OGH 10ObS25/88

OGH10ObS25/889.2.1988

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Resch als Vorsitzenden, durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier und Dr. Angst als weitere Richter und durch die fachkundigen Laienrichter Dr. Johann Herbst und Reinhold Ludwig in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Ingrid P***, Angestellte, 4073 Wilhering, Leitenweg 2, vor dem Obersten Gerichtshof nicht vertreten, wider die beklagte Partei A*** U***, 1200 Wien, Adalbert

Stifter-Straße 65, vertreten durch Dr. Adolf Fiebich, Dr. Vera Kremslehner und Dr. Josef Milchram, Rechtsanwälte in Wien, wegen Versehrtenrente, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 29. Oktober 1987, GZ 13 Rs 1130/87-12, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Linz als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 1. Juli 1987, GZ 13 Cgs 1038/87-9, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Text

Entscheidungsgründe:

Mit am 29. Jänner 1987 zugestelltem Bescheid vom 27. Jänner 1987 lehnte die beklagte Partei den Anspruch der Klägerin auf Entschädigung aus Anlaß des Unfalls vom 26. September 1986 mit der Begründung ab, daß es sich um keinen Arbeitsunfall gehandelt habe. In der dagegen am 18. Februar 1987 rechtzeitig an das Erstgericht zur Post gegebenen Klage behauptete die Klägerin, sie sei am 26. September 1986 auf dem Heimweg von der Arbeit auf den Stufen vor ihrer Haustür gestürzt und habe sich eine Schenkelhalsfraktur zugezogen, die zu einer Minderung der Erwerbsfähigkeit um 20 v.H. geführt habe. Sie begehrte daher die Verurteilung der beklagten Partei zur Zahlung einer 20 %igen Versehrtenrente im gesetzlichen Ausmaß ab 2. Februar 1987. Die beklagte Partei beantragte die Abweisung der Klage, weil sich der Unfall innerhalb des umzäunten Privatgrundstückes auf der letzten Stufe der Außenstiege zum Hauseingang und damit schon im eigenwirtschaftlichen Bereich der Klägerin ereignet habe. Das Erstgericht sprach aus, daß die Klägerin ab 2. Februar 1987 aus Anlaß des Arbeitsunfalls vom 26. September 1986 Anspruch auf eine Versehrtenrente von 20 v.H. der Vollrente habe (Punkt 1.) und trug der beklagten Partei bis zur Erlassung des die Höhe der Leistung festsetzenden Bescheides eine vorläufige monatliche Zahlung von S 500,-- auf.

Es stellte im wesentlichen fest:

Die bei der Oberösterreichischen Gebietskrankenkasse in Linz, Gruberstraße 77, als Angestellte beschäftigte Klägerin benützt für die Wege zur und von der Arbeitsstätte ihren eigenen PKW. Am 26. September 1986 fuhr sie nach Dienstschluß um 14 Uhr 30 mit ihrem PKW direkt nach Hause (zu ihrem Einfamilienhaus in Wilhering, Leitenweg 2), wo sie gegen 15 Uhr ankam. Sie stellte den PKW auf dem freien Platz (öffentliches Gut) vor dem Garagentor der mit der Straße niveaugleichen, im Erdgeschoß des Wohnhauses integrierten und zur Gänze überbauten Garage ab, wo sie ihn an diesem Tag stehen lassen wollte. Dann stieg sie aus und ging durch das straßenseitige Gartentor, von dem einige Stufen zur Hauseingangstür und in den etwas über dem Straßenniveau liegenden Garten führen. Auf der letzten Stufe vor der Hauseingangstür stolperte sie, stürzte auf die rechte Hüfte und zog sich dabei einen Schenkelhalsbruch zu. Nach stationärer Behandlung mit gedeckter Verschraubung und ambulanter Kontrolle ist sie seit 2. Februar 1987 wieder arbeitsfähig. Wegen der im einzelnen festgestellten unfallbedingten Veränderungen beträgt die Minderung der Erwerbsfähigkeit seit 2. Februar 1987 20 v.H.

Rechtlich beurteilte das Erstgericht den Unfall als Arbeitsunfall nach § 175 Abs. 2 Z 1 ASVG, weil der mit der Beschädigung zusammenhängende Weg von der Arbeitsstätte grundsätzlich erst bei der Tür des Wohnhauses und nicht schon an der vorgelagerten Grundstücksgrenze ende.

In der Berufung wendete sich die beklagte Partei nur gegen diese Rechtsansicht und vertrat die Meinung, daß bei Einfamilienhäusern der ausschließlich von der Gestaltungsmöglichkeit des Hauseigentümers bestimmte Stiegenaufgang vom Gartentor zum Haustor dem privaten Bereich des Hauseigentümers zuzurechnen sei. Sie beantragte, das angefochtene Urteil im klageabweisenden Sinne abzuändern oder es allenfalls aufzuheben.

