OGH 10ObS148/88

OGH10ObS148/885.7.1988

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Resch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier und Dr. Kellner sowie durch die fachkundigen Laienrichter Dr. Eberhard Piso (Arbeitgeber) und Walter Hartl (Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Cäcilia J***, Maikammererstraße 24, D-8000 München, vertreten durch Dr. Wilhelm Klade, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei P*** DER A***, Friedrich

Hillegeist-Straße 1, 1021 Wien, vor dem Obersten Gerichtshof nicht vertreten, wegen Hilflosenzuschusses, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 15. Jänner 1988, GZ 31 Rs 199/87-32, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 7. April 1987, GZ 17 Cgs 174/86-21, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei hat die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Mit Bescheid vom 16. Juli 1986 lehnte die beklagte Partei den Antrag der am 12. September 1921 geborenen Klägerin auf Gewährung eines Hilflosenzuschusses ab.

Das Erstgericht gab der dagegen erhobenen Klage statt und erkannte die beklagte Partei schuldig, der Klägerin den Hilflosenzuschuß im gesetzlichen Ausmaß ab 11. November 1985 zu gewähren. Es stellte fest, daß die Klägerin noch in der Lage ist, sich selbständig an- und auszuziehen, die Toilette aufzusuchen, sich zu reinigen und zu waschen, sich kleine Mahlzeiten zuzubereiten und zu essen. Sie ist aber nicht mehr in der Lage, die Wohnung ohne Begleitperson zu verlassen, eine Gehstrecke über 300 m zurückzulegen und dabei Nahrungsmittel einzuholen oder andere Besorgungen zu machen. Durch das notwendige Abstützen auf eine Unterarmstützkrücke oder auf einen Gehstock kann die Klägerin auch keine Lasten über 1 bis maximal 2 kg verteilt auf beide Hände tragen. Sie ist nicht in der Lage, die Wohnung großgründlich zu machen, Leitern zu besteigen, Fenster zu putzen oder Teppiche zu reinigen, die große Wäsche zu waschen und Brennmaterial einzuholen sowie einen Koksofen zu warten, weil sie herausfallende Glut nicht bergen und die Aschenlade nicht entfernen kann.

Daraus folgerte das Erstgericht rechtlich, die Klägerin sei hilflos im Sinne des § 105 a ASVG.

Das Berufungsgericht gab der wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobenen Berufung der beklagten Partei Folge und änderte das Ersturteil im Sinne einer Abweisung der Klage ab. Hilflosigkeit liege immer dann vor, wenn der Rentner oder Pensionist nicht mehr in der Lage sei, auch nur einzelne, dauernd wiederkehrende lebensnotwendige Verrichtungen selbst auszuführen. Dabei kämen nur jene Verrichtungen in Frage, die nicht allgemein von dritten Personen besorgt werden, sondern die auch nicht eingeschränkte Personen gewöhnlich selbst erledigten. Zweck des Hilflosenzuschusses sei es, den durch die Inanspruchnahme anderer Personen entstandenen Mehraufwand wenigsten teilweise zu ersetzen. Aus der Höhe und dem Zweck des Hilflosenzuschusses folge allerdings, daß ein Bedürfnis nach ständiger Wartung und Hilfe nur dann angenommen werden könne, wenn die für die notwendigen Dienstleistungen nach dem Lebenskreis des Rentners oder Pensionisten üblicherweise aufzuwendenden, überschlagsmäßig festzustellenden durchschnittlichen Kosten im Monatsdurchschnitt mindestens so hoch seien, wie der begehrte Hilflosenzuschuß. Daß für die nur in größeren Abständen erforderlichen schweren Hausarbeiten und Verrichtungen außer Haus, insbesondere Einkaufen im Monatsdurchschnitt auch nur annähernd 2.840 S aufzuwenden seien - so hoch sei der monatliche Durchschnitt des Hilflosenzuschusses - sei aber auszuschließen.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der Klägerin wegen Mangelhaftigkeit des Verfahrens und unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, es im Sinne einer Klagestattgebung abzuändern. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt. Der Revisionsgrund der Mangelhaftigkeit des Verfahrens wird zwar angezogen, in den Revisionsausführungen aber nicht zur Darstellung gebracht. Eine Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens liegt auch nicht vor (§ 510 Abs. 3 ZPO).

Rechtliche Beurteilung

Das Berufungsgericht hat die ständige Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes zur Frage der Hilflosigkeit (SSV-NF 1/46) zutreffend wiedergegeben (§ 48 ASGG). Bei der Frage, ob es sich um notwendige Dienstleistungen handelt, müssen die dem Hilfsbedürftigen tatsächlich zur Verfügung stehenden und zumutbaren Hilfsmittel berücksichtigt werden. Wegen der heute allgemein üblichen Ausstattung von Haushalten mit einem Kühlschrank ist auch das Einkaufen nur mehr in Zeitabständen von mehreren Tagen erforderlich. Das Verfahren hat keinen Anhaltspunkt dafür ergeben, daß die Klägerin die Beheizung der Wohnung durch einen Koksofen vornimmt. Aber selbst wenn man berücksichtigt, daß neben dem Einkaufen und den nur in größeren Zeitintervallen erforderlichen Hilfstätigkeiten bei der Großreinigung der Wohnung und der Wäsche der Klägerin das Entleeren der Aschenlade und das Herbeischaffen von Brennmaterial - dieses wird jedenfalls in Großstädten ohne besondere Mehrkosten ins Haus geliefert - nicht mehr möglich wäre, ist auszuschließen, daß die dafür im Jahresdurchschnitt erforderlichen üblichen Kosten für die Inanspruchnahme fremder Hilfe die Höhe des Hilflosenzuschusses erreichten.

Der Berufung war daher ein Erfolg zu versagen.

Die Entscheidung über die Revisionskosten beruht auf § 77 Abs. 1 Z 2 lit. b ASGG.

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