OGH 7Ob646/88 (7Ob647/88)

OGH7Ob646/88 (7Ob647/88)22.9.1988

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Flick als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Wurz, Dr.Egermann, Dr.Niederreiter und Dr.Redl als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden und widerbeklagten Partei Waltraud J***, geboren am 15.Oktober 1952 in Krems/Donau, Haushalt, Wien 13, Hügelgasse 11a, vertreten durch Dr.Kurt Lux, Rechtsanwalt in Wien, wieder die beklagte und widerklagende Partei Dr.Roman J***, geboren am 22.September 1949 in Engelmannsbrunn, praktischer Arzt, Wien 13, Hügelgasse 11a, vertreten durch Dr.Adolf Kriegler, Rechtsanwalt in Wien, wegen Ehescheidung, infolge Revision der beklagten und widerklagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 25.April 1988, GZ 14 R 62/88-15, womit infolge Berufung der beklagten und widerklagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien vom 22.Oktober 1987, GZ 8 Cg 322/86-10, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte und widerklagende Partei ist schuldig, der klagenden und widerbeklagten Partei die mit S 3.397,35 (darin enthalten S 308,85 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Streitteile schlossen am 21.Februar 1983 die Ehe, welcher zwei am 30.Juli 1983 sowie am 23.September 1985 geborene Kinder entstammen. Für die Klägerin war dies die erste, für den Beklagten die zweite Ehe.

Seit November 1986 war der Klägerin bekannt, daß der Beklagte sexuelle Beziehungen zu einer anderen Frau unterhielt. Nachdem die Klägerin diese Frau aufgesucht und mit ihr gesprochen hatte, kam es zu keinen weiteren ehewidrigen Beziehungen zwischen dieser und dem Beklagten mehr. Die Streitteile wollten sich zunächst im Interesse der Kinder nicht scheiden lassen und führten Gespräche, wie sie ihre Ehe aufrecht erhalten könnten. Die Klägerin erklärte dem Beklagten dabei aber niemals, daß sie ihm seine ehebrecherische Beziehung verzeihe und seine Entschuldigung annehme. Danach kam es noch einmal zwischen den Streitteilen zu einem Geschlechtsverkehr. Die Klägerin sah sich damals nicht in der Lage, den vom Beklagten vehement angestrebten Verkehr zu verhindern, brachte dabei aber nicht zum Ausdruck, daß sie dem Beklagten die begangenen Verfehlungen verzeihe. Der Beklagte verbrachte in der Folge seine Freizeit - wie früher - regelmäßig nicht mit seiner Familie und suchte wiederholt mit den Kindern seine Eltern auf. Das Verhältnis zwischen den Streitteilen blieb gespannt. Sie benützten aber noch weiterhin gemeinsam das eheliche Schlafzimmer, wobei das ältere der beiden Kinder zwischen den Eheleuten schlief.

Am 11.März 1987 kam es zu einer tätlichen Auseinandersetzung. Der - unter Schlafmitteleinfluß stehende - Beklagte, der bereits im Ehebett lag, wollte die Tochter von der Mitte des Bettes auf seinen Bettrand legen. Die Klägerin wollte dies verhindern. Dadurch fühlte sich der Beklagte bedroht. Im Zuge der folgenden Auseinandersetzung erlitten beide Streitteile leichte Verletzungen. Es konnte jedoch nicht festgestellt werden, welche Verletzungen die Streitteile einander zugefügt haben und daß die Klägerin den Beklagten verletzen wollte. Seit dieser Auseinandersetzung wohnt der Beklagte bei seinen Eltern. In der Folge ließ der Beklagte am Telefon der Ehewohnung eine Aktivsperre anbringen. Etwa 3 Wochen nach seinem Auszug borgte der Beklagte das Fahrzeug der Klägerin aus und stellte es mit der Behauptung, es sei nicht mehr verkehrssicher, nicht mehr zurück. Wegen der Erziehung und Betreuung der Kinder war es ebenfalls zu Meinungsverschiedenheiten zwischen den Streitteilen gekommen. Der Beklagte warf der Klägerin vor, dem jüngeren Kind vor den Mahlzeiten Fruchtsäfte zu verabreichen und dadurch den Appetit des Kindes zu verderben, sowie das ältere Kind, das noch nicht die Lichtschalter betätigen kann, in der Nacht zur Verrichtung der Notdurft allein aufstehen zu lassen. Die Klägerin setzte dieses Verhalten jedoch nicht, um den Beklagten zu kränken oder ihn vor den Kindern herabzusetzen.

