OGH 10ObS3/88

OGH10ObS3/8826.1.1988

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Resch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier und Dr. Kellner sowie durch die fachkundigen Laienrichter Dr. Peter Wolf und Anton Korntheuer als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Georg H***, Markt 2, 5660 Taxenbach, vor dem Obersten Gerichtshof nicht vertreten, wider die beklagte Partei A*** U***, Adalbert Stifter Straße 65, 1200 Wien, vertreten durch Dr. Adolf Fibich, Dr. Vera Kremslehner und Dr. Josef Milchram, Rechtsanwälte in Wien, wegen Versehrtenrente, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 24. September 1987, GZ 12 Rs 1095/87-23, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Salzburg vom 3. April 1987, GZ 36 Cgs 10/87-20, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Rechtssache wird zur Ergänzung des Verfahrens und zur neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Text

Begründung

Der Kläger erlitt am 4. September 1985 (im Bescheid unrichtig 3. September 1985) einen Arbeitsunfall. Mit Bescheid vom 29. April 1986 lehnte die beklagte Partei die Gewährung einer Versehrtenrente ab.

Der Kläger begehrt, die beklagte Partei schuldig zu erkennen, ihm ab 4. September 1985 eine Versehrtenrente im Ausmaß von 40 % der Vollrente zur Abgeltung der Folgen des Arbeitsunfalles. Die beklagte Partei bestritt das Begehren und wandte ein, der Kläger habe bei dem Arbeitsunfall nur eine Zerrung des linken Kniegelenkes ohne wesentliche Unfallfolgen erlitten. Die in der Folge durchgeführte operative Entfernung des Innenmeniskus und die daraus entstandenen Beschwerden seien auf eine bereits vorher bestandene Degeneration zurückzuführen und stünden in keinem Kausalzusammenhang mit dem Unfallereignis.

Das Erstgericht erkannte die beklagte Partei schuldig, dem Kläger zur Abgeltung der Folgen des Arbeitsunfalles vom 4. September 1985 ab 12. März 1986 eine Versehrtenrente im Ausmaß von 20 % der Vollrente zu gewähren und wies das Mehrbegehren auf Zahlung einer Versehrtenrente im Ausmaß von 40 % der Vollrente vom 4. September 1985 bis 11. März 1986 und im Ausmaß von weiteren 20 % der Vollrente ab 12. März 1986 ab. Es traf folgende Feststellungen:

Der Kläger, Maurervorarbeiter bei der Firma

Stadtbaumeister Ing. Hans E*** wurde am 4. September 1985 bei der Einrichtung einer Baustelle beim Abladen von Holzbrettern mit Hilfe eines Kranes von einem Holzbalken durch einen Schlag gegen die Innenseite des Kniegelenkes während annähernd gestreckter Kniestellung getroffen. Er kam wegen der Plötzlichkeit der Gewalteinwirkung aus dem Gleichgewicht, stürzte und fiel ca. 1 1/2 m über eine Böschung hinunter. Er konnte zunächst gehen, suchte aber wegen zunehmender Schmerzen am 10. September 1985 seinen Hausarzt auf und wurde über dessen Veranlassung am 11. September 1985 im Unfallkrankenhaus Schwarzach untersucht. Die Diagnose lautete auf distorsio gravis gen.sin. (differnzialdiagnostisch Meniscus, vorderes Kreuzband). Die Röntgenaufnahmen des Kniegelenkes zeigten den medialen Gelenkspalt etwas schmäler, sonst aber einen unauffälligen Befund. Die vorgefundene Verletzung - Abriß eines Meniscusstückes - ist auf den Unfall zurückzuführen. Am 25. September 1985 wurde eine totale Meniscektomie durchgeführt weil sich außer dem abgerissenen Meniscusstück (bei der Operation) eine Hinterhornruptur und eine Degeneration des medialen Meniscus fand. Wegen Kniegelenksergusses und Belastungsschmerzen waren weitere stationäre Behandlungen des Klägers vom 11. November bis 23. November 1985 und vom 20. März 1986 bis 22. April 1986 erforderlich.

Der bei der Salzburger Gebietskrankenkasse krankenversicherte Kläger war bis 4. Mai 1986 im Krankenstand und hat am 5. Mai 1986 seine Arbeit wieder aufgenommen.

