OGH 2Ob93/88

OGH2Ob93/8825.10.1988

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Scheiderbauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kralik, Dr. Vogel, Dr. Melber und Dr. Kropfitsch als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Berta W***, Pensionistin, 6020 Innsbruck, Fallbachgasse 14, vertreten durch Dr. Ekkehard Erlacher, Rechtsanwalt in Innsbruck, wider die beklagte Partei I*** V*** AG, 6020 Innsbruck,

Pastorstraße 5, vertreten durch Dr. Bernhard Haid, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen S 101.288,-- s.A., infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgerichtes vom 13. April 1988, GZ 3 R 92/88-11, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 12. Jänner 1988, GZ 40 Cg 112/87-6, bestätigt, wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die Klägerin ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 5.657,85 (darin keine Barauslagen und S 514,35 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin begehrte mit der am 28. Oktober 1987 beim Erstgericht eingelangten Klage ein Schmerzengeld von S 90.000,-- sowie den Ersatz von Pflegekosten von S 5.000,-- und von Kosten für "Essen auf Rädern" von S 6.288,--, insgesamt somit S 101.288,--, mit der Begründung, die Beklagte sei aufgrund des abgeschlossenen Beförderungsvertrages zur ordnungsgemäßen und unfallfreien Beförderung der Klägerin verpflichtet gewesen, darüber hinaus sei sie auch Halterin des Linienbusses, in dem die Klägerin gestürzt war; ihr Sturz sei auf einen mangelhaften Verschluß des Schaltergetriebedeckels zurückzuführen.

Die Beklagte beantragte Abweisung der Klage und wendete ein, der Sturz der Klägerin sei nicht auf eine mangelhafte Beschaffenheit des Linienbusses zurückzuführen, sondern auf das eigene Verschulden der Klägerin. Sämtliche Busse der Beklagten seien einzeltypengenehmigt und würden betriebsintern alle zwei Monate und vom Amt der Tiroler Landesregierung einmal jährlich technisch überprüft. Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab, wobei es im wesentlichen von folgenden Feststellungen ausging:

Am 29. September 1986 stieg die im Jahre 1905 geborene Klägerin bei einer Haltestelle in Innsbruck, Maria-Theresien-Straße, in den Linienbus der Beklagten mit dem Kennzeichen T 41.193 ein. Am Boden dieses Busses befindet sich nach dem Einstieg hinter dem Fahrersitz etwa zwischen den beiden ersten Fahrgastsitzen ein Schaltergetriebedeckel mit einer hellen Aluminiumumrandung. Diese Aluminiumumrandung ist abgetreten und deshalb ungleich hoch, erhebt sich jedoch höchstens 5 mm über den Boden. Sie ist sehr gut sichtbar, Schrauben standen nicht hervor. Noch während der Bus stand, stolperte die Klägerin, die eine Handtasche, ein Einkaufsnetz und einen Schirm bei sich hatte, über den äußeren Rand dieser Metallumrandung, stürzte zu Boden und zog sich einen Oberschenkelhalsbruch zu.

Zur Rechtsfrage vertrat das Erstgericht die Auffassung, die Klägerin habe den Unfall selbst verschuldet, da die Aluminiumumrandung sehr gut sichtbar gewesen sei und sich nur 0,5 cm über den Boden erhoben habe. Von der Beklagten sei nicht zu fordern gewesen, weitere Vorsichtsmaßnahmen zu treffen, um zu verhindern, daß dennoch jemand über diesen Metallrahmen stolpere. Die Berufung der Klägerin blieb erfolglos; das Gericht zweiter Instanz erklärte die Revision gemäß § 502 Abs 4 Z 1 ZPO für zulässig, erachtete das erstgerichtliche Verfahren als mängelfrei und billigte auch die rechtliche Beurteilung der ersten Instanz. Gegen das Urteil des Berufungsgerichtes wendet sich die Revision der Klägerin aus dem Anfechtungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag auf Abänderung im Sinne der Klagsstattgebung; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt. In ihrer Revisionsbeantwortung beantragt die Beklagte, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig (§ 502 Abs 4 Z 1 ZPO), jedoch nicht berechtigt.

Die Klägerin führt in ihrem Rechtsmittel aus, daß der von der Klägerin mit der Beklagten abgeschlossene Beförderungsvertrag auch die vertragliche Nebenverpflichtung in sich schließe, den Fahrgast vor Schäden an seiner körperlichen Unversehrtheit während der Beförderung zu bewahren. Es gelte als mitvereinbart, daß der Unternehmer alles Zumutbare vorkehre, um eine gefahrenlose Beförderung des Fahrgastes zu ermöglichen. Nach herrschender Lehre und Rechtsprechung trete bei Verletzung von Schutz- und Sorgfaltspflichten die Umkehr der Beweislast gemäß § 1298 ABGB ein. Es obliege daher der Beklagten der Beweis, daß das zur Verfügung gestellte Beförderungsmittel nicht gefahrenträchtig war. Ausgehend von den Feststellungen des Erstgerichtes müsse man zu dem Schluß kommen, daß die Beklagte kein Verschulden an der Erfüllung ihrer vertragsmäßigen Nebenverbindlichkeit, das körperliche Wohl der Klägerin nicht zu verletzen, getroffen habe, noch ihr der Beweis, daß die Klägerin selbst den Sturz und die daraus resultierenden Verletzungen verschuldet habe, gelungen sei. Die Beklagte hafte daher der Klägerin für die Folgen des Unfalles aus dem Beförderungsvertrag und damit auch für den geltend gemachten Anspruch auf Schmerzengeld. Selbst wenn man eine Haftung aus dem Beförderungsvertrag verneinen würde, würde die Beklagte jedenfalls aus dem Titel der Gefährdungshaftung im Sinne der Bestimmungen der EKHG für die Unfallsfolgen haften. Entgegen der Rechtsansicht beider Untergerichte sei der Beklagten der Entlastungsbeweis, daß die Klägerin ein Verschulden an ihrem Sturz treffe, nicht gelungen. Wenn das Berufungsgericht ausführe, daß jeder Fußgänger seine Gehweise so einrichten müsse, daß er nicht mit den Füßen an unvermeidlichen Hindernissen, mit denen jedermann rechnen müsse, hängenbleibe, so sei dem entgegenzuhalten, daß die Klägerin keineswegs mit Unebenheiten im Busboden habe rechnen müssen. Es sei auch nicht richtig, daß es der 1905 geborenen Klägerin leicht möglich gewesen wäre, dieses Hindernis am Busboden rechtzeitig zu erkennen und darauf mit entsprechender Schrittwahl zu reagieren. Gerade in jenem Bereich, in dem sich der Metallrahmen am Boden befinde, sei die Aufmerksamkeit eines Fahrgastes, insbesondere eines alten Menschen, durch das Passieren des Fahrersitzes und die damit verbundene Karteneinlösung bzw. -kontrolle sowie das Suchen nach einem Sitzplatz in Anspruch genommen. Es sei daher dem zusteigenden Fahrgast keineswegs vorwerfbar, wenn er nicht nach Unebenheiten im Busboden Ausschau halte, zumal damit ja tatsächlich nicht gerechnet werden müsse. Nach Ansicht der Revisionswerberin sei der Beklagten der Beweis, daß der Sturz der Klägerin ein unabwendbares Ereignis gewesen sei, keineswegs gelungen.

Diesen Ausführungen kann nicht gefolgt werden. Wie das Berufungsgericht zutreffend erkannte, richtet sich der Inhalt der aus dem Beförderungsvertrag entspringenden Schutz- und Nebenpflichten mangels einer konkreten Vereinbarung nach der Übung des redlichen Verkehrs (§ 914 ABGB), wobei gemäß § 1298 ABGB eine Beweislastumkehr Platz greift. Den allgemeinen schadenersatzrechtlichen Bestimmungen des ABGB ist die allgemeine Rechtspflicht zu entnehmen, die körperliche Unversehrtheit und das Eigentum eines anderen nicht zu gefährden. Aus dieser Pflicht werden Sorgfalts- und Verkehrssicherungspflichten abgeleitet (ZVR 1975/269, ZVR 1973/105 ua). Der Verkehrssicherungspflichtige hat zu beweisen, daß er die erforderlichen Sicherheitsvorkehrungen getroffen hat, ohne Rücksicht darauf, ob sich diese Pflichten aus allgemeinen Rechtsgrundsätzen (Ingerenzprinzip) oder einem Vertrag ergeben (7 Ob 614/86 ua). Die Beweislast für die Einhaltung der objektiv gebotenen Sorgfalt trifft demnach den zur Sorgfalt Verpflichteten. Die subjektiven Fähigkeiten zur Einhaltung der objektiv gebotenen Sorgfalt unterstellen schon die §§ 1297 und 1299 ABGB (Reischauer in Rummel ABGB, Rz 6 zu § 1298). § 1297 ABGB ist eine an der Lebenserfahrung orientierte Vermutung. Sie führt zu einer vollen Beweislastumkehr (Reischauer aaO Rz 12 zu § 1297). Derjenige, der eine Gefahrenquelle schafft, hat alles vorzukehren, um Schädigungen zu verhindern (JBl 1979, 485; SZ 47/124; JBl 1973, 35;

SZ 37/97 ua), soweit eine solche Gefahrenquelle für ihn bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt erkennbar ist (JBl 1979, 485;

