OGH 9ObA183/88

OGH9ObA183/8812.10.1988

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.-Prof. Dr. Kuderna als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Maier und Dr. Petrag sowie die fachkundigen Laienrichter Werner Jeitschko und Helga Kaindl als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Adolf G***, Angestellter, Zöfing, Hauptstraße 12, vertreten durch Dr. Georg Grießer, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Dipl.Ing. Edward F***, Alleininhaber der prot. Firma T***-S***, Armaturen-, Eisen- und Stahlgroßhandel, Wien 22., Lieblgasse 27, vertreten durch Dr. Harry Neubauer, Rechtsanwalt in Wien, wegen S 43.133,67 netto sA (Revisionsstreitwert S 5.667,-- netto sA), infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 6. Mai 1988, GZ 34 Ra 26/88-13, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 17. November 1987, GZ 17 Cga 1196/87-9 zum Teil bestätigt und zum Teil abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, daß das erstgerichtliche Urteil wiederhergestellt wird.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 2.357,85 (darin S 214,35 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens und die mit S 1.699,50 (darin S 154,50 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger war beim Beklagten vom 7. Jänner 1985 bis 31. Dezember 1986 als reisender Vertreter angestellt. Neben seinem überkollektivvertraglichen Gehalt erhielt er vereinbarungsgemäß ein Spesenpauschale von S 120,-- pro Tag, woraus sich im Vergleich zu den Sätzen des Art. XV des Kollektivvertrags für die Handelsangestellten Österreichs (kurz Kollektivvertrag) für 1985 eine für ihn nachteilige Differenz von S 22.001,67 und für 1986 eine solche von S 21.132,-- ergab. Er hatte im Jahre 1985 insgesamt 162

Dienstreisen mit einer Dauer von mehr als 8 Stunden und insgesamt 47

Dienstreisen mit einer Dauer von mehr als 3 bis 6 Stunden sowie im Jahre 1986 insgesamt 138 Dienstreisen in der Dauer von mehr als 8 Stunden und 30 Dienstreisen in der Dauer von mehr als 3 bis 6 Stunden unternommen.

Mit der vorliegenden Klage begehrt der Kläger den Ersatz dieser Differenz. Das kollektivvertragliche Taggeld habe im Jahr 1985 S 265,-- und im Jahr 1986 S 279,-- betragen. Die Einzelvereinbarung verstoße daher gegen § 3 Abs 1 ArbVG.

Der Beklagte beantragte, die Klage abzuweisen. Die Vereinbarung eines Spesenpauschales sei nach Art. XV Z 1 des Kollektivvertrags zulässig und bewirke die Unanwendbarkeit der kollektivvertraglichen Entschädigungssätze. Überdies seien die vom Kläger erhobenen Ansprüche mangels rechtzeitiger Geltendmachung verfallen. Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es traf im wesentlichen noch folgende Feststellungen:

Der Kläger erstellte jeweils am Monatsende eine handschriftliche Spesenabrechnung, der er selbst ein Taggeld von S 120,-- zugrunde legte. Diese Abrechnung, welche die an den einzelnen Tagen gefahrenen Kilometer beinhaltete, übergab er mit den Ablichtungen des Fahrtenbuches, aus denen die Fahrtstrecken und die Ziele der Fahrten ersichtlich waren, dem Beklagten. Nach seiner Kündigung am 30. Oktober 1986 erfuhr der Kläger von einem anderen Vertreter, daß er unterkollektivvertragliche Diäten bezogen hätte. Wenige Tage darauf machte er die sich zu den Taggeldern des Kollektivvertrags ergebenden Differenzbeträge gegenüber dem Beklagten schriftlich geltend.

Das Erstgericht vertrat die Rechtsauffassung, daß die kollektivvertragliche Regelung der Reisekosten- und Reiseaufwandsentschädigung wegfalle, wenn eine einzelvertragliche Regelung getroffen werde. Für eine Günstigkeitsprüfung nach § 3 ArbVG bestehe kein berechtigter Anlaß. Selbst wenn dem Kläger Spesendifferenzen zustünden, seien diese mit Ausnahme der Ansprüche für August bis Oktober 1986 gemäß Art. XV Z 9 des Kollektivvertrags verfallen.

Das Berufungsgericht änderte diese Entscheidung dahin ab, daß es dem Kläger den Betrag von S 5.667,-- sA zusprach und das Mehrbegehren abwies. Es billigte die Rechtsansicht des Erstgerichtes über den Verfall der Ansprüche des Klägers bis August 1986 und führte ergänzend aus, daß neben einem eine Angelegenheit im Rahmen des § 2 Abs 2 Z 2 ArbVG regelnden Kollektivvertrag keine den Arbeitnehmer ungünstiger stellende Individualvereinbarung über dieselbe Angelegenheit wirksam bestehen könne. Es gelange diesbezüglich § 3 Abs 1 ArbVG zur Anwendung, wonach Sondervereinbarungen nur gültig sein könnten, soweit sie für den Arbeitnehmer günstiger seien. Da Art. XV Z 1 des Kollektivvertrags eine ungünstigere Einzelvereinbarung in Kauf nehme, sei dieser kollektivvertragliche Vorbehalt wegen Verstoßes gegen § 3 Abs 1 ArbVG nichtig und schließe den Anspruch des Klägers auf kollektivvertragliche Reisespesen nicht aus. Dem Kläger gebühre daher die Differenz zur erhaltenen Reiseaufwandsentschädigung für August bis Oktober 1986.

