OGH 10ObS58/87

OGH10ObS58/878.9.1987

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Resch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier und Dr. Angst sowie durch die fachkundigen Laienrichter Franz Murmann und Hon.Prof.Dr. Gottfried Winkler als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Hermann S***, Pensionist, 3350 Haag, Südtirolerstraße 7, vertreten durch Dr. Christian Kuhn, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Pargei P*** DER A***

(Landesstelle Wien), 1092 Wien, Roßauer Lände 3, vor dem Obersten Gerichtshof nicht vertreten, wegen Hclflosenzuschusses, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 27. März 1987, GZ 31 Rs 63/87-16, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Schiedsgerichtes der Sozialversicherung für Niederösterreich in Wien vom 1. Oktober 1986, GZ 9 C 328/86-9, (nunmehr 33 Cgs 66/87 des Landesgerichtes St. Pölten als Arbeits- und Sozialgericht) bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Aus Anlaß der Revision werden das Urteil des Berufungsgerichtes und das Urteil der ersten Instanz als nichtig aufgehoben. Die Sozialrechtssache wird an das Landesgericht St. Pölten als Arbeits- und Sozialgericht zur Verhandlung und Entscheidung verwiesen.

Die Kosten der Berufungsschrift und der Revisionsschrift sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Aus dem den Kläger betreffenden Pensionsakt der Beklagten 1555 28 04 42 ergibt sich:

Der Kläger erlitt am 28. Oktober 1972 einen Arbeitsunfall. Wegen

der Folgen dieses Unfalls bezog er von der A***

U*** (AUVA) zunächst ab 30. Mai 1973 eine

vorläufige Versehrtenrente von 80 v.H. der Vollrente samt

Zusatzrente (Stück 30).

Mit Bescheid vom 18. Oktober 1973 anerkannte die Beklagte den Anspruch des Klägers auf Invaliditätspension wegen dauernder Invalidität bzw. Erwerbsunfähigkeitspension gemäß § 254 ASVG und § 69 BPVG ab 20. Juni 1973 und setzte die Höhe der ASVG-Pension mit S 2.737,60, die Höhe der BPVG-Pension mit S 62,20, die Gesamtleistung daher mit S 2.799,80 fest (Stück 41). Mit Bescheid der AUVA vom 14. August 1974, Unfallnummer W 60810/72, wurde anstelle der vorerwähnten vorläufigen Rente nach § 209 Abs 1 ASVG ab 11. Juli 1974 eine Dauerrente von 100 v.H. samt Zusatzrente festgestellt, deren Höhe im Jahr 1974 insgesamt monatlich S 6.591,50 betrug (Stücke 69 und 70).

Mit Bescheid vom 29. Oktober 1976 anerkannte die Beklagte den Anspruch des Klägers auf Kinderzuschuß gemäß § 262 ASVG ab 1. Juni 1976 und bemaß diesen mit monatlich S 407,30 (Stück 76). Mit Bescheid der AUVA vom 17. November 1976 gewährte auch diese dem Kläger einen Kinderzuschuß ab 1. Juni 1976, und zwar in der monatlichen Höhe von S 809,90, so daß seine Versehrtenrente samt Zuschußrente und Kinderzuschuß damals monatlich S 8.909,10 betrug (Stück 80).

Ein bei der Beklagten eingebrachter Antrag des Klägers vom 3. Oktober 1985 auf Gewährung eines Hilflosenzuschusses wurde von der Beklagten am 18. Oktober 1985 aus Zuständigkeitsgründen der AUVA übermittelt (Stück 146), wovon der Kläger verständigt wurde (Stück 147).

Die AUVA schickte diesen Antrag der Beklagten am 25. November 1985 mit der Erklärung zurück, daß laut Stellungnahme der chefärztlichen Station aufgrund der Unfallfolgen Hilflosigkeit im Sinn des Gesetzes nicht vorliege (Gutachtenmappe). Der Kläger bezog von der Beklagten im Jahr 1986 eine Invaliditätspension von S 6.170,50 samt S 650,-- Kinderzuschuß (Stücke 152 und 155).

