Spruch:
Dem Rekurs wird Folge gegeben. Der angefochtene Beschluß wird aufgehoben und dem Berufungsgericht die Entscheidung über die Berufung unter Abstandnahme von der Annahme eines immerwährenden Verfahrensstillstandes aufgetragen.
Die Kosten des Rekursverfahrens sind Kosten des Berufungsverfahrens.
Text
Begründung
Der Kläger begehrte die Feststellung, daß sein Dienstverhältnis mit der Beklagten über den 17. Oktober 1986 hinaus in ungekündigtem Zustand aufrecht bestehe. Ferner begehrte er einen Betrag von 66.623,75 S brutto sA.
Die Beklagte beantragte die Abweisung der Klage.
In der Tagsatzung vom 12. März 1987 vereinbarten die Parteien
"ewiges Ruhen" des Verfahrens.
Der Kläger beantragte am 16. Juni 1987 die Fortsetzung des Verfahrens und brachte vor, daß die Vereinbarung "ewigen Ruhens" durch einen Irrtum des Klagevertreters veranlaßt worden sei. Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab und stellte folgenden Sachverhalt fest:
In der Tagsatzung vom 12. März 1987 wurden Vergleichsgespräche geführt, wobei der Beklagtenvertreter das Verhalten des Klägers bei der Beklagten informativ schilderte. Schließlich legte der Beklagtenvertreter das Erkenntnis der zuständigen Disziplinarkommission vom 15. Oktober 1986 vor, worüber der Klagevertreter überrascht war. Die Vorsitzende regte daraufhin eine Rückziehung der Klage an. Der Klagevertreter lehnte dies ab, weil es sich nicht um seinen Akt handle und er nur substitutionsweise für die aktführende Sekretärin auftrete; auch Kostengründe wurden angeführt. In der Folge erklärte sich der Klagevertreter aber mit einem "ewigen Ruhen" einverstanden. Dabei war es klar, daß an eine Fortsetzung des Verfahrens vom Kläger nicht mehr gedacht war. Das Erstgericht vertrat die Rechtsauffassung, daß dem Klagevertreter klar gewesen sei, daß mit dem ewigen Ruhen ein materieller Anspruchsverzicht und damit eine endgültige Prozeßbeendigung verbunden sei. Ob ihm bei der Frage der Bindungswirkung von Disziplinarerkenntnissen ein Irrtum unterlaufen sei, sei irrelevant, weil ihm auf Grund seiner juristischen Ausbildung und seiner Tätigkeit als Parteienvertreter habe bekannt sein müssen, daß derartige Disziplinarerkenntnisse die Gerichte nicht binden.
Mit dem angefochtenen Beschluß hob das Berufungsgericht das Ersturteil und das diesem vorangegangene Verfahren ab dem Fortsetzungsantrag des Klägers als nichtig auf und wies den Fortsetzungsantrag des Klägers vom 16. Juni 1987 (ON 4) zurück. Das Berufungsgericht vertrat die Rechtsauffassung, die Vereinbarung "ewigen Ruhens" wirke wie eine Zurücknahme der Klage unter Ausschluß der Kostenersatzpflicht. Die Fortsetzung sei daher unzulässig gewesen.
Der vom Kläger gegen diesen Beschluß erhobene Rekurs ist zulässig.
Anfechtbar sind gemäß § 519 Abs 1 Z 2 ZPO Beschlüsse, mit denen das Berufungsgericht das Urteil des Gerichtes erster Instanz und das vorangegangene Verfahren als nichtig aufgehoben und die Klage zurückgewiesen hat. Gegen einen berufungsgerichtlichen Beschluß auf Nichtigerklärung des erstinstanzlichen Urteils und des diesem vorangegangenen Verfahrens ohne Zurückweisung der Klage (und ohne Beisetzung eines Rechtskraftvorbehaltes) ist im Zivilprozeß mangels Erfüllung der Voraussetzungen des § 519 Abs 1 Z 2 ZPO (oder § 519 Abs 1 Z 3 ZPO) der Rekurs an den Obersten Gerichtshof unzulässig. Als gesetzgeberisches Motiv für die Ausnahme von der Rekurszulassung nach § 519 Abs 1 Z 2 ZPO ist die Überlegung zu erkennen, daß im Falle einer Nichtigerklärung des Urteils und des diesem vorangegangenen Verfahrens ohne Zurückweisung der Klage der geltend gemachte Rechtsschutzanspruch gerichtsanhängig verbleibt und über ihn noch - bei grundsätzlich unveränderter Verfahrenslage - eine neue Sachentscheidung zu fällen ist. Berufungsgerichtliche Beschlüsse, die die weitere Prozeßführung abschneiden, sollen hingegen anfechtbar sein (siehe SZ 52/125 mwH). In diesem Sinn wird beispielsweise der Rekurs gegen den Beschluß auf Zurückweisung