OGH 4Ob523/88

OGH4Ob523/8815.3.1988

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Prof. Dr. Friedl als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Gamerith, Dr. Kodek, Dr. Niederreiter und Dr. Redl als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj. Kinder 1) Bernd B***, geboren am 3. August 1974; 2) Markus B***, geboren am 28. Mai 1978;

3) Hannes B***, geboren am 4. Mai 1982, infolge Revisionsrekurses des ehelichen Vaters Walter B***, Raumausstatter, Dornbirn, Kehlerstraße 78, vertreten durch Dr. Manfred DE M***, Rechtsanwalt in Dornbirn, gegen den Beschluß des Landesgerichtes Feldkirch als Rekursgerichtes vom 22. Jänner 1988, GZ 1 a R 22/88-76, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Dornbirn vom 11. November 1987, GZ P 113/85-72, abgeändert wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung

Die drei Söhne Bernd (geboren am 3. August 1974), Markus (geboren am 28. Mai 1978) und Hannes (geboren am 4. Mai 1982) entstammen der Ehe der Elisabeth B*** mit Walter B***. Diese wohnten nach ihrer Eheschließung zunächst im Hause der Eltern des Mannes in Dornbirn, Eisplatzgasse 38, wo ihnen ein Zimmer zur Verfügung stand. Ab 1974 begannen sie mit der Errichtung eines Einfamilienhauses auf einer Liegenschaft in Dornbirn, Kehlerstraße 78, die der Frau von ihren Eltern geschenkt worden war. 1976 übertrug die Frau einen Hälfteanteil an dieser Liegenschaft schenkungsweise an den Mann. Das Ehepaar zog im Dezember 1976 in die Ehewohnung im Obergeschoß des neu errichteten Hauses ein, führte dort allerdings erst ab 1978 einen eigenen Haushalt. Die Ehe wurde am 2. Mai 1985 rechtskräftig aus dem Verschulden der Frau und einer Mitschuld des Mannes geschieden.

Auf Grund widerstreitender Anträge der Eltern (ON 1 und 5) übertrug das Erstgericht mit Beschluß vom 3. Juli 1985 (ON 9), bestätigt mit Beschluß des Rekursgerichtes vom 2. August 1985 (ON 17), die elterlichen Rechte und Pflichten im Sinne des § 144 ABGB hinsichtlich der drei Söhne zunächst vorläufig und mit Beschluß vom 23. Juli 1986 (ON 53), bestätigt durch Beschluß des Rekursgerichtes vom 13. August 1986 (ON 56), endgültig der Mutter. Ungeachtet der vorläufigen Sorgerechtszuteilung brachte der Vater die beiden Söhne Bernd und Hannes zu Weihnachten 1985 und den Sohn Markus ab Juni 1986 in den Haushalt seiner Eltern, wo sie sich auch derzeit noch befinden. Er konnte nicht dazu bewogen werden, die Kinder der Mutter zurückzugeben. Die vom Erstgericht angeordnete zwangsweise Kindesabnahme (ON 27) scheiterte am 15. Jänner 1986 an der Weigerung des Sohnes Bernd. Der Vater hatte zuvor gegenüber der mit Gendarmerieassistenz einschreitenden Fürsorgerin erklärt, er werde Bernd nur mitgehen lassen, wenn dieser das auch wirklich wolle; wenn nicht, so müsse man ihn vorher verhaften. Zudem würde er die Kinder sowieso gleich wieder von zu Hause holen (ON 33). Auch die zweimalige Verhängung von Ordnungsstrafen über den Vater (ON 36 und 53) blieb ergebnislos. Mit Urteil des Landesgerichtes Feldkirch vom 7. April 1986 wurde der Vater zwar von der wider ihn erhobenen Anklage des Vergehens der Entziehung eines Minderjährigen aus der Macht des Erziehungsberechtigten gemäß § 195 StGB freigesprochen, zugleich aber des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs 1 StGB und des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB für schuldig erkannt, weil er die Mutter durch Tätlichkeiten am 9. Oktober 1985 fahrlässig und am 22. Oktober 1985 vorsätzlich leicht verletzt hatte.

Am 27. März 1987 beantragte der Vater, ihm das Sorgerecht für die drei Kinder zu übertragen. Diese befänden sich seit Dezember 1985 ununterbrochen im Haushalt der väterlichen Großeltern, zu denen sie eine ausgeprägte Beziehung hätten, weil sie von ihnen auch schon früher während der Zeit der gemeinsamen beruflichen Tätigkeit der Eltern betreut worden seien. Er selbst kümmere sich, soweit dies seine berufliche Inanspruchnahme zulasse, gleichfalls um die kontinuierliche und sorgfältige Erziehung der Kinder. Diese selbst hätten sich schon seinerzeit vehement gegen einen Verbleib bei der Mutter gewehrt und wünschten nach wie vor, auch künftig beim Vater zu bleiben (ON 59).

Die Mutter sprach sich gegen diesen Antrag aus (ON 61). Der Vater unterbinde entgegen den gerichtlichen Beschlüssen jeden Kontakt zwischen ihr und den Kindern. Er habe ihr gegenüber wiederholt zum Ausdruck gebracht, die Kinder in erster Linie nur deshalb zu wollen, damit er für sie keinen Unterhalt an sie zahlen müsse; außerdem benütze er sie als Druckmittel, um in dem von ihr anhängig gemachten nachehelichen Aufteilungsverfahren das gemeinsame Haus zu erhalten. Er beeinflusse die Kinder stark, indem er mit ihnen auf Reisen gehe und ihnen Geschenke mache.

Mit Beschluß vom 11. November 1987 gab das Erstgericht dem Antrag des Vaters statt, übertrug ihm die elterlichen Rechte und Pflichten im Sinne des § 144 ABGB hinsichtlich der drei Kinder und hob seine Verpflichtung zur Unterhaltszahlung für die Kinder zu Handen der Mutter auf. Es legte seiner Entscheidung folgende Tatsachenfeststellungen zugrunde:

Die Eltern der Kinder wohnen nach wie vor in dem ihnen je zur Hälfte gehörenden Einfamilienhaus in Dornbirn, Kehlerstraße 78; die Mutter benützt im wesentlichen die bisherige Ehewohnung im Obergeschoß, der Vater das Kellergeschoß. In dem zu F 13/85 des Bezirksgerichtes Dornbirn anhängigen nachehelichen Aufteilungsverfahren wurde mit Beschluß vom 18. Juli 1987 der Häfteanteil des Vaters an der Hausliegenschaft der Mutter übertragen (diese Eigentumszuweisung, die zum Zeitpunkt des erstgerichtlichen Beschlusses am 11. November 1987 noch nicht rechtskräftig war, ist mittlerweile durch Beschluß des Rekursgerichtes vom 8. Oktober 1987 bestätigt worden und in Rechtskraft erwachsen).

Das älteste und das jünste Kind sind seit Weihnachten 1985 vollständig bei den väterlichen Großeltern untergebracht; auf den Sohn Markus trifft dies seit Juni 1986 zu. die am 14. Jänner 1928 geborene väterliche Großmutter und der am 20. April 1926 geborene väterliche Großvater, der sich seit April 1986 in Pension befindet, sind geistig und körperlich geeignet, sich um die Kinder zu kümmern. Zwischen ihnen und den Kindern bestand schon immer bestes Einvernehmen, zumal der älteste Sohn Bernd schon während der Zeit der Berufstätigkeit der Mutter bis zur Geburt seines Bruders Markus im Mai 1978 bei der väterlichen Großmutter aufgewachsen war. Auch später bestand zwischen allen drei Kindern und den väterlichen Großeltern bestes Einvernehmen. Die Kinder hatten die Großeltern oft besucht und fallweise auch bei ihnen geschlafen; letzteres insbesondere dann, wenn die Eltern gemeinsam auf Urlaub gingen. Den Kindern steht in der Wohnung der väterlichen Großeltern gemeinsam ein Kinderzimmer zur Verfügung, in dem die beiden jüngeren Brüder Markus und Hannes in einem Stockbett und der ältere Bernd in einem Einzelbett schlafen. Der Vater nimmt mit den Kindern bei seinen Eltern die Mahlzeiten ein. Er übt seit 1980 den Beruf eines selbständigen Raumausstatters aus und nimmt die Kinder auch - wenn sie nicht gerade den Kindergarten oder die Schule besuchen - auf die Baustellen mit. Am Wochenende macht er mit ihnen Ausflüge oder betreibt mit ihnen Sport. Der Vater ist seit etwa sieben Jahren "Surfer". Er übt diese Sportart im Urlaub bzw. an den Wochenenden auf dem Bodensee und auf dem Gardasee aus und nimmt dazu meist die drei Söhne mit, die mit ihm gerade die Freizeit verbringen. Im Sommer 1987 machte er lediglich mit Markus und Hannes gemeinsam Urlaub, weil Bernd seine Ferien mit Klassenkameraden verbrachte. Die schulischen Schwierigkeiten des Sohnes Bernd haben

sich - insbesondere auch auf Grund der Mahnungen des Vaters - gebessert.

Der Kontakt der Kinder zu ihrer Mutter ist zwischenzeitig geringer geworden. Sie hat die schwierige Situation der Kinder erkannt und versucht, sie möglichst aus der Auseinandersetzung um die Sorgerechte herauszuhalten. Deshalb verzichtete sie auch auf einen engeren Kontakt mit den Kindern. Die von der Mutter bewohnte ehemalige Ehewohnung im Obergeschoß des Hauses in Dornbirn, Kehlerstraße 78, besteht aus Küche, Eßzimmer, Wohnzimmer und drei Schlafzimmern. Die Mutter ist als geprüfte Skilehrwartin verpflichtet, jährlich mindestens eine Woche Skikurs abzuhalten. Dieser Verpflichtung ist sie in den letzten 12 Jahren auch immer nachgekommen, wobei sie fallweise in der Wintersaison noch für eine weitere Woche im Rahmen des Skivereines Dornbirn außer Landes auf Skikursen bzw. auf Skiurlaub war. In diesen Zeiten betreuten die väterlichen Großeltern die Kinder. Bei kürzerer Abwesenheit der Mutter (etwa halbtags) wurden die Kinder auch von den im Haus Kehlerstraße 76 wohnhaften mütterlichen Großeltern betreut. Die Bezirkshauptmannschaft Dornbirn hat in ihrer schriftlichen Stellungnahme vom 4. August 1987 die Übertragung der elterlichen Rechte und Pflichten an den Vater nicht befürwortet. Zwar sei der Eindruck gewonnen worden, daß die väterliche Großmutter trotz ihrer 60 Jahre die drei Buben gut versorge und alles tue, damit sich diese wohl fühlen; doch wüchsen die drei Kinder in einer sehr unguten Atmosphäre auf. Der Vater sei einerseits sehr streng mit ihnen und lasse ihnen wenig Freiraum, verwöhne sie aber andererseits in materiellen Dingen; dabei lasse er ihnen immer wissen, daß die Mutter nicht so viel Geld habe und ihnen Sachen, wie zB eine Flugreise, nicht bieten könne. Der Vater wolle unter allen Umständen, daß ihm die Kinder zugesprochen werden. Diese mögen ihn und seine Familie auch, ebenso hingen sie an ihrer Mutter, über die sie aber nur Negatives hörten und die keine Gelegenheit habe, gegenüber ihren Kindern die Anschuldigungen zu entkräften. Zudem würden die Kinder mit wechselnden Freundinnen des Vaters konfrontiert und müßten sich so immer auf neue Personen einstellen, mit denen sie ihre Freizeit verbringen; sie erhielten auf diese Weise nur das verzerrte Bild einer Partnerschaft. Bernd und Markus hätten bei getrennten Gesprächen erklärt, daß sie gerne wieder in ihrem Elternhaus leben würden. Während Bernd angegeben habe, nicht mehr an seine Mutter zu denken und auch nicht mehr zu ihr zurück zu wollen, würde Markus gerne wieder zu seiner Mutter

ziehen - allerdings nur zusammen mit seinen Brüdern. Eine gewisse Entfremdung - verstärkt noch durch negative Äußerungen des Vaters über die Mutter - sei im Hinblick darauf, daß die Kinder zum Teil schon eineinhalb Jahre von ihr getrennt lebten, natürlich. Es sei aber anzunehmen, daß sie sich nach einer gewissen Eingewöhnungszeit bei ihr wieder wohl fühlten; sie würden dort in einer ruhigeren und ausgeglicheneren Umgebung aufwachsen und dort auch lernen, andere Meinungen zu akzeptieren.

Bei ihrer Anhörung am 21. August 1987 erklärten die beiden älteren Kinder Bernd und Markus folgendes:

1) Der damals bereits 13-jährige Bernd: "...... Ich bin eigentlich viel lieber bei meinem Papa. Es gefällt mir bei ihm viel besser als bei der Mama. Sie hat manchmal mit mit geschumpfen. Ich mag die Mama eigentlich nicht so gerne. Warum das so ist - außer daß sie manchmal schimpft - fällt mir momentan nicht ein. Außerdem hat mit der Papa erzählt, daß meine Mama einen Freund hat. Er hat ihn mir dann auch einmal gezeigt; ich kenne ihn vom Fußballplatz als Zuschauer.

Darüber befragt, warum es mir beim Papa besser gefällt als bei der Mama, gebe ich an, daß ich den Papa viel lieber habe. Mit ihm geht man auch manchmal in Urlaub, was bei der Mama nicht der Fall war. Auch geht der Papa oft mit mir auf den Fußballplatz. Ich spiele in der Schülermannschaft von Rollfix Dornbirn im Mittelfeld. Dort auf dem Fußballplatz treffe ich auch manchmal die Mama, die dort bedient. Da ich meist kein Geld mithabe, treffe ich sie nur sehr selten.

Wenn ich Lust habe, besuche ich meine Mama zu Hause, zB wenn ich Geburtstag habe. Seit dem Juni bin ich nicht mehr bei ihr gewesen und habe sie auch nicht gesehen. Zum Termin heute bin ich von Papa mit meinem Bruder Markus hergebracht worden. Ich möchte lieber bei meinem Papa bleiben als bei meiner Mama. Ich möchte auch gerne mit meinen Brüdern zusammenbleiben." (ON 66).

2) Der damals 9-jährige Markus: "...... Mir gefällt es sehr gut bei meinen Großeltern. Der Papa ist sehr häufig bei uns und ich darf sogar manchmal mit ihm arbeiten gehen. Hannes geht oft mit Papa, wenn dieser arbeiten geht. Hannes geht zwar in den Kindergarten, geht jedoch meist mit dem Papa danach mit.

Ich habe meinen Papa und die Mama eigentlich gleich lieb, würde aber doch lieber bei meinem Papa bleiben und die Mama häufig besuchen, da es mir beim Papa besser gefällt. Es ist mehr los und es gibt mehr Kinder zum Spielen. Außerdem geht der Papa oft mit uns fort, zB an den Bodensee Schwimmen und Bootfahren. Morgen gehen wir zusammen in den Zirkus.

Die Großeltern sind sehr nett und ich komme gut mit ihnen aus. Im Sommer waren wir mit ihnen in Caorle in den Ferien. Es war ganz toll. Der Papa ist mit uns hinuntergefahren, mußte aber gleich wieder nach Hause, arbeiten.

Die Mama besuche ich manchmal, wenn ich von der Schule komme. Ich rede dann mit ihr und sie spielt mit mir. Ich verstehe mich mit der Mama sehr gut, trotzdem würde ich lieber zusammen mit meinen Brüdern beim Papa bleiben. Ich habe die Mama zwar sehr lieb, aber es gefällt mit halt besser beim Papa.

In meiner Freizeit turne ich. Mein Papa bringt mich mit dem Auto zur Turnhalle Markt und holt mich auch dort ab. Manchmal gehe ich auch zu Fuß. In der Schule habe ich ein gutes Zeugnis gehabt, lauter Einser und Zweier und nur einen Dreier im Rechnen. Zum Geburtstag bekomme ich vom Papa und von der Mama immer sehr schöne Geschenke. Ich möchte bei meinem Papa und bei meinen Großeltern bleiben, möchte aber die Mama wie bisher oft besuchen" (ON 65). Ich rechtlicher Hinsicht führte das Erstgericht aus, daß beide Elternteile nach wie vor annähernd gleich zur Erziehung der Kinder geeignet seien. Da sich zumindest die beiden älteren Kinder nunmehr bereits seit knapp zwei Jahren in dauernder Pflege und Erziehung der väterlichen Großeltern befänden, sei es zu einer gewissen Entfremdung gegenüber der Mutter gekommen. Es könne nicht von ausschlaggebender Bedeutung sein, daß der Vater die Kinder widerrechtlich und gegen die Anordnungen des Gerichtes an sich gebracht habe. Eine Übernahme der Kinder durch die Mutter würde nunmehr eine Verletzung des Grundsatzes der Kontinuität der Erziehung und der Pflege bedeuten. Die Mutter habe vernünftigerweise selbst den Vorschlag unterbreitet, daß sich die Kinder auch weiterhin größtenteils bei den väterlichen Großeltern aufhalten könnten. Die Übertragung des Sorgerechtes an den Vater entspreche daher dem Kindeswohl.

In Abänderung dieses Beschlusses wies das Rekursgericht den väterlichen Antrag auf Übertragung des Sorgerechtes an ihn ab und hob den seine Unterhaltspflicht betreffenden Ausspruch in Punkt 2) des erstgerichtlichen Beschlusses ersatzlos auf. Die vom Vater rechtswidrig herbeigeführte faktische Erziehungs- und Betreuungssituation dürfe bei der Sorgerechtsentscheidung nicht außer Betracht bleiben. Dieses Verhalten des Vaters habe für die Erziehung der Kinder zur Rechtstreue und für das sich erst in der Entwicklung befindliche Wertbewußtsein nachteilige Folgen. Die Verbringung der Kinder durch den Vater sei aber hier gar nicht mit einer wesentlichen Änderung der gewohnten Lebensverhältnisse verbunden gewesen, weil die Kinder schon vorher zu den väterlichen Großeltern guten und engen Kontakt gehabt und sich bei ihnen wohlgefühlt hätten. Die Rechtswidrigkeit des vom Vater herbeigeführten Zustandes könne daher für sich allein einer Übertragung der Elternrechte an ihn nicht entgegenstehen. Demgegenüber sei aber wohl zu berücksichtigen, daß das Anhalten des der bisherigen Sorgerechtsentscheidung zuwiderlaufenden Zustandes auf das verständige und das Wohl der Kinder berücksichtigende Verhalten der Mutter zurückzuführen sei. Zu deren Gunsten sei nunmehr auch insofern eine Änderung eingetreten, als im nachehelichen Aufteilungsverfahren eine Übertragung des Hälfteanteils des Vaters am gemeinsam errichteten Einfamilienhaus an sie stattgefunden habe. Dabei habe auch die Erwägung, ihr die Eigenpflege der Kinder zu ermöglichen, eine Rolle gespielt. Der Pflege und Erziehung bei der Mutter sei aber gegenüber jener bei den väterlichen Großeltern der Vorzug zu geben. Der Vater könne eine solche Eigenpflege schon auf Grund seiner beruflichen Tätigkeit nicht besorgen; er sei auch als Erzieher nicht besser geeignet als die Mutter. Der Äußerung der Kinder, lieber beim Vater bzw. bei dessen Eltern bleiben zu wollen, komme keine entscheidende Bedeutung zu, weil Grund für die Annahme bestehe, daß der Vater im Rahmen seiner eigenen Interessenverfolgung die Kinder bewußt gegen die Mutter beeinflußt habe. Nach der im Aufteilungsverfahren ergangenen Entscheidung ergebe sich die Frage, wie weit seine künftige Wohnungsnahme nicht auch die Verhältnisse für die Kinder verändern könnte.

Dagegen richtet sich der Revisionsrekurs des Vaters mit dem Antrag auf Wiederherstellung des erstgerichtlichen Beschlusses, hilfsweise auf Beschlußaufhebung.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist nicht berechtigt.

Beide Vorinstanzen haben richtig erkannt, daß bei der Zuteilung der elterlichen Rechte und Pflichten nach § 144 ABGB das Kindeswohl ausschlaggebend ist (EFSlg 48.420 uva). Dabei sind aber auch alle sonstigen bei beiden Elternteilen bestehenden Umstände, wie etwa die Möglichkeit der Unterbringung und Betreuung, die emotionellen Bindungen, die Persönlichkeit und die erzieherische Eignung sowie die Bereitschaft jedes Elternteiles, Verantwortung für die Kinder zu tragen, gegenüberzustellen und sorgfältig gegeneinander abzuwägen. Von diesen Grundsätzen ausgehend, haben sich in der Rechtsprechung zwar gewisse Leitlinien herausgebildet, wie etwa bei Gleichwertigkeit der Vorrang der mütterlichen Erziehung bei Kleinkindern, der Vorzug eines gemeinsamen Aufwachsens von Geschwistern und die Wahrung der Kontinuität der Erziehung. Diese Grundsätze dürfen aber nie verallgemeinert werden; ihre Berechtigung ist in jedem Fall auf Grund der faktisch gegebenen Situation zu prüfen. Bei einer Kollision verschiedener Leitgedanken kommt es auf die vorzunehmende Gesamtschau an (EFSlg 48.422). Soll - wie im vorliegenden Fall - die Änderung einer bereits getroffenen Regelung erfolgen, so darf dies grundsätzlich nur wegen einer sonst drohenden Gefährung des Kindeswohles geschehen (Pichler in Rummel, ABGB, Rz 2 zu § 177 mwH auf Lehre und Rechtsprechung).

Bei Anwendung dieser Grundsätze ergibt sich, daß die Vorinstanzen zunächst zutreffend und auch von sämtlichen Beteiligten unbekämpft vom Grundsatz des gemeinsamen Aufwachsens der drei Geschwister ausgegangen sind. Dabei ist jedoch überhaupt nicht beachtet worden, daß der jüngste Sohn Hannes noch nicht sechs Jahre alt ist. Für ein Kind im Kindergartenalter bzw. im Alter eines Volksschulanfängers ist aber im allgemeinen die Erziehung durch die Mutter wichtiger und zielführender als die Betreuung durch den Vater und die Großeltern. Daß hier ein Ausnahmefall vorläge, der eine andere Beurteilung zuließe, kann den getroffenen Feststellungen nicht entnommen werden, zumal die Mitnahme auch des jüngsten Sohnes auf Baustellen im Rahmen der Berufsausübung des Vaters keine geeignete Erziehungsmaßnahme sein kann.

Auch die vom Vater in den Vordergrund gestellte Forderung nach einer Kontinuität der Kindererziehung entspringt dem Gedanken des Kindeswohles, weil nach der Lebenserfahrung die Stetigkeit und Dauer Grundbedingungen für eine erfolgreiche und damit dem Wohl der Kinder dienende Erziehung sind. Aus diesem Grund darf aber auch der Grundsatz der Kontinuität der Erziehung nicht um seiner selbst willen aufrechterhalten werden; auch er ist dem Wohl der Kinder unterzuordnen (6 Ob 583/83; 7 Ob 536/87; 7 Ob 619/87 ua). Das Rekursgericht hat daher zutreffend erkannt, daß im vorliegenden Fall die Verbringung der Kinder durch den Vater zu seinen Eltern, die für sie schon vorher wichtige Bezugspersonen gewesen waren, ihrem Wohl zunächst eher förderlich war. Die nach der Ehescheidung verfeindeten Eltern hatten ja damals noch beide in dem von ihnen gemeinsam errichteten Einfamilienhaus gewohnt, so daß eine gedeihliche Erziehung und Pflege der Kinder durch die Mutter unter diesen Umständen, bedingt durch die räumlichen Naheverhältnisse und unter Berücksichtigung der Persönlichkeitsstruktur des Vaters, wohl schwerlich möglich gewesen wäre. Der Vater hat nämlich von Anfang an gezeigt, daß er dazu neigt, nur seine eigenen Interessen in den Vordergrund zu stellen und unter allen Umständen die Erziehungsgewalt über die Kinder auszuüben; auch schreckte er im Streit mit seiner geschiedenen Ehegattin nicht vor Tätlichkeiten zurück, derentwegen er sogar strafgerichtlich verurteilt worden ist. Die Ausübung der faktischen Erziehungsgewalt über die Kinder erreichte der Vater durch die entgegen der vorläufigen Sorgerechtsentscheidung vom 3. Juli 1985 vorgenommene Verbringung der Kinder zu seinen Eltern, und er nützte sie nach dem Erhebungsbericht der Bezirkshauptmannschaft Dornbirn dazu aus, die Kinder über die Mutter nur Negatives hören zu lassen und sie darauf zu verweisen, daß diese nicht so viel Geld habe und ihnen Dinge, die sie bei ihm genössen, wie beispielsweise Flugreisen, nicht bieten könne. Es kann daher entgegen der Meinung der Vorinstanzen das Verhalten des Vaters im Zusammenhang mit dem nunmehrigen Verbleib der Kinder nicht unberücksichtigt bleiben. Zwar darf die Entscheidung über die Elternrechte nicht als Strafmaßnahme für ein rechtswidriges Verhalten eines Elternteiles angesehen werden; doch können aus einem solchen Verhalten im Einzelfall sehr wohl Schlüsse im Hinblick auf das Wohl der Kinder gezogen werden (ÖA 1985, 142; 7 Ob 619/87). In diesem Sinne muß unter den konkreten Umständen durchaus bezweifelt werden, ob eine Person, die sich ohne weiteres über Rechtsgrundsätze hinwegsetzt und dies noch dazu dahin ausnützt, um den Kontakt der Kinder zu ihrer Mutter zu unterbinden oder zumindest zu erschweren, indem er sie vor ihnen schlecht macht und rücksichtslos seine eigene bessere Einkommenssituation ins Spiel bringt, für die Kindererziehung geeignet ist. Selbst wenn man dem Vater hier zubilligt, er sei subjektiv der Meinung gewesen, im Interesse der Kinder zu handeln, würde dies nicht für ihn sprechen, sondern dur dartun, daß er dazu neigt, seine eigenen Interessen und Sympathien mit den Interessen der Kinder zu verwechseln. Wer dazu neigt, im Streit mit seinem geschiedenen Ehegatten Maßnahmen zu treffen, die sich nachteilig auf die gemeinsamen Kinder auswirken können, wird im allgemeinen nicht der geeignetste Erzieher der Kinder sein (7 Ob 619/87).

Entscheidend für die im Wege einer Gesamtschau vorzunehmende Zukunftsprognose (vgl. EFSlg 48.422) ist aber der vom Rekursgericht durchaus zutreffend hervorgehobene Umstand, daß nunmehr durch die zwischenzeitig in Rechtskraft erwachsene Entscheidung im nachehelichen Aufteilungsverfahren die Möglichkeit der Unterbringung und Betreuung der Kinder durch die Mutter im eigenen Haus ohne unmittelbaren räumlichen Kontakt mit dem Vater geschaffen wurde. Die Mutter hat bereits durch ihr bisheriges Verhalten gezeigt, daß sie im Gegensatz zum Vater sehr wohl bereit ist, die eigenen Interessen dem Wohl der Kinder unterzuordnen; schon aus diesem Grund muß ihr eine bessere erzieherische Eignung zugebilligt werden. Da sich der Vater nun eine neue Wohnmöglichkeit suchen muß, ist auch unter diesem Aspekt der derzeit bestehende faktische Zustand in Frage gestellt. Dies bestätigt auch sein - wenngleich unter das Neuerungsverbot fallende (EFSlg 47.133) - Vorbringen im Revisionsrekurs, er habe nunmehr ein Einfamilienhaus in Kehlegg 110 gekauft, um den Kindern ein "neues Heim und neues Zuhause zu geben". Ebenso hat das Rekursgericht richtig erkannt, daß der von den beiden älteren Kindern geäußerte Wunsch allein nicht den Ausschlag geben kann. Die Anhörung der Kinder - zumindest diejenige des noch nicht mündigen Minderjährigen - dient nämlich dazu, aus der Sicht und den Empfindungen des Kindes die entscheidungswesentlichen Umstände zu erkennen und ins Klare zu setzen (EFSlg 45.890). Danach zeigt aber gerade der damals neunjährige Markus das Bild eines zwischen den beiden Elternteilen hin- und hergerissenen Kindes, für das letztlich die durch die Finanzkraft des Vaters gebotenen Annehmlichkeiten den Ausschlag bildeten. Der 13-jährige Bernd hingegen ist seiner Mutter bereits weitgehend entfremdet. Dennoch kann seine Äußerung im Hinblick auf den jüngsten Bruder Hannes, für den altersbedingt der Bezug zur Mutter noch besonders wichtig ist, nicht ausschlaggebend sein. Es darf vielmehr im Sinne des Erhebungsberichtes der Bezirkshauptmannschaft Dornbirn auf Grund des bisherigen verständnisvollen Verhaltens der Mutter erwartet werden, daß sich auch Bernd nach einer gewissen Eingewöhnungszeit bei ihr wieder wohlfühlen wird.

Zusammenfassend kann daher gesagt werden, daß bei Berücksichtigung aller Umstände das Kindeswohl keineswegs gefährdet ist, wenn es bei der bisherigen Sorgerechtszuteilung an die Mutter verbleibt. Die Abweisung des auf eine Änderung der Regelung gerichteten Antrages des Vaters durch das Rekursgericht erweist sich somit als gerechtfertigt.

Der Revisionsrekurs mußte aus diesem Grunde erfolglos bleiben.

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