OGH 2Ob35/88

OGH2Ob35/8827.4.1988

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Scheiderbauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kralik, Dr. Vogel, Dr. Melber und Dr. Kropfitsch als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Hermann W***, Pensionist, R. Janitschweg 2, 9161 Maria Rain, vertreten durch Dr. Hans Dieter Sereinig, Rechtsanwalt in Ferlach, wider die beklagten Parteien 1. Nikula I***, Angestellter,

9181 Feistritz i.R. 254, und 2. W*** A***

V***T, Hietzinger Kai 101, 1130 Wien,

beide vertreten durch Dr. Günter Schnitzer, Rechtsanwalt in Klagenfurt, wegen Feststellung, infolge Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes vom 15. Dezember 1987, GZ 1 R 230/87-29, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Klagenfurt vom 10. August 1987, GZ 21 Cg 224/86-23, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird teilweise Folge gegeben. Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, daß es zu lauten hat:

"Es wird den beklagten Parteien gegenüber festgestellt, daß sie dem Kläger für alle in Zukunft entstehenden Schäden, welche auf den Verkehrsunfall vom 6. August 1983 zurückzuführen sind, haften, wobei die Zahlungsverpflichtung der zweitbeklagten Partei mit der Deckungssume betreffend den unfallsbeteiligten PKW, amtliches Kennzeichen K 270.604, des Erstbeklagten beschränkt ist. Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei die mit S 12.112,10 bestimmten Prozeßkosten erster Instanz (darin S 1.101,10 Umsatzsteuer) und die mit S 8.051,81 bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens (darin S 550,16 Umsatzsteuer und S 2.000,-- Barauslagen) binnen 14 Tagen zu ersetzen."

Die beklagten Parteien sind weiters zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei die mit S 3.112,73 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten S 282,98 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger erlitt am 6. August 1983 bei einem Verkehrsunfall Verletzungen, wegen welcher er von der Zweitbeklagten Schadenersatzleistungen erhielt. Mit seiner Klage begehrt er die Feststellung der Haftung der Beklagten für alle auf den Unfall zurückzuführenden Schäden und führt aus, es habe sich nachträglich herausgestellt, daß er bei dem Unfall auch ein stumpfes Schädelhirntrauma erlitten habe, das starke psychische Veränderungen zur Folge gehabt habe, die so gravierend seien, daß der Kläger arbeitsunfähig sei und ständig Schmerzen habe.

Die Beklagten wendeten ein, beim Kläger bestünden keine unfallskausalen Dauerfolgen.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es kam zu dem Ergebnis, der Kläger habe bei dem Unfall nur eine Schädelprellung erlitten, jedoch kein Schädelhirntrauma. Nur ein solches hätte aber die bei ihm bestehenden psychischen Beeinträchtigungen hervorrufen können. Das Krankheitsbild des Klägers sei nicht auf den Unfall zurückzuführen und habe seine Grundlage in einem davon unabhängigen und nicht damit im Zusammenhang stehenden endogenen psychischen Geschehen.

Das Berufungsgericht änderte das Ersturteil im Sinne des Klagebegehrens ab. Es traf nach teilweiser Beweiswiederholung folgende ergänzende Feststellungen:

Das gesamte psychiatrische Bild des Klägers erweckt den Eindruck einer abnormalen seelischen Verarbeitung eines banalen Unfallerlebnisses. Der beim Kläger vorliegende Krankheitsvorgang spricht nicht für eine endogene Veränderung. Abnorme Reaktionen wie beim Kläger entstehen weitgehend unabhängig von der Intensität eines allfälligen Traumas und sind Ausdruck einer persönlichkeitsgebundenen Verarbeitung eines derartigen Ereignisses, welchem demnach die Bedeutung des Anlasses zukommt. Im Rahmen der rechtlichen Beurteilung führte das Berufungsgericht aus, aus dem zeitlichen Zusammenhang zwischen dem Unfallsgeschehen und den beim Kläger aufgetretenen Störungen ergebe sich, daß durch einen Unfall mit verhältnismäßig geringen organischen Verletzungen des Klägers bei seiner Persönlichkeitsstruktur die vom Erstgericht festgestellten neurotischen Störungen hervorgerufen worden seien. Dies stelle keinen atypischen Erfolg im Sinne der Lehre vom adäquaten Kausalzusammenhang dar. Krankheitserscheinungen, die durch den Unfall nur deshalb ausgelöst worden seien, weil die Anlage zu einer Krankheit beim Verletzten schon vorhanden gewesen sei, seien auch im Rechtssinn, also im Sinne der sogenannten Adäquanz, im vollen Umfang Folge des Unfalls, sofern die krankhafte Anlage nicht auch ohne die Verletzung in absehbarer Zeit den gleichen Gesundheitsschaden herbeigeführt hätte. Daß im Sinn der Feststellungen des Erstgerichtes auch jedes andere psychische oder physische Trauma beim Kläger zu einem gleichartigen psychischen Bild und zur Entwicklung des beim Kläger aufgetretenen Krankheitsbildes hätte führen können, könne zu keinem für die Beklagten günstigeren Ergebnis führen. Da im vorliegenden Fall nicht feststehe, ob überhaupt und warum beim Kläger auch ohne den Unfall eine psychische Veränderung aufgetreten wäre, tauche das Problem der sogenannten überholenden Kausalität nicht auf. Nur wenn feststünde, daß sich aus der krankhaften Anlage des Klägers ab einem ganz bestimmten Zeitpunkt auch ohne den Unfall mit Sicherheit dieselben nachteiligen Folgen ergeben hätten, würde von da an der Schädiger entlastet sein. Gegen das Urteil des Berufungsgerichtes richtet sich die Revision der Beklagten. Sie machen die Anfechtungsgründe der Mangelhaftigkeit des Verfahrens, der Aktenwidrigkeit sowie der unrichtigen rechtlichen Beurteilung geltend und beantragen die Wiederherstellung der Entscheidung des Erstgerichtes, hilfsweise die Aufhebung des angefochtenen Urteils.

Der Kläger beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revison ist im Ergebnis teilweise berechtigt.

Als Verfahrensmangel rügen die Beklagten, der Kläger habe die Feststellungen des Erstgerichtes nur insoweit bekämpft, als ein Schädelhirntrauma nicht festgestellt worden sei, das Berufungsgericht sei daher bei seinen ergänzenden Feststellungen über die Anfechtung des Klägers in der Berufung hinausgegangen. Dem ist entgegenzuhalten, daß der Kläger zu den Berufungsgründen der Mangelhaftigkeit des Verfahrens und der unrichtigen Beweiswürdigung geltend gemacht hatte, sein Zustand stehe mit dem Unfall in Kausalzusammenhang, der Unfall sei kausal für seine jetzt bestehende Arbeitsunfähigkeit. Wenn er auch ausführte, das Erptgericht hätte auf Grund des vom Kläger beim Unfall erlittenen Schädelhirntraumas zu dem Schluß kommen müssen, zwischen Unfall und Arbeitsunfähigkeit bestehe ein Kausalzusammenhang, so geht daraus nicht hervor, daß er seine Berufung ausschließlich darauf stützte, er habe ein Schädelhirntrauma erlitten. Es war daher zulässig, daß das Berufungsgericht auf Grund der Behauptungen des Klägers über einen zwischen dem Unfall und seiner Erkrankung bestehenden Zusammenhang ergänzende Feststellungen traf, nach welchen - obwohl der Kläger kein Schädelhirntrauma erlitten habe - die Störungen des Klägers durch den Unfall hervorgerufen worden seien. Nicht berechtigt sind auch die Ausführungen zur Mängelrüge, das Erstgericht habe nicht das gesamte Sachverständigengutachten verarbeitet, es hätte den Sachverständigen auch ergänzend befragen müssen. Gemäß § 281 a ZPO konnte sich das Berufungsgericht bei der Beweiswiederholung mit der Verlesung des Sachverständigengutachtens begnügen, da die Parteien eine unmittelbare Beweisaufnahme nicht beantragten (Fasching, Zivilprozeßrecht, Rz 1807). Das Berufungsgericht hat in der mündlichen Berufungsverhandlung beide schriftlichen Gutachten sowie deren mündliche Ergänzung verlesen, es war aber nicht genötigt, die Gutachten im Urteil zur Gänze wiederzugeben. Daraus, daß das Berufungsgericht nur eine bestimmte Stelle der mündlichen Ergänzung als Grundlage seiner ergänzenden Feststellungen heranzog, ergibt sich auch nicht, daß nicht das gesamte Gutachten beachtet wurde.

