweils ein Jahr verlängert worden. Dieses Leihverhältnis sei mit der Aufgabe des Objektes durch Dr. Monika P*** beendet worden. Bei entsprechender Würdigung der Grundsätze von Treu und Glauben habe die Beklagte nicht ohne vorausgehende Absprache annehmen dürfen, daß sie zu denselben Bedingungen wie Dr. Monika P*** in den Ordinationsräumen werde verbleiben können. Der Beklagten sei durch das Schreiben vom 21. August 1985 die Willensäußerung der klagenden Partei bekannt geworden, für die Benutzung der Ordinationsräume monatlich S 5.500 einschließlich Umsatzsteuer zu verlangen. Die klagende Partei habe auch durch die Mahnung vom 21. April 1986 eindeutig zu erkennen gegeben, daß sie nicht gedenke, mit der Beklagten einen Bestandvertrag mit einem monatlichen Bestandzins von S 2.200 abzuschließen. Es reiche daher die Benützung der Ordinationsräumlichkeiten bis Oktober 1985 und die Bezahlung von monatlichen Beträgen von S 2.200 ab Jänner 1986 nicht aus, die Beklagte zur Bestandnehmerin werden zu lassen. Schlüssiges Zustandekommen einer Vereinbarung sei vor allem dann zu verneinen, wenn der eine Teil sich ausdrücklich dem Begehren des anderen widersetze. Die Benützung durch die Beklagte ab Oktober 1985 sei daher titellos. Dieser Zustand dauere an, weil ein Konsens über die Höhe des Bestandzinses nicht zustande gekommen sei. Wer eine fremde Sache ohne Vertrag und ohne sich auf einen zureichenden Rechtsgrund für die Unentgeltlichkeit berufen zu können, benütze, sei nach § 1041 ABGB verpflichtet, ein dem verschafften Nutzen angemessenes Entgelt zu entrichten. Die Höhe dieses angemessenen Entgeltes richte sich nach dem, was üblicherweise für nach Art, Größe, Lage und Widmung vergleichbare Objekte gefordert und bezahlt werde. Dazu habe das Erstgericht nun zwar in Anwendung der Bestimmung des § 273 ZPO ein Benützungsentgelt von S 2.200 angenommen, daß Berufungsgericht könne aber in diesem Punkt der Rechtsansicht des Erstgerichtes nicht beitreten. Es werde vielmehr eine Erweiterung der Sachverhaltsgrundlage notwendig sein. Das Begehren der klagenden Partei auf Bezahlung eines Benützungsentgeltes für die Zeit ab Oktober 1985 sei daher noch nicht spruchreif.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs der Beklagten ist nicht zulässig.

§ 508 Abs 1 ZPO gilt sinngemäß auch im Verfahren über einen Rekurs gegen einen Aufhebungsbeschluß nach § 519 Abs 1 Z 3 ZPO. Die dem Rechtskraftvorbehalt zugrundegelegte Ansicht des Berufungsgerichtes über das Vorliegen der Voraussetzungen nach § 502 Abs 4 Z 1 ZPO ist für den Obersten Gerichtshof nicht bindend. Für den Rekurs gegen den berufungsgerichtlichen Aufhebungsbeschluß gilt kraft Größenschlusses ebenfalls die Beschränkung der Anfechtungsgründe nach § 503 Abs 2 ZPO (2 Ob 77/88, 8 Ob 596/87 uva; Fasching, Zivilprozeßrecht, Rz 1884; Petrasch in ÖJZ 1983, 203). Hat das Berufungsgericht im Sinne einer einheitlichen und von der Lehre anerkannten Rechtsprechung entschieden, dann kann die Zulässigkeit des Rechtsmittels nur mit neuen bedeutsamen Argumenten begründet werden (2 Ob 77/88 ua; JA 1337 BlgNR 15 GP 19). Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor.

Die Rekurswerberin vertritt die Rechtsansicht, daß bereits das Rechtsverhältnis zwischen ihrer Tochter Dr. Monika P*** mit der klagenden Partei als Bestandvertrag zu qualifizieren sei, zumindest aber durch die Bezahlung von Mietzins durch sie und Annahme des Mietzinses durch die klagende Partei ein Bestandverhältnis begründet worden sei. Es steht fest, daß die klagende Partei Dr. Monika P*** die Ordinationsräume "vorerst" unentgeltlich zur Verfügung stellte, Dr. Monika P*** aber die Ordinationsräume durch Jahre unentgeltlich benützte, ohne daß ihr jemals ein Mietzins vorgeschrieben worden wäre, den sie in der Folge auch bezahlt hätte. Der Gemeinderatsbeschluß vom 29. März 1984 über die Einhebung eines monatlichen Bestandzinses von S 5.500 wurde ihr erst mit Schreiben vom 21. August 1985 bekanntgegeben. Auch bis zum 1. Oktober 1985 erfolgte durch Dr. Monika P*** aber keine Bestandzinszahlung. Mangels Willenseinigung ist ein Bestandverhältnis daher zwischen Dr. Monika P*** und der klagenden Partei nicht zustande gekommen. Soweit im Rekurs behauptet wird, die vereinbarte und als Bestandzins zu wertende Gegenleistung Dr. Monika P*** habe in der ärztlichen Versorgung der Gemeinde bestanden, entfernt sich die Rekurswerberin vom festgestellten Sachverhalt. Die bloße Absicht, der Wille, einen Bestandvertrag zu begründen, kann ohne Abgabe übereinstimmender Willenserklärungen eine vertragliche Bindung nicht bewirken.

Der Beklagten wiederum war schon zu Beginn ihrer monatlichen Zahlungen bekannt, daß die von ihr überwiesenen Beträge von monatlich S 2.200 nicht mit den von der klagenden Partei geforderten monatlichen Bestandzinszahlungen übereinstimmten. Bereits nach vier Zahlungen wurde die Beklagte mit "Abgabenmahnung" der klagenden Partei ausdrücklich darauf hingewiesen, daß nach Ansicht der klagenden Partei die Höhe des Bestandzinses monatlich S 5.500 betrage und schon immer betragen habe, einem Standpunkt, dem sich die Beklagte aber selbst in diesem Verfahren nicht anschloß. Der Beklagten mußte daher von allem Anfang an klar sein, daß ein Vertragswille der klagenden Partei, mit ihr einen Mietvertrag mit einem monatlichen Bestandzins von S 2.200 zu schließen, nicht vorlag. Ein solcher Vertragswille durfte von ihr nicht angenommen werden. Die unbeanstandete Annahme durch drei Monate konnte daher mit Überlegung aller Umstände unter Berücksichtigung der im redlichen Verkehr geltenden Gewohnheiten und Gebräuche niemals den zwingenden Schluß zulassen, die klagende Partei hätte unter diesen Bedingungen mit ihr einen Bestandvertrag abschließen wollen. Mangels Vorliegens der Voraussetzungen nach § 502 Abs 4 Z 1 ZPO ist der Rekurs zurückzuweisen.

Die Entscheidung über die Kosten des Rekursverfahrens gründet sich auf §§ 41, 50, 52 Abs 2 ZPO.

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