OGH 10ObS30/88

OGH10ObS30/888.3.1988

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Resch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier und Dr. Bauer sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Ernst Chlan und Mag. Michael Zawodsky als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Gertrude A***, Gmündstraße 3/111/9, 1210 Wien, vertreten durch Dr. Wilfried Lefford, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei P*** DER A***, Roßauer Lände 3, 1092 Wien, im Revisionsverfahren nicht vertreten, wegen Invaliditätspension infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 28. Oktober 1987, GZ 31 Rs 176/87-33, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 23. März 1987, GZ 1 b Cgs 76/86-24, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird aufgehoben. Die Rechtssache wird zur Ergänzung des Verfahrens und neuerlichen Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen, das auf die Kosten des Revisionsverfahrens gleich Verfahrenskosten zweiter Instanz Bedacht zu nehmen haben wird.

Text

Begründung

Die Klägerin begehrte die Gewährung einer Invaliditätspension ab Antragstag (17. April 1986). Zufolge von gesundheitsbedingten Einschränkungen ihrer Leistungsfähigkeit sei sie nicht in der Lage einer geregelten Beschäftigung nachzugehen. In der Zeit vom 11. Februar 1980 bis 20. April 1984, während der die Klägerin beim Verein Wiener Sozialdienste als Heimhilfe beschäftigt gewesen sei, habe sie sich 54 Wochen im Krankenstand befunden. Nach Beendigung dieser Tätigkeit seien weitere Krankenstände in der Dauer von 392 Tagen aufgetreten. Im Hinblick auf die Dauer dieser Krankenstände sei sie invalid.

Die beklagte Partei beantragte die Abweisung der Klage. Das Erstgericht wies das Begehren der Klägerin ab. Dabei legte es seiner Entscheidung im wesentlichen nachstehenden Sachverhalt zugrunde:

Die am 31. Dezember 1938 geborene Klägerin war bisher als Raumpflegerin, Süßwarenarbeiterin, Bedienerin, Lagerarbeiterin und Heimhilfe tätig. Der derzeitige Zustand der Klägerin läßt das Verrichten von leichten Arbeiten im Sitzen, Stehen und Gehen in der normalen Arbeitszeit mit den üblichen Pausen zu. Die Verrichtung von Arbeiten unter besonderem Zeitdruck ist ebenso zu vermeiden, wie das Arbeiten in Nässe und Kälte und in gebückter Haltung. Dieser Zustand besteht seit Antragstellung. Ausgehend von diesen Einschränkungen ist die Klägerin beispielsweise in der Lage, als Monteurin in der Metallindustrie, sowie als Hilfskraft in der Süßwaren- oder Kunststoffindustrie tätig zu sein. Bei Ausübung von nur leichten Arbeiten ist das Auftreten weiterer Krankenstände in größerer Häufigkeit mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht zu erwarten.

Hieraus zog das Erstgericht den Schluß, daß die Voraussetzungen für die begehrte Leistung nicht erfüllt seien, da die Klägerin weiterhin auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verweisbar sei. Gegen dieses Urteil erhob die Klägerin Berufung, wobei sie sich im Rahmen der Ausführungen zum Berufungsgrund der mangelhaften Sachverhaltsfeststellungen vor allem dagegen wendete, daß das Erstgericht zum Ergebnis gelangte, daß das Auftreten von Krankenständen in größerer Häufigkeit in Zukunft mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auszuschließen sei; diese Feststellung des Erstgerichtes entbehre jeder Grundlage; ausgehend vom bestehenden Leidenszustand sei sehr wohl zu erwarten, daß auch weiterhin Krankenstände im selben Umfang auftreten wie bisher; lege man dies zugrunde, so sei eine Verweisung auf den Arbeitsmarkt ausgeschlossen.

Das Berufungsgericht gab der Berufung nicht Folge. Die Klägerin habe im Verfahren lediglich vorgebracht, daß in der Vergangenheit längere Krankenstände aufgetreten seien, jedoch keine Behauptung aufgestellt, daß solche Krankenstände auch in Zukunft zu erwarten seien. Die Prüfung dieser Frage sei daher entbehrlich. Ausgehend vom medizinischen Leistungskalkül habe das Erstgericht das Begehren der Klägerin zu Recht abgewiesen.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der Klägerin aus dem Revisionsgrund der Aktenwidrigkeit, der Mangelhaftigkeit des Verfahrens und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag es im Sinne einer Klagestattgebung abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die beklagte Partei hat sich am Revisionsverfahren nicht beteiligt.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist berechtigt.

Eine Aktenwidrigkeit liegt allerdings nicht vor. Der Revisionsgrund des § 503 Abs 1 Z 3 ZPO liegt nur vor, wenn zwischen den tatsächlichen Voraussetzungen des Urteils und dem Inhalt der Prozeßakten ein wesentlicher Widerspruch besteht. Die Frage, ob ein Vorbringen auch eine Prozeßbehauptung umfaßt, ist jedoch keine Tatfrage, sondern eine Rechtsfrage.

Zutreffend wendet sich die Revisionswerberin dagegen, daß das Berufungsgericht davon ausgegangen ist, das Prozeßvorbringen der Klägerin umfasse nicht die Behauptung, daß auch künftig Krankenstände auftreten werden. Die Klägerin hat vorgebracht, daß sie in der Zeit vom 11. Februar 1980 bis 20. April 1984 beim Verein Wiener Sozialdienste als Heimhilfe beschäftigt gewesen sei und während dieser Zeit sich berechtigterweise 54 Wochen im Krankenstand befunden habe. Sie sei als invalid anzusehen, weil die jährlich anfallenden Krankenstände zusammen mit dem Urlaubsanspruch mehr als vier Monate betragen hätten. Auch nach Beendigung dieser Tätigkeit seien weitere Krankenstände in der Dauer von 392 Tagen aufgetreten. Wenn die Klägerin auch in ihrem Vorbringen auf die künftige Entwicklung nicht ausdrücklich Bezug genommen hat, hat sie doch damit ihr Begehren auch auf die Behauptung gestützt, daß sie wegen häufiger Krankenstände vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen sei. Da dies nicht von vornherein ausgeschlossen werden kann, kommt aber der Frage, ob und in welcher Dauer Krankenstände in Zukunft zu erwarten sind, entscheidende Bedeutung zu.

Das Erstgericht hat - im Rahmen der Ausführungen zur rechtlichen Beurteilung - hiezu die offenbar auf das in der mündlichen Streitverhandlung zu dieser Frage ergänzte Sachverständigengutachten gestützte Feststellung getroffen, daß bei Verrichtung von leichten Arbeiten Krankenstände in größerer Häufigkeit mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auszuschließen seien. Das Berufungsgericht hat jedoch, ausgehend von der - wie oben dargestellt - nicht zutreffenden Ansicht, daß ein entsprechendes Prozeßvorbringen nicht vorliege, die gegen die Richtigkeit dieser Feststellungen erhobene Rüge der Klägerin nicht behandelt und die angefochtene Feststellung nicht als Grundlage seiner Entscheidung übernommen. Da diese Frage jedoch von entscheidungswesentlicher Bedeutung ist, leidet das Berufungsverfahren an einem Mangel der zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung führen mußte. Der Kostenvorbehalt stützt sich auf § 52 ZPO.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte