OGH 12Os122/87

OGH12Os122/8722.10.1987

Der Oberste Gerichtshof hat am 22.Oktober 1987 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Keller als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kral, Hon.Prof. Dr. Steininger, Dr. Hörburger und Dr. Rzeszut als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Bernscherer als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Alfred J*** wegen des Vergehens der Veruntreuung unter Ausnützung einer Amtshandlung nach §§ 133 Abs. 1 und 2 erster Fall, 313 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten Alfred J*** gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom 5.Mai 1987, GZ 10 Vr 800/87-8, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Nichtigkeitsbeschwerde wird Folge gegeben, das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Alfred J*** des Vergehens der Veruntreuung unter Ausnützung einer Amtsstellung nach §§ 133 Abs. 1 und 2 (erster Fall), 313 StGB schuldig erkannt, weil er in der Zeit vom 28.Mai 1985 bis Dezember 1986 in Pirka als Sekretär dieser Gemeinde unter Ausnützung der ihm durch seine Amtstätigkeit gebotenen Gelegenheit die von Anna und Franz H*** einbezahlten Gemeindeabgaben von insgesamt 11.957 S, die ihm zur Weiterleitung an die Gemeindekasse übergeben worden waren, sich mit Bereicherungsvorsatz zugeeignet hat.

Diesen Schuldspruch bekämpft der Angeklagte mit einer auf die Z 4 und 5 des § 281 Abs. 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde, der Berechtigung zukommt.

Nach den Urteilsfeststellungen leisteten Anna und Franz H*** für die auf ihr Haus anfallenden Kanal- und Müllgebühren an den Angeklagten insgesamt drei Barzahlungen. Der Beschwerdeführer stellte darüber jeweils Empfangsbestätigungen aus und verwahrte diese Beträge in einer Handkasse, leitete diese aber in der Folge nicht an die Hauptkasse der Gemeinde weiter, sondern eignete sich das Geld an. Weil der Angeklagte es unterließ, diese Geldbeträge in das Hauptbuch einzutragen, gelang ihm die Herstellung eines buchhalterischen Kassengleichstandes. Anna H*** ist Vertragsbedienstete des Gemeindeamtes Pirka und hat bei längerer Abwesenheit des Angeklagten die oben erwähnte Handkasse übernommen (vgl S 47).

Der Beschwerdeführer hat zugegeben, die drei Bestätigungen über die Einzahlung der Beträge ausgestellt zu haben (S 110). Bei seiner ersten Einvernahme vor der Gendarmerie gab er an, daß er diese Beträge auch übernommen und in die Handkasse einbezahlt habe; den Fehlbestand könne er sich nur so erklären, daß die Buchungsmaschine die Buchungen nicht übernommen habe (S 81 f). Bei einer weiteren Vernehmung (S 87 f) und in der Hauptverhandlung behauptete er dann, die Beträge nicht erhalten zu haben (S 110); Anna H*** habe eine im Amt durchaus übliche Gegenverrechnung für von ihr mit Privatgeld für die Gemeinde geleistete Ausgaben vorgenommen (S 89 f, 112/113). Die Verantwortung des Beschwerdeführers, daß die Buchungen zwar vorgenommen, durch einen technischen Defekt des Buchungscomputers aber vom Abgabenzeitbuch nicht in das Hauptbuch übertragen wurden, hielt das Erstgericht deshalb für nicht richtig, weil in diesem Falle nach den jeweiligen Abrechnungsperioden Kassenmehrbestände in der Höhe der nicht ordnungsgemäß verbuchten Einzahlungen der Ehegatten H*** hätten entstehen müssen, solche aber nicht festgestellt werden konnten. Die Behauptung des Angeklagten, er habe das Geld nicht erhalten, Anna H*** habe "Gegenverrechnungen" vorgenommen, erachtete das Gericht durch die Aussage der Genannten für widerlegt.

Als Verfahrensmangel (Z 4) rügt der Beschwerdeführer die Abweisung seines in der Hauptverhandlung (vgl S 128) gestellten Beweisantrages auf Vernehmung eines Sachverständigen darüber, daß die Daten der Abgabenbuchhaltung nicht in das Hauptbuch übertragen wurden. Dieser Beweisantrag wurde der Sachlage nach ersichtlich im Zusammenhang mit der Aussage des Zeugen Walter O*** gestellt, nur ein Sachverständiger könne klären, warum vom Abgabenbuch angeblich weniger ins Hauptbuch übernommen wurde und ob dies auf einen Fehler der Maschine zurückzuführen ist oder auf eine Manipulation (vgl S 125).

