OGH 1Ob675/87

OGH1Ob675/8711.11.1987

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schragel als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schubert, Dr. Hofmann, Dr. Kodek und Dr. Redl als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Anton S***, Pensionist, Wien 22., Maurichgasse 31, vertreten durch Dr. Nikolaus Lehner, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagten Parteien 1.) Johannes K***, Gastwirt, 2.) Edith K***, Gastwirtin, beide Gumpoldskirchen, Kurze Gasse 3, beide vertreten durch Dr. Edwin Morent, Rechtsanwalt in Wien, wegen Auflösung eines Pachtvertrages (Streitwert S 180.000,--) infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgerichtes vom 3. April 1987, GZ. 41 R 84/87-26, womit infolge Berufung der beklagten Parteien das Urteil des Bezirksgerichtes Donaustadt vom 28. Dezember 1986, GZ. 7 C 1050/86-21, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, daß die Entscheidung des Erstgerichtes wiederhergestellt wird. Die beklagten Parteien sind schuldig, der klagenden Partei die mit S 29.964,89 bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens (hievon S 1.811,54 Umsatzsteuer und S 10.038,-- Barauslagen) binnen 14 Tagen zu bezahlen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger ist Eigentümer des Hauses Wien 22., Maurichgasse 31, in dem er die im ersten Stock gelegene Wohnung bewohnt. Mit Vertrag vom 4.11.1982 verpachtete er den Beklagten den im Erdgeschoß des Hauses gelegenen Espressobetrieb; der Vertrag wurde auf unbestimmte Zeit geschlossen. Mit Bescheid des Magistrates der Stadt Wien vom 26.4.1983, MA 7-2064/83, wurde das Ende von musikalischen Veranstaltungen (im Espressobetrieb) mit 22 Uhr festgesetzt. Über Berufung des Johannes K*** (Erstbeklagter) bestätigte der Berufungssenat der Stadt Wien mit Bescheid vom 4.6.1984, MDR-K 28/83 diesen Bescheid mit der Ergänzung, daß die Festlegung des Endes von musikalischen Veranstaltungen mit 22 Uhr nicht gilt, wenn durch eine Begrenzung der Lautstärke des Musikautomaten (Plombierung), durch schalldämmende Maßnahmen oder durch eine Kombination solcher Maßnahmen erreicht wird, daß der in der Wohnung (des Klägers) über dem Gastraum zu messende Musiklärm den Grundgeräuschpegel um nicht mehr als 5 dB (A) überschreitet. Nach den Feststellungen des Bescheides ergab eine Lärmmessung in der Wohnung des Klägers eine unzumutbare Belästigung durch die im Lokal veranstalteten Musikdarbietungen (Betrieb eines Musikautomaten). Während der Grundgeräuschpegel mit 16 dB (A) anzunehmen sei, ergebe die Musik Werte um 35 dB (A). Die Grenze der zumutbaren Störung liege maximal bis 10 dB (A) über dem Grundgeräuschpegel. Der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof blieb der Erfolg versagt (Erkenntnis vom 31.1.1985, Zl. 84/01/0173). Mit Bescheid des Magistrates der Stadt Wien, Magistratisches Bezirksamt für den 22.Bezirk, vom 7.7.1983, MBA 22-Ba 7281/1/83, wurden auf Grund des § 79 GewO 1973 Johannes K*** eine Reihe zusätzlicher Auflagen vorgeschrieben und zwar 1. die Eingangstüren zu den WC-Vorräumen mit einem stets funktionsfähigen, leise schließenden Selbstschließer auszustatten, 2. sämtliche Türen der WC-Anlage mit einer Gummidichtung im Falz auszustatten, 3. den Gastbetrieb im Vorgarten ab 22 Uhr einzustellen, wobei die Gäste auf diesen Zeitpunkt rechtzeitig aufmerksam zu machen sind, 4. die Fenster im Gastraum ab 22 Uhr bis zu Betriebsschluß geschlossen zu halten und 5. die Decke im Gastraum derart schalldämmend auszugestalten, daß der Grundgeräuschpegel nach 22 Uhr um nicht mehr als 5 dB (A) überschritten wird. Das Amt der Wiener Landesregierung gab der gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung des Johannes K*** mit Bescheid vom 14.10.1983, MA 63-K 489/83, teilweise Folge und ersetzte die Vorschreibung im Punkte 5 des angefochtenen Bescheides durch folgende Maßnahme: "Soferne die Betriebsanlage nicht um 22 Uhr geschlossen wird, ist durch schalldämmende Maßnahmen (wie zB schalldämmende Ausgestaltung der Decke im Gastraum, Anbringung einer abgehängten Decke, von biegeweichen Vorsatzschalen etc.) zu erreichen, daß die Spitzenwerte der zu messenden Betriebsgeräusche den Wert von 22 dB (A) nicht übersteigen. Die Meßstelle hat sich im Schlafzimmer der im ersten Stock des Einfamilienhauses in Wien 22., Maurichgasse 31, gelegenen Wohnung zu befinden, wobei während der Messung die Schlafzimmerfenster geschlossen zu halten sind." Das Bundesminsterium für Handel, Gewerbe und Industrie gab der gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung des Johannes K*** mit Bescheid vom 27.8.1984, Zl. 307.607/2-III-3/84, nicht Folge. Die an den Verwaltungsgerichtshof gerichtete Beschwerde wurde mit Erkenntnis vom 13.11.1984, Zl. 84/04/0181 als unbegründet abgewiesen. Schalldämmende Maßnahmen wurden von den Beklagten nicht gesetzt. Die Auflagen über den Betrieb der Musikbox wurden im wesentlichen eingehalten, abgesehen von fünf Tagen im September 1986, an denen die Musikbox noch in einer Zeit zwischen 22,15 Uhr und 23,30 Uhr in Betrieb war und erst nach Intervention der Funkstreife abgestellt wurde. Der Kläger begehrt den Ausspruch, daß der am 4.11.1982 abgeschlossene Pachtvertrag aufgelöst und die Beklagten schuldig seien, ihm die in Bestand genommene Geschäftsräumlichkeit im Hause Wien 22., Maurichgasse 31, geräumt von eigenen Fahrnissen zu übergeben. Der Kläger führte zur Begründung aus, die Beklagten hielten die Sperrstunde um 22 Uhr nicht ein, er werde durch unzumutbare Lärmbelästigung in seiner Nachtruhe gestört. Die Beklagten seien deshalb schon wiederholt von der Gewerbebehörde bestraft worden. Die im Lokal tätige Kellnerin habe ihn auch als "kleinen Giftzwerg" beschimpft.

