OGH 10ObS243/88

OGH10ObS243/8827.9.1988

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Resch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier und Dr. Bauer sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Martin Mayr (Arbeitgeber) und Dr. Renate Klenner (Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Tasgin V***, Unterohr 34, 4532 Rohr im Kremstal, im Revisionsverfahren nicht vertreten, wider die beklagte Partei A*** U***, Adalbert

Stifter-Straße 65, 1200 Wien, vertreten durch Dr. Adolf Fiebich, Dr. Vera Kremslehner und Dr. Josef Milchram, Rechtsanwälte in Wien, wegen Versehrtenrente infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 16. Mai 1988, GZ 13 Rs 48/88-15, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Kreisgerichtes Steyr als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 24. November 1987, GZ 13 Cgs 1032/87-12, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Text

Entscheidungsgründe:

Der damals bei der Firma B*** in Linz beschäftigt gewesene Kläger hatte am 28. Februar 1986 im Zug seines Heimweges vom Arbeitsplatz die Salzburger Straße auf Höhe der Kreuzung mit der Bannerstraße im Gemeindegebiet von Leonding zu überqueren. Nachdem er bereits die Richtungsfahrbahn Traun überquert hatte und sein Arbeitskollege Ishak C*** auf der Grüninsel stehen blieb, um den Querverkehr abzuwarten, begann der Kläger unter Einhaltung einer Laufgeschwindigkeit von 3 bis 4 m/sec. die aus insgesamt 3 Fahrstreifen bestehende Richtungsfahrbahn Linz der Salzburger Straße trotz Rotlichtes der Fußgängerampel auf dem Schutzweg zu übersetzen. Der auf dem mittleren Fahrstreifen sich mit einem PKW mit einer Geschwindigkeit von 73 bis 76 km/h (erlaubte Höchstgeschwindigkeit 70 km/h) nähernde Norbert F*** leitete zwar sofort eine Vollbremsung ein, als der Kläger vom Grünstreifen auf die Fahrbahn trat, doch konnte er nicht mehr verhindern, daß der Kläger von seinem PKW erfaßt und schwer verletzt wurde. Während das gegen Norbert F*** eingeleitete Strafverfahren eingestellt wurde, wurde der Kläger mit Urteil des Bezirksgerichtes Linz-Land vom 21. Jänner 1987, 3 U 438/86, rechtskräftig des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs 1 StGB schuldig erkannt. Der Kläger begehrte, die beklagte Partei zur Leistung einer Versehrtenrente im Ausmaß von 60 vH der Vollrente ab Ende des unfallbedingten Krankenstandes zu verpflichten; als Folge des Unfalles bestehe eine Minderung der Erwerbsfähigkeit im Ausmaß von 60 vH.

Die beklagte Partei beantragte die Abweisung der Klage. Der Kläger habe durch Überqueren der Straße bei Rotlicht eine wesentliche Risikoerhöhung herbeigeführt, was den Unfallversicherungsschutz ausschließe.

Das Erstgericht gab dem Begehren des Klägers teilweise statt, verpflichtete die beklagte Partei zur Leistung einer Versehrtenrente im Ausmaß von 45 vH der Vollrente und wies das darüber hinausgehende Begehren (unbekämpft) ab. Der Zusammenhang mit der Arbeit könne dann gelöst sein, wenn der Unfall durch eine atypische Vergrößerung der Gefahr verursacht werde, was etwa der Fall sei, wenn ein Versicherter vom normalen Weg abweiche, um eine gefährliche Abkürzung zu nehmen. Hier habe sich der Unfall allerdings auf dem vorgesehenen Weg ereignet und sei lediglich durch ein verbotswidriges Verhalten des Klägers verursacht worden, was aber gemäß § 175 Abs 6 ASVG den Versicherungsschutz nicht ausschließe, zumal für das Vorliegen einer betriebsfremden Motivation kein Anhaltspunkt bestehe. Das Bestehen des Versicherungsschutzes sei daher zu bejahen. Ausgehend von einer festgestellten Minderung der Erwerbsfähigkeit von 45 vH bestehe Anspruch auf eine Versehrtenrente in diesem Ausmaß, während dem übersteigenden Begehren Berechtigung nicht zukomme.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei nicht Folge. Gemäß § 175 Abs 6 ASVG schließe verbotswidriges Handeln die Annahme eines Arbeitsunfalles nicht aus; auch grobe Fahrlässigkeit des Verunglückten spreche nicht gegen das Vorliegen eines Arbeitsunfalles. Durch das grob fahrlässige Verhalten des Klägers auf dem Heimweg von der Arbeit sei der betriebliche Zusammenhang nicht verloren gegangen. Der Kläger habe sich durch überqueren der Straße trotz Rotlichtes zwar einer leicht erkennbaren Gefahr ausgesetzt, dies jedoch nicht ohne jeden inneren Zusammenhang mit seiner geschützten Tätigkeit, im gegenständliche Fall mit dem geschützten Heimweg, weil es durchaus nicht atypisch sei, daß eilige Fußgänger Fahrbahnen auch bei Rotlicht der Fußgängerampel überquerten.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der beklagten Partei aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, es im Sinne einer Klageabweisung abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt. Die klagende Partei hat sich am Revisionsverfahren nicht beteiligt.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Die beklagte Partei vertritt den Standpunkt, daß sich das Verhalten des Klägers, der eine breite nicht leicht überblickbare Schnellstraße bei Rotlicht überquert habe, von den tolerierbaren Gefahren stark abgehoben habe; es sei mit dieser Vorgangsweise eine Risikoerhöhung verbunden gewesen, für die die Gemeinschaft der Versicherten nicht mehr einzustehen habe.

Diesen Ausführungen kann nicht beigetreten werden. Der Kausalzusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und dem Unfall kann zwar auch wegen einer sogenannten selbstgeschaffenen Gefahr fehlen, wobei jedoch nur eine aus betriebsfremden Motiven selbstgeschaffene Gefahr den Kausalzusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und dem Unfall ausschließt (Brackmann, Handbuch 60. Nachtrag 484 i). Wer sich ohne jeden inneren Zusammenhang mit seiner geschützten Tätigkeit einer leicht erkennbaren Gefahr aussetzt und von dieser Gefahr ereilt wird, kann nicht auf Leistungen der Versicherungsgemeinschaft rechnen (Tomandl, System 3. ErgLfg. 309). Nicht jeder Verstoß gegen gesetzliche oder polizeiliche Vorschriften, z.B. gegen die Straßenverkehrsordnung, fällt unter den Begriff der "selbstgeschaffenen Gefahr". Ein Unfall bei einer selbstgeschaffenen Gefahr liegt nur vor, wenn der Unfall auf einem völlig unvernünftigen und unsinnigen Verhalten des Versicherten beruht, sodaß demgegenüber die betriebsbedingten Verhältnisse zu unwesentlichen Nebenbedingungen und Begleitumständen des Unfalles herabsinken und die Beziehung zum Betrieb bei der Bewertung der Unfallursachen als unerheblich auszuscheiden ist (Lauterbach3, Unfallversicherung 33. Lfg. 216/1). Entscheidend ist, ob trotz der - aus betriebsfremden Motiven - "selbstgeschaffenen Gefahr" die versicherte Tätigkeit eine wesentliche Bedingung des Unfalls geblieben ist oder die "selbstgeschaffene Gefahr" in so hohem Maß vernunftwidrig war und zu einer solchen besonderen Gefährdung geführt hat, daß die versicherte Tätigkeit nicht mehr als wesentliche Bedingung für den Unfall anzusehen ist (Brackmann aaO 60. Nachtrag 484 k).

Zweifellos tritt den Kläger, der auf dem Heimweg eine breite im Unfallszeitpunkt stark befahrene Straße bei Rotlicht überquerte, der Vorwurf eines schweren Verstoßes gegen die Straßenverkehrsvorschriften, doch ist sein Verhalten nicht als so kraß unvernünftig und unsinnig zu qualifizieren, daß damit der Zusammenhang mit der betrieblichen Tätigkeit gelöst worden wäre. Der, wenn auch vom Kläger durch ein gravierendes Zuwiderhandeln gegen die Bestimmungen der Straßenverkehrsordnung verschuldete Unfall war daher dennoch vom Versicherungsschutz umfaßt. Der Revision mußte daher ein Erfolg versagt bleiben. Die Kostenentscheidung entfiel, da Kosten nicht verzeichnet wurden.

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