Die Höhe der Versehrtenrente betrug im Jahr 1986 einschließlich Zusatzrente und Kinderzuschuß monatlich S 12.262,50 (Stück 155). Der Pensionsausschuß der Beklagten beschloß am 14. Februar 1986, den Antrag des Klägers auf Gewährung eines Hilflosenzuschusses mangels Hilflosigkeit abzulehnen, "soferne nicht AUVA zuständig ist" (Stück 155).

Mit Bescheid vom 14. Februar 1986 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers auf Gewährung eines Hilflosenzuschusses mit der Begründung ab, daß er die im § 105 a Abs 1 ASVG genannten Voraussetzungen nicht erfülle.

In der dagegen am 26. März 1986 erhobenen Klage begehrte der Kläger einen Hilflosenzuschuß im gesetzlichen Ausmaß ab Antragstellung.

Die Beklagte beantragte unter Wiederholung ihrer Bescheidbegründung die Abweisung des Klagebegehrens, wies aber in ihren Einwendungen darauf hin, daß sie nach § 105 (gemeint § 105 a) Abs 5 letzter Satz ASVG für die begehrte Leistung weder bescheid- noch leistungszuständig sei, weshalb die Klage zurückzuweisen wäre.

Der zu einer diesbezüglichen Äußerung aufgeforderte Kläger erklärte lediglich, daß es sich bei dem von der Beklagten zitierten § 105 Abs 5 offensichtlich um einen Schreibfehler handle, dessen Richtigstellung der Beklagten aufgetragen werden möge. In der mündlichen Verhandlung trug die Beklagte zwar ihre Einwendungen vor, die darin aufgeworfene Frage, welcher Versicherungsträger den Hilflosenzuschuß festzustellen und flüssig zu machen hat, wurde aber weder in der mündlichen Verhandlung, noch in den Urteilen beider Vorinstanzen, noch in den dagegen erhobenen Rechtsmitteln erörtert.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.

Bei dem am 28. April 1942 geborenen Kläger bestünden als Folge einer Schädel-Hirnverletzung eine Lähmung des rechten Armes und eine Spitzfußstellung rechts. Der rechte Arm sei voll einsetzbar (dabei wurde offensichtlich das Wort "nicht" ausgelassen). Der Kläger sei grundsätzlich einem Linkseinarmigen gleichzusetzen, könne jedoch unter Zuhilfenahme entsprechender Werkzeuge auch Tätigkeiten ausführen, die über die Möglichkeiten eines Einarmigen hinausgingen. Die Gangstörung hindere ihn nicht daran, in der Umgebung seines Hauses einige 100 m zurückzulegen und kleine Lasten zu transportieren. Psychische Veränderungen, die eine ständige Beaufsichtigung oder Betreuung erfordern würden, lägen nicht vor. Dieser Zustand bestehe seit der Antragstellung und erfordere keine ständige Wartung und Hilfe.

In der wegen Aktenwidrigkeit, Mangelhaftigkeit des Verfahrens und unrichtiger rechtlicher Beurteilung der Sache erhobenen Berufung beantragte der Kläger die Aufhebung des erstgerichtlichen Urteils, allenfalls dessen Abänderung im klagestattgebenden Sinn. Die Beklagte erstattete keine Berufungsbeantwortung. Das Berufungsgericht gab der Berufung nicht Folge.

