OGH 7Ob531/88

OGH7Ob531/8824.3.1988

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Flick als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Wurz, Dr. Warta, Dr. Egermann und Dr. Niederreiter als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Christine E*****, vertreten durch Dr. Hermann Gaigg, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Dr. Elias E*****, vertreten durch Dr. Erich Els, Rechtsanwalt in Stockerau, wegen Ehescheidung infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 7. Juli 1987, GZ 12 R 144/87-23, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Kreisgerichtes Korneuburg vom 5. März 1987, GZ 1 Cg 200/86-12, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil, das im Ausspruch über die Scheidung der Ehe aus dem Verschulden beider Teile als unangefochten unberührt bleibt, wird dahin abgeändert, daß der Ausspruch des überwiegenden Verschuldens des Beklagten entfällt und damit die Entscheidung des Erstgerichtes wiederhergestellt wird.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die nur S 5.697,70 (darin S 514,50 Umsatzsteuer und S 38,- Barauslagen) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens und die mit S 3.397,35 (darin S 308,85 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Gründe:

Die Streitteile haben am 3. Juni 1969 die Ehe geschlossen. Der Ehe entstammen die am 9. Mai 1969 geborene Susanne, die am 5. Jänner 1977 geborene Sabine und der am 23. März 1983 geborene Paul. Der gemeinsame gewöhnliche Aufenthalt der Streitteile befindet sich in G*****. Beide Parteien sind österreichische Staatsbürger. Die Klägerin begehrte die Scheidung der Ehe gemäß § 49 EheG. Der Beklagte widersprach dem Scheidungsbegehren nicht, beantragte aber den Ausspruch eines überwiegenden Verschuldens der Klägerin, weil diese selbst schwere Eheverfehlungen begangen habe. Das Erstgericht schied die Ehe aus dem beiderseitigen, gleichteiligen Verschulden der Streitteile. Es traf folgende Feststellungen:

Die Streitteile lebten bis 1977 in einer Wohnung in Wien. Der Beklagte errichtete sodann, überwiegend aus eigenen Mitteln, ein Einfamilienhaus in G*****, in dem er auch seine tierärztliche Praxis betrieb. Die Klägerin wurde als Angestellte des Beklagten zur Sozialversicherung angemeldet. Sie verrichtete Telefondienste. Schon seit 1978 verbrachte der Beklagte seine Freizeit häufig in Gasthäusern beim Kartenspiel. Die Klägerin tolerierte diese Freizeitgewohnheit des Beklagten und empfand sie nicht als ehestörend.

