OGH 2Ob596/88

OGH2Ob596/8811.10.1988

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Scheiderbauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kralik, Dr. Vogel, Dr. Melber und Dr. Kropfitsch als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj. Daniela M***, geboren am 14. Oktober 1975, im Haushalt ihres ehelichen Vaters Walter M***, Angestellter, Fasangasse 10, 2285 Leopoldsdorf, infolge Revisionsrekurses der ehelichen Mutter Brigitte K***, Hausfrau, Dreistettnergasse 610, 2721 Bad Fischau-Brunn, vertreten durch Dr. Norbert Kosch, Dr. Ernst Schilcher, Dr. Jörg Beirer und Dr. Roman Kosch, Rechtsanwälte in Wiener Neustadt, gegen den Beschluß des Landesgerichtes für ZRS Wien als Rekursgericht vom 26. Juli 1988, GZ 47 R 470, 471/88-168, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Groß Enzersdorf vom 27. April 1988, GZ P 37/86-159, abgeändert wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung

Die Ehe der Eltern der mj. Daniela wurde mit Urteil vom 18. Dezember 1978 geschieden. Die Minderjährige verblieb zunächst bei der Mutter. Mit Beschluß vom 25. September 1979 übertrug das Pflegschaftsgericht auf Grund einverständlicher Anträge beider Eltern die Rechte und Pflichten des § 144 ABGB dem Vater (ON 10). Die Mutter ist seit November 1979 wieder verheiratet, ihr nunmehriger Ehemann verdient als Kasinoangestellter ca. 45.000 S netto monatlich, dieser Ehe entstammen zwei in den Jahren 1980 und 1982 geborene Kinder, deren Pflege und Erziehung sich die derzeit nicht berufstätige Mutter widmet. Die Mutter ist auf Grund mehrerer Beschlüsse des Pflegschaftsgerichtes verpflichtet, der mj. Daniela Unterhalt zu leisten.

Ein von der Mutter im Oktober 1983 gestellter Antrag auf Übertragung der elterlichen Rechte wurde einvernehmlich "vorläufig zurückgestellt", bis die Minderjährige die Volksschule absolviert hat (ON 76). Einen neuerlichen Antrag der Mutter auf Übertragung der elterlichen Rechte vom 18. Dezember 1984 wies das Pflegschaftsgericht mit Beschluß vom 11. Juli 1986 ab (ON 108). In diesem Beschluß wurde ausgeführt, die Minderjährige befinde sich seit sieben Jahren in Pflege und Erziehung ihres Vaters. Sie habe zu beiden Elternteilen eine gute Beziehung, wobei sie sich bemühe, keinen zu bevorzugen. Das Mädchen werde im väterlichen Bereich sehr gut betreut und habe in der Lebensgefährtin des Vaters ein berufliches Vorbild gefunden. Allein der Umstand, daß Daniela auch bei der Mutter gut untergebracht wäre, rechtfertige noch nicht einen Wechsel in der Pflege und Erziehung. Es sei vielmehr im Interesse der Minderjährigen gelegen, in der gewohnten Umgebung zu bleiben. Ein Pflegewechsel käme nur in Betracht, wenn der Vater durch sein Verhalten das Wohl des Kindes gefährdete.

Am 1. April 1987 beantragte die Mutter abermals die Übertragung der elterlichen Rechte und brachte vor, die Minderjährige habe an den letzten Besuchstagen nicht mehr zum Vater zurückgewollt, sie würde lieber bei der Mutter bleiben und verstehe sich mit den Geschwistern sehr gut.

Der Vater sprach sich gegen diesen Antrag aus. Ein Pflegeplatzwechsel würde nicht nur einen Schul-, sondern auch einen Freundeskreiswechsel und somit eine für die Minderjährige nicht günstige Änderung der gewohnten Umgebung mit sich bringen. Der Wunsch der Minderjährigen, lieber zur Mutter zu wollen, sei eine Reaktion auf Erziehungsmaßnahmen.

Die Minderjährige erklärte anläßlich ihrer Anhörung, sie würde, wenn sie es sich aussuchen könnte, lieber zur Mutter kommen, weil es ihr dort besser gefalle und sie glaube, zu ihren Geschwistern in Wiener Neustadt mehr Beziehung zu haben, als zur vier Jahre alten Tochter der Lebensgefährtin ihres Vaters. Es würde ihr zwar etwas ausmachen, in eine andere Klasse zu gehen (derzeit besucht sie die 3. Klasse des Gymnasiums in Gänserndorf), sie würde dies aber in Kauf nehmen.

Die vom Erstgericht bestellte Sachverständige für allgemeine Psychologie führte in ihrem Gutachten aus, aus kinderpsychologischer Sicht sei ein Pflegeplatzwechsel vom Vater zur Mutter anzuraten. Es sei dies der jahrelange Wunsch des Mädchens. Es handle sich hiebei nicht um eine pubertäre Trotzreaktion, sondern Daniela habe Gelegenheit gehabt, die beiden Familien gegeneinander abzuwägen, und habe so gesehen, daß ihr die Familie der Mutter besser zusage. Daniela selbst begründe dies mit "mehr Harmonie", "die Mutter ist immer zu Hause", "beim Vater wird gestritten, bei der Mutter nicht", und es bestehe kein Grund, den Angaben des schon großen (12 1/2 Jahre) und intelligenten Mädchens zu mißtrauen. Daniela werde die Umstellung sowohl familiär als auch schulisch voraussichtlich gut bewältigen. Ganz ohne psychische Belastung gingen derartige Veränderungen allerdings nicht ab, habe Daniela doch auch an den Vater eine gute emotionale Bindung, doch werde ein Besuchskontakt - mit dem Daniela rechne - hier Härten mindern. Daniela stehe am Beginn der Pubertät und brauche emotionalen Rückhalt in einer Familie, in der sie sich wohlfühle und der sie vertraue.

Das Erstgericht entzog dem Vater die elterlichen Rechte und Pflichten und wies sie der Mutter zu. Es führte aus, es handle sich nicht um eine Entziehung oder Einschränkung der elterlichen Rechte gemäß § 176 ABGB, sondern um eine Änderung der Zuteilung der elterlichen Rechte und Pflichten (§ 144 ABGB). Es sei daher bei der Überprüfung der Frage, ob eine Übertragung der Elternrechte und -pflichten rechtlich möglich sei, nicht von den strengen Kriterien des § 176 Abs. 1 ABGB auszugehen. Gewiß dürfe eine getroffene Regelung nicht bereits bei geringfügigen Veränderungen der Sach- und Interessenslage geändert werden. Größere Veränderungen (wie dringender Wunsch des Kindes, Aufnehmen einer Lebensgemeinschaft des Kindesvaters und damit verbundene Änderungen der Bezugspersonen) sollten aber sehr wohl eine Änderung der Regelung auch dann ermöglichen, wenn dies dem Kind zum überwiegenden Wohl gereichen würde, ohne daß eine Nichterfüllung oder Vernachlässigung der Pflichten durch einen Elternteil vorliege. Eine solche wesentliche Änderung wäre auch dann durchaus zu bejahen, wenn die Erziehungs- und Bindungsverhältnisse des Kindes (hier zu den kleinen Halbgeschwistern) verbessert würden. Ein Wechsel der Pflege und Erziehungsverhältnisse solle - bei Aufrechterhaltung der Kontinuität der Pflege und Erziehung, der Eingewöhnung, Effektivität, Gewöhnung an Bezugspersonen aus dem Blickwinkel des vorrangigen Kindeswohls - nach der neuen Rechtslage auch dann vorgenommen werden, wenn wichtige Gründe eine solche Änderung geboten erscheinen ließen. Da nach dem Sachverständigengutachten die gesamte Erziehungssituation für die Minderjährige durch einen Pflegeplatzwechsel vom Vater zur Mutter verbessert werden würde und Daniela die dadurch auftretenden Belastungen voraussichtlich gut bewältigen werde, sei spruchgemäß zu entscheiden gewesen. Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Vaters Folge und änderte den Beschluß des Erstgerichtes dahin ab, daß der Antrag der Mutter, ihr die elterlichen Rechte zu übertragen, abgewiesen wird. Das Gericht zweiter Instanz führte aus, eine Entziehung der elterlichen Rechte sei nur unter den Voraussetzungen des § 176 Abs. 1 ABGB möglich, das heiße, daß die Elternrechte nur bei Gefährdung des Kindeswohls entzogen werden könnten. Wohl genüge für die Entziehung der Elternrechte die objektive Nichterfüllung oder Vernachlässigung der elterlichen Pflichten, woraus folge, daß ein subjektives Schuldelement nicht unbedingt erforderlich sei. Der Weiterverbleib bei dem Elternteil, dem die Elternrechte zustünden, müsse sohin für das Kind schädlich sein, eine Einschränkung oder Entziehung der Elternrechte dürfe nur angeordnet werden, wenn dies im Interesse des Kindes dringend geboten sei. Diese Voraussetzungen lägen hier aber nicht vor. Nach dem Akteninhalt sorge der Vater seit September 1979 in tadelloser Weise für die Minderjährige. Daß durch einen Weiterverbleib des Kindes beim Vater dessen psychisches oder physisches Wohl gefährdet würde, lasse sich weder dem Akteninhalt noch aus dem eingeholten Gutachten der Sachverständigen auch nur im entferntesten entnehmen. Der Wunsch des 12 1/2-jährigen Mädchens für sich allein betrachtet könne für eine Maßnahme im Sinne des § 176 ABGB nicht ausreichen. Der Umstand, daß die Minderjährige am Beginn der Pubertät stehe, sei für sich allein betrachtet ebenfalls nicht hinreichend, um einen Entzug der Elternrechte zu rechtfertigen, werde doch nicht einmal behauptet, daß durch diesen an sich ganz natürlichen Vorgang die Belassung des Kindes beim Vater eine Gefährdung des Kindeswohls bedeuten könnte. Irgendwelche weiteren Anhaltspunkte dafür, daß ein Weiterverbleib des Kindes beim Vater für dieses nachteilig sein könnte, fänden sich weder nach dem Akteninhalt noch auch nach dem Vorbringen der Mutter.

