OGH 6Ob711/87

OGH6Ob711/8726.11.1987

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Samsegger als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schobel, Dr. Melber, Dr. Schlosser und Dr. Redl als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Franz V***, Gastwirt, Wien 17., Exelbergstraße 43, vertreten durch Dr. Franz J. Salzer und Dr. Gunter Granner, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei Verlassenschaft nach der am 1. Februar 1983 gestorbenen, zuletzt in Wien 17., Exelbergstraße 43, wohnhaft gewesenen Pensionistin Johanna V***, vertreten durch den Verlassenschaftskurator Dr. Erwin Englert, Rechtsanwalt in Wien, wegen Anfechtung belastender Anordnungen im Sinne des § 774 ABGB (Streitwert 221.875 S), infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 31. Juli 1987, GZ 12 R 154/87-15, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes für ZRS Wien vom 23. April 1987, GZ 29 Cg 55/87-11, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht stattgegeben.

Der Kläger ist schuldig, der beklagten Partei die mit 8.495,85 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten an Umsatzsteuer 772,35 S) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Mutter des Klägers ist am 1. Februar 1983 gestorben. Sie war verwitwet und wurde außer durch den Kläger durch dessen Zwillingsschwester überlebt. Der Kläger hat eine Tochter, seine Schwester einen Sohn.

In den Nachlaß der Erblasserin fallen nach den Angaben in der Todfallsaufnahme der Hälfteanteil an einer Perchtoldsdorfer Liegenschaft sowie (mit einem Mehrheitsanteil) eine Wiener Liegenschaft und ein dort geführtes gastgewerbliches Unternehmen. Mit der am 1. März 1983 kundgemachten, als Testament überschriebenen letztwilligen Verfügung vom 18. September 1982 traf die Erblasserin folgende Anordnungen:

"Ich ...... vermache meinen beiden Kindern Johanna .... u. Franz

.. beiden zu gleichen Teilen, was das Haus ..." auf der Wiener

Liegenschaft "betrifft. Sie dürfen das Haus nie verkaufen,

höchstens verpachten und für Enkelkinder Axel ... u. Evelin ...

verwalten.

Meine persönliche Habe gehört alles meiner Tochter ... Auch Petersdorf gehört gänzlich ihr allein."

In der am 16. Juni 1983 gleichzeitig mit zwei weiteren letztwilligen Verfügungen vom 23. Juli 1976 und 21. September 1981 kundgemachten, ebenfalls mit den Worten "Mein Testament" überschriebenen letztwilligen Verfügung vom 6. April 1981 hatte die Erblasserin angeordnet:

"Alles was ich habe u. besitze, gehört meinen Kindern Franz ... und meiner Tochter Hanna ..., beiden zu gleichen Teilen. Nur dürfen sie es beide nicht verkaufen sondern nur verpachten und meinen 2 Enkerln vererben.

Alles Persönliche von mir gehört meiner Tochter ..."

Der Kläger hat als Sohn der Erblasserin in Kenntnis des von seiner Schwester vorgelegten, von ihm aber mangels Testierfähigkeit der Erblasserin in seiner Rechtswirksamkeit bestrittenen Testamentes (vom 18. September 1982) aufgrund des Gesetzes zur Hälfte des Nachlasses eine unbedingte Erbserklärung abgegeben. Das Abhandlungsgericht hat diese Erbserklärung am 19. Mai 1983 beschlußmäßig angenommen. Im Juli 1983 gab die Tochter der Erblasserin aufgrund des erwähnten Testamentes vom 18. September 1982 die bedingte Erbserklärung ab. Das Abhandlungsgericht nahm das Vorliegen einander widersprechender Erbserklärungen an und wies dem Sohn der Erblasserin gegenüber dessen Schwester die Klägerrolle zu. Nach Rücknahme der von ihm gegen seine Schwester erhobenen Erbrechtsklage gab der Kläger im März 1983 aufgrund des Testamentes vom 18. September 1982 zur Hälfte des Nachlasses die unbedingte Erbserklärung ab.

Bereits am 29. Januar 1986 erhob der Sohn der Erblasserin klageweise gegenüber der Verlassenschaft mit der Behauptung einer die Pflichtteilsdeckung verhindernden Belastung im Sinne des § 774 ABGB das Klagebegehren, daß die in den letztwilligen Verfügungen vom 18. September 1982 und 6. April 1981 angeordneten fideikommissarischen Substitutionen ihm gegenüber unzulässig und rechtsunwirksam seien. Dabei zitierte er in seinem Urteilsbegehren die ihn belastenden Verfügungen wörtlich ("Sie dürfen das Haus nie

verkaufen, höchstens verpachten und für Enkelkinder Axel ... u. Evelin ... verwalten" in der letztwilligen Verfügung vom 18. September 1982 und "nur dürfen sie es beide nicht verkaufen, sondern nur verpachten und meinen 2 Enkerln vererben" in der letztwilligen Verfügung vom 6. April 1981).

