OGH 6Ob649/88

OGH6Ob649/886.9.1988

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Samsegger als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Schobel, Dr.Melber, Dr.Schlosser und Dr.Redl als weitere Richter in der Vormundschaftssache der mj. Nadja M***, geboren am 5. Februar 1980, und der mj. Tamara M***, geboren am 28. November 1984, infolge Revisionsrekurses des Vaters Walter G***, Lehrer, Freundsbergstraße 18, 6020 Innsbruck, vertreten durch Dr.Heinz Mildner, Rechtsanwalt in Innsbruck, gegen den Beschluß des Landesgerichtes Innsbruck als Rekursgericht vom 8.April 1988, GZ 2 b R 25/88-21, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Innsbruck vom 14.Jänner 1988, GZ 3 P 136/87-8, abgeändert wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung

Die beiden Minderjährigen sind uneheliche Kinder der Inge M***. Vater ist Walter G***. Die Eltern leben seit etwa einem Jahr getrennt. Amtsvormund der beiden Kinder ist das Stadtjugendamt Innsbruck, vor dem Walter G*** seine Vaterschaft zu beiden Kindern anerkannt hat.

Der Vater beantragte, der Mutter die elterlichen Rechte zu entziehen, ihm die Pflege und Erziehung der beiden Kinder zu überlassen und festzustellen, daß ihm die elterlichen Rechte in bezug auf die beiden Kinder allein zustünden.

Die Mutter hat sich gegen die Anträge ausgesprochen. Das Erstgericht sprach aus, daß die elterlichen Rechte und Pflichten im Sinne des § 144 ABGB beiden Kindern gegenüber in Hinkunft dem Vater zustehen. Es stellte fest, seit Aufhebung der Lebensgemeinschaft der Eltern lebe Nadja über eigenen Wunsch im Haushalt des Vaters und dessen Eltern. Sie fühle sich dort wohl und werde einwandfrei betreut. Tamara lebe gemeinsam mit dem 11-jährigen Sohn der Mutter, Norman, in deren Haushalt. Die Mutter arbeite wöchentlich an zwei Tagen von 10 bis 23 Uhr und an zwei weiteren Tagen von 19 bis 23 Uhr als Kellnerin in einem Gasthaus in Innsbruck. Manchmal sei Tamara, während die Mutter ihrer Beschäftigung nachgegangen sei, in der Wohnung allein oder gemeinsam mit Norman zurückgeblieben. Im Verlaufe des Jahres 1987 habe die Mutter die Kinder abends oder während ihrer berufsbedingten Abwesenheit zum Vater gebracht, so daß seither auch Tamara die meiste Zeit im Haushalt des Vaters zugebracht habe. Tamara sei intellektuell gut begabt, kontaktfreudig und mitteilsam. Für sie seien jedoch gleichbleibende Bezugspersonen wichtig. Letzteres treffe auch auf Nadja zu. Die Großmutter väterlicherseits habe zu beiden Kindern eine liebevolle Beziehung und sei durch deren Betreuung nicht überfordert. Der Vater arbeite als Lehrer und habe am Mittwoch unterrichtsfrei. In seiner Freizeit kümmere er sich intensiv um seine beiden Kinder.

Rechtlich meinte das Erstgericht, eine wesentliche Änderung der Verhältnisse, welche die Übertragung der elterlichen Rechte und Pflichten rechtfertige, sei auch dann anzunehmen, wenn durch die Übertragung die Unterbringung der Kinder und deren Erziehungsverhältnisse deutlich verbessert würden. Das treffe bei Überlassung der Kinder in die Pflege und Erziehung des Vaters zu, so daß ihm auch die Elternrechte zu übertragen seien.

Das Rekursgericht wies die Anträge des Vaters ab. Es stellte ergänzend fest, die Mutter sei seit 1.Jänner 1988 arbeitslos und beziehe seit 1.Februar 1988 eine Arbeitslosenunterstützung von monatlich S 3.800. Sie beabsichtige, eine Halbtagsbeschäftigung anzunehmen, die sich mit der Pflege und Erziehung der Kinder vereinbaren lasse.