Als die Klägerin Anhaltspunkte hatte, daß der Beklagte Beziehungen zu einer anderen Frau unterhielt, beschimpfte sie ihn öfters mit dem Audruck "Hurenbock".

Mit ihrer am 24.November 1986 eingebrachten Klage beantragte die Klägerin die Scheidung der Ehe aus dem Alleinverschulden des Beklagten. Der Beklagte habe sich immer mehr von ihr abgewandt und seine Freizeit außer Haus verbracht; außerdem sei er seinen ehelichen Pflichten nicht mehr nachgekommen. Schließlich habe sich herausgestellt, daß er "extrem ehewidrige Beziehungen" zu einer anderen Frau aufgenommen habe. Am 11.März 1987 habe sie der Beklagte mißhandelt und dann die Ehewohnung verlassen. Seither suche er das Haus nur mehr kurzfristig - stets im Beisein seiner Mutter - auf. Weiters habe ihr der Beklagte den PKW weggenommen und das Telefon sperren lassen.

Der Beklagte bestritt die ihm vorgeworfenen Eheverfehlungen und erhob eine Widerklage mit dem Antrag, die Ehe aus dem Alleinverschulden der Klägerin zu scheiden. Er habe sich mit der Klägerin am 25.November 1986 feierlich versöhnt. Die Klägerin habe mit ihm auch geschlechtlich verkehrt. Sie habe ihm daher allfällige Eheverfehlungen verziehen. Nach der Versöhnung habe die Klägerin dem Beklagten jedoch das Zusammenleben unerträglich gemacht. Sie habe ihn regelmäßig beschimpft und die Kinder nicht ordnungsgemäß versorgt. Durch die Vernachlässigung der Kinder habe sie den Beklagten, der sehr an seinen Kindern hänge, treffen wollen. Schließlich sei die Klägerin auch mit dem Messer auf den Beklagten losgegangen. Am 11.März 1987 habe ihn die Klägerin neuerlich mißhandelt. Um weiteren Mißhandlungen zu entgehen, betrete er die Ehewohnung seither nur mehr gemeinsam mit seiner Mutter. Mit "Teilurteil" vom 11.Juni 1987 schied das Erstgericht die Ehe der Streitteile. Die Entscheidung "über das Verschulden und die Kostenentscheidung" behielt das Erstgericht dem Endurteil vor. Die Ehe der Streitteile sei nach dem übereinstimmenden Vorbringen unheilbar zerrüttet. Zumindest einen Ehepartner treffe ein Verschulden daran. Diese Entscheidung wurde von den Parteien nicht angefochten.

Mit Endurteil sprach das Erstgericht aus, daß das Verschulden den Beklagten allein treffe. Die Widerklage wies das Erstgericht zwar nicht ausdrücklich, aber - im Hinblick auf den Verschuldensausspruch und die Kostenentscheidung - erkennbar ab. Das Erstgericht stellte den eingangs wiedergegebenen Sachverhalt fest und wertete das Verhalten des Beklagten in rechtlicher Hinsicht - mangels ausdrücklicher Geltendmachung des Scheidungsgrundes nach § 47 Abs 1 EheG - als schwere Eheverfehlung nach § 49 EheG. Verzeihung liege nicht vor. Der Klägerin fielen keine Eheverfehlungen zur Last. Die festgestellten Beschimpfungen seien als Reaktion auf das Verhalten des Beklagten zu verstehen und daher nicht als Eheverfehlung zu werten. Gegenüber dem Verhalten des Beklagten fielen sie auch nicht ins Gewicht.