Der Unfallmechanismus, ein körpereigenes Trauma, war so beschaffen, daß auch bei einem degenerativ nicht veränderten Meniscus ein Einriß hätte erfolgen können. Wegen der vorbestehenden degenerativen Veränderungen hätten auch schon geringfügigere Gewalteinwirkungen zu einem Riß führen können. Das Trauma war Teilursache des Meniscusrisses und zwar zu etwa 50 %, die weiteren 50 % gehen auf die degenerativen Veränderungen zurück. Die totale Meniscektomie wurde wegen der Hinterhornruptur durchgeführt. Es bedurfte im gegenständlichen Fall des stärkeren Traumas, um den Riß herbeizuführen. Das Trauma war nicht nur Gelegenheitsursache für den Meniscusriß, dieser wäre sonst in absehbarer Zeit nicht auf Grund eines alltäglich vorhandenen Ereignisses zu erwarten gewesen. Das linkg Knie des Klägers ist auf Dauer in seiner Funktion erheblich behindert, die gesamte Minderung der Erwerbsfähigkeit beträgt 20 %.

Aus diesem Sachverhalt folgerte das Erstgericht rechtlich, der Unfall stehe unter Versicherungsschutz. Er sei eine wesentliche Bedingung für den Schadenserfolg gewesen, weil er an dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt habe. Da es eines stärkeren Traumas bedurft habe, um den Meniscuseinriß herbeizuführen, sei dieses Trauma nicht bloß Gelegenheitsursache für den Einriß gewesen. Dem Kläger gebühre daher eine Versehrtenrente im Ausmaß der Minderung der Erwerbsfähigkeit von 20 %, wegen seines Krankengeldbezuges ab der

27. Woche nach Eintritt des Versicherungsfalles.

Das Berufungsgericht gab der gegen den klagsstattgebenden Teil des Ersturteiles wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung (und inhaltlich auch wegen unrichtiger Tatsachenfeststellung und Beweiswürdigung) erhobenen Berufung der beklagten Partei keine Folge. Den a gumenten der beklagten Partei, daß nach dem Sachverständigengutachten der Kausalanteil an der Minderung der Erwerbsfähigkeit nur 10 % betrage sei entgegenzusetzen, daß die anlagebedingte Schädigung des Kniegelenkes des Klägers zum Zeitpunkt des Arbeitsunfalles noch überhaupt keine Minderung der Erwerbsfähigkeit verursacht habe, weil sie noch nicht in Erscheinung getreten sei. In solchen Fällen sei nicht nur der durch den Unfall unmittelbar verursachte Prozentanteil an der Minderung der Erwerbsfähigkeit zu berücksichtigen sondern der Gesamtzustand zu entschädigen. Bei Vorhandensein eines anlagebedingten Leidens sei Unfallschutz bei Hinzutreten eines Arbeitsunfalles gegeben, wenn wesentliche Bedingungen für den Eintritt des Erfolges entscheidend mitwirkten, darunter seien Bedingungen zu verstehen, ohne deren Mitwirkung der Erfolg überhaupt nicht oder zu einem erheblich anderen Zeitpunkt oder in einem erheblich geringeren Umfange eingetreten wäre, nicht aber Zufallsursachen, die gegen ein beliebiges täglich vorkommendes Ereignis ausgetauscht werden könnten. Es sei davon auszugehen, daß durch das Unfalltrauma, das auch einen gesunden Meniscus zum Einriß gebracht hätte, zumindest der Schaden erheblich früher und in größerem Ausmaß eingetreten sei. Gegen dieses Berufungsurteil richtet sich die Revision der beklagten Partei wegen Mangelhaftigkeit des Verfahrens und unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, es im Sinne einer Klageabweisung abzuändern, hilfsweise wird ein Aufhebungs- und Zurückverweisungsantrag gestellt.

Der Kläger hat sich am Revisionsverfahren nicht beteiligt.

Rechtliche Beurteilung

Der Revision kommt Berechtigung zu.

Zu Recht macht die beklagte Partei geltend, daß die Feststellungen des Erstgerichtes und auch der gesamte Akteninhalt für die der rechtlichen Beurteilung zugrundegelegte Aussage des Berufungsgerichtes, die anlagebedingte Schädigung des Kniegelenkes des Klägers habe bis zu dem Arbeitsunfall überhaupt noch keine Minderung der Erwerbsfähigkeit verursacht, weil sie noch nicht in Erscheinung getreten sei, keinerlei Anhaltspunkte bieten. Eine Feststellung, für die der Prozeßakt keine Grundlage enthält, bildet aber den Revisionsgrund der Aktenwidrigkeit. Ob schon vor dem Unfall durch das anlagebedingte Leiden eine Minderung der Erwerbsfähigkeit bestanden hat und Beschwerden des Klägers aufgetreten sind, wurde weder geprüft noch festgestellt.

