Spruch:
Der Revision wird teilweise Folge gegeben.
Das Teilurteil des Berufungsgerichtes wird dahin abgeändert, daß die Beklagte schuldig erkannt wird, der Klägerin S 676.000,-- samt 5 % Zinsen seit 3. August 1987 zu zahlen.
Im übrigen wird die als Rekurs gegen den Teilaufhebungsbeschluß des Berufungsgerichtes zu behandelnde Revision als unzulässig zurückgewiesen.
Die Entscheidung über die Verfahrenskosten aller drei Instanzen bleibt dem Endurteil vorbehalten.
Text
Entscheidungsgründe:
Die Klägerin traf mit der Beklagten (deren Passivlegitimation im Rechtsmittelverfahren nicht mehr strittig ist) ein Bierlieferungsübereinkommen; die Beklagte, die in Trieben einen Getränkegroßhandel hat, sollte in diesem Gebiet Zillertaler Bier vertreiben. Das von Friedrich S***, dem Ehegatten der Geschäftsführerin der Beklagten, am 15. April 1986 unterfertigte Übereinkommen hat in den wesentlichen Passagen folgenden Wortlaut:
"Am 15. April 1986 sind wir mit Herrn S*** übereingekommen, daß er in seinem Gebiet Zillertalbier vertreibt.
Der Preis für einen Hektoliter Spezial ab Rampe beträgt S 1.070,--. Eine eventuelle Bierpreiserhöhung tritt erst nach Genehmigung der Paritätischen Kommission in Kraft. Herr S***
erhält von uns dafür einen Warenrabatt von 20 %. Außerdem stellen wir ihm zur Werbung von Neukunden ein Darlehen von S 240.000,-- zur Verfügung. Die Rückzahlung erfolgt monatlich und zwar werden von der monatlichen Nettorechnungssumme 14 % vom Darlehen abgebucht. ..... (es folgen Vereinbarungen über das Gebinde) .... Herr S*** übergibt uns ein Blankoakzept und wir sind berechtigt bei Aufhören der Geschäftsverbindung den aushaftenden Betrag einzusetzen." Dieses Darlehen wurde in der Folge auf insgesamt S 730.000,-- erhöht.
Die Klägerin behauptet, daß die Beklagte fast keine Geschäfte gebracht habe und sich trotz Mahnung weigere, das Darlehen zurückzuzahlen. Sie begehrte zuletzt Zahlung von S 714.578,54, wovon ein Betrag von S 32.725,76 auf nicht bezahlte Bierlieferungen und der Rest auf das Darlehen entfalle. Die Beklagte habe um ein Darlehen zur Deckung der Werbungskosten ersucht. Anläßlich der Erhöhung dieses Darlehens habe sich die Beklagte verpflichtet, jährlich mindestens 500 hl Bier in der Steiermark zu vertreiben. Da sie diese Bezugsverpflichtung bei weitem nicht eingehalten, von April 1986 bis März 1987 nur 188 hl Bier bezogen habe und bei diesem Bezug das Darlehen samt Zinsen niemals zurückgezahlt werden könnte, habe die Klägerin das Darlehen fällig gestellt. Trotz Nichteinhaltung der Lieferverpflichtung habe aber die Klägerin vom tatsächlichen Bierbezug jeweils 14 % zur Abdeckung des Darlehens herangezogen.
Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens und wendete ein, daß im Bierlieferungsübereinkommen keine Möglichkeit zur vorzeitigen Vertragslösung vorgesehen sei. Das Übereinkommen sei nach wie vor aufrecht; die Beklagte beziehe laufend Bier, so daß die Klageforderung nicht fällig sei.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt und traf folgende wesentliche Feststellungen:
Friedrich S*** hatte seinerzeit selbst einen Getränkegroßhandel betrieben. Er ging aber infolge wirtschaftlicher Schwierigkeiten vor etwa fünf Jahren in Konkurs, worauf seine Frau Sigrun S***, die seit 1982 bestehende S***
Großhandelsgesellschaft m.b.H. - die Beklagte - wieder aktivierte. Da Friedrich S*** aus seiner früheren Tätigkeit alle Kunden kennt, ist er nunmehr für das Unternehmen seiner Frau tätig. Bei den Verhandlungen mit der Klägerin, die auf ihrer Seite von der Prokuristin Waltraud K*** geführt wurden, sagte Friedrich S***, daß er über die Beklagte Bier der Klägerin in der Steiermark an verschiedene Gasthöfe verkaufen könne. Die Klägerin hatte daran Interesse, worauf es zu dem eingangs zitierten Übereinkommen vom 15. April 1986 kam. Von dem zur Werbung von Neukunden zugezählten Darlehen von zunächst S 240.000,-- übergab die Beklagte S 200.000,-- an den Gasthof Sigrun S***; den Rest von S 40.000,-- verbrauchte Friedrich S*** für verschiedene Werbefahrten nach Wien und ins Burgenland und vor allem als Spesenersatz.
Anläßlich der Aufstockung des gewährten Darlehens verpflichtete sich die Beklagte, jährlich etwa 500 hl Bier von der Klägerin zu beziehen. Die Prokuristin der Klägerin ging dabei davon aus, daß damit das zinsenlose (AS 35) Darlehen aus den 14-%igen Abzügen von den monatlichen Nettorechnungssummen in zehn Jahren getilgt werden könne.
Anfangs gingen die Geschäftsbeziehungen zwischen den Streitteilen gut; in der Folge bezog jedoch die Beklagte wesentlich weniger als 500 hl Bier pro Jahr. 1987 bezog sie in den einzelnen Monaten folgende Mengen:
Jänner 19,0; Februar 0; März 22,5; April 8,8; Mai 0; Juni 20,0; Juli 15,0; August 34,0; September 35,7; Oktober 37,0. Die Klägerin zog - im Sinne des Übereinkommens vom 15. April 1986 - von jeder Bierrechnung 14 % des Nettobetrages zur teilweisen Darlehenstilgung ab; hiedurch verringerte sich das Darlehen per 26. September 1987 auf S 687.463,28. Für bezogenes Bier war per 22. Oktober 1987 ein Betrag von S 32.725,86 offen.
Das Erstgericht war der Ansicht, daß die Beklagte das Bierlieferungsübereinkommen nur teilweise und in so unzureichendem Maße erfüllt habe, daß die Klägerin zur Aufkündigung und Fälligstellung des offenen Darlehens berechtigt sei. Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten Folge; es wies das Klagebegehren im Umfang von S 676.000,-- s.A. mit Teilurteil ab und hob das Ersturteil im Umfang des restlichen Zuspruchs von S 38.578,54 s.A. einschließlich der Kostenentscheidung ohne Rechtskraftvorbehalt auf.
Das der Beklagten gewährte - laut Außerstreitstellung im Berufungsverfahren mit mindestens S 676.000,--
aushaftende - Darlehen sei nicht fällig. Nach der Vereinbarung vom 15. April 1986 sei die Klägerin erst "bei Auflösung der Geschäftsverbindung" berechtigt, ihre Darlehensforderung fällig zu stellen. Da die Beklagte von der Klägerin noch bis Oktober 1987 Bier bezogen habe, sei diese nicht berechtigt gewesen, das Darlehen fällig zu stellen. Die Beklagte habe zwar ihre Bezugsverpflichtung nicht eingehalten, doch sei nicht vereinbart worden, daß die Klägerin das Darlehen entgegen den getroffenen Rückzahlungsvereinbarungen vorzeitig fällig stellen dürfe. Derartiges habe die Klägerin auch nicht behauptet. Der Umstand, daß bei verhältnismäßig geringfügigen Bierbezugsmengen die Darlehensrückzahlung ungewöhnlich verzögert werde, könne das Fehlen einer Vereinbarung, die die Klägerin in einem solchen Fall zur Fälligstellung des Darlehens berechtige, nicht ersetzen. Ob bei einem bereits ins Abwicklungsstadium getretenen Dauerschuldverhältnis ein Vertragsrücktritt möglich sei, müsse nicht geprüft werden, da die Geschäftsverbindung der Streitteile aufrecht sei und die Klägerin gar nicht behauptet habe, vom Bierbezugsvertrag mit der Beklagten zurückgetreten zu sein. Auf listiges Herauslocken des Darlehens habe sich die Klägerin nicht berufen. Sie könnte daher Rückzahlung des Darlehens höchstens in jenem Umfang verlangen, der sich bei Einhaltung der vereinbarten Bezugsmengen von etwa 500 hl jährlich ergäbe; das habe sie aber nicht begehrt.
Dem Klagebegehren werde daher nur im Umfang "der offenen Bierrechnungen" stattzugeben sein; der auf diesen Rechtsgrund entfallende Teilbetrag, habe aber nicht geklärt werden können. Die Klägerin erhebt Revision wegen Mangelhaftigkeit des Verfahrens und unrichtiger rechtlicher Beurteilung. Sie beantragt, das Urteil des Berufungsgerichtes dahin abzuändern, daß das Ersturteil (gemeint offenbar: zur Gänze) wiederhergestellt werde.
Die Beklagte beantragt, der Revision der Klägerin nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Soweit sich die Revision der Klägerin mit dem Antrag auf (gänzliche) Wiederherstellung des Ersturteils erkennbar auch gegen den aufhebenden Teil der Entscheidung der zweiten Instanz richtet, ist der damit erhobene Rekurs gegen den Teilaufhebungsbeschluß des Berufungsgerichtes unzulässig, weil die zweite Instanz keinen Rechtskraftvorbehalt (§ 519 Abs. 1 Z 3 ZPO) beigesetzt hat. Daran kann auch nichts ändern, daß es dem Berufungsgericht trotz geringfügiger Unstimmigkeiten zwischen den Feststellungen des Erstgerichtes über die Höhe des Restdarlehens und der offenen Bierrechnungen einerseits und der vom Klagevertreter vorgenommenen Einschränkung des Klagebegehrens andererseits leicht möglich gewesen wäre, die beiden Bestandteile des Klagebetrages ziffernmäßig genau zu ermitteln, so daß von einem der Anwendung des § 496 Abs. 3 ZPO entgegenstehenden erheblichen Mehraufwand an Kosten keine Rede sein kann. Das gegen den Teilaufhebungsbeschluß gerichtete Rechtsmittel muß daher zurückgewiesen werden.
Im übrigen ist jedoch die Revision der Klägerin berechtigt. "Bierbezugsverträge" sind Vertragsgestaltungen, bei denen sich ein Gastwirt (in der Regel) anläßlich einer Darlehensgewährung durch eine Brauerei verpflichtet, längere Zeit hindurch ausschließlich Bier der darlehensgewährenden Brauerei zu beziehen. Eine solche Abrede begründet nach Lehre und Rechtsprechung ein Dauerschuldverhältnis, für das der allgemeine Grundsatz vorzeitiger Auflösbarkeit aus wichtigem Grund gilt (Aicher in Rummel, ABGB, Rz 50 zu § 1053; Koziol-Welser, Grundriß8 I 188, 231, 309; EvBl. 1960/126; SZ 56/144). Ein solches Dauerschuldverhältnis liegt auch hier vor; der zwischen einer Brauerei und einer Getränkegroßhändlerin abgeschlossene Vertrag enthält allerdings keine Ausschließlichkeitsbindung, sondern nur eine Mindestabnahmeverpflichtung. Die Verbindlichkeit der Beklagten zur Darlehensrückzahlung ist mit ihrer Abnahmeverpflichtung dadurch eng verknüpft, daß das Darlehen durch prozentuelle Abzüge von den jeweiligen Bierrechnungen getilgt werden sollte. Bei gehöriger Erfüllung der Abnahmeverpflichtung durch die Beklagte wäre das (im Gegensatz zu den Klagebehauptungen) zinsenlose Darlehen nach etwa zehn Jahren getilgt gewesen. Der Bierbezugsvertrag sah für den Fall, daß die Beklagte ihrer Bezugsverpflichtung nicht oder nicht gehörig nachkommen sollte, keine Regelung vor; es wurde lediglich vereinbart, daß die Klägerin berechtigt sein sollte, in das übergebene Blankoakzept "bei Aufhören der Geschäftsverbindung den aushaftenden Betrag einzusetzen". Daraus ist aber nicht abzuleiten, daß die Klägerin den Vertrag nicht vorzeitig auflösen dürfte. Zwar ist ein Rücktritt vom Vertrag mit Wirkung ex tunc bei Dauerschuldverhältnissen ausgeschlossen, sobald sie bezüglich der Dauerleistung ins Abwicklungsstadium getreten sind (Reischauer in Rummel, ABGB, Rz 13 vor §§ 918 ff; Rummel in Rummel aaO Rz 27 zu § 859; Koziol-Welser aaO 188; EvBl. 1960/223; SZ 42/182; JBl. 1986, 53 uva); ein Dauerschuldverhältnis kann jedoch wegen des besonderen Vertrauens, das es zwischen den Parteien voraussetzt, aus wichtigen Gründen jederzeit - und zwar in der Regel ohne Nachfristsetzung - gelöst werden (Koziol-Welser aaO 188;
EvBl. 1961/294; SZ 53/24; JBl. 1983, 321; SZ 57/186;