Die behaupteten Verfahrensmängel liegen daher nicht vor. Auch der Vorwurf der Aktenwidrigkeit geht fehl, da die ergänzenden Feststellungen mit dem Sachverständigengutachten in keinerlei Widerspruch stehen. Die Richtigkeit der Feststellungen, die das Berufungsgericht, ohne daß ihm eine Aktenwidrigkeit unterlaufen wäre, in einem mangelfreien Verfahren getroffen hat, kann vom Obersten Gerichtshof nicht überprüft werden. Ausgehend von dem vom Berufungsgericht ergänzend festgestellten Sachverhalt ist auch die Rechtsansicht der Beklagten, das Feststellungsbegehren sei abzuweisen, nicht richtig. Aus den ergänzenden Feststellungen geht in Verbindung mit den Ausführungen des Berufungsgerichtes zur rechtlichen Beurteilung zweifelsfrei hervor, daß die neurotischen Störungen des Klägers durch den Unfall hervorgerufen wurden, somit eine natürliche Kausalität besteht. Ob dies ausreicht, um eine Schadenersatzpflicht zu begründen, obwohl die Störungen nicht durch eine traumatische Hirnschädigung verursacht wurden, ist eine Rechtsfrage, die unabhängig von der Meinung des medizinischen Sachverständigen zu beurteilen ist. Der Schädiger hat grundsätzlich auch neurotische Fehlhaltungen des Geschädigten zu ersetzen, sofern diese eine Folge des schädigenden Ereignisses sind. Dabei ist es unerheblich, ob die Neurose durch eine schon vor dem Schadensfall bestehende psychische Labilität begünstigt worden ist; der Schädiger muß die Folgen konstitutioneller Schadensanlagen beim Geschädigten mittragen (Grunsky im Münchener Kommentar2, RdNr. 71 vor § 249; vgl. auch Geigel, Der Haftpflichtprozeß19 153). Der Schädiger muß auch für auftretende Depressionen und Wesensveränderungen des Verletzten einstehen (Palandt, BGB47, S 252), somit auch für neurotische Störungen, wie sie beim Kläger auf Grund seiner Persönlichkeitsstruktur durch den Unfall hervorgerufen wurden (vgl. SZ 45/28 = JBl. 1972, 368 mit Anmerkung von Bydlinski; ZVR 1980/151; 2 Ob 39/82).

Aus diesen Gründen ist das Feststellungsinteresse des Klägers zu bejahen. Da auf Grund der gesetzmäßig ausgeführten Rechtsrüge eine allseitige rechtliche Prüfung stattzufinden hat, ist jedoch folgendes zu beachten:

Grundsätzlich ist ein rechtliches Interesse für eine Feststellungsklage nur dann gegeben, wenn sie ein geeignetes Mittel ist, um die durch die Ungewißheit der Rechtslage hervorgerufene Gefährdung eines Anspruchs des Klägers wirksam zu beseitigen. In diesem Sinne hat die Rechtsprechung ein rechtliches Interesse an der Feststellung der Haftung für künftige Schadenersatzansprüche bejaht. Unter künfitgen Ansprüchen sind nur solche zu verstehen, die im Zeitpunkt der Einbringung der Feststellungsklage noch nicht fällig sind. Die Feststellung der Haftung für bei Klagseinbringung bereits fällige Schadenersatzansprüche dient weder einem Rechtsschutzbedürfnis des Klägers noch der Prozeßökonomie, so daß ein rechtliches Interesse daran nicht bestehen kann (ZVR 1980/289; vgl. auch SZ 54/99, ZVR 1985/51; 2 Ob 31/87). Da ein mangelndes Interesse bei einer Feststellungsklage von Amts wegen wahrzunehmen ist (Fasching, Zivilprozeßrecht, Rz 1102), mußte das angefochtene Urteil dahin abgeändert werden, daß die Haftung der Beklagten auf künftige Schäden eingeschränkt wird.

Die Entscheidung über die Verfahrenskosten erster Instanz gründet sich auf § 43 Abs. 2 ZPO, jene über die Kosten des Berufungs- und des Revisionsverfahrens überdies auf § 50 ZPO.

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