OGH 12Os12/88

OGH12Os12/8826.5.1988

Der Oberste Gerichtshof hat am 26.Mai 1988 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Keller als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr. Steininger, Dr. Hörburger, Dr. Massauer und Dr. Rzeszut als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Doblinger als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Bertram M*** wegen des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs 1 und Abs 4 erster Fall StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes Feldkirch als Jugendschöffengericht vom 17. Dezember 1987, GZ 21 Vr 898/87-21, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Stöger, und des Verteidigers Dr. Arnold, jedoch in Abwesenheit des Angeklagten zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Gemäß § 390 a StPO fallen dem Angeklagten auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde der am 10.Juli 1971 geborene, somit jugendliche Bertram M*** des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs 1 und Abs 4 erster Fall StGB schuldig erkannt. Darnach hat er am 3.Dezember 1986 in Bregenz den Christoph O*** fahrlässig am Körper verletzt, indem er ihm einen Stoß versetzte, wodurch der Genannte zu Boden stürzte und er selbst mit vollem Körpergewicht auf ihn fiel, was bei Christoph O*** eine schwere Körperverletzung, nämlich eine Teilverrenkung zwischen dem

2. und 3.Halswirbelkörper mit einer knöchernen operativen Versteifung zur Folge hatte.

Nach den wesentlichen Urteilsfeststellungen kam es am 3. Dezember 1986 in der Aula des Polytechnischen Lehrangs in Bregenz während einer Unterrichtspause zwischen dem Angeklagten und seinem Klassenkameraden Christoph O*** zu einer Auseinandersetzung, in deren Verlauf ihm O*** einen Schlag versetzte, der jedoch ohne Folgen blieb. Daraufhin lief der Angeklagte auf den (inzwischen) bereits einige Meter von ihm entfernt stehenden O*** zu und gab ihm einen "Schupfer", wodurch O*** zu Boden stürzte und der Angeklagte ebenfalls das Gleichgewicht verlor, sodaß er mit seinem Körpergewicht von rund 100 kg auf O*** fiel, der dadurch die angeführte, dem Grade nach schwere (und zu einer geringfügigen dauernden Bewegungseinschränkung der Halswirbelsäule führende; vgl. S 63) Körperverletzung erlitt (S 89).

Das Jugendschöffengericht verneinte zwar ein Handeln des Angeklagten mit Verletzungs- oder Mißhandlungsvorsatz, lastete ihm aber ein fahrlässiges Fehlverhalten an, zumal für ihn bei seiner Vorgangsweise gegen O*** schon im Hinblick auf sein Körpergewicht vorhersehbar gewesen sei, daß er selbst (auch) das Gleichgewicht verlieren, auf O*** fallen und diesen dadurch verletzen konnte (S 90).

Rechtliche Beurteilung

Diesen Schuldspruch bekämpft der Angeklagte mit einer auf die Z 9 lit a und 9 lit b des § 281 Abs 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde, der jedoch keine Berechtigung zukommt. Soweit der Beschwerdeführer aus dem erstbezeichneten Nichtigkeitsgrund zunächst einwendet, es mangle an einem für die eingetretene Verletzung relevanten objektiv sorgfaltswidrigen Verhalten, weil O*** durch den ihm versetzten "Schupfer" nachweislich nicht verletzt wurde, so übersieht er, daß es sich schon nach dem zeitlichen Ablauf des Geschehens um einen einheitlichen Vorgang gehandelt hat, der damit begann, daß der Beschwerdeführer auf O*** zulief und ihm einen "Schupfer" versetzte, wodurch der Genannte zu Boden stürzte, und (erst) endete, als der Beschwerdeführer infolge dieser Aktion selbst (auch) das Gleichgewicht verlor und auf O*** fiel, wodurch dieser (schwer) verletzt wurde. Daher ist für die Beurteilung nicht bloß die letzte Phase, sondern das Tatgeschehen in seiner Gesamtheit maßgebend. Darnach kann es aber - entgegen dem Beschwerdestandpunkt - nicht zweifelhaft sein, daß die letztlich eingetretene schwere Körperverletzung unmittelbar auf ein Verhalten des Beschwerdeführers, nämlich dessen körperliche Attacke gegen O***, zurückzuführen war, das nicht jenen allgemein verbindlichen Verhaltensanforderungen entsprochen hat, deren Einhaltung die Rechtsordnung von einem mit den rechtlich geschützten Werten angemessen verbundenen, besonnenen und einsichtigen Menschen (auch in der konkreten Tatsituation, in welcher sich der Angeklagte damals befunden hat) zur Vermeidung ungewollter Tatbildverwirklichung verlangt (vgl. Burgstaller WrKomm. § 6 Rz. 33, 38), und das deshalb zutreffend als objektiv sorgfaltswidrig beurteilt worden ist. Ebensowenig kann es aber zweifelhaft sein, daß dieses Verhalten für den eingetretenen Erfolg (im Sinne der Äquivalenztheorie) ursächlich gewesen ist, war es doch eine jener Bedingungen, die nicht hinweggedacht werden können, ohne daß mit ihnen zugleich auch der Erfolg in seiner konkreten Gestalt entfiele.

Entgegen dem Beschwerdevorbringen wurde dem Angeklagten der in Rede stehende Erfolg aber auch zutreffend objektiv zugerechnet, und zwar sowohl unter dem Aspekt des Adäquanzzusammenhangs als auch unter jenem des Risikozusammenhangs. Denn mangels Adäquanz sind nur solche Erfolge nicht zuzurechnen, bei welchen der zu ihnen führende Kausalverlauf völlig außerhalb des Rahmens der gewöhnlichen Erfahrung liegt (Burgstaller aaO Rz. 62, 63; Bezauer Tage 1983, 137; EvBl 1987/142, JBl 1987, 59); davon kann aber vorliegend nicht gesprochen werden, weil es keineswegs völlig außerhalb der gewöhnlichen Lebenserfahrung liegt, daß ein auf sein Opfer zulaufender und diesem einen Stoß versetzender Angreifer von erheblicherem Körpergewicht als Folge dieser Attacke selbst auch das Gleichgewicht verliert, deshalb selbst auch zu Sturz kommt, auf das bereits infolge des Stoßes am Boden liegende Opfer fällt und dieses dadurch am Körper schwer verletzt. Der Risikozusammenhang hinwieder kann deshalb nicht fraglich sein, weil durch die gegen die körperliche Integrität des O*** geführte Attacke des Beschwerdeführers gerade jenes Risiko verwirklicht worden ist, dem die vom Beschwerdeführer verletzte (allgemeine) Sorgfaltsnorm entgegenwirken soll.

Nicht berechtigt sind schließlich auch jene Einwände, mit welchen dargetan werden soll, daß das Erstgericht zu Unrecht eine Fahrlässigkeitsschuld des Angeklagten bejaht habe. Denn zum einen war der zur Tatzeit 15-jährige Beschwerdeführer, bei dem nach den Verfahrensergebnissen keine Entwicklungsstörungen geistiger oder körperlicher Art vorliegen (vgl. ON 3 und ON 10, insb. S 45), nach dem Potential an intellektuellen und körperlichen Fähigkeiten, das ihm im Tatzeitpunkt konkret zur Verfügung stand, ersichtlich in der Lage, den Erfordernissen der objektiv gebotenen Sorgfalt nachzukommen; zum anderen genügte es für die subjektive Zurechnung des Erfolges, daß der Beschwerdeführer nach seinen persönlichen Verhältnissen befähigt war, allgemein vorauszusehen, daß der eingetretene Verletzungserfolg in einer Weise zustande kommt, die den Anforderungen des Adäquanz- und des Risikozusammenhangs genügt (Burgstaller aaO Rz. 94), während die Vorhersehbarkeit des konkreten Kausalverlaufs innerhalb dieses Rahmens nicht erforderlich ist. Auch in dieser Beziehung haftet dem Ersturteil somit ein Rechtsirrtum nicht an, sodaß die aus der Z 9 lit a des § 281 Abs 1 StPO erhobene Rüge in keiner Richtung hin berechtigt ist. Die auf die Z 9 lit b der zitierten Gesetzesstelle gestützte Rüge hinwieder, mit welcher rechtfertigende Einwilligung des Verletzten reklamiert und die Anwendung des § 42 StGB begehrt wird, übersieht, daß die gesamten Verfahrensergebnisse für die Annahme, O*** könnte (im Sinne des § 90 Abs 1 StGB) in seine Verletzung (oder auch nur Gefährdung) eingewilligt haben, nicht den geringsten Anhaltspunkt bieten, und zwar auch nicht unter dem Aspekt einer allenfalls bloß mutmaßlichen Einwilligung, und daß einer Anwendung des § 42 StGB der bei O*** eingetretene schwere Verletzungserfolg entgegensteht (§ 42 Abs 1 Z 2 StGB aF).

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher als zur Gänze unbegründet zu verwerfen und der Angeklagte auch in den Ersatz der Kosten des Rechtsmittelverfahrens zu verfällen.

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