OGH 9ObA185/87

OGH9ObA185/8716.12.1987

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Hon.-Prof. Dr. Kuderna als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Gamerith und Dr. Maier sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Dr. Walter Zeiler und Anton Degen als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Karl S***, Angestellter, Innsbruck, Philippine Welser-Straße 55, vertreten durch Dr. Heinz Mildner, Rechtsanwalt in Innsbruck, wider die beklagte Partei B***-S*** Gesellschaft mbH, Thaur, Bert Köllensperger-Straße 5 a, vertreten durch Dr. Max Dengg, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen S 207.053,87 brutto sA (Revisionsstreitwert S 177.103,22 sA), infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 30. September 1987, GZ 5 Ra 1131/87-19, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 22.Mai 1987, GZ 47 Cga 54/87-15, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird aufgehoben und die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Der Kläger war bei der Beklagten vom 1.April 1978 bis 3.Juni 1986 als Angestellter beschäftigt.

Mit der Behauptung, er sei aus dem Arbeitsverhältnis begründet vorzeitig ausgetreten, begehrt der Kläger S 207.053,87 brutto sA an Kündigungsentschädigung, Abfertigung, Urlaubsentschädigung und anteiligen Sonderzahlungen. Der Geschäftsführer der Beklagten habe ihn ohne Rücksicht auf seine Erkrankung ständig provoziert und am 2. Juni 1986 auch beschimpft und beleidigt. Außerdem sei er aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr in der Lage gewesen, im Betrieb weiterzuarbeiten.

Die Beklagte beantragte, die Klage abzuweisen, da der Kläger seinen vorzeitigen Austritt grundlos erklärt habe. Dies ergebe sich schon daraus, daß der Kläger am nächsten Tag bereits eine vergleichbare Arbeit in einem ähnlichen Betrieb aufgenommen habe. Das Erstgericht gab dem Klagebegehren, nachdem es mit Teilanerkenntnisurteil vorweg einen Betrag von S 17.989,10 brutto zugesprochen hatte, mit weiteren S 11.361,55 brutto sA statt und wies das Mehrbegehren von S 177.703,22 brutto sA ab. Es stellte im wesentlichen fest:

Von April bis Ende Juli/Anfang August jedes Jahres herrschte im Unternehmen der Beklagten Hochbetrieb, da in dieser Zeit der überwiegende Teil des Umsatzes erzielt wurde. Das Arbeitsklima war dementsprechend hektisch und angespannt.

Als der Kläger wie schon am 2.Juni auch am 3.Juni 1986 eine Sonderanlage zu montieren hatte, wurde er immer wieder durch andere Tätigkeiten unterbrochen. Er weigerte sich schließlich, die von ihm bearbeitete Anlage mit Hilfe eines anderen Arbeitnehmers kurzfristig hochzuheben; dies wäre aber erforderlich gewesen, damit dringend benötigtes Material an dieser Anlage vorbeitransportiert werden konnte. Er schickte die vom Geschäftsführer der Beklagten mit dem Transport beauftragten Arbeiter zweimal mit dem Bemerken weg, sie sollten später kommen. Der Geschäftsführer bestand jedoch auf der sofortigen Einbringung des Materials, so daß sich der Kläger ärgerte, Magenweh verspürte und dem Geschäftsführer erklärte, jetzt sei es genug, es sei ihm acht Jahre ein Vergnügen gewesen, er gehe. Er übergab die Firmenschlüssel, packte seine Sachen und verließ die Arbeitsstätte. Dem Geschäftsführer der Beklagten gelang es nicht, ihn zur Wiederaufnahme der Arbeit zu bewegen. Über Vorhalt, daß er durch sein Vorgehen finanzielle Verluste erleide, erwiderte der Kläger lediglich, er pfeife auf das Geld. Am 4.Juni 1986 bewarb er sich bereits bei der Firma U***, welche ebenfalls wie die Beklagte Markisen produziert und vertreibt und nahm dort ab 9.Juni 1986 eine ähnliche Tätigkeit wie bei der Beklagten auf. Der Kläger hatte sich am 9.Mai 1986 wegen eines Zwölffingerdarmgeschwürs in ärztlicher Behandlung befunden, worauf nach einer Woche Krankenstand eine Besserung des Zustandes eingetreten war. Der Geschäftsführer der Beklagten wußte zwar, daß der Kläger ab und zu Magenbeschwerden hatte, doch hat der Kläger im Zuge der Auseinandersetzung nie erklärt, daß er wegen des Magenleidens seine Arbeit nicht weiter ausüben könne. Es ist auch nicht erwiesen, daß der Kläger bei einer Weiterarbeit im Betrieb der Beklagten tatsächlich gesundheitliche Beeinträchtigungen erwarten hätte müssen.