Das Prozeßgericht gab bereits in der ersten Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung nach einer Bestreitungserklärung der beklagten Partei bekannt, daß es die Rechtssache ohne Aufnahme von Beweisen für spruchreif erachte und die Entscheidung der schriftlichen Ausfertigung vorbehalte. Es wies das Klagebegehren wegen Fehlens der sogenannten passiven Legitimation der Verlassenschaft ab, da der Kläger kein Pflichtteilsergänzungsbegehren, sondern ein auf § 774 ABGB gegründetes Begehren auf Unwirksamerklärung letztwilliger Anordnungen verfolge, die die Erblasserin zugunsten Dritter, nämlich ihrer Enkelkinder, angeordnet habe, so daß das Begehren gegen die aus der bekämpften Anordnung Begünstigten gerichtet werden müßte. Das Berufungsgericht bestätigte das klagsabweisende Urteil erster Instanz. Dazu sprach es aus, daß der Wert des Streitgegenstandes 60.000 S, nicht aber 300.000 S übersteigt. Weiters sprach das Berufungsgericht aus, daß die Revisionszulässigkeitsvoraussetzung nach dem § 502 Abs 4 Z 1 ZPO vorliege.

Auch das Berufungsgericht vertrat in wörtlicher Anlehnung an die von Kralik, Erbrecht, 310 ausgeführte Lehrmeinung die Ansicht, daß die vom Kläger zum Klagegrund erhobene "Ungültigkeit" der von ihm als pflichtteilswidrig empfundenen Belastungen nach § 774 ABGB dem Pflichtteilsberechtigten einen Anfechtungsanspruch einräume, der gegen den aus der belastenden Anordnung Berechtigten geltend zu machen sei. Das Berufungsgericht teilte daher die erstinstanzliche Beurteilung, daß der beklagten Verlassenschaft die passive Sachlegitimation fehle.

Der Kläger ficht das bestätigende Berufungsurteil wegen einer - nach § 503 Abs 2 ZPO qualifizierten - unrichtigen Lösung der Frage nach der passiven Sachlegitimation zum Begehren des Pflichtteilsberechtigten, der (entsprechend seiner gesetzlichen Erbquote) testamentarisch als Erbe eingesetzt, aber gleichzeitig durch eine fideikommissarische Substitution auf die Stellung eines Vorerben beschränkt wurde, mit einem Aufhebungsantrag und einem hilfsweise gestellten Abänderungsantrag im Sinne des Klagebegehrens an.

Die beklagte Verlassenschaft strebt die Bestätigung der angefochtenen Entscheidung an.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, weil die Entscheidung des Rechtsstreites von der Beurteilung der passiven Sachlegitimation abhängt und diese Rechtsfrage zufolge ihrer allgemeinen Bedeutung für die Auslegung des § 774 ABGB bei einem Fehlen höchstgerichtlicher Rechtsprechung, die zu dieser Frage ausdrücklich Stellung bezogen hat, nach § 502 Abs 4 Z 1 ZPO qualifiziert ist. Die erwähnte Auslegungsfrage ist auch zentraler Inhalt der Rechtsrüge, die damit den Anfechtungsgrund nach § 503 Abs 2 ZPO ausführt.

Die Revision ist aber nicht berechtigt.

Der Kläger wäre als eines der beiden Kinder, die die als Witwe verstorbene Erblasserin überlebten, nach dem Gesetz zur Hälfte als Erbe berufen gewesen, sein Pflichtteilsanspruch erstreckte sich daher auf den vierten Teil des Nachlaßwertes. Die Schwester des Klägers befindet sich in dersleben erbrechtlichen Lage. Die Erblasserin hat in einer letztwilligen Verfügung, auf die beide Geschwister ihre Erbserklärungen gestützt haben, ihre beiden Kinder je zur Hälfte als Erben eingesetzt, die Schwester des Klägers aber mit nicht unbedeutenden Vermächtnissen bedacht und beide eingesetzten Erben durch fideikommissarische Substitutionen zugunsten der beiden Enkelkinder auf die Stellung von Vorerben beschränkt.

Diese letztwilligen Anordnungen bedürften zunächst einer Auslegung (aufgrund der vorhandenen früheren letztwilligen Verfügungen und sonstiger Auskunftsmittel), ob für die Erblasserin die Nacherbeneinsetzung ihrer Enkelkinder oder die Vorerbeneinsetzung ihrer Kinder Vorrang haben sollte. Das ausgesprochene Veräußerungsverbot und die ausdrückliche Hervorhebung der Verwalterstellung ihrer zu Erben eingesetzten Kinder, wäre als gewichtiger Anhaltspunkt dafür zu werten, daß der Erblasserin vor allem die Anordnung zugunsten ihrer beiden Enkelkinder bedeutsam erschien.