Die Beklagten beantragten Abweisung des Klagebegehrens und brachten vor, die Sperrstunde sei mit zwei Uhr früh festgesetzt worden. Der Kläger habe durch unzählige Anzeigen bei der Behörde versucht, die Festsetzung der Sperrstunde mit 22 Uhr zu erreichen. Es müsse dem Kläger bei Abschluß des Bestandvertrages auch klar gewesen sein, daß der Betrieb eines Espressos mit Lärm verbunden sei. Die Störung der Nachtruhe sei darauf zurückzuführen, daß der Kläger ein für den Vertragszweck unbrauchbares Lokal zur Verfügung gestellt habe.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Es stellte fest, die Lärmbelästigung in der Wohnung des Klägers liege weit über den von der Behörde festgelegten Grenzen und sei gesundheitsschädlich. Im Lokal werde von den Gästen geschrieen, je später desto lauter, weil die Gäste dann schon in hohem Grad alkoholisiert seien. Vor allem der Betrieb des Tischfußballspiels animiere die Gäste zu lautem Schreien und Johlen. Die bescheidmäßig festgelegte Sperrstunde von 22 Uhr sei nicht eingehalten worden. Das Lokal sei vor zwei Uhr früh nur auf Grund von Polizeiinterventionen oder dann gesperrt worden, wenn nicht mehr genügend Gäste im Lokal gewesen seien. Vorhalte des Klägers über die Einhaltung der Sperrstunde seien ergebnislos geblieben. Der Kläger sei, als er einmal mit einem Beamten der Funkstreife vor dem Lokal stand, von einer Kellnerin mit den Worten "verschwinde, es ist eh niemand mehr da" angesprochen worden. Zu den übrigen umstehenden Personen habe die Kellnerin gesagt: "Das ist ein kleiner Giftzwerg".