Es verneinte die behauptete Aktenwidrigkeit und bezeichnete die erstgerichtlichen Feststellungen zwar als äußerst knapp gehalten, aus der Diktion im Zusammenhalt mit den Verfahrensergebnissen vor allem im Verfahren 9 C 368/84 des Schiedsgerichtes der Sozialversicherung für Niederösterreich in Wien, welcher Akt verlesen worden sei, sei aber erkennbar, daß der Kläger die in diesem Vorakt erwähnten lebensnotwendigen Verrichtungen, wenn auch sicherlich mit Behinderungen, ausführen könne. Der Kläger habe gegenüber dem Sachverständigen für Neurologie sogar zugegeben, daß er seinen eigenen PKW lenke. Deshalb fielen die vermißten Feststellungen bezüglich der Möglichkeit konkreter Verrichtungen des täglichen Lebens nicht ins Gewicht. Nach der herrschenden Rechtsprechung begründe die mit einer Einarmigkeit verbundene Behinderung noch keine Hilflosigkeit im Sinn des § 105 a ASVG. Dagegen richtet sich die Revision des Klägers wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung der Sache und den Anträgen, das angefochtene Urteil im klagestattgebenden Sinn abzuändern, allenfalls aufzuheben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nach § 46 Abs 4 ASGG ohne die im Abs 2 dieser Gesetzesstelle genannten Beschränkungen zulässig.

Zunächst ist auf die Frage einzugehen, ob der von der Beklagten begehrte Hilflosenzuschuß von dieser auch flüssig zu machen ist. Treffen Pensionsansprüche aus einer der Pensionsversicherungen mit einem Rentenanspruch aus der Unfallversicherung zusammen, wobei in beiden in Betracht kommenden Versicherungszweigen die Voraussetzungen für den Hilflosenzuschuß erfüllt sein müssen, so ist der Hilflosenzuschuß nach § 105 a Abs 4 erster Satz ASVG von der Summe dieser Renten(Pensions)ansprüche unter Bedachtnahme auf die im Abs 2 dieser Gesetzesstelle genannten Mindest- und Höchstbeträge zu ermitteln. Ist aber die halbe monatliche Vollrente aus der Unfallversicherung höher als der im Abs 2 genannte Höchstbetrag, gebührt der Hilflosenzuschuß nach § 105 a Abs 4 zweiter Satz ASVG in der Höhe der halben Vollrente. Nach Abs 5 der zitierten Gesetzesstelle ist der Hilflosenzuschuß in den Fällen des Abs 4 erster Satz von dem Versicherungsträger festzustellen und flüssig zu machen, demgegenüber der höhere oder höchste Renten(Pensions)anspruch besteht (erster Satz). In den Fällen des Abs 4 zweiter Satz ist der Hilflosenzuschuß vom Träger der Unfallversicherung festzustellen und flüssig zu machen (dritter Satz).

§ 105 a Abs 5 ASVG bestimmt daher für den Fall des Zusammentreffens mehrerer Pensionsansprüche aus der Pensionsversicherung oder von Pensionsansprüchen aus der Pensionsversicherung mit einem Rentenanspruch aus der Unfallversicherung, von welchem Versicherungsträger der Hilflosenzuschuß festzustellen und flüssig zu machen ist. Diese Gesetzesstelle bezeichnet also - vergleichbar dem § 246 ASVG - den leistungszuständigen Versicherungsträger.

Nach § 354 Z 1 ASVG gehört die Feststellung des Bestandes eines Anspruches auf einen Hilflosenzuschuß zu den Leistungssachen, soweit nicht hiebei unter anderem die Versicherungszuständigkeit (hier §§ 28 und 29 ASVG) und die Leistungszuständigkeit (§ 246 ASVG) in Frage steht.

Nach § 355 Z 2 ASVG gehört zu den Verwaltungssachen unter anderem die Feststellung der Versicherungszuständigkeit, in der Pensionsversicherung auch der Leistungszugehörigkeit und -zuständigkeit.

Die Schiedsgerichte der Sozialversicherung waren nach § 371 Z 1 ASVG nur zur Entscheidung über Streitigkeiten in Leistungssachen nach § 354 ASVG zuständig. Auch nach § 65 Abs 1 Z 1 ASGG sind Sozialrechtssachen Rechtsstreitigkeiten über den Bestand eines Anspruchs auf Versicherungsleistungen, soweit hiebei nicht unter anderem die Versicherungszuständigkeit, die Leistungszugehörigkeit oder die Leistungszuständigkeit in Frage stehen.