Im Zusammenhang damit bedürfte es auch einer Auslegung der zugunsten der Enkelkinder getroffenen Anordnung in der Richtung, ob die Gesamtregelung eine Trennung nach Stämmen darstellen sollte, so daß in Ansehung der einen Nachlaßhälfte die Tochter für ihren Sohn und in Ansehung der anderen Nachlaßhälfte der Sohn für seine Tochter "Verwalterstellung" ausüben sollte, mit anderen Worten, ob bei rechtlicher Beurteilung der Verfügungen als Erbseinsetzungen und fideikommissarischen Substitutionen nur jeweils das eigene Kind des eingesetzten Erben diesem als Nacherbe nachgereiht sein sollte, oder ob die Gesamtregelung die Absicht einer möglichsten Bewahrung der Liegenschaft mit dem gastgewerblichen Betrieb im Familienbesitz ausdrücken sollte und in dem Sinne zu begreifen wäre, daß beiden Erben jeweils beide Enkelkinder, der Tochter also auch ihre Nichte und dem Sohn auch sein Neffe, als Nacherben nachgereiht sein sollten.

Sollte die Auslegung des als wirksam anerkannten letzten Willens der Erblasserin ergeben, daß für sie der letztliche erbrechtliche Erwerb durch ihre Enkelkinder (als Nacherben) das vorrangige Anliegen ihrer Gesamtregelung gewesen sei, dann bedeutete ein auf § 774 ABGB gestütztes Begehren eines Pflichtteilsberechtigten, die ihn als Vorerben belastende fideikommissarische Substitution (auch nur teilweise) als unwirksam zu behandeln, nicht nur eine einseitige Benachteiligung der Nacherben (gegenüber Miterben und Vermächtnisnehmern), sondern vor allem einen nicht zu rechtfertigenden Eingriff in die Testierfreiheit der Erblasserin, deren Willen bei einer (auch bloß teilweisen) Aufhebung ihrer Anordnungen zugunsten der Enkelkinder gerade in der Grundvorstellung ihrer Anordnungen gestört würde. Wenn nämlich die erklärte Absicht der Erblasserin darauf gerichtet gewesen wäre, ihren Kindern keine über die Rechtsstellung eines Vorerben gemäß § 613 ABGB hinausgehende Rechtsstellung einzuräumen, dann dürfte wie bei einer Einsetzung der Enkelkinder unter Belastung mit einem Fruchtgenuß zugunsten ihrer jeweiligen pflichtteilsberechtigten Elternteile nicht davon ausgegangen werden, daß die Erblasserin mit ihrer letztwilligen Verfügung zugunsten ihrer beiden Kinder eine pflichtteilsabdeckende Zuwendung beabsichtigte, so daß den Pflichtteilsberechtigten nur Geldleistungsansprüche nach § 775 ABGB zustünden und ein Anspruch auf Befreiung von Beschränkungen im Sinne des § 774 ABGB materiell nicht gerechtfertigt sein könnte. Alle diese Überlegungen dienen im vorliegenden Rechtsstreit lediglich der Illustration der widerstreitenden Interessen und deren Träger:

Der Interessenwiderstreit über die Wirksamkeit der die letztwilligen Verfügungen zugunsten des Klägers einschränkenden Anordnungen besteht zwischen dem Kläger und der zu seinen Lasten begünstigten Personen (sei es nur seine Tochter, sei es auch sein Neffe) und der Rechtsstreit ist auch, wie das Berufungsgericht zutreffend im Sinne der Lehrmeinung von Kralik, Erbrecht, 310, dargelegt hat, zwischen diesen Personen auszutragen. Bereits der Erstrichter hat der Sache nach zutreffend darauf hingewiesen, daß dem ruhenden Nachlaß (als parteifähiger Vermögensmasse, die bis zur rechtlichen Besitzeinweisung während der Abhandlung unter gerichtlicher Aufsicht im Interesse der Erbberechtigten für diese treuhändig verwaltet wird) keine Verfügungsmacht über die Regelungen - in erster Linie die letztwilligen Anordnungen des Erblassers - zukommt, denen er selbst unterworfen ist. Der auf § 774 ABGB gestützte Anspruch eines Pflichtteilsberechtigten, der unter Beschränkung durch eine fideikommissarische Substitution zum Erben eingesetzt oder dem unter einer gleichartigen Beschränkung ein Vermächtnis ausgesetzt wurde, auf Ungültigerklärung der fideikommissarischen Substitution ist als Anfechtungsanspruch gegen den aus der fideikommissarischen Substitution Berechtigten und nicht gegen den Nachlaß zu verfolgen. Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO.

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