In rechtlicher Hinsicht führte der Erstrichter aus, der Bestandgeber könne gemäß § 1118 ABGB die Aufhebung des Vertrages fordern, wenn der Bestandnehmer von der Sache einen erheblich nachteiligen Gebrauch mache. Dies bedeute nicht, daß nur eine Schädigung der Substanz des Bestandgegenstandes die Auflösung rechtfertige; hiefür komme jede wiederholte, länger dauernde vertragswidrige Benützung in Betracht. Ein erheblich nachteiliger Gebrauch könne auch in einem rufschädigenden Verhalten des Bestandnehmers liegen. Wenn sich der Bestandnehmer an behördliche Vorschriften nicht halte und nur durch tägliche Polizeiinterventionen zur Einhaltung der Sperrstunde gebracht werden könne, sei das ein den Ruf des Bestandgebers schädigendes Verhalten. Ein erheblich nachteiliger Gebrauch liege auch darin, daß die Beklagten die ihnen aufgetragenen schalldämmenden Maßnahmen unterlassen hätten, so daß der Kläger unzumutbarer Lärmeinwirkung ausgesetzt gewesen sei.

Das Berufungsgericht gab der gegen dieses Urteil erhobenen Berufung der Beklagten Folge und wies das Klagebegehren ab. Es sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes S 300.000,-- übersteigt. Das Berufungsgericht übernahm die Tatsachenfeststellungen des angefochtenen Urteils. In rechtlicher Hinsicht führte es aus, das Erstgericht habe unbekämpft festgestellt, daß die vom Espressobetrieb der Beklagten ausgehende Lärmbelästigung für den im Obergeschoß des Hauses wohnhaften Kläger die von der Behörde festgesetzten Grenzen für Schallimmissionen überschreite und gesundheitsschädlich sei. Dem Kläger sei zuzugeben, daß dies eine für ihn unzumutbare Situation begründe. Gemäß § 1096 Abs.1 ABGB sei der Bestandgeber aber verpflichtet, das Bestandstück auf eigene Kosten in brauchbarem Zustand zu übergeben. Liege die Ursache für die dem Kläger unzumutbare Lärmbelästigung in der den Erfordernissen der Schalldämmung nicht entsprechenden Bauweise des Hauses, so habe der Kläger ein Bestandstück übergeben, das zum bedungenen Gebrauch als Espresso offensichtlich nicht tauge. Es berechtige dann auch den Kläger der Umstand, daß die Beklagten die behördliche Vorverlegung der Sperrstunde auf 22 Uhr nicht beachteten und es dadurch zu unzähligen Polizeiinterventionen gekommen sei, nicht zur vorzeitigen Vertragsauflösung.

Rechtliche Beurteilung

Der gegen das Urteil des Berufungsgerichtes erhobenen Revision des Klägers kommt Berechtigung zu.

Ein Dauerschuldverhältnis, wie insbesondere ein Pachtvertrag kann aus wichtigen Gründen vorzeitig, d.h. ohne Einhaltung der vertraglichen oder gesetzlichen Kündigungsfrist aufgelöst werden (MietSlg. 34.258, 31.220; Würth in Rummel, ABGB, Rz 2 zu § 1118; Koziol-Welser, Grundriß8 I 188). Gemäß § 1118 ABGB rechtfertigt insbesondere der nachteilige Gebrauch des Bestandgegenstandes die vorzeitige Auflösung des Bestandvertrages. Ein erheblich nachteiliger Gebrauch im Sinne dieser Gesetzesstelle liegt dann vor, wenn durch eine wiederholte, längerwährende vertragswidrige Benützung des Bestandobjektes oder durch Unterlassung notwendiger Vorkehrungen wichtige Interessen des Bestandgebers verletzt werden oder wenn eine erhebliche Verletzung der Substanz des Bestandgegenstandes erfolgt ist oder zumindest droht (MietSlg. 34.260, 33.198, 32.332, 32.207 u.a.; Schimetschek in ImmZ 1980, 199). Der nachteilige Gebrauch muß nicht in einer körperlichen Beschädigung der Sache bestehen (vgl. Klang in seinem Komm.2 V 122). So wurde es als ausreichend erachtet, daß durch die Art der Benützung des Bestandgegenstandes der Ruf oder wichtige wirtschaftliche oder sonstige Interessen des Bestandgebers geschädigt oder gefährdet werden (MietSlg. 34.262, 34.260; RZ 1982/19 u.a.).

