Spruch:
Das Gesetz wurde verletzt
1. durch Unterlassung der Beurkundung der in der Hauptverhandlung vom 14.März 1988 erfolgten mündlichen Verkündung des Beschlusses des Landesgerichtes Innsbruck von diesem Tag, GZ 29 Vr 88/88-14, in der Bestimmung des § 77 Abs. 2 StPO,
2. durch Unterlassung einer sofortigen Rechtsmittelbelehrung in bezug auf diesen Beschluß in der Bestimmung des § 3 StPO iVm § 494 a Abs. 4 StPO,
3. in dem im Beschluß enthaltenen Ausspruch der Verlängerung der Probezeit hinsichtlich der bedingten Nachsicht der (restlichen) in den Verfahren AZ 28 Vr 5107/85 und 38 Vr 3242/86 des Landesgerichtes Innsbruck verhängten Freiheitsstrafen sowie im Verfahren AZ U 371/85 des Bezirksgerichtes Spittal an der Drau verhängten Geldstrafe in der Bestimmung des § 494 a Abs. 7 zweiter Satz StPO. Der genannte Beschluß wird in dem zu Punkt 3 bezeichneten Ausspruch aufgehoben.
Dem Landesgericht Innsbruck wird aufgetragen, dem Gesetz gemäß zu verfahren.
Text
Gründe:
Hans Gustav T*** wurde mit dem sogleich nach Verkündung zufolge Rechtsmittelverzichtes rechtskräftig gewordenen Urteil (eines Einzelrichters) des Landesgerichtes Innsbruck vom 14. März 1988, GZ 29 Vr 88/88-13, eines Verbrechens schuldig erkannt und zu einer Freiheitsstrafe verurteilt.
Wie aus einem vom Obersten Gerichtshof eingeholten Bericht hervorgeht, verkündete der Einzelrichter gleichzeitig mit dem Urteil den - gesondert ausgefertigten (ON 14) - Beschluß, daß die zufolge Entschließung des Bundespräsidenten vom 15.Dezember 1986 mit den Wirkungen der bedingten Strafnachsicht unter Festsetzung einer Probezeit von drei Jahren gnadenweise gewährte bedingte Entlassung des Hans T*** aus den mit Urteil (richtig: mit den Urteilen) des Landesgerichtes Innsbruck vom 10.Juni 1986, AZ 28 Vr 5107/85, des Bezirksgerichtes Spittal an der Drau vom 31.Mai 1985, AZ U 371/85, und des Landesgerichtes Innsbruck vom 15.Oktober 1986, AZ 38 Vr 3242/86, über ihn verhängten Freiheitsstrafen (zu ergänzen: oder Ersatzfreiheitsstrafen) von restlich insgesamt vier Monaten und zwanzig Tagen nicht widerrufen werde, jedoch "die Probezeit der gnadenweise gewährten bedingten Nachsicht der restlichen Freiheitsstrafe (richtig: der Freiheitsstrafen und der Ersatzfreiheitsstrafe) auf fünf Jahre verlängert" werde. Die Verkündung dieses Beschlusses wurde in dem über die Hauptverhandlung vom 14.März 1988 aufgenommenen Protokolls- und Urteilsvermerk (StPO-Form U 7) nicht beurkundet; eine Rechtsmittelbelehrung hinsichtlich dieses Beschlusses wurde nach dessen Verkündung, wie gleichfalls aus dem vom Obersten Gerichtshof eingeholten Bericht hervorgeht, nicht erteilt.
Die Ausfertigung des genannten Beschlusses (ON 14) enthält eine Rechtsmittelbelehrung des Inhaltes, daß gegen diesen Beschluß das binnen 14 Tagen ab Zustellung einzubringende Rechtsmittel der Beschwerde zulässig sei.
Der Verurteilte erhob gegen den ihm am 3.Juni 1988 zugestellten Beschluß keine Beschwerde, desgleichen nicht die Anklagebehörde, der die Akten am 8.Juni 1988 zugemittelt worden waren.
Rechtliche Beurteilung
Dem Landesgericht Innsbruck unterliefen mehrere Gesetzesverletzungen.