In rechtlicher Hinsicht führte das Rekursgericht aus, der Mutter könnten lediglich die Pflege und Erziehung der Kinder als Elternrechte entzogen werden, weil die Minderjährigen unter Amtsvormundschaft stünden. Die Übertragung der Pflege und Erziehung an den Vater sei nicht schon bei einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse vorzunehmen, bei Eingriffen in die bestehenden elterlichen Rechte sei vielmehr ein strenger Maßstab anzulegen. Solche Eingriffe setzten zwar nicht gerade einen Mißbrauch der elterlichen Rechte voraus, wohl aber doch die objektive Nichterfüllung der elterlichen Pflichten. Der Umstand, daß die Erziehung duch den anderen Elternteil vorteilhafter wäre, rechtfertige für sich allein eine solche Maßnahme hingegen nicht. Daß die Mutter ihre elterlichen Pflichten nicht erfülle, habe das Erstgericht nicht festgestellt. Soweit der erziehungsberechtigte Elternteil aus berufsbedingten Gründen die Betreuung anderen Personen überlasse, verletze er seine elterlichen Pflichten nicht. Konkrete Vorfälle, die eine gröbliche Vernachlässigung der Pflege und Erziehung der Kinder durch die Mutter indizierten, seien nicht festgestellt worden. Da die Mutter ihre Beschäftigung als Kellnerin nun aufgegeben habe, werde sie sich in Hinkunft vermehrt um die Kinder annehmen können. Dagegen sei der Vater als Lehrer nur eingeschränkt zur persönlichen Betreuung der Kinder in der Lage. Seine Anträge auf Übertragung der elterlichen Rechte und Pflichten an ihn seien daher abzuweisen.

Rechtliche Beurteilung

Der gegen diesen Beschluß des Rekursgerichtes erhobene Revisionsrekurs des Vaters ist nicht berechtigt.

Die beiden Minderjährigen sind uneheliche Kinder. Gemäß § 170 erster Satz ABGB stehen die Pflege und Erziehung unehelicher Kinder zunächst der Mutter allein zu. Daran ändert nichts, daß Inge M*** die Pflege und Erziehung von Nadja und insbesondere seit 1987 teilweise auch von Tamara dem Vater bzw dessen Mutter überlassen hat. Das Gesetz verbietet nicht, daß sich die nach § 170 ABGB zunächst zur Pflege und Erziehung berufene Mutter hiezu der Hilfe und des Beistandes Dritter - somit auch des Vaters - bedienen darf. Es bleibt ihr vielmehr freigestellt, ob sie die Kinder selbst betreut oder ob sie - etwa aus berufsbedingten Gründen, die bei alleinstehenden Frauen wohl im Vordergrund stehen - die Pflege und Erziehung anderen Personen überläßt (EFSlg. 48.383 u.a.). Dem Vater stehen die Pflege und Erziehung nur dann zu, wenn die Mutter im Sinne des § 145 Abs. 1 erster Satz ABGB betroffen ist. Von den dort genannten Behinderungsgründen kommt im vorliegenden Fall nur jener in Betracht, daß der Mutter die Pflege und Erziehung entzogen werden (§ 176 ABGB). Die Entziehung dieser Rechte und damit eine Übertragung an den Vater hat jedoch zur Voraussetzung, daß die Mutter durch ihr Verhalten das Wohl der Kinder gefährdet (EFSlg. 48.385, 45.837; JBl. 1981, 434 ua). Eine solche Gefährdung setzt zwar - wie das Rekursgericht zutreffend hervorgehoben hat - nicht gerade einen Mißbrauch der elterlichen Rechte voraus, sondern es genügt auch die objektive Nichterfüllung der elterlichen Pflichten, doch sind gerichtliche Verfügungen im Sinne des § 176 ABGB nicht etwa schon dann gerechtfertigt, wenn nur die für die Pflege und Erziehung maßgeblichen Verhältnisse bei Dritten, und damit auch beim Vater unehelicher Kinder, an sich vorteilhafter wären, sofern nur durch die Erziehung seitens der Mutter das Wohl der Kinder nicht gefährdet erscheint (EFSlg. 51.284 uva). Verfügungen gemäß § 176 ABGB dürfen nur als äußerste Notmaßnahme getroffen werden (EFSlg. 51.280 uva). Ob die Voraussetzungen für die Entziehung der elterlichen Rechte gegeben sind, ist nach strengem Maßstab zu prüfen (EFSlg. 51.281 ua). Soweit der Vater auch noch im Revisionsrekurs ins Treffen führt, die Kinder, namentlich Nadja, die sich schon seit Aufhebung der Lebensgemeinschaft der Eltern bei ihm aufhält, seien im Haushalt seiner Eltern seit Jahren integriert, ist ihm entgegenzuhalten, daß der Mutter der Kinder, solange ihr das Sorgerecht für diese nicht entzogen ist, die Übernahme der Minderjährigen auch trotz jahrelanger Betreuung durch die Großmutter väterlicherseits nicht verwehrt werden kann, solange konkrete Anhaltspunkte gegen ihre Fähigkeit, die Kinder selbst zu erziehen, nicht festgestellt sind (EFSlg. 51.270, 35.983).