Bis zum Sommer 1985 verlief die Ehe der Streitteile harmonisch. Die Eltern der Klägerin, die in Wien wohnen, kamen häufig zu den Streitteilen auf Besuch und hielten sich gelegentlich auch mehrere Wochen lang in deren Haushalt auf. Das Verhältnis des Beklagten zu seinen Schwiegereltern hatte sich, nachdem diese zunächst gegen eine Verbindung der Klägerin mit dem Beklagten gewesen waren, gebessert, vor allem deswegen, weil sich der Beklagte den Schwiegereltern freundlich verhielt. Der Beklagte hatte gegen die Anwesenheit seiner Schwiegereltern nichts einzuwenden und beklagte sich bei der Klägerin nicht über die relativ häufigen und auch längeren Besuche. Er hatte auch nichts dagegen, daß sich seine Schwiegereltern im Sommer 1985 etwa 3 Wochen lang im Haus der Streitteile aufhielten. Die Mutter der Klägerin war zu dieser Zeit krank und bedurfte der Pflege, die die Klägerin durchführte. Zu dieser Zeit kam auch erstmals die 83-jährige, kränkliche Mutter des Beklagten, eine syrische Staatsbürgerin, gemeinsam mit einem Bruder des Beklagten zu Besuch. Die Klägerin hatte zunächst gegen diesen Besuch nichts einzuwenden. Die Mutter des Beklagten verstand kein Wort deutsch, sodaß sich nur der Beklagte, nicht auch die Klägerin mit ihr unterhalten konnte. Ihre Versorgung führten die Streitteile gemeinsam durch. Auch der Beklagte kochte teilweise. Der Besuch im Sommer 1985 stellte den ersten Kontakt des Beklagten mit seiner Mutter seit mehr als 20 Jahren dar. Da der Beklagte annahm, daß er seine Mutter nach ihrer Abreise aus Österreich wohl nicht mehr sehen werde, wollte er sie "solange wie möglich behalten". Die Klägerin nahm zunächst an, daß die Mutter des Beklagten und sein Bruder nach etwa einem Monat wieder nach Syrien zurückreisen würden. Es kam aber nur zur Abreise des Bruders des Beklagten. Die Klägerin, die nicht wollte, daß ihre Schwiegermutter länger im Haushalt der Streitteile verbleibe, suchte deswegen ein Gespräch mit dem Beklagten. Sie war verärgert darüber, daß sich die alte Frau nicht an das im ehelichen Haushalt gewohnte Leben anpassen konnte und sich beispielsweise nicht an die Essenszeiten hielt. Es kam aus diesem Grund und auch deshalb, weil der Beklagte sich häufig mit seiner Mutter am Abend zusammensetzte und sich mit ihr unterhielt und demgemäß weniger Zeit für seine Familie hatte, zwischen den Ehegatten zu immer häufigeren Streitigkeiten, wobei diese immer öfter aneinander "herumnörgelten". Die Klägerin warf dem Beklagten vor, daß seine Mutter eine unzumutbare Belastung darstelle. Der Beklagte hielt der Klägerin daraufhin vor, daß er nie etwas gegen die Anwesenheit ihrer Eltern eingewendet habe. Das Verhältnis zwischen den Streitteilen wurde wegen der Anwesenheit der Mutter des Beklagten immer schlechter. Im Zuge eines heftigen Streites verlangte der Beklagte, daß die Eltern der Klägerin das Haus verlassen sollten. Es kann nicht festgestellt werden, daß der Beklagte gegen die Klägerin im Zuge dieses Streites tätlich geworden wäre. Die Eltern der Klägerin verließen den Haushalt der Streitteile nach etwa 3 Wochen. Die Mutter des Beklagten hingegen blieb bis Jänner 1986 in G***** und reiste dann nach Syrien zurück. Im Oktober 1985 waren die Eltern der Klägerin abermals auf Besuch in G*****. An einem Tag, an dem die Ehegatten tagsüber wieder eine der üblich gewordenen Streitigkeiten hatten, begab sich die Klägerin in das Zimmer ihrer Schwiegermutter, um ihr beim Aufstehen zu helfen. Der Beklagte, der Sorge hatte, daß die Klägerin zu seiner Mutter grob sein könnte oder sogar gegen sie tätlich werden wolle, riß die Klägerin von der alten Frau zurück. Auf Grund von Hilferufen der Klägerin kam der Vater der Klägerin hinzu und trennte die Streitteile. Der Beklagte hat im Zuge dieses Streits die Klägerin beim Hals gepackt, doch kann nicht festgestellt werden, daß die Klägerin dabei Verletzungen erlitten hätte.

Schon vor diesem Vorfall hatte die Klägerin die Mutter des Beklagten in dessen Beisein mit den Worten: "alte, schiache Schachtel" beschimpft, um damit den Beklagten zu treffen. Da das Verhältnis zwischen den Streitteilen immer schlechter wurde, kam es im Februar 1986 zum letzten Mal zu einem Geschlechtsverkehr zwischen ihnen. Bei einem letzten Annäherungsversuch des Beklagten im Februar 1986 verweigerte die Klägerin den Geschlechtsverkehr. Danach machte keiner der Ehegatten einen weiteren Versuch zu Intimitäten. In der Folge kam es zu Streitigkeiten wegen des Geldes und auch zu gehässigen wechselseitigen Beschimpfungen. Der Beklagte hielt der Klägerin seine Geldleistungen im Zusammenhang mit dem Hausbau vor und belegte die Klägerin auch mit groben Schimpfwörtern. Auch die Klägerin beschimpfte den Beklagten, wobei sie in der Wortwahl allerdings nicht ordinär war, sondern nur Wörter wie "feig" und "dumm" verwendete.