Das Berufungsgericht bestätigte das Urteil des Erstgerichts. Es übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes und trat im wesentlichen auch dessen rechtlicher Beurteilung bei. Gegen dieses Urte`l richtet sich die wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobene Revision des Beklagten mit dem Antrag, die Entscheidungen der Vorinstanzen im Sinne einer Scheidung der Ehe aus dem Alleinverschulden der Klägerin auszusprechen. Hilfsweise beantragt der Beklagte auch, daß die Ehe aus dem überwiegenden Verschulden der Klägerin oder aus gleichteiligem Verschulden der Streitteile geschieden werde.

Die Klägerin beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Der Beklagte macht im wesentlichen geltend, daß ihm die Klägerin seine Eheverfehlungen verziehen habe. Aus dem Gesamtverhalten der Klägerin ergäbe sich, daß sie die Ehe mit dem Beklagten trotz dessen Eheverfehlungen fortsetzen habe wollen. Die Streitteile haben nach dem Aufdecken der Beziehungen des Beklagten zu einer anderen Frau noch nicht grundsätzlich ein Interesse an der Scheidung der Ehe gehabt. Der Beklagte habe sich entschuldigt. Danach hätten die Streitteile ein vollkommen normales Eheleben geführt. Auch der vollzogene Geschlechtsverkehr spreche dafür. Weiters bekämpft der Beklagte die Auffassung der Vorinstanzen, daß die Klägerin keine schweren Eheverfehlungen zu vertreten habe. Den Ausführungen des Beklagten kann jedoch nicht gefolgt werden:

Ob dem Beklagten der Einwand der Verzeihung im Hinblick auf das - im vorliegenden Fall wegen der vollständigen Trennung der Entscheidung über die Scheidung von der Verschuldensfrage unzulässige (vgl. EFSlg XXIII/1; EFSlg 20.775), aber rechtskräftig gewordene - Teilurteil überhaupt noch zum angestrebten Prozeßerfolg verhelfen könnte, kann dahingestellt bleiben, weil eine Verzeihung nicht festgestellt werden konnte und aus dem festgestellten Sachverhalt auch nicht hervorgeht. Im übrigen setzte der Beklagte aber auch nach der behaupteten Verzeihung durch grundloses Verlassen eine weitere schwere Eheverfehlung.

Gemäß § 56 EheG besteht das Recht auf Scheidung wegen Verschuldens dann nicht, wenn sich aus dem Verhalten des verletzten Ehegatten ergibt, daß er die Verfehlungen des anderen verziehen oder sie als ehezerstörend nicht empfunden hat. Verzeihung ist ein innerer Vorgang, dessen Feststellung auf Schlüssen beruht, die nach freier richterlicher Beweiswürdigung aus dem Verhalten des verletzten Ehegatten zu ziehen sind. In erster Linie ist daher die Frage, ob Verzeihung vorliegt, eine Frage der Beweiswürdigung, deren Überprüfung dem Revisionsgericht versagt ist (RZ 1980/29). Bei der rechtlichen Beurteilung kommt es auf das objektive Verhaltensbild an (6 Ob 249/66). Verzeihung im Sinne des § 56 EheG ist nur dann anzunehmen, wenn der gekränkte Ehegatte durch sein Gesamtverhalten zum Ausdruck bringt, daß er das als Eheverfehlung empfundene Fehlverhalten seines Ehepartners nicht mehr als solches betrachtet und daher vorbehaltlos bereit ist, mit ihm die Ehe fortzusetzen (7 Ob 608/88). Bloßer Geschlechtsverkehr ohne ausgedrückten Verzeihungswillen genügt nicht (Pichler in Rummel, ABGB, Rz 2 zu § 56 EheG). Der Vollzug des Geschlechtsverkehrs kann nur dann als Verzeihung des bisher vorgefallenen Ehescheidungstatbestandes gewertet werden, wenn die Ehegatten damit die Absicht verbinden, eine Aussöhnung herbeizuführen (7 Ob 288/55; 3 Ob 230/75). Im vorliegenden Fall haben die Tatsacheninstanzen keine Verzeihung der Eheverfehlungen des Beklagten durch die Klägerin feststellen können. Aber auch aus dem Gesamtverhalten der Klägerin kann ein Verzeihen nicht abgeleitet werden. Nachdem der Klägerin die Eheverfehlungen des Beklagten bekannt geworden waren, führte sie mit dem Beklagten zwar Gespräche, in denen die Möglichkeit der Aufrechterhaltung der Ehe erörtert wurde. Die Klägerin wollte bloß versuchen, ob sie die Ehe mit dem Beklagten noch fortsetzen könne. Von einem vorbehaltlosen Fortsetzen der Ehe kann auf ihrer Seite daher keine Rede sein. Das Verhältnis zwischen den Streitteilen war weiterhin gespannt. Es kam auch zu Auseinandersetzungen zwischen den Ehegatten. Die Klägerin brachte nie zum Ausdruck, daß sie die Eheverfehlungen des Beklagten verzeihe. Auch aus Anlaß des einzigen Geschlechtsverkehrs, der nach dem Bekanntwerden der Eheverfehlungen des Beklagten stattgefunden hat, gab die Klägerin dem Beklagten nicht zu verstehen, daß sie ihm verzeihe und die Ehe mit ihm fortsetzen wolle. Der Geschlechtsverkehr kam nämlich lediglich auf Drängen des Beklagten zustande. Die Klägerin wollte ihn bloß nicht verhindern. Nachdem die Klägerin Anfang November 1986 von den Beziehungen des Beklagten zu einer anderen Frau konkret Kenntnis erhalten hatte, brachte sie die darauf gegründete Ehescheidungsklage bereits am 24.November 1986 ein. Daraus ergibt sich eindeutig, daß sie das Verhalten als ehezerstörend empfunden hat