In diesem Zusammenhang ist lediglich festgestellt, daß die Mutter früher - vor 1987 - Tamara allein oder gemeinsam mit deren älteren Halbbruder während berufsbedingter Abwesenheit in der Wohnung zurückgelassen hat. Seither brachte sie die Kinder, wenn sie ihrer Beschäftigung nachgehen mußte, zum Vater. Nunmehr hat die Mutter ihre Beschäftigung als Kellnerin überhaupt aufgegeben, um sich so vermehrt ihrer Kinder annehmen zu können. Sie beabsichtigt deshalb für die Zukunft auch, nur mehr einer Halbtagsbeschäftigung nachzugehen. Wie der erkennende Senat in der insoweit nicht veröffentlichten Entscheidung vom 19.Mai 1982, 6 Ob 639/82, ausgesprochen hat, kann allein aus der Tatsache, daß sich die Mutter in der Vergangenheit nicht um ihre Kinder gekümmert hat, noch auf keine konkrete Gefährdung der Kinder für die Zukunft geschlossen werden, so daß eine Entscheidung über das Recht zur Pflege und Erziehung notwendig wäre. Auch im vorliegenden Fall kann das weit zurückliegende Verhalten der Mutter zur Darlegung einer konkreten Gefährdung des Kindeswohls in der Gegenwart oder für die Zukunft nicht mehr ins Treffen geführt werden. Abgesehen davon, daß die Mutter die Kinder nur durch äußere Zwänge - berufsbedingte Abwesenheit - veranlaßt in der Wohnung allein gelassen hat, hat sie die Kinder im Bestreben, sie nicht mehr sich allein zu überlassen, seit 1987 jeweils aus solchen Anlässen zum Vater gebracht und letztlich sogar die Konsequenzen gezogen, indem sie die die Betreuung behindernde Beschäftigung überhaupt aufgegeben hat, um sich gänzlich der Betreuung ihrer Kinder widmen zu können. Der Vater beruft sich auch noch in dritter Instanz auf sein Vorbringen, die Mutter habe die Kinder einmal abends zu einem Eishockeyspiel mitgenommen und sie dadurch nicht nur viel zu spät ins Bett gebracht, sondern auch der für das Kindeswohl abträglichen Atmosphäre einer solchen Veranstaltung ausgesetzt. Die Vorinstanzen haben zwar hiezu keine Feststellungen getroffen, es bedarf aber auch keiner Verfahrensergänzung, weil ein solches Verhalten - die Richtigkeit der Behauptung vorausgesetzt - zwar aus erzieherischen Gesichtspunkten nicht gebilligt, aber als einmaliger Vorfall keineswegs als gröbliche Vernachlässigung der elterlichen Pflichten beurteilt werden könnte.

Auch aus dem vom Vater behaupteten Brand in der Wohnung der Mutter kann noch keineswegs darauf geschlossen werden, daß die Mutter zur Erziehung ihrer Kinder nicht geeignet sei, zumal gar nicht feststeht, auf welche Ursachen dieses Ereignis zurückgeht. Der Vater ergeht sich hiezu lediglich in Mutmaßungen.

Soweit sich der Vater auch noch im Revisionsrekurs auf das Gutachten der vom Erstgericht beigezogenen Sachverständigen beruft, ist ihm entgegenzuhalten, daß diese lediglich dartun konnten, die Erziehungsverhältnisse beim Vater wären vorteilhafter als bei der primär sorgeberechtigten Mutter. Da dieser Umstand allein - wie schon dargelegt - keineswegs ausreicht, der Mutter Pflege und Erziehung der beiden Kinder zu entziehen, hat das Rekursgericht zu Recht die Anträge des Vaters auf Übertragung der elterlichen Rechte und Pflichten an ihn in Abänderung des erstinstanzlichen Beschlusses abgewiesen.

Dem Revisionsrekurs war daher ein Erfolg zu versagen.

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