Die Klägerin erhielt vom Beklagten zunächst monatlich ein Wirtschaftsgeld von rund S 10.000,-, im Juni 1986 aber nur mehr S 7.000,- und im Juli sogar nur mehr S 3.500,-. Nach einer Aussprache mit einem befreundeten Ehepaar einigten sich die Parteien, daß der Beklagte S 10.000,- an Unterhalt für die Klägerin und die drei Kinder bezahlt. Allerdings verlangte der Beklagte, daß die Klägerin auch die auf ihren Hausanteil (Hälfteanteil) entfallende Kreditrückzahlungsrate bezahle. Diese Rate beträgt monatlich S 5.000,-.

Am 1. September 1986 überwies der Beklagte auf das Konto der Klägerin einen Betrag von S 17.000,-, am 8. Oktober 1986 S 7.000,-, am 3. November S 13.000,- und am 20. November 1986 sowie am 2. Jänner 1987 je S 2.700,-.

Die Klägerin war bis Ende Juni 1986 mit 20 Wochenstunden in der Praxis des Beklagten beschäftigt und auch zur Sozialversicherung angemeldet. Ende Juni 1986 kündigte der Beklagte der Klägerin. Die Klägerin brachte gegen den Beklagten eine Klage beim Arbeitsgericht wegen ihrer Ansprüche aus dem Dienstverhältnis sowie eine Unterhaltsklage beim zuständigen Bezirksgericht ein. Im Verfahren über diese Klage wurde ein vorläufiger Unterhalt der Klägerin von monatlich S 2.700,- festgesetzt.

Der Beklagte verbrachte seine Freizeit häufig ohne die Klägerin. Nach Beginn der Streitigkeiten wegen seiner Mutter ging der Beklagte der Klägerin bewußt aus dem Wege und verließ abends öfters das Haus zu Spaziergängen in der unmittelbaren Umgebung, um Streitigkeiten zu vermeiden. Er besuchte weiterhin Gasthäuser zum Teil auch aus beruflichen Gründen, um mit Landwirten zusammenzukommen, die als Kunden seiner tierärztlichen Praxis in Frage kamen. Es kann nicht festgestellt werden, daß der Beklagte seine Kinder lieblos behandelt oder vernachlässigt hätte. Er nahm sie häufig zu Besuchen in das Haus einer Klientin, Christa S*****, in den Nachbarort A*****, mit, mit der die Ehegatten schon seit Jahren ein gutes Verhältnis mit wechselseitigen Besuchen hatten. Die Kinder der Streitteile konnten in A***** mit dem Pferd der Christa S*****, aber auch mit anderen Kindern aus der Umgebung spielen. Ab April 1986 hielt sich der Beklagte häufig bei Christa S***** in A***** auf, weil er deren vier Pferde tierärztlich zu versorgen hatte. Er blieb dann gelegentlich noch nach der Arbeit bei Christa S*****. Dabei waren fast immer auch noch andere Bekannte anwesend. Der Beklagte suchte diesen Anschluß auch wegen seiner familiären Schwierigkeiten. Zu ehestörenden Kontakten zwischen Christa S***** und dem Beklagten ist es nicht gekommen. Den Haushalt der Streitteile versorgte im wesentlichen die Klägerin, die auch die Pflege und Erziehung der gemeinsamen Kinder besorgte. Es kann nicht festgestellt werden, daß die Klägerin die Kindererziehung vernachlässigte.

Als die Klägerin im September 1986 zweimal wegen notwendig gewordener Arztbesuche nicht zu Hause war, machte ihr der Beklagte ungerechtfertigte Vorwürfe, daß sie die Kinder vernachlässige. Er machte ihr derartige Vorwürfe auch am 8. Oktober 1986, nachdem sie am 7. Oktober 1986 bei ihrem Rechtsvertreter in Wien gewesen war und der Beklagte erfahren hatte, daß die Klägerin eine Scheidungsklage einbringen wolle. Es kann nicht festgestellt werden, daß der Beklagte die Klägerin mit den Worten: "Es wäre besser, Du bekämest eine Kugel" bedroht und sich geäußert hätte, er wolle das Haus anzünden, damit die Klägerin es nicht bekomme. Die Klägerin erstattete über diesen von ihr behaupteten Vorfall am 9. Oktober 1986 eine Anzeige bei der Gendarmerie und erteilte die Einwilligung zur Strafverfolgung. Das Strafverfahren wurde von der Staatsanwaltschaft eingestellt. Bereits im Oktober 1985 hatte die Klägerin gegen den Beklagten ein Strafverfahren wegen § 107 StGB veranlaßt, das wegen Zurückziehung der Ermächtigung eingestellt wurde.