Das Erstgericht vertrat die Rechtsauffassung, daß der Kläger ungerechtfertigt ausgetreten sei. Eine Beleidigung oder Beschimpfung durch den Geschäftsführer habe er ebensowenig beweisen können wie eine gesundheitliche Beeinträchtigung durch die Weiterarbeit im Produktionsbetrieb der Beklagten. Ein bloß vorübergehend angegriffener Gesundheitszustand im Zusammenhalt mit einer möglichen Mißstimmung und Gereiztheit könne den Tatbestand des § 26 Z 1 zweiter Fall AngG nicht erfüllen. Der Kläger habe daher keinen Anspruch auf Kündigungsentschädigung und Abfertigung samt anteiligen Sonderzahlungen, wohl aber auf die restliche Entschädigung für das vorangegangene Urlaubsjahr, da im Sinne des § 10 Abs 2 UrlG nur der Anspruch auf Urlaubsabfindung für das laufende Urlaubsjahr beseitigt worden sei.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Es entschied in nichtöffentlicher Sitzung, da es der Ansicht war, daß keine der Parteien ausdrücklich eine mündliche Berufungsverhandlung beantragt habe. Es hielt die Beweiswürdigung des Erstgerichtes für zutreffend und vertrat ebenfalls die Rechtsansicht, daß durch die Weiterarbeit des Klägers im Betrieb der Beklagten eine Gesundheitsgefährdung durch die Arbeitsleistung an sich nicht zu erwarten gewesen sei. Vorübergehende Überarbeitung bei einem vorübergehend angegriffenen Gesundheitszustand, der heilungsfähig gewesen sei, hätten den Kläger zwar zu einer Inanspruchnahme des Krankenstandes berechtigt, nicht aber zum vorzeitigen Austritt aus dem Arbeitsverhältnis. Daß der Kläger einer besonderen, über die jahreszeitlich bedingte Hektik hinausgehenden Streßsituation ausgesetzt worden wäre, sei nicht erwiesen. Dem Kläger wäre die Weiterarbeit zumindest für die Dauer der Kündigungsfrist zumutbar gewesen.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die aus den Gründen der Mangelhaftigkeit des Verfahrens und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung erhobene Revision des Klägers mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im Sinne des Klagebegehrens abzuändern. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Beklagte beantragte in ihrer Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist in ihrem Aufhebungsantrag berechtigt. Der Kläger beantragte in seiner Berufung zwar nicht ausdrücklich die Anberaumung einer mündlichen Berufungsverhandlung (§ 492 Abs 1 ZPO), er stellte aber unter anderem den Berufungsantrag, das Berufungsgericht wolle das erstgerichtliche Urteil "nach Beweiswiederholung" dahin abändern, daß ihm auch das gesamte abgewiesene Klagebegehren zugesprochen werde. Unter dem Berufungsgrund der unrichtigen Beweiswürdigung und Tatsachenfeststellung führte der Kläger aus, daß es unmöglich gewesen wäre, die von ihm bearbeitete Anlage kurz aufzuheben, um dann Material durchzuliefern. Dazu beantragte er Beweiswiederholung, insbesondere unter Beiziehung des türkischen Helfers N. A*** als Zeugen sowie die Durchführung eines Lokalaugenscheins. In der Revision rügt der Kläger die vom Berufungsgericht unterlassene Beweiswiederholung und die Nichtvornahme eines Lokalaugenscheins als Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens und macht überdies geltend, daß die in seiner Berufung gestellten Anträge auch als Antrag auf Anberaumung einer mündlichen Berufungsverhandlung gewertet hätten werden müssen.