Das Berufungsgericht gab der Berufung nicht Folge und trat der Rechtsansicht des Erstgerichtes bei.

Dagegen richtet sich die Revision der beklagten Partei wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung der Sache mit den Anträgen, das angefochtene Urteil im klageabweisenden Sinne abzuändern oder es allenfalls aufzuheben.

Die Klägerin erstattete keine Revisionsbeantwortung.

Rechtliche Beurteilung

Die nach § 46 Abs. 4 ASGG ohne die Beschränkungen des Absatzes 2 dieser Gesetzesstelle zulässige Revision ist nicht berechtigt. Nach § 175 Abs. 2 erster Halbsatz ASVG sind Arbeitsunfälle auch Unfälle, die sich auf einem mit der die Versicherung begründenden Beschäftigung zusammenhängenden Weg zur oder von der Arbeits- oder Ausbildungsstätte ereignen.

Nach einhelliger Lehre und Rechtsprechung beginnt bzw. endet der Versicherungssschutz an der Außenfront des Wohnhauses, also in der Regel an dem ins Freie führenden Haustor (Haustür) oder Garagentor, nicht aber erst bzw. schon an der nicht mit der Außenfront des Wohnhauses übereinstimmenden Grenze der Baufläche etwa zum öffentlichen Gut (vgl. für die österreichische Lehre insbesondere Tomandl, Der Wegunfall in Sozialversicherung, Grenzen der Leistungspflicht (1975); derselbe, Das Leistungsrecht der Unfallversicherung (1977), 39 f; derselbe, SV-System 3.ErgLfg 291 f;

MGA ASVG 45.ErgLfg, 931 f; für die deutsche Lehre insbesondere Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung II 60. Nachtrag, 485 o bis qI; Lauterbach, Unfallversicherung3 35.Lfg Anm. 11 zu § 550 RVO;

Podzun, Unfallsachbearbeiter3 070/2 f; für die österreichische Rechtsprechung insbesondere SSV 11/110, 18/96; SVSlg. 29.063;

SSV 23/68 und 116, 25/15; für die deutsche Rechtsprechung insbesondere BSG Bd 22 S. 240; Bd 24 S. 243 = NJW 1966 S. 1775;

NJW 1968 S. 957; Bd 42 S. 293).

Diese praktisch einhellige Abgrenzung wird dem mit der gesetzlichen Unfallversicherung beabsichtigten Zweck, den Versicherten vor allen Gefahren zu schützen, denen er in seiner Rolle als Erwerbstätiger ausgesetzt ist, besser gerecht als die von der Beklagten gewünschte, weil Versicherte, deren Arbeits- oder Ausbildungsstätte außerhalb des von ihnen bewohnten Hauses liegt, schon ab bzw. bis zum Haustor (Haustür) auf einem außerhalb des bewohnten Hauses liegenden Teil des zu diesem gehörenden Grundstückes (Weg zwischen Gartentor und Haustor) den typischen Gefahren des Arbeitsweges ausgesetzt sind. Dazu zählen vor allem die Unbilden der Witterung, insbesondere Schnee- und Eisglätte, und schlechte Tageslichtverhältnisse, die das Begehen oder Befahren des außerhalb des Wohnhauses liegenden Teiles des dazugehörenden Grundstückes ebenso gefährlich machen wie das Fortbewegen auf fremden Grundstücken. Besonders in der österreichischen Rechtsprechung wurde in diesem Zusammenhang zutreffend erwähnt, daß der Versicherte wegen seiner beschäftigungsbedingten Abwesenheit von seiner Heimstätte die Wege auf seinem Grundstück nicht immer im ordnungsgemäßen Zustand halten kann. (z.B. SSV 18/96 und 23/116)

Eine ähnliche Situation kann sich auch beim Verlassen des Wohnhauses etwa dann ergeben, wenn der Versicherte wegen des auf dem Anmarschweg gegebenen Zeitdruckes eine erst wahrgenommene Schnee- oder Eisglätte nicht ausreichend beseitigen kann. Diese Überlegungen zeigen, daß die dem Eigentümer eines Einfamilienhauses zustehende Möglichkeit der Gestaltung der nichtbebauten Grundstücksteile den über solche Flächen führenden Weg zwischen dem Haustor und dem Gartentor nicht von der Unfallversicherung ausschließt. Deshalb kann sich der erkennende Senat auch der gegenteiligen Hilfsbegründung der in der Revision zitierten Entscheidung des Oberlandesgerichtes Wien 35 R 313/86 (= SSV 26/124) nicht anschließen. Die Hauptbegründung dieser Entscheidung hält übrigens an der oben dargelegten Abgrenzungsjudikatur der bis 31. Dezember 1986 letzten Instanz in Leistungsstreitsachen ebenso fest wie die von der Revision zu Unrecht zur Stützung ihrer Rechtsansicht zitierte Entscheidung 20 R 203/76 (= SSV 16/122).

Das angefochtene Urteil war daher zu bestätigen.

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