EvBl. 1988/31 uva); wenn eine Aufrechterhaltung des Vertragsverhältnisses billigerweise nicht mehr zugemutet werden kann, steht selbst eine vereinbarte Unkündbarkeit der Auflösung nicht entgegen (EvBl. 1982/187; SZ 57/186; EvBl. 1987/176). Die Erklärung, ein Dauerschuldverhältnis aus wichtigen Gründen aufheben zu wollen, kann auch konkludent abgegeben werden (1 Ob 75/69; 5 Ob 93/71); für den Erklärungsempfänger muß allerdings aus dem Inhalt der Willenserklärung klar erkennbar sein, daß das Rechtsverhältnis aus wichtigen Gründen mit sofortiger Wirkung aufgelöst wird (4 Ob 550/78). Die Klägerin hat ihre (am 6. August 1987 zugestellte) Klage mit der Behauptung begründet, die Beklagte habe aus der übernommenen Generalvertretung fast keine Geschäfte gebracht, weigere sich aber trotzdem, das wegen dieser Generalvertretung eingeräumte Darlehen zurückzuzahlen; mit dem tatsächlichen Bierbezug der Beklagten könne das Darlehen niemals zurückgezahlt werden. Mit diesem Vorbringen hat die Klägerin hinreichend deutlich die vorzeitige Aufhebung des Bierlieferungsvertrages erklärt (vgl. SZ 53/24; MietSlg. 34.652;
37.057 ua). Das Vorbringen der Klägerin wurde auch von der Beklagten so aufgefaßt, da sie dem Klagebegehren mit der Begründung entgegentrat, der Vertrag sehe keine Möglichkeit einer vorzeitigen Auflösung vor; eine ordnungsgemäße Vertragskündigung sei aber nicht erfolgt. In der Berufung spricht die Beklagte überhaupt von einem unzulässigen "Vertragsrücktritt" im August 1987 und von der Geltendmachung der Vertragsaufhebung.
Wenn bei einem (reinen) Darlehensvertrag Terminsverlust nicht vereinbart ist, fehlt es nach Ansicht der Lehre (Stanzl in Klang2 IV/1 698 f; Schubert in Rummel aaO, Rz 3 zu § 984) an einer ausreichenden Rechtsgrundlage, um bei Verzug des Schuldners das Darlehen vorzeitig zurückfordern zu können. Im vorliegenden Fall war jedoch die Gewährung des Darlehens mit der Verpflichtung der Beklagten zur Abnahme von mindestens 500 hl Bier im Rahmen eines Dauerschuldverhältnisses derart verbunden, daß die berechtigte Auflösung des Dauerschuldverhältnisses aus wichtigem Grund auch die Fälligkeit des offenen Darlehensrestes zur Folge hat. Ein wichtiger Grund zur vorzeitigen Auflösung des Dauerschuldverhältnisses lag aber vor, weil die Beklagte in der Zeit von Jänner bis Juli 1987 nur 85,3 hl Bier, also nicht einmal ein Drittel jener Menge bezogen hatte, die im Durchschnitt auf diese Monate - zu denen erfahrungsgemäß auch umsatzstarke Sommermonate gehören - entfallen wären. Unter diesen Umständen war der Klägerin eine Aufrechterhaltung des Vertrages nicht zumutbar, da sie der Beklagten zinsenlose Darlehen zur Werbung von Neukunden unter der Bedingung der Einhaltung einer bestimmten Mindestabnahme gewährt hatte. Würde man der Klägerin in dieser Situation das Recht zur vorzeitigen Auflösung des gesamten Dauerschuldverhältnisses verweigern, hätte es die Beklagte in der Hand, der Klägerin Bier nur nach Belieben oder gar nicht abzunehmen, dennoch aber im Genuß des zum Zweck der Erreichung der versprochenen Abnahmemenge gewährten zinsenlosen Darlehens zu bleiben und hievon höchstens 10 % jährlich zurückzahlen zu müssen, wogegen die Klägerin die aus den vereinbarten Abnahmemengen erwarteten Erträge nicht erhielte.
Erst nach der vorzeitigen Auflösung des Bezugsvertrages mit der vorliegenden Klage hat die Beklagte drei Monate hindurch ihren Bierbezug wieder intensiviert. Aus dem Umstand, daß die Klägerin der Beklagten weiterhin Bier ausgeliefert und hiebei sogar den vertraglich vorgesehenen Verrechnungsmodus eingehalten hat, ist jedoch ein Verzicht auf die bereits erklärte Auflösung des Dauerschuldverhältnisses nicht zu erblicken. Die Klägerin hat den Prozeß weitergeführt und das Klagebegehren um die Teilzahlungen der Beklagten eingeschränkt. Für die Zeit nach Oktober 1987 ist kein weiterer Bierbezug der Beklagten erwiesen, obwohl das Verfahren erster Instanz erst am 10. Dezember 1987 geschlossen wurde. Der Revision der Klägerin ist daher im Umfang des abweisenden Teilurteils der zweiten Instanz Folge zu geben.
Der Vorbehalt der Kostenentscheidung stützt sich auf § 52 Abs. 2 ZPO.
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