(vgl. EFSlg 22.838) und die Ehe mit dem Beklagten nicht mehr fortsetzen wolle. Mit seinen Ausführungen, er habe mit der Klägerin nach seiner Entschuldigung ein ganz normales Eheleben geführt, geht der Beklagte nicht vom festgestellten Sachverhalt aus. Daß sich die Klägerin nicht grundsätzlich nach dem Bekanntwerden der Verfehlungen des Beklagten scheiden lassen und versuchen wollte, ob sie die Ehe mit dem Beklagten fortsetzen könne, ist unter Berücksichtigung der vorliegenden Umstände für die Annahme einer Verzeihung nicht ausreichend.

Den Vorinstanzen ist aber auch darin beizupflichten, daß die Klägerin keine schweren Eheverfehlungen im Sinne des § 49 EheG zu vertreten hat:

Was den Vorfall vom 11.März 1987 anlangt, konnte nicht festgestellt werden, daß die Klägerin dem Beklagten Verletzungen zugefügt hat bzw. zufügen wollte. Eheverfehlungen im Sinne des § 49 EheG aber müssen schuldhaft gesetzt werden (Pichler aaO Rz 1 zu § 49 EheG). Davon kann bei dem festgestellten Sachverhalt keine Rede sein.

Auch das festgestellte Verhalten der Klägerin den Kindern gegenüber stellt keine schwere Eheverfehlung dar. Daß die Klägerin dem jüngeren Kind vor den Mahlzeiten Fruchtsäfte verabreichte und das ältere Kind in der Nacht zur Verrichtung der Notdurft allein aufstehen ließ, ist nicht als Vernachlässigung der Kinderbetreuung zu beurteilen. Das Berufungsgericht sprach auch nicht etwa aus - wie der Beklagte in der Revision meint -, daß die Vernachlässigung der Kinderbetreuung an sich keine schwere Eheverfehlung sein könne. Es wertete bloß in zutreffender Weise das festgestellte Verhalten der Klägerin gegenüber den Kindern nicht als Vernachlässigung der Betreuung. Soweit der Beklagte ausführt, daß ihn die Klägerin mit diesem Verhalten habe treffen wollen, geht er neuerlich nicht vom festgestellten Sachverhalt aus.

Die grundsätzlich als schwere Eheverfehlung zu wertenden (EFSlg 41.185 uva) Beschimpfungen, zu denen sich die Klägerin hinreißen ließ, sind entschuldbare Reaktionen auf das ehewidrige Verhalten des Beklagten (vgl. EFSlg 51.570) und können ihr daher nicht als schuldhafte Eheverfehlungen angelastet werden. Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.

Die Entscheidung über die Kosten bes Revisionsverfahrens gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte