OGH 2Ob514/88

OGH2Ob514/8816.2.1988

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Scheiderbauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kralik, Dr. Vogel, Dr. Melber und Dr. Kropfitsch als Richter in der Pflegschaftssache des mj. Oliver Z***, geboren am 31. Jänner 1981, infolge Revisionsrekurses der Mutter Manuela W***, Melangasse 1/85/1, 1220 Wien, vertreten durch Dr. Peter Zauner, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Beschluß des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgerichtes vom 11. November 1987, GZ 44 R 3571/87-98, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Floridsdorf vom 12. August 1987, GZ 2 P 144/85-88, aufgehoben wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung

Die Ehe der Eltern des am 31. Jänner 1981 geborenen Oliver Z*** wurde mit Beschluß des Bezirksgerichtes Floridsdorf vom 15. März 1983 gemäß § 55 a EheG geschieden. Anläßlich der Ehescheidung schlossen die Eltern am 15. März 1983 einen Vergleich, mit dem sie unter anderem vereinbarten, daß die Elternrechte zu diesem, i.d dem Vater allein zustehen. Dieser Vergleich wurde pflegschaftsbehördlich genehmigt. Das Kind wächst seither im Haushalt des Vaters auf. Der Mutter wurde zuletzt mit Beschluß vom 30. April 1987 (ON 77) ein Besuchsrecht zu dem Kind am 1. und 3. Sonntag eines jeden Monates in der Zeit von 13 bis 18 Uhr eingeräumt.

Am 14. Juli 1987 (ON 83) stellte die Mutter mit der Begründung, sie habe das ihr eingeräumte Besuchsrecht schon viermal hintereinander nicht ausüben können, weil der Vater dies unter allerlei Vorwänden verhindere, den Antrag, über den Vater eine angemessene Ordnungsstrafe zur Durchsetzung ihres Besuchsrechtes zu verhängen.

Das Erstgericht verhängte mit Beschluß vom 12. August 1987 (ON 88) über den Vater zur Durchsetzung des mit Beschluß vom 30. April 1987 geregelten Besuchsrechtes eine Beugestrafe von S 4.000,--. Es ordnete an, daß der Vollzug der Beugestrafe bis 15. November 1987 aufgeschoben wird, und daß von der Einbringung der Beugestrafe abgesehen wird, wenn der Vater bis 15. November 1987 bescheinigt, daß das Besuchsrecht der Mutter bis Ende Oktober 1987 viermal ohne im Einflußbereich des Vaters liegende Hindernisse ausgeübt werden konnte.

Das Erstgericht stellte im wesentlichen fest, daß die Mutter das Kind seit der Regelung des Besuchsrechtes mit dem Beschluß vom 30. April 1987 noch kein einziges Mal mitnehmen konnte. Entweder war das Kind zu den Besuchsterminen auf Urlaub oder es erklärte (zumindest zweimal), daß es nicht mit der Mutter mitgehen wollte. Der Vater gibt der Mutter nicht einmal die Gelegenheit, kurze Zeit allein mit dem Kind zu sprechen. Nach der Erklärung des Kindes, daß es nicht mitgehen wolle, schließt er meist sofort die Tür. Am 5. Juli 1987 öffnete er auf das Läuten der Mutter die Wohnungstür und rief dann das Kind, das in seinem Beisein zur Mutter sagte, es wolle lieber zu Hause bleiben, weil es gerade mit der Autobahn spiele. Als die Mutter den Wunsch äußerte, kurz allein mit dem Kind zu sprechen, sagte ihr der Vater, dies sei nicht möglich, er lasse sie nicht allein mit dem Kind reden. Dann schloß er die Tür gerade in dem Moment, als das Kind auf die Mutter zugehen wollte, um ihr wenigstens einen Kuß zu geben.

Rechtlich führte das Erstgericht im wesentlichen aus, daß keine geänderten Verhältnisse gegeben seien, die ein Abgehen von der getroffenen Besuchsrechtsregelung rechtfertigten. Der Vater sei verpflichtet, das Kind durch positive Beeinflussung dazu zu bringen, daß es mit der Mutter mitgehe. Es sei seine Sache, daß das Kind auf die Besuchstermine entsprechend vorbereitet und erforderlichenfalls rechtzeitig vom intensiven Spiel gelöst werde. Da der Vater zumindest zweimal der getroffenen Besuchsrechtsregelung zuwidergehandelt habe, sei diese gemäß § 19 AußStrG mit angemessenen Zwangsmitteln durchzusetzen. Zu diesem Zweck sei über den Vater eine Beugestrafe zu verhängen, die nur vollzogen werde, wenn das Besuchsrecht auch weiterhin nicht eingehalten werde. Die vorläufige Nichteinhebung der verhängten Strafe stelle einen Anreiz dar, der den Vater eher zur Einhaltung des Besuchsrechtes veranlassen könnte als eine unbedingte Geldstrafe. Die Höhe der verhängten Strafe sei angemessen.

Am 23. September 1987 langte ein Antrag des Vaters auf Aberkennung des Besuchsrechtes der Mutter beim Erstgericht ein (ON 89).

Den Beschluß des Erstgerichtes ON 88 bekämpfte der Vater mit Rekurs, in dem er nicht nur die Richtigkeit der vom Erstgericht getroffenen Feststellungen bekämpfte, sondern auch - zum Teil unter Hinweis auf sein Vorbringen in seinem Antrag ON 89 - verschiedene Neuerungen geltend machte, so etwa Vorfälle aus Anlaß der Besuchsrechtsausübung der Mutter am 7. Juni und 21. Juni 1987, aus denen er ableitete, das Kind werde durch die Ausübung des Besuchsrechtes der Mutter derart psychisch beeinträchtigt, daß es seinem Wohl widerspreche, der Mutter die Ausübung ihres Besuchsrechtes zu ermöglichen.

Das Rekursgericht gab mit dem angefochtenen Beschluß diesem Rechtsmittel des Vaters Folge und behob den Beschluß des Erstgerichtes.

Das Rekursgericht führte im wesentlichen aus, daß Entscheidungen des Pflegschaftsgerichtes über die Besuchsrechtsausübung nur so weit Rechtskraftwirkung hätten, als keine Änderung der Verhältnisse eintrete. Die Bestimmung des § 19 Abs 1 AußStrG lasse nur die Anwendung angemessener Zwangsmittel zu und schließe unter Umständen die Anwendung von Zwangsmitteln zumindest vorübergehend aus. Das Gericht habe im Pflegschaftsverfahren bei einer Maßnahme nach § 19 Abs 1 AußStrG zu prüfen, ob diese dem Interesse des Kindes diene, das nicht Objekt, sondern Subjekt des Verfahrens sei. Es sei zu prüfen, ob und welche Maßnahmen unter Berücksichtigung des vorrangigen Kindeswohles getroffen werden sollten bzw. müßten. Dabei könne es auch durchaus im Interesse des Kindes liegen, Zwangsmaßnahmen vorläufig zu verweigern oder zu vermeiden. Im vorliegenden Rechtsstreit sei von Bedeutung, daß der Vater einen Antrag auf Aberkennung des Besuchsrechtes der Mutter gestellt habe. Da dieser Antrag nach Erlassung des angefochtenen Beschlusses gestellt worden sei, sei dies primär kein Argument für die Unzulässigkeit von Zwangsmaßnahmen im Sinne des § 19 AußStrG. Für die Zukunft werde aber zu beachten sein, daß Maßnahmen zur Erzwingung des bisher angeordneten Besuchsrechtes vor einer neuerlichen Entscheidung über dieses nicht angeordnet werden dürften. Im übrigen habe das Erstgericht einen bedingten Beschluß erlassen, der verfahrensrechtlichen Bestimmungen fremd sei. Da die gewählte Zwangsmaßnahmendurchsetzungsform dem Wohl des Kindes widerstreite und auch verfahrensrechtlich unzulässig sei, sei der Beschluß des Erstgerichtes zu beheben.

Gegen diese Entscheidung des Rekursgerichtes richtet sich der Revisionsrekurs der Mutter mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluß im Sinne der Wiederherstellung der Entscheidung des Erstgerichtes abzuändern.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zulässig, sachlich aber im Ergebnis nicht berechtigt.

Die Durchsetzung einer im Außerstreitverfahren ergangenen Verfügung auf dem durch § 19 Abs 1 AußStrG vorgesehenen Weg ist, wie der Oberste Gerichtshof in EvBl 1982/78 ausführlich darlegte, vor allem dadurch gekennzeichnet, daß die Vollzugsmaßnahmen

1) zwar ohne Bindung an ein geschlossenes System gesetzlich vorgenormter Exekutionsmittel,

2) aber unter Beschränkung auf die nach der - gemäß § 2 Abs 2 Z 5 und Z 6 AußStrG zu erhebenden - tatsächlichen Sachlage gebotenen und erfolgversprechenden Maßnahmen,

3) ausschließlich zur Bewirkung einer mit den dem Leistungsbefehl zugrundeliegenden rechtlichen Interessen übereinstimmenden Lebenswirklichkeit - und nicht etwa als reine Strafmaßnahme -,

4) von dem Gericht, das zur Erlassung und zur allfälligen Abänderung oder Aufhebung des durchzusetzenden Leistungsbefehles berufen ist,

5) soweit die Ausführung der getroffenen Regelung der gerichtlichen Überprüfung unterliegt (§ 2 Abs 2 Z 9 AußStrG), auch ohne formellen Antrag eines aus dem Titel Berechtigten,

  1. 6) ohne weiteres rechtliches Verfahren und
  2. 7) unter Wahrung der Interssen aller Beteiligten, aber unter Hintansetzung von schädigender Zweifelsucht und Ängstlichkeit (§ 2 Abs 3 Z 10 AußStrG) anzuordnen sind.

    Dabei kann im Einzelfall ein Widerstreit der grundsätzlichen Interessen an einem unmittelbaren und raschen Vollzug einerseits und an der tunlichsten Vermeidung materiell unangemessener Vollzugsakte andererseits bestehen, den das Gericht mangels näherer Ausnormung des Verfahrens nach richterlichem Ermessen zu lösen hat. Bei der Gestaltung des im § 148 Abs 1 ABGB geregelten Rechtes auf persönlichen Verkehr steht das an den im § 178 a ABGB genannten Umständen zu beurteilende Wohl des Kindes im Vordergrund; auch die Interessen des pflegeberechtigten Elternteiles an der Vermeidung unerträglicher Störungen seiner Beziehungen zum Kind gehen dem Interesse des nicht pflegeberechtigten Elternteiles am persönlichen Verkehr mit dem Kind vor. Es ist daher von der Anordnung jeder Vollzugsmaßnahme im Sinne des § 19 Abs 1 AußStrG abzusehen, wenn sie - ungeachtet formell aufrechten Bestandes des Titels - dem Kindeswohl zuwiderliefe oder die Beziehung des Kindes zum pflegeberechtigten Elternteil unerträglich störte (EvBl 1982/78; EFSlg 44.716 ua).

    Im vorliegenden Fall ist der vom Vater - nach Erlassung des hier in Frage stehenden Beschlusses des Erstgerichtes - gestellte Antrag, der Mutter das Besuchsrecht zu entziehen, an sich kein Grund, von der Durchsetzung des der Mutter bisher zustehenden Besuchsrechtes nach § 19 AußStrG abzusehen (siehe dazu EFSlg 50.019). Unter den dargelegten rechtlichen Gesichtspunkten erscheint aber entscheidend, daß der Vater in seinem Rechtsmittel gegen die Entscheidung des Erstgerichtes (zulässigerweise im Sinne des § 10 AußStrG) unter Anführung konkreter Tatsachenbehauptungen und zum Teil unter Hinweis auf sein Vorbringen in seinem Antrag auf Aberkennung des Besuchsrechtes der Mutter ON 89 geltend machte, daß das Kind durch die Ausübung des Besuchsrechtes der Mutter derart psychisch beeinträchtigt werde, daß die Durchsetzung des bisher der Mutter eingeräumten Besuchsrechtes eindeutig dem Wohl des Kindes widerspreche. Diesen Argumenten des Vaters kann von vornherein weder die tatsächliche Richtigkeit noch die rechtliche Relevanz abgesprochen werden.

    Schon aus diesem Grund erfolgte die Aufhebung des Beschlusses des Erstgerichtes im Ergebnis zu Recht. Sollte sich nämlich - was im fortgesetzten Verfahren zu prüfen sein wird - im Sinne der Behauptungen des Vaters herausstellen, daß durch die Ausübung des der Mutter bisher zuerkannten Besuchsrechtes das Wohl des Kindes ernstlich beeinträchtigt wird, dann dürfte dieses Besuchsrecht im Sinne obiger Rechtsausführungen nicht durch Zwangsmittel nach § 19 Abs 1 AußStrG durchgesetzt werden.

    Dem Revisionsrekurs der Mutter muß daher ein Erfolg versagt bleiben.

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