OGH 13Os134/88

OGH13Os134/886.10.1988

Der Oberste Gerichtshof hat am 6.Oktober 1988 durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Harbich als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Müller, Dr. Horak, Dr. Felzmann und Dr. Kuch als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Manquet als Schriftführers in der Strafsache gegen Martin P*** wegen des Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung nach § 87 Abs 1 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengerichts vom 11.Mai 1988, GZ 3 c Vr 12.395/87-40, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Text

Gründe:

Der am 21.Dezember 1964 geborene Elektroinstallateurgeselle Martin P*** ist des Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung nach § 87 Abs 1 StGB schuldig erkannt worden. Darnach hat er am 10.November 1987 in Wien Wolfgang R*** dadurch, daß er ein Messer in dessen linke Brustseite stieß, eine schwere Körperverletzung (Stichwunde im Bereich der linken Brustkorbseite, wobei der Stichkanal die vierte Zwischenrippenmuskulatur, den Oberlappen der linken Lunge im Bereich des Vorderrands der Basis und den Herzbeutel durchsetzte), verbunden mit einer länger als 24 Tage dauernden Gesundheitsschädigung und Berufsunfähigkeit, absichtlich zugefügt.

Nach den wesentlichen Urteilskonstatierungen traf der Angeklagte mit R*** auf der Toilette eines Lokals zusammen und stellte ihn (wegen seines Verhaltens einem Dritten gegenüber) zur Rede. R*** ließ sich jedoch auf keine Debatte oder Auseinandersetzung mit dem Angeklagten ein. Dieser versetzte R*** hierauf einen Stoß, sodaß er zurücktaumelte, stieß ihm dann ein Messer in die linke Brustseite und verletzte ihn dadurch schwer (siehe oben). Hierauf zog er das Messer zurück und verließ fluchtartig das Lokal (S. 243 f.). Die erhebliche Wucht des gezielten Stichs mit einem Messer gegen den Brustraum des R*** überzeugten das Gericht davon, daß es der Angeklagte zumindest "darauf abgesehen hatte, R*** schwerste Verletzungen beizubringen" (S. 256 bis 259). Der leugnenden Verantwortung des Angeklagten schenkte es hingegen unter ausführlicher Wiedergabe seiner wechselhaften und widersprüchlichen Darstellung (S. 246) keinen Glauben (S. 244 bis 255, 258, 259).

Rechtliche Beurteilung

Diesen Schuldspruch bekämpft der Angeklagte aus § 281 Abs 1

Z. 4, 5, 5 a und 10 StPO mit Nichtigkeitsbeschwerde in der "allein

in Anfechtung gezogenen Qualifikation nach § 87 StGB (absichtliche

schwere Körperverletzung) ... Gedeckt wäre nur § 84 (1) StGB"

(S. 266, 268).

Die Beschwerde räumt zunächst ein, daß "die Rüge nach Ziffer 10

nicht begründet" wäre, wenn die aus dem Urteil (aus S. 242, 243,

244, 257, 258) wörtlich wiedergegebenen "Sätze ... Feststellungen

der Tatsachen (§ 270 Abs 2 Ziffer 5 am Anfang StPO)" sein sollten.

Gerade das aber ist der Fall, womit sich die Rechtsrüge (Z. 10) erledigt.

In seiner Mängelrüge (Z. 5) geht es dem Beschwerdeführer, wie er ausdrücklich präzisiert, zur Alkoholisierung "nicht um die Annahme einer schuldausschließenden vollen Berauschung" (S. 271), auch "nicht um die Frage der Notwehr" oder "einer (entschuldbaren oder unentschuldbaren) Putativnotwehr" (S. 273). Es liegt ihm vielmehr "ausschließlich" an der Frage, "ob dem Angeklagten nicht in dubio pro reo zugebilligt werden muß, daß er a) in erheblich alkoholisiertem Zustand und b) provoziert durch die ihm vom Opfer zugefügte Beschimpfung oder Verspottung und c) in einem plötzlichen sthenischen Affekt (Zornaufwallung) blindlings (jedenfalls ohne Absicht, hiedurch schwer zu verletzen) zugestochen hat" (S. 273, 274).

Auszugehen ist davon, daß die Verantwortung des Angeklagten als unglaubwürdig abgelehnt wurde. Damit wurden insbesondere auch die von ihm allein vorgebrachte Version einer Provokation durch R*** mit einem "Wirbel auf der Toilette", seine Darstellung der Natur der Tatwaffe und ihres Verbleibs sowie sein Vorbringen betreffend das zerrissene Halskettchen vom erkennenden Gericht als "bewußt tatsachenwidrige Konstruktionen" (so S. 253, 258) verworfen. Wenn der Senat diese zum Teil gar nicht entscheidungswesentlichen Details in den ausführlichen Urteilsgründen als unwahrscheinlich und höchst zweifelhaft qualifiziert, ist damit keinesfalls, wie die Beschwerde vermeint, offen geblieben, ob das Gericht der Darstellung des Angeklagten gefolgt ist oder nicht. Weshalb etwa in der Überzeugung des Gerichts, daß das vom Angeklagten geschilderte Fixiermesser als Tatwerkzeug ausscheide, in Verbindung mit der Annahme, daß er aller Wahrscheinlichkeit nach zur Tat ein Springmesser verwendet habe, eine Undeutlichkeit liegen soll, bleibt unerfindlich: Ist doch die Gewißheit beim Ausschluß des einen Werkzeugs mit der Wahrscheinlichkeit der Verwendung eines anderen durchaus vereinbar. Es entspricht des weiteren der immer wieder hervorkommenden Beschwerdetendenz, die Beweiswürdigung des Senats nicht zu akzeptieren, wenn etwa für die Weigerung des Opfers, unmittelbar nach der Tat Angaben zu machen (S. 17), andere als die vom Gericht hiefür angenommenen Gründe (S. 253) unterstellt werden (S. 272). Auf sein eigentliches Beschwerdeanliegen bezogen vermeint der Nichtigkeitswerber sinngemäß, daß selbst dann, wenn man unterlegen wollte, der Angeklagte habe einen Stich gegen den Brustkorb des Opfers beabsichtigt, nicht mit Sicherheit auf seine Absicht, das Opfer dadurch schwer zu verletzen, geschlossen werden könne (S. 278). Dies trifft an sich zu. Ist doch die Absicht, einen anderen schwer zu verletzen, wie jeder innere Vorgang einer unmittelbaren Wahrnehmung durch andere entzogen und immer nur aus einem äußeren, für andere wahrnehmbaren Geschehen mehr oder weniger sicher erschließbar. Eine - sozusagen mathematisch

nachprüfbare - Gewißheit, wie sie dem Beschwerdeführer vorzuschweben scheint, ist indes für eine relevante Urteilsfeststellung gar nicht erforderlich. Die Grenzen des menschlichen Erkenntnisvermögens binden vielmehr die in freier Beweiswürdigung vorzunehmende gerichtliche Wahrheitsfindung nur an die Erfahrungssätze und an die Beobachtung der Denkgesetze. Diese Grenzen lassen eine mathematisch-exakte Beweisführung vor Gericht nur dort zu, wo ein Beweisobjekt der Untersuchung mit den Methoden einer Naturwissenschaft oder unmittelbar einer mathematischen Zergliederung (etwa Berechnungen und Konstruktionspläne) zugänglich ist; ansonst muß dem Richter ein empirisch-historischer Beweis genügen. In diesem Bereich vermag aber eine allenfalls nur hohe Wahrscheinlichkeit die Überzeugung von der Richtigkeit der wahrscheinlichen Tatsache zu begründen, jene Überzeugung, die ihrerseits zufolge § 258 Abs 2 StPO die ausschließliche Grundlage der richterlichen Tatsachenentscheidung sein darf

(SSt. 45/23 u.v.a., zuletzt 13 Os 53/88).

Insbesondere gibt es keine Beweisregel, die besagt, wie sich das Gericht seine Überzeugung von der Schuld des Angeklagten zu verschaffen habe und unter welchen Voraussetzungen ein für die Schuldfrage entscheidender Umstand als erwiesen anzusehen sei. Dem Gericht ist es daher nicht verwehrt, auf Grund denkrichtiger Schlußfolgerungen aus erwiesenen Tatsachen - hier aus dem tatbildlichen Verhalten des Angeklagten - zur Überzeugung von der Richtigkeit weiterer Tatsachen, hier der dieses äußere Geschehen bestimmenden wissens- und willensmäßigen Vorgänge beim Täter, zu gelangen und diese somit gleichfalls als erwiesen anzusehen, wobei es sich für eine dem Angeklagten ungünstigere Schlußfolgerung entscheiden kann, obwohl aus den betreffenden Vordersätzen auch andere, für den Angeklagten günstigere Schlüsse gezogen werden könnten. Es ist dies ein zulässiger Akt freier Beweiswürdigung, der, sofern die zur Wahl zwischen den möglichen Folgerungen führende Überzeugung des Gerichts einleuchtend, d.h. logisch begründet wird, einer Anfechtung durch Mängelrüge (Z. 5) entzogen ist (EvBl 1967/48 u.v.a.).