Überdies sind das Sachverständigengutachten und die darauf basierenden Feststellungen des Erstgerichtes widersprüchlich und unklar.

Nach § 175 ASVG stehen Unfälle dann unter Versicherungsschutz, wenn sie sich in einem örtlichen, zeitlichen und ursächlichen Zusammenhang mit der die Versicherung begründenden Beschäftigung ereignen. Neben der Finalität des Handelns (dem inneren Zusammenhang zwischen geschützter Tätigkeit und Verletzung) muß die Ursache für die Verletzung wesentlich sein. Dies ist sie dann, wenn sie nicht im Hinblick auf andere mitwirkende Ursachen erheblich in den Hintergrund tritt. Nur jene Bedingung, ohne deren Mitwirkung der Erfolg überhaupt nicht oder nur zu einem erheblich anderen Zeitpunkt oder nur im geringeren Umfang eingetreten wäre, ist wesentliche Bedingung (vgl. Tomandl System des Österreichischen Sozialversicherungsrechtes 3. Erg-Lfg S. 302 f und die dort zitierte Rechtsprechung und Lehre).

Ist die Unfallversicherung aber nach diesen Kriterien (Theorie der wesentlichen Bedingung) zur Leistung für einen eingetretenen Personenschaden verpflichtet, so kommt es, anders als nach der im Schadenersatz geltenden Adäquanztheorie nicht darauf an, ob der Schadensverlauf vorhersehbar war oder in atypischer Weise vor sich ging. Ist die Leistungspflicht zu bejahen, so muß die Unfallversicherung den gesamten, nicht nur den Verfrühungs- oder Verschlechterungsschaden zahlen sondern hat solange zu leisten, als der unfallbedingte Leidenszustand nicht gebessert ist. Spätere hypothetische oder wirkliche Beeinträchtigungen der Gesundheit vermögen sie grundsätzlich nicht zu entlasten. Die Unfallversicherung hat für einen Personenschaden entweder zur Gänze oder gar nicht einzustehen, eine Teilung des eingetretenen Schadens für den Fall, daß neben den Zurechnungsgründen auch Gründe für eine Entlastung der Unfallversicherung vorliegen, kommt nicht in Betracht (Tomandl aaO, 300). Die Möglichkeit, daß das gleiche Krankheitsbild in der gleichen Schwere beim Kläger auch ohne Unfall früher oder später aufgetreten wäre, ist nicht anspruchsbeschränkend (VwGH P 173/53).

Das Erstgericht hat dem Sachverständigengutachten folgend einerseits festgestellt, daß nach dem vorliegenden Unfallmechanismus auch bei einem nicht degenerativ veränderten Meniscus eine Verletzung auftreten hätte können und es des stärkeren Traumas bedurfte, um den Riß herbeizuführen (also der Riß durch den Unfall entstanden ist) andererseits aber, daß das Trauma Teilursache des Meniscusrisses zu etwa 50 % war, während weitere 50 % auf die degenerativen Veränderungen zurückgehen. Letzteres kann nur so verstanden werden, daß erst zwei gleichwertige Bedingungen geeignet waren, die Unfallfolgen herbeizuführen und nicht einmal die überwiegende Wahrscheinlichkeit für eine von beiden spricht. Die Aussage im Sachverständigengutachten "die Minderung der Erwerbsfähigkeit beträgt 20 %, der Kausalanteil durch den Unfall beträgt 10 %, also die Hälfte" vermag keine Klarheit sondern nur noch mehr Verwirrung zu stiften: Damit könnte einerseits, wie ausgeführt, die Gleichwertigkeit der beiden Bedingungen gemeint sein, andererseit wäre es auch denkbar, daß der Sachverständige damit (allerdings gänzlich unzureichend) zum Ausdruck bringen wollte, die Folgen eines Einrisses eines gesunden Meniscus hätten - voraussichtlich - nur eine Minderung der Erwerbsfähigkeit von 10 % zur Folge gehabt, wegen der vorhandenen anlagebedingten degenerativen Veränderungen aber seien (nur) die Unfallfolgen gravierender ausgefallen.

Erst nach Aufklärung dieser aufgezeigten Widersprüche durch ein ergänzendes Sachverständigengutachten und Erhebung auch des Zustandes des Kniegelenks der Klägers vor dem Unfall und den danach zu treffenden klaren, widerspruchsfreien Feststellungen kann im Sinne der eingangs dargelegten Grundsätze abschließend beurteilt werden, ob und in welcher Höhe dem Kläger ein Anspruch aus der Unfallversicherung zusteht. Es war daher wie im Spruch zu entscheiden.

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