JBl 1967, 34). Durch die Anerkennung solcher Verkehrssicherungspflichten darf freilich der das Schadenersatzrecht beherrschende Verschuldensgrundsatz (§ 1295 ABGB) nicht durch eine vom Verschulden losgelöste Haftung ersetzt werden (vgl. Koziol aaO 59). Abwehrmaßnahmen gegen gefährliche Zustände sind daher stets nur im Rahmen des Zumutbaren zu treffen, im Einzelfall kommt es auch auf die Wahrscheinlichkeit der Schädigung an. Für die Sicherung von Gefahrenquellen ist in umso höherem Maße zu sorgen, je weniger angenommen werden kann, daß die von der Gefahr betroffenen Personen sich ihrerseits vor Schädigungen vorzusehen und zu sichern wissen. Für das Ausmaß der Sicherungspflicht ist entscheidend, ob nach den Erfahrungen des täglichen Lebens eine naheliegende und voraussehbare Gefahrenquelle bestand (8 Ob 567/84 ua). Werden diese Grundsätze auf den vorliegenden Fall angewendet, ist dem Berufungsgericht darin zu folgen, daß bei einer Beförderung im Rahmen des öffentlichen Linienverkehrs selbst ein gehbehinderter Fahrgast keinen vertraglichen Anspruch auf einen Sitzplatz und umso weniger einen Anspruch hat, vom Einsteigen bis zum Erreichen eines Sitzplatzes begleitet zu werden. Ein rationell gestalteter öffentlicher Linienverkehr wäre unmöglich, müßte der Busfahrer, der vielfach auch für das Inkasso verantwortlich ist, vor dem Weiterfahren alle älteren Passagiere zu einem sicheren Sitzplatz begleiten, dies umso mehr, als erfahrungsgemäß sehr viele alte Menschen mit öffentlichen Verkehrsmitteln fahren. Darüber hinaus ist der zwischen den Sitzreihen eines Linienbusses zur Verfügung stehene Zwischenraum im allgemeinen zu schmal, um eine wirksame stützende Begleitung zu ermöglichen.

Auch aus der Beschaffenheit des Omnibusses läßt sich kein Verschulden auf seiten der Beklagten ableiten. Mangels entgegenstehender Anhaltspunkte ist davon auszugehen, daß der Omnibus der Beklagten typisiert und seine Bauweise somit behördlich genehmigt wurde, so daß sich die Beklagte grundsätzlich darauf verlassen konnte, daß diese auch den Erfordernissen der Verkehrssicherheit genüge. Negative, die Sicherheit der Fahrgäste beeinträchtigende Veränderungen gegenüber dem Zustand zum Zeitpunkt der behördlichen Genehmigung sind nicht hervorgekommen, durch das Abschleifen der maximal 5 mm hervorstehenden Aluminiumumrandung des Schaltergetriebedeckels wurde die Gefahr des Darüberstolperns sogar noch verringert. Ohne Rechtsirrtum hat daher das Berufungsgericht den der Beklagten im Sinne des § 1298 ABGB sowie im Rahmen der Verkehrssicherungspflicht obliegenden Entlastungsbeweis als erbracht angesehen.

Da die Klägerin im Zusammenhang mit dem Betrieb eines Kraftfahrzeuges stürzte und ihren Anspruch nicht ausdrücklich nur auf ein Verschulden auf seiten der Beklagten stützte, war auch zu prüfen, ob die Beklagte aus dem Titel der Gefährdungshaftung im Sinne des § 1 EKHG zur Haftung herangezogen werden könnte. Daß die Beklagte Halterin des Omnibusses war, in dem die Klägerin stürzte, ist ebensowenig strittig wie der Umstand, daß sich der Sturz der Klägerin beim Betrieb des Omnibusses im Sinn des § 1 EKHG ereignete.

Wie schon das Berufungsgericht hervorgehoben hat, läßt nur eine erhöhte Sorgfalt einen Unfall als unabwendbares Ereignis erscheinen (ZVR 1987/11 uva), der Entlastungsbeweis nach § 9 Abs 2 EKHG ist nur erbracht, wenn der Fahrer eine über die gewöhnliche Sorgfalt hinausgehende besondere Aufmerksamkeit und Umsicht gezeigt hat (ZVR 1986/157 uva). Bei Anwendung dieser Grundsätze auf den vorliegenden Fall ist dem Berufungsgericht auch darin zu folgen, daß jeder Fußgänger bzw. Fahrgast eines öffentlichen Verkehrsmittels seine Gehweise so einrichten muß, daß er nicht mit den Füßen an unvermeidlichen Hindernissen, mit denen jedermann rechnen muß und die überdies gut erkennbar sind, hängen bleibt. Das den Sturz der Klägerin auslösende Hindernis erhob sich maximal nur 5 mm über den Boden und war festgestelltermaßen gut erkennbar, so daß es der Klägerin leicht möglich gewesen wäre, darauf mit entsprechender Schrittwahl zu reagieren. Die Beklagte mußte daher nicht damit rechnen, daß ein Fahrgast über den Schaltergetriebedeckel stürzte. In der Auffassung des Berufungsgerichtes, daß der Beklagten auch der Haftungsbefreiungsbeweis im Sinn des § 9 Abs 2 EKHG gelungen ist, kann daher entgegen der Auffassung der Revision keine unrichtige rechtliche Beurteilung erblickt werden.

Der Revision mußte daher ein Erfolg versagt bleiben. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO.

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