Die wiederholt in ihrer möglichen Auswirkung relevierte Alkoholisierung des Angeklagten (S. 243), zu der das Gericht ihrem Grad nach einen "einer Zurechnungsfähigkeit auch nur nahekommenden Zustand" zur Tatzeit ausdrücklich verneinte (S. 259), bewirkte nach dem Gutachten des beigezogenen Sachverständigen eine Hemmung, die als Verstehensgrundlage der Straftat anzusehen sei (S. 95 in Verbindung mit S. 206). Gerade die Herabsetzung der Hemmung begünstigte solcherart die Umsetzung des nach der Tatbildverwirklichung tendierenden Willens des Angeklagten in die Tat, stellt aber die Verantwortung für diesen Willen, der Beschwerdeauffassung zuwider, nicht in Frage. Alles in allem läuft der Versuch der Beschwerde, aus der Alkoholisierung des Angeklagten zur Tatzeit eine Trübung seiner Wahrnehmungs- und Erinnerungsfähigkeit mit rein spekulativen Konsequenzen für eine defizitäre Ausformung seines Vorsatzes (im weiteren Sinn) abzuleiten, auf eine unzulässige Bekämpfung der tatrichterlichen Beweiswürdigung hinaus.

Die Verfahrensrüge (Z. 4) bezieht sich auf den vom Verteidiger des Angeklagten in der Hauptverhandlung am 27.April 1988 gestellten Antrag auf zeugenschaftliche Vernehmung der Ulli P*** (Schwester des Angeklagten) zum Beweis dafür, daß sie die Kette (die seiner Darstellung nach zu Hause bei seinem Hemd herausgehangen sei) gefunden habe (S. 188). Das Gericht hat ohne sachliche Bezugnahme auf diesen Antrag in der Hauptverhandlung am 29.April 1988 mit Beschluß "die Beweisanträge ... abgewiesen" (S. 223), und in der mit der Urteilsfällung abgeschlossenen Hauptverhandlung vom 11.Mai 1988 schließlich die Abweisung der Beweisanträge im bisher nicht entsprochenen Umfang beschlossen, weil aus der beantragten Beweisführung weitere Feststellungen zu entscheidungswesentlichen Umständen nicht erwartet werden können (S. 234). In den Urteilsgründen wird dazu ausgeführt, daß angesichts der mangelnden Glaubwürdigkeit des Angeklagten aus dessen Version über das gerissene Halskettchen keine Rückschlüsse auf das Tatgeschehen möglich seien (S. 254). Der Beschwerdeführer selbst räumt ein, daß das von seinem Verteidiger angeführte Beweisthema "ein wenig dürftig umschrieben" war (S. 280). Dem sei bloß hinzugefügt, daß es für die Sachentscheidung irrelevant ist, zumal die Auffindung eines zerrissenen Helskettchens nichts über die Ursache der Beschädigung sagt (siehe abermals S. 254).

Die Frage, ob der verwirklichte Sachverhalt eher auf einen (allenfalls bedingten) Vorsatz im engeren Sinn (§ 5 Abs 1 StGB) als auf Absicht (§ 5 Abs 2 StGB) zurückgeführt werden kann, wird von der Beschwerde erneut in der Tatsachenrüge (Z. 5 a) aufgerollt. Indes vermag die in subtiler Würdigung der Beweisresultate dem Angeklagten angelastete ungünstigere Variante zur inneren Tatseite schon der Natur der Sache nach keine erheblichen Bedenken der von der Beschwerde relevierten Art zu erwecken. Zudem läßt der Beschwerdeführer gänzlich außer acht, daß die Annahme der Schuldform auch eine rechtliche Komponente enthält und daß eben diese rechtliche Seite der von ihm angefochtenen Würdigung eines inneren Vorgangs der Relevierung aus Z. 5 a überhaupt entzogen ist (13 Os 48/88).

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher nach Anhörung der Generalprokuratur schon bei einer nichtöffentlichen Beratung zurückzuweisen (§ 285 d Abs 1 Z. 2 StPO) und die Zuleitung der Akten an das gemäß § 285 i StPO zur Erledigung über die Berufung des Angeklagten zuständige Oberlandesgericht zu verfügen.

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