Nach dem Vorfall vom 8. Oktober 1986 kam der Vater der Klägerin über deren Ersuchen nach G***** und blieb etwa 1 Woche im Haushalt der Streitteile. Der Beklagte war darüber verärgert und versuchte, der Klägerin und ihrem Vater das Leben zu verleiden. Er machte der Klägerin wegen der von ihm erbrachten finanziellen Leistungen Vorwürfe, beschimpfte sie mit ordinären Worten wie "Hure" und warf einmal einen vollen Aschenbecher zu Boden, um der Klägerin Mehrarbeit zu verursachen. Der Beklagte versuchte auch, telefonische Kontakte der Klägerin, auch zu ihrem Anwalt, zu unterbinden, und schaltete den Strom aus, sodaß die Klägerin einmal ihrem Vater das Frühstück nicht zubereiten konnte.

Ende September/Anfang Oktober 1986 war der Beklagte innerhalb von 9 Tagen zumindest sechsmal in einem Casino. Es kann nicht festgestellt werden, daß er dabei Geld verloren hätte. Im Jahr 1986 kaufte der Beklagte einen neuen PKW um S 250.000,-. Es kann nicht festgestellt werden, daß die Klägerin den Beklagten vor den Kindern der Streitteile herabsetzt. In seiner rechtlichen Beurteilung vertrat das Erstgericht die Ansicht, die Ehe der Streitteile sei völlig zerrüttet, an die Wiederherstellung einer geordneten ehelichen Gemeinschaft sei nicht mehr zu denken. Die Ursache hiefür liege primär in der Ablehnung der Mutter des Beklagten durch die Klägerin, die ungeachtet des Umstandes, daß der Beklagte seine 83 Jahre alte kränkliche Mutter nach 23 Jahren zum ersten Mal wiedergesehen habe und auf Grund ihrer Kränklichkeit damit habe rechnen müssen, sie nach ihrer Rückreise nach Syrien nicht mehr wiederzusehen, nach unverhältnismäßig kurzer Zeit auf eine Abreise gedrängt und den Beklagten damit in einen Gewissenskonflikt gestürzt habe. Die Klägerin habe damit eine im wesentlichen gut funktionierende Ehe aufs Spiel gesetzt und die folgenden Differenzen zwischen den Streitteilen verursacht. Ihr liebloses Verhalten zur Schwiegermutter und damit auch zum Beklagten sei als schwere Eheverfehlung zu werten, wobei erschwerend wirke, daß der Beklagte sich gegenüber den Eltern der Klägerin jahrelang angemessen und ordentlich verhalten habe, sodaß er von der Klägerin dieselbe Haltung habe erwarten dürfen. Als eine weitere Eheverfehlung der Klägerin sei es zu werten, daß sie den Beklagten gelegentlich beschimpft und gegen ihn eine unbegründete Anzeige wegen gefährlicher Drohung erstattet habe. Dem Beklagten seien wiederholte ordinäre Beschimpfungen, eine gewisse Verletzung der Unterhaltspflicht über einen allerdings kurzen Zeitraum und sein unleidliches Verhalten nach schon eingetretener Zerrüttung der Ehe vorzuwerfen. Nicht anzulasten sei dem Beklagten, daß er bis zum Sommer 1985 seine Freizeit häufig allein verbracht habe, weil die Klägerin damit einverstanden gewesen sei und eine Änderung auch nicht verlangt habe. Die einmalige Verweigerung eines Geschlechtsverkehres durch die Klägerin stelle keine relevante Eheverfehlung dar, weil der Beklagte kein ernstliches Interesse an einer Fortsetzung des ehelichen Verkehrs gehabt habe und dieser gewissermaßen einverständlich beendet worden sei. Die Aufrechterhaltung freundschaftlicher Beziehungen des Beklagten zu Christa S***** sei nicht gegen den erkennbaren Willen der Klägerin erfolgt. Ungeachtet des zahlenmäßigen Überwiegens der Eheverfehlungen des Beklagten sei ein gleichteiliges Verschulden der Streitteile an der Zerrüttung der Ehe gegeben, weil das ehewidrige Verhalten der Klägerin besonders gravierend gewesen sei und die Zerrüttung der Ehe ausgelöst habe. Das Berufungsgericht änderte das Urteil des Erstgerichtes, das im Ausspruch über die Scheidung der Ehe aus Verschulden des Beklagten unangefochten blieb, dahin ab, daß die Ehe nicht aus dem gleichteiligen Verschulden der Streitteile, sondern aus beiderseitigem Verschulden geschieden werde, wobei das Verschulden des Beklagten überwiege. Es übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes mit Ausnahme der Feststellung, die Klägerin habe erklärt, die Mutter des Beklagten stelle für sie eine "unzumutbare" Belastung dar. In seiner rechtlichen Beurteilung führte das Berufungsgericht aus, die Klägerin habe zwar, als sie erfahren habe, daß der Besuch ihrer Schwiegermutter nicht nur kurzfristig und vorübergehend sein werde, den Beklagten eher heftig gefragt, wie lange seine Mutter noch bleiben werde. Der Beklagte habe jedoch der Klägerin auf ihre Frage keine befriedigende Antwort gegeben, er habe nur erwidert, ob sie jemals gefragt habe, wie lange ihre Eltern bei ihnen seien. Die heftige Reaktion der Klägerin sei nach den Umständen verständlich. Es wäre Sache des Beklagten gewesen, die Klägerin rechtzeitig über die beabsichtigte Dauer des Besuches seiner Mutter zu informieren. Daß er dies nicht getan habe, sei als eine weitere, wenn auch nicht geltend gemachte, Eheverfehlung anzusehen und lasse das eher ablehnende Verhalten der Klägerin gegenüber ihrer Schwiegermutter als nicht so schwerwiegend erscheinen, daß damit das zahlenmäßige Überwiegen der Eheverfehlungen des Beklagten ausgeglichen würde. Es sei deshalb das überwiegende Verschulden des Beklagten auszusprechen gewesen. Der Beklagte bekämpft das Urteil des Berufungsgerichtes mit Revision insoweit, als die Scheidung der Ehe aus seinem überwiegenden Verschulden ausgesprochen wurde. Die Klägerin beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist berechtigt.