Gegen dieses Urteil richtet sich die aus dem Grunde der unrichtigen rechtlichen Beurteilung erhobene Revision des Beklagten mit dem Antrag auf Abänderung der angefochtenen Entscheidung im Sinne einer gänzlichen Abweisung des Klagebegehrens. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Kläger beantragt in seiner Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist berechtigt.

Im vorliegenden Fall ist davon auszugehen, daß nach Art. XV Z 1 des Kollektivvertrags die Bestimmungen dieses Abschnittes (Reisekosten- und Reiseaufwandsentschädigung) keine Anwendung finden, wenn durch Betriebsvereinbarung oder einzelvertragliche Regelung Reisekosten- und/oder Reiseaufwandsentschädigung geregelt oder mit einem vereinbarten Pauschalsatz oder Entgelt Reisekosten und/oder Reiseaufwand abgegolten werden. Daraus folgt, daß die im Kollektivvertrag vorgesehene Reisekostenentschädigung abbedungen werden kann, so daß sich die Normwirkung des Kollektivvertrags (vgl. Strasser in Floretta-Spielbüchler-Strasser, Arbeitsrecht II2 100 ff; Floretta-Strasser, Handkommentar zum ArbVG 36 ff; Cerny ArbVG § 3 Erl. 6) diesbezüglich nicht auf eine die Diäten betreffende Einzelvereinbarung erstreckt. Der Art. XV des Kollektivvertrags gilt in diesem Fall nicht, so daß die Einzelvereinbarung im Ergebnis eine Angelegenheit betrifft, die im Kollektivvertrag nicht zwingend geregelt ist. Damit ist der Stufenbau der Arbeitsrechtsordnung nicht "auf den Kopf gestellt", wie der Kläger meint, sondern der Kollektivvertrag hat insofern auf eine in den Arbeitsvertrag eingreifende Regelung von vorneherein verzichtet. Wollte man die Wirksamkeit der Vereinbarung eines Spesenpauschales dennoch vom Günstigkeitsprinzip des § 3 Abs 1 ArbVG abhängig machen, wäre der Regelungsvorbehalt des Art. XV Z 1 des Kollektivvertrags sinnlos und überflüssig. Andererseits darf den Kollektivvertragsparteien unterstellt werden, daß sie eine vernünftige, zweckentsprechende und praktisch durchführbare Regelung treffen sowie einen gerechten Ausgleich der sozialen und wirtschaftlichen Interessen herbeiführen wollten (Arb. 9661 u.a.).

Gemäß § 1014 ABGB hat der bevollmächtigte Angestellte Anspruch auf Ersatz des durch die Besorgung des Geschäfts gemachten Aufwands, soweit er als notwendig und nützlich anzusehen ist. Da die Regelung der zu erstattenden Reisespesen auch im Hinblick auf die divergierenden Interessen der Beteiligten vielfach Schwierigkeiten verursacht, kommt es in der Praxis zu Vereinbarungen etwa eines Entgelts in solcher Höhe, daß damit die Spesen mitabgegolten sind oder zu einer einvernehmlichen Festlegung eines Pauschalsatzes oder etwa zu einer Gewährung eines mindestens ausreichenden Prozentanteils der Provision als Aufwandsersatz und dergleichen mehr (vgl. Martinek-Schwarz, AngG6 272 ff; Dungl, Handbuch des österreichischen Arbeitsrechts5 51). Der Anwendungsvorbehalt des Art. XV Z 1 des Kollektivvertrags nimmt auf diese und andere Fälle einer Spesenvereinbarung Rücksicht, ohne daß es auf einen Günstigkeitsvergleich mit den pauschalierten Taggeldern des Kollektivvertrags ankäme. Dem in der Berufung erhobenen Einwand des Klägers, es könne durch die Vereinbarung des völligen Entfalls von Reisekosten das kollektivvertragliche Mindestentgelt in unzulässiger Weise verkürzt werden, ist entgegen zu halten, daß in einem derartigen Fall keine Vereinbarung über die "Abgeltung" von Reiseaufwand im Sinne des Art. XV Z 1 des Kollektivvertrags getroffen würde und daß dem Provisionsangestellten nach dem Kollektivvertrag ohne Rücksicht auf den Erfolg seiner Tätigkeit jedenfalls ein Entgeltanspruch insoweit zusteht, als seine Bezüge unter Ausschluß des tatsächlichen Aufwandersatzes das garantierte Mindesteinkommen nicht erreichen (vgl. Arb. 8863). Der Kläger behauptete jedoch nicht einmal, daß seine tatsächlichen Aufwendungen höher gewesen seien als das vereinbarte Taggeld oder daß durch die Höhe seiner tatsächlichen Aufwendungen sein kollektivvertraglich garantiertes Mindestentgelt geschmälert worden wäre. Die Kostenentscheidungen sind in den §§ 41 und 50 ZPO begründet. Nach TP 2 und 3, Anm. 5 GGG sind Rechtsmittelverfahren in Arbeitsrechtssachen zweiter und dritter Instanz bei einem Streitwert bis S 6.000,-- gebührenfrei.

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