Mit den Bescheiden des Magistrats der Stadt Wien vom 7.7.1983 und des Amtes der Wiener Landesregierung vom 14.10.1983 wurden dem Erstbeklagten Maßnahmen vorgeschrieben, um die unzumutbare Lärmbelästigung des Klägers durch Betriebsgeräusche nach 22 Uhr hintanzuhalten. Unabhängig davon setzte der Bescheid des Magistrats der Stadt Wien vom 26.4.1983, MA 7-2064/83, das Ende musikalischer Veranstaltungen mit 22 Uhr fest. Die Berufungsinstanz sprach nur aus, daß dieses Ende dann nicht gilt, wenn durch Maßnahmen der im Bescheid näher bezeichneten Art die Lärmerregung durch Musikdarbietungen eingedämmt wird. Demnach war der Espressobetrieb grundsätzlich um 22 Uhr zu schließen, wenn nicht durch schalldämmende Maßnahmen die Lärmbelästigung des Klägers auf ein erträgliches Maß reduziert wurde. Durch die Festsetzung der Sperrstunde mit 22 Uhr sollte nicht nur der Lärmeinwirkung durch Musikdarbietungen, sondern auch aus anderen Quellen entgegengewirkt werden. Es steht fest, daß die Beklagten keine schalldämmenden Maßnahmen getroffen haben und das Lokal nur dann um 22 Uhr schlossen, wenn die Funkstreife intervenierte oder aber dann, wenn sich keine Gäste mehr im Lokal befanden. Der Kläger war, wie dies feststeht, nach 22 Uhr unzumutbaren und gesundheitsschädlichen Lärmeinwirkungen durch Johlen und Schreien alkoholisierter Gäste ausgesetzt.

Entgegen der Rechtsansicht des Berufungsgerichtes kann nicht gesagt werden, daß der Kläger dem Beklagten einen Bestandgegenstand übergeben hat, der zum bedungenen Gebrauch eines Espressos untauglich war, so daß es gemäß § 1096 ABGB dem Kläger oblegen wäre, die erforderlichen schalldämmenden Maßnahmen zu setzen. Ein Espresso kann in der Regel auch bis 22 Uhr erfolgreich betrieben werden. Es wurde zudem von den Beklagten nicht einmal behauptet und auch nicht festgestellt, daß mit dem Betrieb eines Espressos in üblicher Weise Lärmeinwirkungen durch schreiende und johlende Gäste verbunden seien. Wenn die Beklagten den Betrieb daher über 22 Uhr hinaus in einer Weise führten, durch die der Kläger unzumutbaren Lärmbelästigungen ausgesetzt war, hätten sie und nicht der Kläger für schalldämmende Maßnahmen zu sorgen gehabt. Es trifft daher entgegen der Meinung des Berufungsgerichtes nicht zu, daß der Kläger versuche, eine vertraglich ihn treffende Verpflichtung auf dem Umweg verwaltungsbehördlicher Vorschriften auf die Beklagten zu überwälzen. Zufolge fortdauernder Mißachtung der bescheidmäßig verfügten Betriebsbeschränkungen, die mit einer wesentlichen Beeinträchtigung der gesundheitlichen Interessen des Klägers verbunden war, ist die vorzeitige Auflösung des Bestandvertrages gemäß § 1118 ABGB gerechtfertigt. Auf den Inhalt des von den Beklagten in der Revisionsbeantwortung vorgelegten Berufungsbescheides des Amtes der Wiener Landesregierung vom 6.7.1987 ist als Neuerung nicht Bedacht zu nehmen. Ob die Beklagten ein Verschulden trifft, ist nicht zu prüfen, zumal ihnen die Nachteiligkeit ihres Verhaltens bewußt sein mußte (Würth a.a.O. Rz 12 zu § 1118 ABGB). Der Hinweis, der Pachtvertrag ende zum 31.10.1987, so daß der Kläger durch die angefochtene Entscheidung nicht mehr beschwert sei, widerspricht der im Schriftsatz der Beklagten vom 5.3.1986 enthaltenen Außerstreitstellung des Punktes 1 des Klagsvorbringens, wonach der Bestandvertrag auf unbestimmte Zeit abgeschlossen wurde.

Demzufolge ist spruchgemäß zu entscheiden.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.

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