Rechtliche Beurteilung

Der von der Mutter gegen den Beschluß des Rekursgerichtes erhobene Revisionsrekurs ist nicht berechtigt.

Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes, daß eine Änderung der Zuerkennung der elterlichen Rechte und Pflichten im Sinne des § 177 ABGB ein Verhalten eines Elternteiles voraussetzt, das die Interessen seines Kindes gefährde. Eine solche Änderung darf nur angeordnet werden, wenn sie im Interesse des Kindes dringend geboten ist, wobei bei Beurteilung dieser Frage grundsätzlich ein strenger Maßstab anzulegen ist (EvBl. 1979/42, EvBl. 1979/185; EFSlg. 35.998, 38.362, 40.865, 45.846, 48.395 ua). Entgegen der im Rekurs vertretenen Ansicht kann dann, wenn die Elternrechte bereits einem Elternteil zuerkannt sind, eine Übertragung an den anderen nur unter den Voraussetzungen des § 176 ABGB erfolgen (EFSlg. 38.360, 43.321, 45.841, 48.397 ua). Eine Entscheidung nach § 176 ABGB hat aber zur Voraussetzung, daß die Eltern durch ihr Verhalten das Wohl des Minderjährigen gefährden, was dann der Fall ist, wenn sie ihre Pflichten objektiv nicht erfüllen oder subjektiv gröblich vernachlässigen (EFSlg. 51.279 uva). Dafür, daß der Vater seinen Verpflichtungen gegenüber der Minderjährigen nicht nachgekommen wäre, besteht aber nicht der geringste Anhaltspunkt. Der Wunsch der Minderjährigen allein kann nicht ausschlaggebend sein (EFSlg. 45.890). Gewiß steht bei der Entscheidung, ob eine Änderung in den Pflege- und Erziehungsverhältnissen vorgenommen werden soll, das Wohl des Kindes im Vordergrund, diesem gegenüber hat der Grundsatz der Kontinuität der Erziehung allenfalls zurückzutreten (EFSlg. 51.286). Im vorliegenden Fall sind jedoch keine hinreichenden Gründe vorhanden, die eine Änderung unter Bedachtnahme auf das Wohl der Minderjährigen rechtfertigen könnten. Die Minderjährige wird von ihrem Vater ordnungsgemäß betreut, hat zu diesem eine gute emotionale Bindung und würde bei einem Schulwechsel einer gewissen psychischen Belastung ausgesetzt. Daß sie eine derartige Belastung in Kauf nimmt und lieber bei der Mutter wäre, reicht für eine Übertragung der elterlichen Rechte und Pflichten nicht aus.

Verfehlt ist der Hinweis der Revisionsrekurswerberin darauf, daß das Gericht gemäß § 176 Abs. 1 ABGB auch eine Verfügung treffen kann, wenn die Eltern in einer wichtigen Angelegenheit des Kindes kein Einverständnis erzielen. Diese Bestimmung nimmt auf die Pflicht des § 144 ABGB, einvernehmlich vorzugehen, Bezug (vgl. Pichler in Rummel, ABGB, Rdz 2 zu § 176), ist aber auf den Fall, daß einem Elternteil die Rechte und Pflichten des § 144 ABGB allein zustehen, nicht anwendbar, weil in diesem Fall eine Verpflichtung, einvernehmlich vorzugehen, nicht besteht. Entgegen der im Revisionsrekurs vertretenen Ansicht kann daher der Umstand, daß zwischen den Eltern kein Einvernehmen darüber besteht, wem die elterlichen Rechte und Pflichten zustehen sollen, eine Entscheidung im Sinne des § 176 ABGB nicht rechtfertigen.

Der im Rekurs vertretenen Ansicht, es hätte geprüft werden müssen, ob ein Verbleib beim Vater die Entwicklung der Minderjährigen gefährde, ist entgegenzuhalten, daß für eine derartige Gefährdung - auch unter Berücksichtigung des Sachverständigengutachtens - nicht der geringste Anhaltspunkt besteht.

Aus diesen Gründen mußte dem Revisionsrekurs ein Erfolg versagt bleiben.

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