Rechtliche Beurteilung

Die Relevanz des Beweisanbietens kann bei der gegebenen Sachlage nicht unzweifelhaft verneint werden (§ 281 Abs. 3 StPO). Das Erstgericht hat zwar als erwiesen angenommen, daß der Angeklagte es unterließ, diese Beträge ins Hauptbuch zu übertragen und so den buchhalterischen Gleichstand herstellte (vgl S 133); es hat eine solche Vorgangsweise aber nicht näher erläutert. Fest steht in diesem Zusammenhang nur, daß diese inkriminierten Beträge zwar im Abgabenzeitbuch (Abgabenjournal) eingegeben, jedoch (in der Folge) nicht in das Hauptbuch übernommen worden sind (vgl S 3 und 55; Zeuge Walter O*** S 125). Dies, obwohl "normalerweise" Buchungen im Abgabenjournal am Magnetstreifen der sg. Summenkarte erfaßt und ins Hauptbuch übertragen werden (vgl S 5 und S 55). Der Prüfungsbericht der Gemeindeaufsicht gibt dafür keine Erklärung (vgl S 55); nach der Anzeige kann diese Nichtübernahme ins Hauptbuch auf einen (selbständigen) "Absturz" der Buchungsmaschine (verursacht etwa durch Stromschwankungen) oder auf eine Manipulation zurückzuführen sein (vgl S 5/6); der Zeuge O*** gibt dazu an, daß nur ein Sachverständiger klären könne, welche der beiden Möglichkeiten im vorliegenden Fall die Ursache war (vgl S 125). Würde nun nachgewiesen, daß diese Nichtübernahme der Geldbeträge vom Abgabenbuch ins Hauptbuch tatsächlich durch einen Fehler der Maschine und nicht - wie dies das Erstgericht als erwiesen angenommen hat - durch eine Manipulation des Angeklagten erfolgte, dann wäre einerseits der Urteilsannahme, daß der Beschwerdeführer zur Verschleierung seiner Zueignungshandlung durch eine solche Manipulation den buchhalterischen Gleichstand herstellte, der Boden entzogen; andererseits würde aber auch die - vom Erstgericht nicht gewürdigte - Darstellung des Angeklagten in der Hauptverhandlung, daß diese Handkasse frei zugänglich war und auch andere an diese herankommen konnten (vgl S 113 f., 115), an Glaubwürdigkeit gewinnen, zumal kein Kassabuch geführt wurde (vgl S 6). War aber eine Entnahme durch Dritte möglich, dann würde in einem solchen Fall auch der Kassenabschluß stimmen (vgl Zeuge O***, S 124 und 125); die Argumentation mit dem "Kassenmehrvorfund" - die eine Einzahlung in die Handkasse und Entnahme durch den Angeklagten voraussetzt - wäre dann nicht haltbar. So gesehen betrifft das beantragte Beweismittel somit eine entscheidende Tatsache und ist ein verwertbares Ergebnis nicht von vornherein auszuschließen. Durch die dem Grundsatz der Erforschung der materiellen Wahrheit (§ 3 StPO) zuwiderlaufende Abweisung des in Rede stehenden Beweisantrages wurde der Nichtigkeitsgrund nach § 281 Abs. 1 Z 4 StPO verwirklicht. Wie die Mängelrüge (Z 5) zutreffend ausführt, hat sich das Erstgericht auch nicht damit auseinandergesetzt, daß die gleichfalls im Gemeindeamt Pirka beschäftigte Anna H*** bei längerer Abwesenheit des Beschwerdeführers auch diese Handkasse, in welcher die eingezahlten Beträge verwahrt wurden, übernommen hat (vgl S 47), diese nach Darstellung des Angeklagten auch am 14.August 1986, an welchem der (zweite) Geldbetrag in der Höhe von 4.151,50 S einbezahlt wurde, geführt hat (vgl S 109 und 111) und in diesem Zusammenhang auch seine Verantwortung nicht erörtert, daß diese Handkasse auch für andere Personen zugänglich war (S 113 f); weiters blieb unerörtert, daß anläßlich der Erstellung des Rechnungsabschlusses für das Jahr 1985, ein vom Mai dieses Jahres stammender Kassenmehrvorfund über 2.249,39 S gebucht und dies vom Angeklagten auch aktenkundig gemacht worden war (vgl Punkt V des Prüfungsberichtes S 59 ff, Zeuge Walter O*** S 123). Wäre aber das Geld ohne Wissen des Angeklagten von einer anderen Person daraus wieder entnommen worden, dann wäre auch kein Kassenmehrbestand entstanden und hätte der Monatsabschluß in einem solchen Falle auch gestimmt (vgl Zeuge Walter O***, S 124 f).

Wegen dieser Verfahrens- und Begründungsmängel ist somit die Anordnung einer neuen Hauptverhandlung nicht zu vermeiden (§ 285 e StPO), weshalb ohne Erörterung des übrigen Beschwerdevorbringens nach Anhörung der Generalprokuratur bereits bei einer nichtöffentlichen Beratung wie im Spruch zu erkennen war. Mit seiner Berufung war der Angeklagte auf diese Entscheidung zu verweisen.

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