OGH 9ObS10/87

OGH9ObS10/8716.9.1987

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Hon.-Prof. Dr. Kuderna als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Gamerith und Dr. Bauer sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Dr. Pipin Henzl und Dr. Dietmar Strimitzer als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Hilde W***-P***, Wien 2.,

Vorgartenstraße 111/18/3, vertreten durch Dr. Felix Spreitzhofer, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei A*** U***, Wien 20., Adalbert-Stifter-Straße 65,

vertreten durch Dr. Adolf Fiebich, Dr. Vera Kremslehner und Dr. Josef Milchram, Rechtsanwälte in Wien, wegen Versehrtenrente, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 30. Jänner 1987, GZ. 33 Rs 10/87-30, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Schiedsgerichtes der Sozialversicherung für Wien in Wien vom 2. Dezember 1986, GZ. 2 b C 206/85 -26 (2 Cgs 206/85-26 des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien), bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die Klägerin hat die Kosten des Revisionsverfahrens selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin begehrte, die beklagte Partei zur Leistung einer Versehrtenrente im gesetzlichen Ausmaß zu verpflichten. Sie brachte vor, daß durch die Folgen des am 28. Mai 1983 erlittenen Arbeitsunfalles eine Minderung der Erwerbsfähigkeit über 3 Monate nach dem Eintritt des Versicherungsfalles hinaus um mindestens 20 v.H. bestehe.

Die beklagte Partei beantragte die Abweisung der Klage und brachte vor, daß Folgen des Verkehrsunfalles, die die Leistungsfähigkeit der Klägerin beeinträchtigten, nicht bestehen. Das Erstgericht wies das Begehren der Klägerin ab; es legte seiner Entscheidung im wesentlichen nachstehenden Sachverhalt zugrunde:

Die Klägerin erlitt bei dem Unfall vom 28. Mai 1983 eine Zerrung der Halswirbelsäule und einen Bruch des Brustbeines. Die Zerrung der Halswirbelsäule war eine leichte Verletzung; eine derartige Verletzung heilt je nach Schwere der Gewalteinwirkung praktisch immer folgenlos innerhalb von maximal 6 bis 7 Wochen aus. Der Bruch des Brustbeines ist ebenfalls ausgeheilt. Eine Verschiebung ist nicht eingetreten, das Brustbein ist wieder hergestellt. Derzeitige Schmerzen können nicht mehr als Folge einer Gewalteinwirkung durch den Unfall angesehen werden. Es bestehen geringe Wurzelreizerscheinungen im Nackenbereich. Insgesamt erreicht die Minderung der Erwerbsfähigkeit nicht 20 v.H.

Das erhobene Begehren bestehe nicht zu Recht, da die Voraussetzungen des § 203 ASVG nicht erfüllt seien. Das Berufungsgericht gab der von der Klägerin gegen dieses Urteil erhobenen Berufung nicht Folge. Die geltend gemachten Verfahrensmängel seien nicht gegeben, die Rechtsrüge sei nicht zur gesetzmäßigen Darstellung gelangt.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der Klägerin aus dem Revisionsgrund der Aktenwidrigkeit und der Mangelhaftigkeit des Verfahrens mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung im Sinne des Klagebegehrens abzuändern oder sie aber aufzuheben und die Sache zur Ergänzung des Verfahrens und zur neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückzuverweisen.

Die beklagte Partei beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Nur eine mit dem Akteninhalt in Widerspruch stehende Darstellung des Urteilssachverhaltes oder die Zugrundelegung von Feststellungen ohne aktenmäßige Deckung bildet den Revisionsgrund der Aktenwidrigkeit. Er liegt nur vor, wenn eine Aktenwidrigkeit die Entscheidungsgrundlage des Berufungsgerichtes verändert hat. Das Berufungsgericht hat alle wesentlichen vom Erstgericht getroffenen Feststellungen, in seiner Entscheidung wiedergegeben und im Rahmen der Behandlung der geltend gemachten Verfahrensmängel zum Ausdruck gebracht, daß es diese Feststellungen für unbedenklich hielt. Die bekämpften Ausführungen sind eine Kurzzusammenfassung des wesentlichen, vom Erstgericht zugrundegelegten Sachverhaltes im Rahmen der Behandlung der Berufungsgründe. Wenn in diesem Satz nicht alle Details der an anderer Stelle in extenso wiedergegebenen Feststellungen des Erstgerichtes enthalten sind, so begründet dies keine Aktenwidrigkeit.

Im Rahmen der geltend gemachten Mängelrüge führt die Klägerin im wesentlichen aus, daß eine Beurteilung des Grades der durch einen Arbeitsunfall erlittenen Einbuße der Erwerbsfähigkeit grundsätzlich nach dem Umfang der dem Versicherten verbliebenen Erwerbsmöglichkeiten zu beurteilen sei. Eine Entscheidung über die Minderung der Erwerbsfähigkeit könne lediglich auf der Grundlage von Feststellungen über die Ausbildung, den bisherigen Beruf und den Gesundheitszustand des Versehrten vor dem Unfall getroffen werden. Derartige Feststellungen lägen jedoch nicht vor.

Mit diesen Ausführungen wird ein sekundärer Verfahrensmangel geltend gemacht und die Klägerin erstattet in Wahrheit Rechtsausführungen. Sie erachtet das Berufungsverfahren für mangelhaft, weil - ausgehend von der von ihr nunmehr vertretenen Rechtsansicht - weitere Tatsachenfeststellungen zu treffen gewesen wären. Hat die unterlegene Partei jedoch ihre Berufung nicht auch auf den Berufungsgrund einer unrichtigen rechtlichen Beurteilung gestützt und ihn gesetzmäßig ausgeführt, so kann die von ihr versäumte Rechtsrüge in der Revision nicht mehr nachgetragen werden (SZ 50/152; EvBl 1951/268). Diese Grundsätze haben ungeachtet der Vorschrift des § 87 Abs 1 ASGG auch im Verfahren in Sozialrechtssachen Geltung, zumal diese, für das Verfahren in erster Instanz getroffene Bestimmung über den Amtswegigkeitsgrundsatz ausschließlich für die Beweisaufnahme in diesem Verfahren normiert. Im Berufungsverfahren beschränkte sich die Rechtsrüge der Klägerin auf die Ausführung, daß das Erstgericht bei richtiger Beurteilung der Folgen des Arbeitsunfalles hätte erkennen müssen, daß die Erwerbsfähigkeit der Klägerin über drei Monate nach dem Eintritt des Versicherungsfalles hinaus um zumindest 20 v.H. vermindert worden sei. Damit wurde die Rechtsrüge jedoch nicht in bezug auf irgendeine Rechtsfrage gesetzmäßig ausgeführt. Ein Eingehen auf die nunmehr in der Revision im Rahmen des Rechtsgrundes der Mangelhaftigkeit des Verfahrens erstatteten Ausführungen, mit denen die Klägerin die rechtliche Beurteilung des Erstgerichtes anficht, ist dem Revisionsgericht daher verwehrt.

Der Revision mußte daher ein Erfolg versagt bleiben. Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Umstände, die einen Kostenzuspruch an die Klägerin auf Grund dieser Geseztesstelle rechtfertigen könnten, wurden von der Klägerin weder geltend gemacht, noch finden sich Hinweise für solche Umstände im Akt.

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