Gemäß § 77 Abs. 2 StPO ist die mündliche Verkündung einer gerichtlichen Verfügung, zu der jedenfalls auch ein Beschluß zu zählen ist, durch ein Protokoll zu beurkunden. An diesem Gebot ändert die Tatsache nichts, daß im Vordruck des StPO-Formulars U 7 dafür - ebenso wie für den (solcherart nicht aktenkundigen) Widerrufsantrag des öffentlichen Anklägers - keine Rubrik vorgesehen ist. Es hätte genügt, dies in einem Anhang festzuhalten, wie denn auch vorliegend die Beschlüsse über die ziffernmäßige Bestimmung der Höhe der Pauschalkosten und über die Gewährung eines Strafaufschubes in den Protokolls- und Urteilsvermerk aufgenommen wurden. Eine weitere Gesetzesverletzung unterlief dem Landesgericht Innsbruck durch Unterlassung der Erteilung einer (sofortigen mündlichen) Rechtsmittelbelehrung nach Verkündung des in Rede stehenden Beschlusses. Der Lauf der Rechtsmittelfrist wird nämlich grundsätzlich durch die Eröffnung des Beschlusses ausgelöst (§ 498 Abs. 2 StPO iVm § 77 Abs. 1 StPO; vgl auch §§ 114 Abs. 2, 195 Abs. 7 StPO). Die Sonderregelung des § 494 a Abs. 4 letzter Satz StPO, wonach ein Beschluß der im § 494 Abs. 1 StPO umschriebenen Art mit einer rechtzeitig eingebrachten Nichtigkeitsbeschwerde oder Berufung verbunden werden kann, kommt dann nicht zum Tragen, wenn Rechtsmittel dieser Art nicht oder nicht rechtzeitig (zulässigerweise) eingebracht werden, was vorliegend bereits mit dem in der Hauptverhandlung hinsichtlich des Urteils abgegebenen Rechtsmittelverzicht feststand. Es wäre daher erforderlich gewesen, den Verurteilten dahin zu belehren, daß die Rechtsmittelfrist für den in Rede stehenden Beschluß zum Zeitpunkt der Verkündung zu laufen begonnen habe.
Demgemäß war aber auch die in der schriftlichen Ausfertigung des Beschlusses (ON 14) erteilte Rechtsmittelbelehrung des Inhaltes, daß eine Beschwerde dagegen binnen 14 Tagen ab Zustellung zulässig sei, unzutreffend, welcher Umstand vom Vertreter der Generalprokuratur im Gerichtstag zur öffentlichen Verhandlung zwar zur Sprache gebracht, aber nicht zum Gegenstand der zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde gemacht wurde.
Der Beschluß selbst steht insoweit mit dem Gesetz nicht im Einklang, als er über den im Sinn des § 494 a Abs. 1 Z 2 StPO erfolgten Ausspruch über das Absehen von einem Widerruf der Nachsicht dreier Strafreste aus zwei Freiheitsstrafen und einer Ersatzfreiheitsstrafe hinaus auch noch eine Entscheidung über die Verlängerung der Probezeiten enthält. Denn § 494 a Abs. 7 zweiter Satz StPO verweist in den Fällen des Absehens vom Widerruf einer bedingten Strafnachsicht oder bedingten Entlassung (§ 494 a Abs. 1 Z 2 StPO) die Entscheidung über die Verlängerung der Probezeit gleich jener über die Erteilung von Weisungen und Bestellung eines Bewährungshelfers in die Kompetenz jener Gerichte, deren Vorentscheidungen von der Entscheidung über das Absehen vom Widerruf betroffen sind. Im gegenständlichen Fall sind dies die nach der Geschäftsverteilung zuständigen Einzelrichter des Landesgerichtes Innsbruck in den Verfahren AZ 28 Vr 5107/85 und 38 Vr 3242/86 und das Bezirksgericht Spittal an der Drau im Verfahren AZ U 371/85. Die dem Landesgericht Innsbruck unterlaufenen Gesetzesverletzungen waren festzustellen; darüber hinaus war der dem Verurteilten allenfalls zum Nachteil gereichende Ausspruch der Verlängerung der Probezeit aufzuheben und dem Erstgericht aufzutragen (durch Verständigung jener Gerichte und Gerichtsabteilungen, die die Vorentscheidungen gefällt haben) dem Gesetz gemäß zu verfahren.
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