Auf Grund dieser Rüge ist daher vorerst zu prüfen, ob der in § 477 Abs 1 Z 4 ZPO bezeichnete Nichtigkeitsgrund (Fasching Kommentar IV 303; SZ 7/388 ua) oder der geltend gemachte Revisionsgrund des § 503 Abs 1 Z 3 ZPO vorliegt. Gemäß § 492 Abs 1 ZPO können die Parteien auf die Anordnung einer Tagsatzung zur mündlichen Verhandlung über die Berufung verzichten. Hat weder der Berufungswerber in der Berufungsschrift noch der Berufungsgegner in der für die Erstattung der Berufungsbeantwortung offen stehenden Frist die Anberaumung einer mündlichen Berufungsverhandlung ausdrücklich beantragt, so wird angenommen, daß die Parteien auf die Anberaumung einer Tagsatzung zur mündlichen Berufungsverhandlung verzichtet haben. Es ist somit davon auszugehen, daß das Gesetz einen "ausdrücklichen" Antrag auf Anberaumung der mündlichen Berufungsverhandlung fordert (Holzhammer ZPR2 329), der sich zumindest klar aus den Ausführungen in den Rechtsmittelschriften ergeben muß. Diese seit der 5.Gerichtsentlastungsnovelle verlangte Eindeutigkeit der Stellungnahme (vgl. SZ 13/63, 21/110 mwH) wurde auch in der Neufassung dieser Bestimmung durch die Zivilverfahrens-Novelle 1983 beibehalten. Es reicht folglich nicht aus, ohne eine solche Antragstellung eine Beweis- und Tatsachenrüge geltend zu machen und sich zur Dartuung dieses Berufungsgrundes auf Beweise zu berufen, deren Aufnahme durch das Berufungsgericht erfolgen soll (Pollak System2 743; 5 Ob 732/81 ua). Dies folgt schon daraus, daß die ohne ausdrücklichen Antrag auf Anberaumung einer mündlichen Berufungsverhandlung erhobene Beweis- und Tatsachenrüge dennoch beachtlich ist und die Unterlassung des Antrages bewirkt, daß das Berufungsgericht die Berufungsgründe sehr wohl zu prüfen und dann, wenn es auf Grund der Aktenlage Bedenken gegen die Richtigkeit und Vollständigkeit der erstgerichtlichen Tatsachenfeststellungen bekommt und zur Entscheidung eine Beweiswiederholung oder -ergänzung als notwendig erachtet, die mündliche Berufungsverhandlung ohnehin von Amts wegen anzuordnen hat (Fasching Kommentar IV 197; SZ 57/142). Andererseits entspricht es sicherlich nicht dem Sinn des § 492 Abs 1 ZPO, von den Parteien einen ausdrücklichen und abgesonderten Antrag auf Anberaumung einer Tagsatzung zur mündlichen Berufungsverhandlung zu verlangen. Lehre und überwiegende Rechtsprechung (weitergehend SZ 8/176) sehen es als hinreichend an, wenn im Zusammenhang mit den anderen Berufungsanträgen im Wortlaut der Anträge die "mündliche Berufungsverhandlung" in einer solchen Weise erwähnt wird, daß ihre Durchführung als von der Partei logisch vorausgesetzt erscheint (Fasching Kommentar IV 196; Kuderna ASGG § 44 Erl. 2, 222; EvBl 1967/118; 5 Ob 580/85 ua).

Der anwaltlich vertretene Kläger hat es im vorliegenden Fall nicht nur verabsäumt, einen Antrag auf Anberaumung einer mündlichen Berufungsverhandlung zu stellen, sondern er hat auch den Begriff "mündliche Berufungsverhandlung" in seiner Berufungsschrift nicht erwähnt. Es konnte daher zumindest noch in einem gewissen Maße zweifelhaft erscheinen, ob er dem Berufungsgericht nur die in § 492 Abs 2 letzter Satz ZPO eingeräumte Möglichkeit der Anberaumung einer Berufungsverhandlung von Amts wegen nachdrücklich nahelegen oder ob er auf keinen Fall auf eine mündliche Berufungsverhandlung verzichten wollte. Die Entscheidung des Berufungsgerichtes ist daher nicht mit Nichtigkeit behaftet, doch hätte sich das Berufungsgericht nicht mit dem von ihm eingenommenen formalistischen Standpunkt begnügen dürfen. Wenn das Berufungsgericht nämlich die Forderung des Klägers nach Beweiswiederholung - eines formellen Antrages bedurfte es diesbezüglich nicht - nicht für einen ausdrücklichen Antrag nach § 492 Abs 1 ZPO als ausreichend erachtete, hätte es zufolge der Neufassung des § 84 Abs 3 ZPO durch die Zivilverfahrens-Novelle 1983 von Amts wegen den Kläger zur Verbesserung seines Antrages dahin auffordern müssen, ob er ausdrücklich die Anberaumung einer mündlichen Berufungsverhandlung begehre (Fasching ZPR Rz 1799; Kuderna ASGG § 44 Erl.2, 222). Da ein solches Verbesserungsverfahren unterblieb, liegt der Revisionsgrund nach § 503 Ab.1 Z 2 ZPO vor. Die Kostenentscheidung ist in § 52 Abs 1 ZPO begründet.

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