Der Ausspruch des überwiegenden Verschuldens eines Ehegatten setzt voraus, daß das Verschulden dieses Ehegatten erheblich schwerer ist als das des anderen (§ 60 Abs 2 Satz 2 ABGB). Das überwiegende Verschulden steht grundsätzlich dem Alleinverschulden gleich. Das mindere Verschulden muß deshalb, damit diese Differenz gerechtfertigt ist, fast völlig in den Hintergrund treten, sodaß auch nur ungefähr gleiches Verschulden zum Ausspruch gleichteiligen Verschuldens führt (Pichler in Rummel, ABGB, Rz 2 zu § 60 EheG). Überwiegendes Verschulden eines Ehegatten kann nur bei einem sehr erheblichen graduellen Unterschied des beiderseitigen Verschuldens angenommen werden; der Unterschied muß augenscheinlich hervortreten (EFSlg. 48.834, 48.835 u.a.). Für die Beurteilung ist das Gesamtverhalten maßgebend (EFSlg. 48.815). Doch ist vor allem zu berücksichtigen, wer mit der schuldhaften Zerrüttung der Ehe den Anfang gemacht (EFSlg. 48.820) und wie die Eheverfehlungen einander bedingten, welchen ursächlichen Anteil sie am Scheitern der Ehe hatten (EFSlg. 46.235, 46.236 u.a.).

Ein offensichtliches Überwiegen des Verschuldens eines Ehegatten an der Zerrüttung der Ehe, sodaß das Verschulden des anderen Teils fast völlig in den Hintergrund träte, kann vorliegendenfalls nicht gefunden werden.

Daß die Schwierigkeiten in der bis dahin harmonischen Ehe der Streitteile mit dem Besuch der Mutter des Beklagten im Jahr 1985 begonnen haben, wie die Klägerin in ihrer Klage vorgebracht hat, ist von den Verfahrensergebnissen bestätigt worden. Diese Schwierigkeiten können aber nach Ansicht des Revisionsgerichtes nicht in einem entscheidenden oder auch nur wesentlichen Ausmaß dem Beklagten angelastet werden. Der Beklagte hat sich gegenüber den Eltern der Klägerin bei deren häufigen und oftmals mehrwöchigen Besuchen stets tolerant verhalten, obwohl er von ihnen zu Beginn seiner Beziehungen zur Klägerin ausdrücklich und heftig (Schreiben des Vaters der Klägerin vom 6. Dezember 1968) abgelehnt worden war. Er durfte deshalb beim ersten Besuch seiner Mutter nach über 20 Jahren ein ähnliches Verhalten der Klägerin erwarten. Die Klägerin aber hat sich, als sie erkannte, daß der Besuch ihrer Schwiegermutter länger dauern werde, mit heftigen Vorwürfen an den Beklagten gewandt. Daß der Beklagte der Klägerin bei einem solchen Streit nicht mitteilte, wie lange seine Mutter bleiben werde, sondern sich darauf beschränkte, die Klägerin darauf hinzuweisen, daß er nie etwas gegen die Anwesenheit ihrer Eltern im ehelichen Haushalt eingewendet habe, rechtfertigt es keinesfalls, ihm die wesentliche Schuld an den folgenden Streitigkeiten und Zerwürfnissen und an der Zerrüttung der Ehe anzulasten. Auslösender Umstand hiefür war vielmehr die intolerante Einstellung der Klägerin gegenüber dem Besuch der Mutter des Beklagten. Die Dauer dieses Besuches, der doch ein einmaliger war und die damit verbundenen Schwierigkeiten für das eheliche Zusammenleben insbesondere wegen der vorhandenen Verständigungsschwierigkeiten rechtfertigten noch nicht das sehr deutlich ablehnende Verhalten der Klägerin. Daß es in der Folge immer wieder zu Streitigkeiten und gegenseitigen Vorwürfen und Beschimpfungen gekommen ist, ist beiden Ehegatten vorzuwerfen und ebenso, daß schließlich beide Teile es immer wieder unternommen haben, dem anderen etwas "zufleiß zu tun", wie etwa einerseits die zeitweiligen Kürzungen der Unterhaltsleistungen durch den Beklagten und sein Versuch, Telefongespräche der Klägerin (insbesonders mit ihrem Rechtsvertreter) zu behindern, und andererseits die offensichtlich unbegründete Anzeigeerstattung und jenes Verhalten der Klägerin, das zur Beendigung der geschlechtlichen Beziehungen der Streitteile führte (AS 58).

Ein gravierender Unterschied im Verschulden der Streitteile an der Zerrüttung ihrer Ehe kann sohin nicht gefunden werden. Zwar ergibt sich ein leichtes Übergewicht der Eheverfehlungen des Beklagten - sowohl der Zahl, als auch dem Gewicht nach - ab jenem Zeitpunkt, in dem es zwischen den Streitteilen wegen des Besuches der Mutter des Beklagten zum ersten, aber auch tiefgreifenden Zerwürfnis gekommen ist. Dies wird aber dadurch ausgeglichen, daß gerade an diesem Zerwürfnis der deutlich schwerere Vorwurf der Klägerin gemacht werden muß und die weiteren beiderseitigen Eheverfehlungen zu einem erheblichen Teil durch das Verhalten der Klägerin diesem Besuch gegenüber bedingt waren.

Es kann deshalb nicht gesagt werden, daß das Verschulden der Klägerin gegenüber jenem des Beklagten fast völlig in den Hintergrund tritt. Der Ausspruch eines überwiegenden Verschuldens des Beklagten war aus diesem Grund zu eliminieren und die Entscheidung des Erstgerichtes wiederherzustellen.

Die Kostenentscheidung erfolgte nach den §§ 41, 50 ZPO.

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