Über diese Fragen entscheidet nach § 413 Abs 1 Z 2 ASVG der Landeshauptmann unter Ausschluß eines Bescheidrechtes der beteiligten Versicherungsträger auf Antrag eines beteiligten Versicherungsträgers, einer anderen Partei oder eines Gerichts (bis 31. Dezember 1986: Schiedsgerichtes), wenn Zweifel oder Streit

darüber bestehen, .... welcher Versicherungsträger für eine Person .... versicherungs- oder leistungszuständig ist.

Nach § 413 Abs 4 ASVG darf im Verfahren über Leistungssachen über die im Abs 1 Z 2 bezeichneten Fragen als Vorfrage nicht entschieden werden. Der Versicherungsträger oder das Gericht (bis 31. Dezember 1986: das Schiedsgericht oder das Oberlandesgericht Wien) haben (hatten) vielmehr die Einleitung des Verfahrens beim Landeshauptmann anzuregen und das eigene Verfahren bis zur Rechtskraft der Entscheidung nach Abs 1 Z 2 auszusetzen (zu unterbrechen). Seit 1. Jänner 1987 kann einem Rekurs gegen den Unterbrechungsbeschluß keine aufschiebende Wirkung zuerkannt werden. Nach § 413 Abs 5 ASVG (idF BGBl. Nr. 104/1985), hat der Landeshauptmann in den Fällen des Abs 1 Z 2 die vorläufige Durchführung und, wenn ein gerichtliches Verfahren nicht anhängig ist, die Erbringung der in Betracht kommenden Leistungen bis zur Rechtskraft der Entscheidung nach Abs 1 Z 2 einem Versicherungsträger nach freiem Ermessen zu übertragen. Ist ein gerichtliches Verfahren anhängig, so ist, nach der Übertragung der Durchführung der Versicherung an einen Versicherungsträger durch den Landeshauptmann, auch dieser Versicherungsträger Beklagter und ihm gegenüber § 74 Abs 2 ASGG sinngemäß anzuwenden.

Im vorliegenden Rechtsstreit über den Bestand eines Anspruches des Klägers auf einen Hilflosenzuschuß steht auch in Frage, ob der Hilflosenzuschuß von der AUVA oder von der beklagten Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter festzustellen war und (allenfalls) flüssig zu machen ist, welcher dieser beiden Versicherungsträger also diesbezüglich leistungszuständig und damit im Rechtsstreit passiv legitimiert, also allenfalls zur Gewährung des begehrten Hilflosenzuschusses verpflichtet ist. Das Schiedsgericht und das Berufungsgericht hätten über diese Frage als Vorfrage ihrer Sachentscheidungen nicht entscheiden dürfen, sondern hätten die Einleitung des Verfahrens beim Landeshauptmann anregen und das eigene Verfahren bis zur Rechtskraft der Entscheidung des Landeshauptmannes nach § 413 Abs 1 Z 2 ASVG unterbrechen müssen.

Die Vorinstanzen haben daher eigentlich über eine nicht auf den Rechtsweg gehörige Sache erkannt, so daß ihre Entscheidungen im Sinn des § 477 Abs 1 Z 6 ZPO nichtig sind.

Wegen dieser aus Anlaß der zulässigen Revision von Amts wegen wahrzunehmenden Nichtigkeit waren die Urteile der Vorinstanzen nach § 510 Abs 2 ZPO aufzuheben und die Sache war an das nunmehr in erster Instanz zuständige Landesgericht St. Pölten als Arbeits- und Sozialgericht zu verweisen.

Dieses Gericht wird nach § 413 Abs 4 ASVG die Einleitung des Verfahrens beim Landeshauptmann anzuregen und das eigene Verfahren bis zur Rechtskraft der Entscheidung des Landeshauptmannes zu unterbrechen haben.

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.

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