der Einwendungen in Wechselmandatsverfahren als zulässig angesehen (SZ 34/77); gleiches gilt für die Zurückweisung des Einspruches gegen den Zahlungsbefehl durch das Berufungsgericht (9 Ob A 85/88). Auch im Fall der Zurückweisung von Einwendungen gegen eine gerichtliche Aufkündigung wird - trotz Unberührtheit des Beschlusses über die Aufkündigung - eine wesentliche Voraussetzung für das Prozeßverhältnis als solches berücksichtigt, weil eine Bedingung dafür beseitigt wird, daß der Aufkündigung die verfahrenseinleitende Funktion einer Klage zukommt. Der Oberste Gerichtshof ist daher in der Entscheidung SZ 52/125 davon ausgegangen, daß es im Bestandverfahren unter dem Gesichtspunkt des § 519 Abs 1 Z 2 ZPO einer Zurückweisung der Klage gleichkommt, wenn durch den berufungsgerichtlichen Beschluß das Verfahren in einen Stand vor der wirksamen Erhebung von Einwendungen zurückversetzt wird. Ähnliche Erwägungen müssen gelten, wenn - wie im vorliegenden Fall - vom Berufungsgericht der Fortsetzungsantrag des Klägers zurückgewiesen und damit dem Kläger abschließend der Rechtsschutz verweigert wird. Auch in diesem Fall ist in Analogie zu § 519 Abs 1 Z 2 ZPO die Zulässigkeit des Rekurses anzunehmen. Folgerichtig ist dann aber auch - wie der Oberste Gerichtshof schon zu 6 Ob 641-644/86 ausgesprochen hat - wegen Rechtsähnlichkeit die Voraussetzung nach § 521 a Abs 1 Z 3 ZPO zu bejahen, so daß das Rechtsmittelverfahren zweiseitig gestaltet ist. Dem hat das Erstgericht durch Zustellung des Rekurses an die Beklagte entsprochen.
Rechtliche Beurteilung
Der Rekurs ist daher zulässig; er ist aber auch berechtigt. Nach § 169 ZPO ist ein vor Ablauf der gesetzlichen Mindestfrist von 3 Monaten oder der (längeren) von den Parteien vereinbarten Ruhensfrist gestellter Fortsetzungsantrag zurückzuweisen. Daraus erschließen Lehre (Fasching II 806 sowie Fasching ZPR Rz 610 f) und neuere Rechtsprechung (EvBl 1963/232; JBl 1973, 425 mit kritischer Anmerkung von Sprung; IndS 1976/1016; zuletzt 14 Ob 140,141/86), daß eine zeitlich unbestimmte Dauer (zB "ewiges Ruhen") prozeßrechtlich unbeachtlich ist und daher der Prozeß auf Antrag einer Partei nach Ablauf der gesetzlichen Mindestfrist von 3 Monaten fortzusetzen ist. Im fortgesetzten Verfahren ist sodann vom Gericht die materiellrechtliche Seite der Ruhensvereinbarung (etwa Verzicht des Klägers auf seinen Anspruch) bei der Sachentscheidung über das Klagebegehren zu berücksichtigen. Der Umdeutung der Vereinbarung in eine Klagsrückziehung unter Anspruchsverzicht steht, wie Fasching in ZPR Rz 611 überzeugend darlegt, die Formgebundenheit der Prozeßhandlungen entgegen. Darüber hinaus wäre, worauf Dolinar in "Ruhen des Verfahrens und Rechtsschutzbedürfnis", 57, hinweist, um dem vermutlichen Parteiwillen zu entsprechen, auch noch ein Verzicht des Beklagten auf den ihm nach § 237 Abs 3 ZPO zustehenden Anspruch auf Kostenersatz zu unterstellen. Der Ansicht Dolinars (aaO 79), Sprungs (JBl 1973, 426) und Holzhammers (Österreichisches Zivilprozeßrecht2, 235), die Vereinbarung "ewigen Ruhens" sei als wirksamer vertraglicher Verzicht auf den gerichtlichen Rechtsschutz zu qualifizieren, der den Prozeß beende, ist mit Fasching ZPR Rz 5 zu erwidern, daß ein derartiger Verzicht Art. 6 Abs 1 Satz 1 MRK (und wohl auch § 19 ABGB) widerspräche und daher unzulässig wäre. Soweit Dolinar (aaO 75) aus der Zulässigkeit des Schiedsvertrages die Zulässigkeit eines (absoluten) Verzichtes auf gerichtlichen Rechtsschutz folgert, muß er sich entgegenhalten lassen, daß ein Schiedsspruch gemäß § 595 ZPO bei den staatlichen Gerichten anfechtbar und damit die Sache der Überprüfung durch die ordentlichen Gerichte nicht gänzlich entzogen ist.
Aus diesen Erwägungen liegt das vom Berufungsgericht angenommene Prozeßhindernis nicht vor. Der angefochtene Beschluß war daher aufzuheben.
Die Entscheidung über die Kosten des Rekursverfahrens beruht auf § 52 ZPO.
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